Bekennende Evangelisch-Reformierte Gemeinde in Gießen (BERG) Wortverkündiger: Dr. Jürgen-Burkhard Klautke (06.06.2021) Wortverkündigung: Matthäus 5, 3-10 Thema: "Tröstet, tröstet mein Volk" Psalmen: Psalm 100b, 1-7; Psalm 130a, 1-4; Psalm 118a, 1-3.11.12; Psalm 119a, 1-6 Gesetzeslesung: Markus 12, 28-34 Erste Schriftlesung: Jesaja 40, 1-11 Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Das Wort Gottes bringe ich Ihnen aus Matthäus 5, 3-10. Wir hören das Wort des lebendigen Gottes, und zwar zunächst den Abschnitt Matthäus 3, 1-12 und dann Matthäus 5, 1-12. Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus! Johannes der Täufer, der Wegbereiter für das Auftreten des Sohnes Gottes, hatte am Jordan getauft. Er hatte dort auch gepredigt. Was er verkündigte, konnte man nicht missverstehen. Er hatte sich an die Pharisäer und an die Sadduzäer mit den Worten gewandt: Schlangenbrut! Wer hat euch eingeredet, ihr könntet dem zukünftigen Zorn entfliehen? Bringt Früchte, die der Buße würdig sind! (Matthäus 3, 7.8). Dann hatte er sich an das gesamte Volk gewandt: Denkt nicht, bei euch selbst sagen zu können: "Wir haben Abraham zum Vater." Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken! Es ist aber schon die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen! (Matthäus 3, 9.10). Schließlich verwies Johannes auf Jesus, und zwar mit folgenden Worten: Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, sodass ich nicht würdig bin, ihm die Schuhe zu tragen; der wird euch mit Heiligem Geist und Feuer taufen. Er hat die Wurfschaufel in seiner Hand und wird seine Tenne gründlich reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; die Spreu aber wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer (Matthäus 3, 11.12). Was Johannes der Täufer verkündete, war unzweideutig Gerichtsankündigung. Als Jesus Christus aber wenig später selbst auftrat, hatte seine Botschaft einen auffallend anderen Grundton. Es heißt über ihn: Jesus verkündigte das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk (Matthäus 4, 23). Eines Tages ging der Sohn Gottes dann auf einen Berg. Er setzte sich dort, seine Jünger traten zu ihm. Sie lagerten sich zu seinen Füßen. Und auch die Volksmenge hörte auf das, was Jesus sagte. Was dann aus Jesu Mund kam, ist nicht Gerichtsankündigung, sondern es ist eine Flut von Glückseligpreisungen. In der letzten Predigt hatten wir mehr generell über die Glückseligpreisungen nachgedacht. Wir hatten festgestellt: Diese Flut von Glückseligpreisungen richtete sich nicht an jeden beliebigen, der dort gerade anwesend war, sondern die Glückseligpreisungen haben die Jünger des Herrn im Blick. Insofern ist das, was Jesus sagt, tatsächlich trennend. Achtmal spricht der Herr in der dritten Person: Glückselig sind die, die .... Schließlich wendet der Herr sich direkt an seine Jünger: Glückselig seid ihr... (Matthäus 5, 11). Jesus Christus hat sich niemals gegen Johannes den Täufer ausgesprochen. Im Gegenteil. Aber man wird auch nicht behaupten können, dass die Glückseligpreisungen an die Gerichtsbotschaft des Johannes anknüpften. Jesus hat das, was der Täufer verkündete, also nicht einfach wiederholt. Als Johannes der Täufer predigte, dass die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt ist, hatte er damit Recht. Eine Generation später hackte die Axt in den Baum namens Israel. Sie