Bekennende Evangelisch-Reformierte Gemeinde in Gießen (BERG) Wortverkündiger: Dr. Jürgen-Burkhard Klautke (01.08.2021) Wortverkündigung: Matthäus 5, 17-20 Thema: Jesus Christus - der Erfüller des Gesetzes Gottes Psalmen: Psalm 134a, 1-4; Psalm 130a, 1-4; Psalm 23b, 1-5; Psalm 119a, 59-62 Gesetzeslesung: Römer 13, 8-14 Erste Schriftlesung: Philipper 3, 1-21 Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Das Wort Gottes bringe ich Ihnen aus Matthäus 5, 17-20. Wir hören das Wort des lebendigen Gottes. Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus! Als der Sohn Gottes in Galiläa auftrat, verkündete er das Reich Gottes. Mehr noch: Jesus Christus verkündete nicht nur das Reich Gottes, sondern dieses Reich kam in ihm. In Jesus Christus war die Herrschaft Gottes auf der Erde erschienen. Aber als der Herr auf dem Berg sowohl seinen Jüngern als auch der großen Volksmenge dieses Reich verkündete, stellte sich den Hörern eine Frage: Wie ist das mit dem Gesetz Gottes? Gilt es nicht mehr? Ist es aufgelöst? Hat Jesus es abgeschafft? Im Blick auf das Gesetz Gottes kamen nicht nur bei den Hörern damals Fragen auf, sondern auch unter Christen heute ist das Thema des Gesetzes Gottes eine umstrittene Frage. Wie ist das bei uns? Denken wir nicht auch manchmal: "Das Gesetz Gottes ist alttestamentlich." Es sei doch eigentlich "gesetzlich", sich an den Geboten Gottes zu orientieren. Nicht selten hört man aus Kreisen oder aus Gemeinden, in denen durchaus die Heilige Schrift als Wort Gottes noch ernstgenommen wird, folgende Gedankenführung: Das Gesetz, das gilt nicht mehr für die Christen. Höre doch einmal auf Römer 6, 14: Die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade. Oder man verweist darauf, dass der Apostel Paulus im folgenden Kapitel schreibt: Christen, das sind Menschen, die dem Gesetz gestorben sind: Oder wisset ihr nicht, Brüder, (denn ich rede zu denen, die das Gesetz kennen), dass das Gesetz über den Menschen herrscht, solange er lebt? (Römer 7, 1). Gleich darauf schreibt der Apostel: Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, damit ihr eines anderen zu eigen seid, nämlich dem, der aus den Toten auferweckt worden ist, damit wir Gott Frucht bringen (Römer 7, 4). Auch erinnert man an die kurze Aussage in Römer 10, 4: Christus ist des Gesetzes Ende. ... Aha, so folgert man: Das Gesetz ist also zum Abschluss gekommen. Oder blicken wir in den Brief an die Galater: Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe (Galater 2, 19): Da steht es doch: dem Gesetz gestorben! Oder man weist auf Galater 3, 19: Das Gesetz, das war lediglich ein dazwischengekommener Zuchtmeister, und zwar bis Christus kam. Daraus folgert man: Heute hätten Christen nichts mehr mit dem Gesetz zu tun. Es sei für uns abgeschafft. Haben diejenigen, die das Gesetz ablehnen, also Recht? Anscheinend haben sie doch unzweideutige Aussagen des Neuen Testamentes auf ihrer Seite? Oder wie ist das? In unserer Gemeinde hören wir jeden Sonntag zu Beginn des Gottesdienstes einen Abschnitt aus der Heiligen Schrift als Gesetzeslesung. Nicht immer, aber häufig, werden die 10 Gebote gelesen, manchmal, wie heute, auch ein anderer Abschnitt. Aber noch einmal die Frage: Gilt das Gesetz überhaupt für uns? Halten wir fest: Das Gesetz Gottes ist heute ein umstrittenes Thema. Dass das Gesetz vor zweitausend Jahren ebenfalls umstritten war, kommt in Matthäus 5, 17-20 zum Ausdruck. Indem der Herr sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen, blickt der Herr in fragende, gleichsam stirnrunzelnde Gesichter. Es herrschte nämlich bei den damaligen Zuhörern eine feste Überzeugung