Einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts wäre jetzt 100 Jahre alt geworden

Helmut Thielicke: Ein Leben angesichts des Todes

von Helmut Matthies

 

Er gehörte zusammen mit Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer zu den bedeu­tendsten Theologen des 20. Jahrhun­derts: Helmut Thielicke. Von keinem anderen Theologieprofessor wurden in den 50er bis 80er Jahren so viele Bü­cher gelesen wie von ihm, der am 4. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre. Er starb am 5. März 1986 in Hamburg, wo er seit 1954 wirkte. 1908 in Barmen (Wuppertal) geboren, rech­neten weder seine Ärzte noch er selbst damit, dass er einmal 77 Jahre alt wer­den würde, litt er doch zeitlebens an ei­ner Schilddrüsenerkrankung und einer deshalb nötigen, aber „katastrophal" (wie es hieß) endenden Operation. „Ein Leben angesichts des Todes" - dies be­stimmte ihn ebenso wie das Wissen, dass er sich einmal vor Gott verantwor­ten muss. Im Dritten Reich gehörte er zu den führenden Köpfen der Beken­nenden Kirche wie des Widerstandes überhaupt. 1940 wurde er deshalb als Theologieprofessor in Heidelberg amtsenthoben, erhielt zeitweise totales Rede-, Reise- und Schreibverbot. An­onym wurden seine „Gedanken des Christentums an die moderne Welt" in der Schweiz veröffentlicht.

 

Nach 1945 ein „Star"

 

Nach Kriegsende wurde er ein „Star" (so der Hamburger Bischof Wölber zu seinem 75. Geburtstag). Ihm wurde 1946 angetragen, Bischof, 1948 Kultusminister, später deutscher Botschafter in Israel zu werden. Doch er blieb seiner Berufung als Professor treu und war bis weit in die 70er Jah­re eine Leitfigur vieler Christen. Denn kaum ein anderer Theologe hat

es je verstanden, das, was die Bibel aussagt, so genial und gleichzeitig bi­beltreu für die heutige Welt auszule­gen. Davon zeugen beispielsweise seine Bücher über das Vaterunser, die Gleichnisse Jesu, aber auch seine Dogmatik und Ethik. Seine überaus lesenswerte, 1983 erschienene Biografie „Zu Gast auf einem schönen Stern" hat 2007 erfreulicherweise der Brunnen Verlag neu aufgelegt.

 

Wer ist unser „Führer"?

 

Theologisch geprägt hat Thielicke vor allem das Dritte Reich, das für ihn die Grenzen von Luthers Zwei-Reiche-Lehre deutlich machte. Viele Christen haben aus seiner Sicht deshalb dem Nationalsozialismus so wenig wider­standen, weil sie das Wirken des Staa­tes strikt von dem der Kirchen unter­schieden. Sie hätten in der Illusion gelebt, das Hitler-Regime könne ja gar nicht so schlimm sein, lasse es doch das christliche Glaubensbekenntnis un­angetastet. Doch - so Thielicke - die­ses Bekenntnis hat auch politische Konsequenzen: „Wenn Propagandami­nister Goebbels im Sportpalast rief ,Wir folgen allein unserem geliebten Führer Adolf Hitler', dann hätten Chris­ten aufstehen und schreien müssen ,Unser Führer aber ist Jesus Christus'."

Thielicke wurde später nicht unge­fähr ein Gegner der westlichen 68er-Studentenrebellion. In einem idea-Interview sagte er rückblickend 1983: „Aus lauter Angst, Autorität zu sein, haben die Erwachsenen damals ihre Füh­rungsaufgabe preisgegeben." Zu viele in Politik und Kultur hätten auf die „Stimme der Gosse" gehört. Er kritisierte gleichzeitig, dass die Bibel und das geistliche Leben eine immer gerin­gere Rolle in der evangelischen Kirche spielen. Ein Linksruck bestimme sie wie den Weltkirchenrat. Solche Ansich­ten machten ihn einsamer. Es war für konservative Theologiestudenten in Hamburg in den 70er Jahren peinlich zu erleben, wie sich Theologieprofessoren von Thielicke distanzierten. Die Folge: Zu ihm, zu dem einst Hunderte in die Vorlesungen strömten, kamen an sei­nem 65. Geburtstag 1973 noch ganze 20 Studenten.

 

Die ganze Wahrheit: ein Thiel

 

Linke Medien waren sich nicht zu schade, Schmähungen über Thielicke zu verbreiten. Eine beliebte war, dass Thielicke geldgierig sei, verlange er doch hohe Vortragshonorare. Bei l .000 DM sprach man damals von einem „Thiel". Doch niemand ging der Frage nach, was er mit diesen Honoraren machte (die er auch nur von reichen Or­ganisationen verlangte). Dazu nur ein Beispiel: Wenn er von irgendeinem Stu­denten mitbekam, dass er Not litt (und das waren damals nicht wenige), steck­te er ihm einfach einen Umschlag zu. Nur so habe beispielsweise ich damals studieren können.

 

Helmut Matthies

 

Erschienen am: 03.12.2008 (idea spektrum)

 

 Wer die Welt verändern will, muss sich zuerst einmal selbst ändern.

Die eigene Bekehrung, die eigene Nachfolge, das eigene Engagement ist das Thema Nr. 1."

Einer der prominentesten Lehrer der evangelischen Kirche im letzten Jahrhundert, Helmut Thielicke