drang tief hinein. Denken wir an den Jüdischen Krieg. Der Tempel in Jerusalem ging in Flammen auf. Viele Juden kamen um, und aus zeitgenössischen Quellen wissen wir, dass in den Jahren danach die Sklavenmärkte des Römischen Reiches mit "Menschenware" überschwemmt waren. Es herrschte ein gigantisches Überangebot. Als Johannes der Täufer auftrat und predigte, war in gewissem Sinn Endzeit. Es war Gerichtszeit. Das heißt auch immer: Es war eine Zeit der Sichtung. Es ging um die Scheidung zwischen Spreu und Weizen. Aber diese Sichtungszeit hatte eine wunderbare Kehrseite: Es war auch die Zeit, in der das wahre Volk Gottes gesammelt wurde. Es war die Zeit, dass die, die sich zu Jesus hingezogen fühlten, ihren Blick mehr auf das Reich Gottes richteten. Und so waren diese Tage auch eine Zeit, für die der Prophet Jesaja die Worte verwendete: Tröstet, tröstet mein Volk (Jesaja 40, 1). Ich meine, dass ich schon einmal darauf hinwies: Immer dann, wenn die Zeiten schwieriger, niederdrückender, beengter für das Volk Gottes geworden waren, klingt die Rufstimme des Evangeliums umso lieblicher. In der heutigen Predigt wollen wir die ersten acht Glückseligpreisungen im Einzelnen durchgehen. Damit ergibt sich die Gliederung der Predigt aus den acht Aussprüchen Jesu. Ich verkündige Ihnen heute die einzelnen Glückseligpreisungen unter dem Thema: Tröstet, tröstet mein Volk. 1. Glückselig die geistlich Armen oder die Armen von Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel (Matthäus 5, 3) Wir sagten bereits das letzte Mal: Die Armen im Geist, das sind auch die materiell Armen. Bei Lukas, der eine ähnliche Rede von Jesus wiedergibt, ist genau dies ausdrücklich gesagt: Glückselig, ihr Armen (Lukas 6, 20). Denken wir also bei den hier genannten Armen durchaus nicht zu "übergeistlich". Es handelt sich wirklich um weltlich Arme, um Bedürftige, um Geringe und Kleine. Jesus spricht von den Menschen, die über wenig Mittel verfügen. Es sind die Menschen, die, wenn sie ihre Faust ballen, von den anderen ausgelacht werden. Es sind die, die schnell übersehen werden und die man links liegen zu lassen pflegt. Es sind die, die sich stets hinten anstellen müssen. Da ist zum Beispiel das Schulkind, das in seiner Klasse merkt, dass es nicht anerkannt ist. In seiner Umgebung gibt es andere Kinder, die stets das große Wort führen, und die auch immer etwas Interessantes zu erzählen wissen. Dieses Kind merkt: Ich kann das nicht. Mir hört niemand zu. Ich habe auch nichts Tolles zu berichten. Ich scheine immer auf der Seite der Verlierer zu stehen. Ich bin ein Geringer, ein Kleiner. Und das Kind ahnt ängstlich: Aus dieser Position komme ich wohl nicht heraus. Ich bin nicht so beliebt wie andere, nicht so stark, nicht so schön. Da ist der Student, der sich selbst an einem Abend sagen hört: Ich komme beim Nacharbeiten der Vorlesungen nicht mit, jedenfalls längst nicht so zügig, wie die anderen. Da ist der ältere Mensch, der merkt, dass es mit seiner Gesundheit bergab geht: arm, gering, bedürftig... Aber nun fügt Jesus hier hinzugefügt: Glückselig sind die geistlich Armen oder: die Armen von Geist. Damit meint der Herr nicht: diejenigen, die in ihrem Verstand etwas schlichter gestrickt sind. Bei der Formulierung geistlich arm haben wir vielmehr an eine bestimmte Herzenshaltung zu denken. Bleiben wir einmal bei dem Beispiel des Schulkindes, das