im Blick auf die Thora. Diese führte zu der Frage: Hat Jesus das Gesetz abgeschafft? Darauf erwidert der Herr unmissverständlich: Bildet euch nicht ein, dass ich gekommen bin, um das Gesetz abzuschaffen. Wie konnten die Juden überhaupt auf den Gedanken kommen, Jesus hätte das Gesetz abgeschafft? Nun, die Aussage: Meint nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten abzuschaffen steht mitten in der Bergpredigt. In der Bergpredigt - das hatten die Zuhörer inzwischen verstanden - geht es um das in Jesus Christus gekommene Reich Gottes. Unmittelbar bevor Jesus auf den Berg stieg, um die Bergpredigt zu halten, wird uns berichtet, dass Jesus ganz Galiläa durchzog, er lehrte in ihren Synagogen und verkündigte das Evangelium von dem Reich Gottes, und er heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk. Das alles bestimmende Thema in der darauffolgenden Bergpredigt ist dann das Reich Gottes. Wie beginnt die Bergpredigt? Antwort: mit den Glückseligpreisungen. Wenn aber die Glückseligpreisungen für das Reich Gottes charakteristisch sind, dann ist die Frage umso drängender: Was ist mit dem Gesetz Gottes? Der Herr verkündet das Reich Gottes, ohne auch nur ein einziges Mal das Gesetz überhaupt zu erwähnen. Das Reich Gottes also ohne die Thora? Die Juden waren mit dem Gesetz aus ihren Synagogengottesdiensten vertraut. Aber bei Jesus scheint das Gesetz überhaupt nicht vorzukommen. Es hätte ja durchaus Gelegenheiten gegeben, dass Jesus die Thora hätte erwähnen können: Glückselig sind diejenigen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel (Matthäus 5, 10). Hier spricht der Herr von um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Wenn der Herr gesagt hätte: Glückselig sind diejenigen, die um des Gesetzes [der Thora] willen verfolgt werden, das hätte jeder Zuhörer nachvollziehen können. Vermutlich hätte sogar die meisten zugestimmt. Eine solche Auskunft hätten sie ohne weiteres in ihre Denkraster einordnen können. Aber der Herr spricht nicht von Gesetz, sondern von Gerechtigkeit. Warum spricht Jesus nicht vom Gesetz? Vielleicht noch deutlicher ist es in der darauffolgenden, letzten Seligpreisung: Glückselig seid ihr, so spricht der Herr die Jünger an, wenn sie euch schmähen und verfolgen und lügnerisch jegliches Wort gegen euch reden ... um der Thora willen, zu der ihr steht...? Nein, das sagt Jesus nicht: Vielmehr sagt er: um meinetwillen (Matthäus 5, 11). Die Hörer wurden stutzig. Es verwirrte sie. Derjenige, der von Kindheit an gewohnt war, in der Synagoge das Gesetz vermittelt zu bekommen, dem stellte sich die Frage: Warum spricht Jesus nicht vom Gesetz, wenn er das Reich Gottes thematisiert? Ist es also abgeschafft? Das Reich Gottes: allein "Gerechtigkeit" und "Er" selbst? Wie ist das? Jesus blickte in fragende Gesichter, als er sagte: Meinet nicht, dass ich gekommen bin das Gesetz aufzulösen... Die Juden, denen der Herr auf jenem Berg in Galiläa das Reich Gottes verkündete, dachten ebenfalls in den Kategorien des Reiches Gottes. Sie lebten auch in der Erwartung der Herrschaft Gottes. Aber für sie war die Herrschaft Gottes nicht nur eng verknüpft mit der Aufrichtung einer politischen Theokratie in Israel, also mit einer politischen Befreiung von den Römern, sondern das Reich Gottes war auch engstens verbunden mit dem Einhalten des Gesetzes, das Gott einst durch Mose seinem Volk gegeben hatte. Aus dieser Blickrichtung galten die Pharisäer als diejenigen, die am nächsten am Reich Gottes dran waren. Gerade die Pharisäer erschienen als diejenigen, die sozusagen bereits an der Pforte des Reiches Gottes rüttelten. Denn sie waren es, die mit dem Anspruch auftraten, sie würden das Gesetz Gottes am ehesten erfüllen. Im Unterschied dazu predigt Jesus das Evangelium vom Reich Gottes, und dieses Reich führt er mit den Glückseligpreisungen ein. Er geht überhaupt nicht auf das ein, was für die Juden das Entscheidende am Reich Gottes war, nämlich das Gesetz. Hat Jesus also das Gesetz abgeschafft? Genau auf diese Frage geht der Herr in unserem Abschnitt ein. In Matthäus 5, 17 beantwortet der Sohn Gottes diese Frage in einer zweifachen Hinsicht: einmal negativ und einmal positiv. Zunächst negativ: Meinet nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Dann positiv: Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern zu erfüllen. Ich verkünde Ihnen das Evangelium aus Matthäus 5, 17-20 unter dem Thema: Jesus Christus - der Erfüller des Gesetzes Gottes Wir achten auf drei Punkte: 1. Jesus Christus hat das Gesetz erfüllt - durch eine wahrheitsgetreue Auslegung 2. Jesus Christus hat das Gesetz erfüllt - durch die Erweisung seiner eigenen Gerechtigkeit 3. Jesus Christus hat das Gesetz erfüllt - durch das Wirken seines Geistes in uns 1. Jesus Christus hat das Gesetz erfüllt - durch eine wahrheitsgetreue Auslegung Was meint Jesus eigentlich mit dem Erfüllen von Gesetz und Propheten? Zur Beantwortung hilft uns eine in den Evangelien berichtete Begebenheit weiter. Sie fand nach der Auferstehung statt: Zwei der Jünger Jesu waren unterwegs von Jerusalem nach Emmaus. Unerwartet gesellte sich der Auferstandene zu ihnen. Im sich anschließenden Gespräch wies der Herr die beiden Männer auf Folgendes hin: O ihr Unverständigen, wie ist doch euer Herz träge zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er begann bei Mose und bei allen Propheten und legte ihnen in allen Schriften aus, was sich auf ihn bezieht (Lukas 24, 25). Als der Herr dann bei den Jüngern ist, fügte er hinzu: Das sind die Worte, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was im Gesetz Moses und in den Propheten und den Psalmen von mir geschrieben steht (Lukas 24, 44): "Alles was über mich geschrieben steht, muss erfüllt werden." Damit sagt Jesus nichts anderes als: Ich selbst bin das Hauptthema des Alten Testamentes. Ich bin der Erfüller der gesamten Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift. Das ist eine grundlegende Aussage, und derart generelle Aussagen lesen wir immer wieder in den Evangelien, ja im gesamten Neuen Testament. Wenn wir in diesem Licht die Aussage Jesu in der Bergpredigt hören, Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern sie zu erfüllen, dann sagt Jesus: "Ich bin gekommen, um die Heilige Schrift, das Alte Testament richtig auszulegen. Ihr sollt das Wort Gottes so verstehen, wie Gott es verstanden wissen will, und das heißt: auf Christus bezogen. Bekanntlich legten die Schriftgelehrten und die Pharisäer ebenfalls das Alte Testament aus. Diese Leute konnten besser die hebräische Sprache als jeder von uns ... Und trotzdem interpretierten sie das Alte Testament falsch. Die Pharisäer hatten im alttestamentlichen Bundesvolk den besten Ruf. Die damaligen Zeitgenossen waren zutiefst davon überzeugt, dass die Pharisäer und die Schriftgelehrten geradezu die Beschützer, die Verteidiger des Gesetzes Gottes waren. In den Augen der damaligen Menschen waren die Pharisäer und Schriftgelehrten die großen Lehrer und Wahrer des Gesetzes Gottes. Die Pharisäer standen bei Außenstehenden in dem Ruf, sie hätten eine hohe Auffassung vom Gesetz Gottes. Mehr noch: Ironischerweise hielten die Zeitgenossen die Schriftgelehrten und Pharisäer für tugendhaft. Die meisten waren der Meinung: Wenn es jemand in den Himmel schaffen wird, dann sind es die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Aber der Herr stellt hier klar, dass diese so scheinbar gesetzestreuen Leute vom Reich Gottes ausgeschlossen sind: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr gar nicht in das Reich der Himmel eingehen (Matthäus 5, 20). Immer wieder weist der Herr darauf hin: Die Pharisäer sind keineswegs gesetzestreu. In Wahrheit sind sie nicht dem Gesetz gehorsam, egal wie sie sich nach außen hin auch immer präsentieren. Was kritisiert der Herr konkret an den Schriftgelehrten und Pharisäern? Zum einen ist ihre sogenannte Gerechtigkeit eine äußerlich zur Schau getragene, eine oberflächliche, eine heuchlerische "Gerechtigkeit". In Matthäus 23, 13-14 sagt Jesus: Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler... In Matthäus 23, 25 verkündet Jesus: Wehe euch ihr Schriftgelehrten [Lehrer des Gesetzes] und Pharisäer, ihr Heuchler. Ihr reinigt das Äußere des Geschirrs, aber innerlich seid ihr voller Gier und Nachgiebigkeit. In Matthäus 23, 27 lesen wir dann noch einmal: Wehe euch, ihr Schriftgelehrten [Lehrer des Gesetzes] und Pharisäer, ihr Heuchler. Ihr seid getünchte [weißgemachte] Gräber, die äußerlich zwar schön anzusehen scheinen, von außen sauber. Das Innere aber ist voller Totengebeine und aller Unreinheit [allem Unreinen]. Mit anderen Worten: Die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer war eine Farce, eine Posse, eine Maske. Sie war ohne Substanz. Genau diese äußerlich aufgesetzte Gerechtigkeit offenbarte, dass sie nicht wiedergeboren waren. Mit einer solchen unehrlichen, oberflächlichen, heuchlerischen Gerechtigkeit kann niemand in das Reich Gottes gelangen. Denken wir bitte nicht nur an die Pharisäer damals. Stellen wir auch an uns die Frage: Verbringen wir mehr Zeit vor dem Spiegel als vor dem Angesicht Gottes? Bemühen wir uns dann nett zu sein, wenn wir mit Menschen zusammen sind? Aber was ist, wenn wir allein sind, oder korrekter: wenn wir meinen, wir seien allein? Jesus hat das Gesetz und die Propheten erfüllt, indem seine Auslegung des Gesetzes wahrhaftig ist. Gleich in den folgenden Versen, ab Matthäus 5, 21ff, erfahren wir, worin die Erfüllung des Gesetzes als wahrhaftige Auslegung des Gesetzes besteht. Zum zweiten: Die sogenannte Gerechtigkeit der Pharisäer war nicht nur eine heuchlerisch aufgesetzte, sondern sie war auch eine selbstfabrizierte. In Lukas 18 schildert Jesus einen Pharisäer, der in den Tempel trat und damit protzte, zweimal in der Woche zu fasten. Im Gesetz verlangte Gott nur ein einziges Mal im Jahr zu fasten; ...am Versöhnungstag (3. Mose 16). Aber hier war ein Pharisäer, der fastete zweimal in der Woche, also auf ein Jahr hochgerechnet waren das rund 104 Tage. Frage: Haben wir nicht alle innerlich eine Liste von Dingen, bei denen wir uns einbilden, wir seien darin überragend? Aus dieser Warte stellen wir für uns dann ein Verzeichnis zusammen, von Dingen, in denen wir meinen, vor Menschen Eindruck machen zu können. Die Pharisäer waren auf dem Gebiet des Fastens vortrefflich. Hier konnten sie punkten. Aber im Licht der Heiligen Schrift war alles, was sie anstellten, eine selbstfabrizierte "Gerechtigkeit". Und entsprechend betete der Pharisäer auch ... bei sich (wie es in Lukas 18 heißt): Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie jener. Ich faste. Ich gebe den Zehnten. Dann brachten diese Leute es auch fertig, den Kümmel und den Anis und sonst irgendwelche Gewürze zu verzehnten. Man suchte sich eben das heraus, was einem im Gesetz Gottes gefiel. Man las seine Bibel selektiv. Drittens: Die sogenannte Gerechtigkeit der Pharisäer, war nicht nur heuchlerisch, sie war nicht nur selbstfabriziert-selektiv, sie war auch sich-selbst-rühmend. Die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und der Pharisäer war eine auf sich selbst bezogene Haltung. Das Tun der Pharisäer drehte sich darum, dass andere es sehen und ihnen dann bewundernd auf die Schulter klopfen. Wenn die Leute ihnen dann applaudierten, waren die Pharisäer glücklich. Denn der Lohn für das sie das alles taten (das Fasten, den Zehnten geben usw.), war der Beifall der Leute: Es ging um ihren Selbstruhm. In Lukas 16, 15 bezeichnet Jesus diese Gerechtigkeit als eine abscheuliche Gerechtigkeit: Was vor den Menschen hoch ist, das ist ein Gräuel, ein Abscheu vor Gott... Warum ist das eigentlich eine abscheuliche "Gerechtigkeit"? Durch den Prophet Jesaja erhalten wir darauf die folgende Antwort: Alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges, beschmutztes Kleid (Jesaja 64, 5). Jesus selbst sagt einmal: Wenn ihr alles getan habt, was ihr zu tun schuldig seid, was euch befohlen ist zu tun..., dann sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren (Lukas 17, 10). Paulus erläutert dazu: Wenn jemand von euch meint, er könne sein Vertrauen auf sein Fleisch setzen, dann ich noch mehr (Philipper 3). Anschließend zählt Paulus sieben Dinge auf, auf die er sich etwas hätte einbilden können. Vier Dinge davon hatte er empfangen: - beschnitten am 8. Tag; - seine Eltern waren aus dem Volk Israel, er war "Volljude"; - er gehörte zum Stamm Benjamin; - er war Hebräer von Hebräern. Dann weist der Apostel auf drei Dinge hin, die er selbst geleistet hatte: - Paulus war Pharisäer. Das heißt, er gehörte zu der strengsten Richtung innerhalb des Judentums, wie wir in Apostelgeschichte 26, 5 lesen. - Er war ein jüdischer "Aktivist", insofern als er das Gesetz unbedingt zu erfüllen trachtete. - Er war betreffs dieser Gerechtigkeit fehlerlos und perfekt. (Wir lasen das vorhin in Philipper 3): Doch, nachdem Paulus alles das geschrieben hatte, also dass er perfekt und vollkommen gemäß dieser jüdischen Gerechtigkeit war, fügt er ein großes Aber hinzu: Aber angesichts von Christus und im Licht der Gerechtigkeit, die Christus gewirkt hat, ist alles Dreck (Philipper 3, 8). Warum? Weil Paulus seine gesamte Gerechtigkeit nicht mehr in seinen Fähigkeiten, Leistungen und Werken fand, sondern einzig und allein in Christus. Hierin zeigt sich der Unterschied zwischen der sogenannten Gerechtigkeit, die die Pharisäer verbreiteten und der Gerechtigkeit, von der Jesus im Folgenden spricht. Nachdem Jesus in Matthäus 5, 20 sagte: Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so [wie ihr jetzt seid] werdet ihr gar nicht in das Reich der Himmel eingehen, erklärt er ihnen im Weiteren anhand einiger Beispiele das Gesetz: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten. Wer aber tötet, der wird dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder ohne Ursache zürnt wird dem Gericht verfallen sein, usw. Mit diesem Ich aber sage euch bestreitet der Herr nicht das alttestamentliche Gesetz, sondern die Auslegung des Gesetzes, also das, was die Altvorderen daraus gemacht hatten. Der Sohn Gottes erklärt, wie das Gesetz Gottes richtig zu verstehen ist: - Es geht nicht um eine äußerliche, zur Schau getragene "Gerechtigkeit". - Es geht nicht um eine selektiv-selbstfabrizierte "Gerechtigkeit". - Es geht schon gar nicht um eine sich selbst rühmende "Gerechtigkeit". Stattdessen geht es um eine Gerechtigkeit, in der der Mensch ganz gefordert ist. Es geht um sein Herz. Darum endet der folgende Abschnitt, der mit Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (Matthäus 5, 21) beginnt, mit der Aussage in Matthäus 5, 45: Ihr sollt vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist... Der Herr stellt klar, warum und wozu Gott das Gesetz gegeben hat. Es geht nicht darum, eine äußerlich zur Schau getragene, selektive und sich selbst rühmende Gerechtigkeit zu inszenieren. Vielmehr geht es um nicht weniger als darum, dass wir Gott entsprechen. Mit weniger Gerechtigkeit kann Gott sich nicht zufriedengeben. Nein, Jesus Christus ist wahrlich nicht gekommen, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Er ist nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen. Darum sagt unser Herr auch gleich darauf in Matthäus 5, 18.19: Denn wahrlich, solange bis Himmel und Erde vergangen sind, wird nicht ein Buchstabe noch ein einziges Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist. 2. Jesus Christus hat das Gesetz erfüllt - durch die Erweisung seiner eigenen Gerechtigkeit Jesus Christus hat nicht nur das Gesetz und die Propheten dadurch erfüllt, dass er aufzeigt, wie das Gesetz in wahrhaftiger Weise auszulegen ist. Er hat das Gesetz auch dadurch erfüllt, dass er in seiner Person der Erfüller von Gesetz und Propheten wurde. Jesus Christus ist die personifizierte Gerechtigkeit Gottes. Schauen wir zunächst auf die Propheten. Alle Verheißungen der Propheten haben sich in Jesus Christus erfüllt. Denken wir zum Beispiel an Jesaja 53: Es ist Christus, der die Strafe getragen hat, die Strafe, die eigentlich wir hätten tragen müssen. Er hat sie getragen, damit wir Frieden haben. Christus hat die Strafe uns zu gut getragen. Er hat das Schuldopfer gestellt. Jedes der Opfer im Alten Testament ist ein Hinweis auf Christus. Ich lese dazu einige Verse aus dem Matthäusevangelium 26, 52-54. Petrus hatte im Garten Gethsemane einem der Soldaten des Hohepriesters das Ohr abgehauen. Daraufhin sagte Jesus zu Petrus: Stecke Dein Schwert an seinen Platz. Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder meinst du, ich könnte nicht jetzt meinen Vater bitten, und er würde mir mehr als zwölf Legionen Engel schicken? Wie würden dann aber die Schriften erfüllt, dass es so kommen muss? Jesus kam, um in seiner eigenen Person die Schriften, also das Gesetz und die Propheten zu erfüllen. Das im Alten Testament Geweissagte, die Prophetien, und auch das Schattenhafte der Opfervorschriften und anderer Ordnungen. Das alles wurde in Christus erfüllt. Die Erfüllung in Christus betrifft auch die Gesetzesforderungen. In Galater 4, 4 lesen wir: Christus wurde unter das Gesetz gestellt: Geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Sohnschaft empfangen. Das heißt: Christus hat nicht nur insofern das Gesetz erfüllt, als er das Alte Testament in der richtigen Weise, also im Sinn Gottes auslegte, und damit im Gegensatz zu den Pharisäern, sondern er hat das Gesetz auch dadurch erfüllt, dass er selbst das Gesetz einhielt. Er war dem Gesetz Gottes in jeder Weise gehorsam, und er erfüllte es an unserer statt. Jesus Christus erfüllte das Gesetz so, als hätten wir es erfüllt. Christus hat eben nicht nur das Heil erworben, indem er am Kreuz für uns als Sühnopfer starb zur Vergebung unserer Sünden, sondern auch, indem er Gott, seinem Vater während seines irdischen Lebens gehorsam war. Wir sprechen hier von dem sogenannten "aktiven Gehorsam Christi". Christus kam als der zweite Adam, um im Gegensatz zum ersten Adam während seines irdischen Lebens Gott ganz gehorsam zu sein. So erfüllte Christus das Gesetz, und zwar an unserer Stelle. Darum brachte Gott der Vater seinen einzig gezeugten, ewigen Sohn unter das Gesetz. Das ist der Grund, warum Christus Knechtsgestalt annahm: damit er in und mit seinem Leben das Gesetz für uns erfüllt. Nein, meinet nicht, dass Christus kam, um das Gesetz aufzulösen Er kam nicht um aufzulösen, sondern um zu erfüllen, und so in Wahrheit die Gerechtigkeit Gottes in sich aufzurichten. 3. Jesus Christus hat das Gesetz erfüllt - durch das Wirken seines Geistes in uns Noch in einer dritten Weise hat Christus das Gesetz erfüllt. Damit kommen wir zum letzten Punkt der Predigt. Christus kam nicht nur, um das Gesetz und die Propheten dadurch zu erfüllen, dass er das Gesetz und die Propheten richtig auslegte (im Gegensatz zu den Pharisäern). Das war der erste Punkt der Predigt. Christus kam auch nicht nur, um das Gesetz und die Propheten dadurch zu erfüllen, dass er in sich die Gerechtigkeit Gottes aufrichtete und in vollem Gehorsam das Gesetz Gottes für uns erfüllte (Galater 4, 4). Das war der zweite Punkt. Christus kam auch, um das Gesetz in uns zu erfüllen. Ich lese dazu Römer 8, 3.4: Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch kraftlos war, das tat Gott, indem er seinen Sohn sandte in der gleichen Gestalt wie das Fleisch der Sünde und um der Sünde willen und die Sünde im Fleisch verurteilte, damit die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt würde, die wir nicht gemäß dem Fleisch wandeln, sondern gemäß dem Geist. Dass Christus kam, um das Gesetz und die Propheten in uns zu erfüllen, tat er dadurch, dass er uns ein neues Herz schenkte. Genau darin besteht ja die Erfüllung des Neuen Bundes. Ich lese dazu die Verheißung des Neuen Bundes aus Jeremia 31, 33: Das ist der Neue Bund... Ich will mein Gesetz in ihr Innersten hineinlegen und es auf ihre Herzen schreiben, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein... Eines nachts kam ein Mitglied des Sanhedrins, des höchsten jüdischen Gerichts zu Jesus. Er war ein Gesetzesgelehrter. Dieser Mann hieß Nikodemus. Jesus schockierte ihn mit der Mitteilung: Niemand kann das Reich Gottes sehen, es sei denn, er ist von neuem geboren. Das heißt nichts anderes als: Du, Nikodemus, bildest Dir ein, in das Reich Gottes gelangt zu sein oder zumindest kurz davor zu stehen. Irrtum! Du stehst draußen! Bei all deiner Gesetzesgerechtigkeit hast Du nämlich eines übersehen: Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch. Allein das, was aus dem Geist geboren ist, ist Geist. Um in das Reich Gottes zu gelangen, musst du von oben, von neuem geboren werden. Du musst geboren werden aus dem Geist Gottes. Der natürliche Mensch ist ein Feind Gottes (Römer 8, 7.8). Der natürliche Mensch ist einer, der das Gesetz Gottes hasst, und der sich ihm nicht unterwerfen will... ja, sich in Wahrheit dem Gesetz Gottes gar nicht unterordnen kann! Nur durch die neue Geburt, die Wiedergeburt, gibt Gott uns eine neue Ausrichtung, ein neues Herz, eine neue Gesinnung, sodass wir anfangen, nach Gott zu fragen und ihn zu suchen. Solange du nicht aus dem Geist Gottes neu geboren worden bist, vermagst du die Gerechtigkeit der Pharisäer und Sadduzäer mit ihrer Heuchelei, ihrer Selbstbezogenheit und ihrem Selbstruhm nicht zu übertreffen. Dann findest du keinen Eingang in das Reich Gottes. Die Gerechtigkeit der Pharisäer und Sadduzäer zu übertreffen, heißt nichts anderes als: Du benötigst den Geist Gottes. Du musst wiedergeboren werden. Wir alle sind seit Adams Fall geborene Sünder. Da gibt es unter uns keinen Gerechten, auch nicht einen. Aber nachdem Christus am Kreuz sein Rettungswerk vollbracht hatte, hat er zu Pfingsten seiner Gemeinde den Geist Gottes gesandt, damit - wie sagt es Paulus - die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt wird, in uns, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln. Jetzt verstehen wir auch die Aussagen des Apostels Paulus, dass wir nicht mehr unter Gesetz, sondern unter der Gnade sind (Römer 6, 14), dass Christus des Gesetzes Ende ist (Römer 10, 4, dass wir dem Gesetz gestorben sind (Galater 2, 19). Wenn wir auf dem Weg über das Gesetz zu Gott gelangen wollen, werden wir genauso scheitern, wie einst die Pharisäer. Die Erfüllung des Gesetzes erfolgt einzig und allein durch Christus. Er kam, um das Gesetz Gottes zu erfüllen, und zwar: - erstens dadurch, dass Jesus es richtig ausgelegt hat; - zweitens dadurch, dass er es für uns erfüllt hat; - drittens dadurch, dass er das Gesetz durch die Wiedergeburt aus Wasser und Geist in uns erfüllt. Es gibt keine andere Gerechtigkeit als die Gerechtigkeit, die zwar bezeugt ist durch das Gesetz und die Propheten (Römer 3, 21), die aber nicht im Gesetz, sondern in Christus aufgerichtet ist, und die denen zugeeignet wird, die glauben. In Wahrheit ist alles in der Bergpredigt durch Christus beherrscht: Glückselig sind die geistlich Armen, also die, die nichts aus eigener Kraft vermögen, die, die alles von Christus erwarten: Genau denen ist das Reich Gottes geschenkt. Diese Armen im Geist folgen dann dem Sohn Gottes, der das Gesetz erfüllt hat. Darum sagt der gleiche Paulus, der in Römer 3, 21 schreibt, dass Gott den Sünder, der da glaubt außerhalb des Gesetzes rechtfertigt, wenige Verse später in Römer 3, 31: Heben wir nun das Gesetz auf durch den Glauben? Seine Antwort lautet: Auf gar keinen Fall. Vielmehr bestätigen wir das Gesetz. Genau diese Botschaft zieht sich durch das gesamte Neue Testament. So schreibt Paulus: Seid niemand etwas schuldig, außer dass ihr einander liebt. Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen, du sollst nicht begehren, und welches andere Gebot es noch gibt, werden zusammengefasst in diesem Wort: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Römer 13, 8). Bitte achten wir darauf: Das Gesetz wird durch die Liebe nicht ersetzt, sondern es wird durch die Liebe erfüllt. Das heißt: Wenn du dich weigerst, nach Gottes Geboten zu fragen, sage bitte niemandem, dass du ein Christ bist. Genau das Gleiche lehrt Jesus in den folgenden Versen: Ich sage euch: Eher werden Himmel und Erde vergehen, als dass ein Buchstabe des Gesetzes vergehen wird (Matthäus 5, 18). Weiter erklärt der Herr, wie man groß wird im Reich Gottes: Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und die Leute so lehrt, der wird der Kleinste genannt werden im Reich der Himmel (Matthäus 5, 19). Mit anderen Worten: Der hat nicht verstanden, wieso Jesus kam, der auch nur das kleinste Gebot auflöst. Wer sie aber tut und lehrt, der wird groß genannt werden im Reich der Himmel. Nein, indem Jesus das Reich Gottes verkündete und uns in seiner Person gebracht hat, löste er nicht das Gesetz auf. Es wäre ein gigantisches Missverständnis zu meinen, Jesus sei gekommen, um das Gesetz zu beseitigen oder aufzulösen! Vielmehr kam Christus, um das Gesetz und die Propheten zu erfüllen, und zwar: erstens durch die rechte Auslegung des Gesetzes (im Gegensatz zu den Pharisäern, die es so auslegten, dass sie selbst sich davon dispensieren konnten und um es nur äußerlich, also scheinbar einzuhalten (Matthäus 5, 21ff)); zweitens erfüllte Jesus das Gesetz dadurch, dass er das Alte Testament als einziger einhielt und so Gottes Gerechtigkeit in sich aufrichtete; drittens hat der Sohn Gottes das Gesetz vollbracht, indem er durch die Sendung seines Geistes das Gesetz in uns erfüllte. Amen. 8