sich arm fühlt und gerade in seiner Bedürftigkeit zu Gott getrieben wird. Es könnte auch mürrisch werden oder gar gegen Gott und die Welt rebellieren. Aber das macht es nicht. Wenn Jesus die geistlich Armen glückselig preist, dann geht es um Menschen wie Lazarus. Wir kennen die Geschichte, die Jesus über ihn erzählt: Er lag an der Tür des Reichen, und er selbst besaß nichts. Aber das war nicht alles, was über ihn zu sagen ist: Der Name Lazarus meint auf Deutsch: Gott hilft oder Gott hilf. Der Arme, der dieses rufen, ist jemand, der Jesus im Blick hat. Es handelt sich um denjenigen, der realisiert, dass gewaltige Hemmnisse und Mauern in seinem Leben sind, die ihn - so ist er überzeugt - an der Entfaltung seines Lebens hindern. Wie reagiert er? Rebelliert er dagegen? Oder ist er ein Lazarus, ein Gott hilf? Wollen wir in diesem Sinn überhaupt Lazarus heißen? Wollen unter uns die Bedürftigen überhaupt noch Lazarus genannt werden? Ganz gewiss bezeichnet sich niemand unter uns als Marxist. Karl Marx war der Meinung, dass die Armen den Namen Lazarus geradezu verachten sollen. Wie ist es bei uns? Sind wir vielleicht nicht ausdrücklich aber in unserer Mentalität Marxisten? Jesus sagt hier: Für den Armen, der sich den Namen Lazarus, also Gott hilf gefallen lässt, für den ist das Reich der Himmel bestimmt. Natürlich wird ein Christ auch strukturell an der Armut etwas tun. Das ist uns, den Reicheren und vielleicht auch Stärkeren ausdrücklich geboten. Wir sollen einander nach Vermögen praktisch und konkret helfen. Der Apostel Paulus gebietet, dass wir die Lasten des anderen tragen, und zwar im Geist der Sanftmut (Galater 6, 2). Um den Hintergrund für den Begriff der Armen im Geist zu verstehen, müssen wir uns einige Ereignisse aus dem Alten Testament vor Augen führen. Erst dann verstehen wir, was für Arme hier gemeint sind. Ich weise zunächst auf ein Wort aus den Psalmen. Bekanntlich kann man die Psalmen einteilen in Dankpsalmen, Lobpsalmen, Klagepsalmen, Bußpsalmen, Lehrpsalmen, in denen uns die Geschichte Israels vor Augen geführt wird. Aber dann ist da ein Psalm, der passt in keine dieser Kategorien. Es ist Psalm 132. Eigentlich ist es ein merkwürdiger Psalm. In diesem Psalm schildert David, dass er keinerlei Ruhe hat, dass er seinen Augen keinen Schlaf gewährt bis die Bundeslade, die Lade des Herrn, endlich eine Ruhestätte gefunden hat, und bis das Volk Gottes endlich einen Ort hat, an dem es Gott anbeten kann. Am Ende von Psalm 132 heißt es: Denn der Herr hat Zion erwählt, hat es zu seiner Wohnung begehrt. Dies ist für immer meine Ruhestätte. Hier will ich wohnen, denn ich habe sie begehrt. Ihre Nahrung will ich reichlich segnen. Ihre Armen sättigen mit Brot (Psalm 132, 13-15). Gott sagt hier mit anderen Worten: Der Tempelbereich soll auch dafür fungieren, dass die Armen sich dorthin zu Gott flüchten können, um bei ihm Hilfe zu finden. Genau das bezeugte bereits David. Zu seiner Zeit stand dort oben lediglich die Stiftshütte. Der Stein-Tempel wurde bekanntlich erst von seinem Sohn Salomo erbaut. Machen wir einen Sprung von rund 300 Jahren. Um das Jahr 700 vor Christi Geburt war das Volk Gottes zweigeteilt. Der eine Teil lebte im sogenannten Nordreich mit der Hauptstadt Samaria, und die anderen wohnten im Südreich, dessen Hauptstadt war Jerusalem. Dann fielen von Norden die Assyrer ein. Sie eroberten das Nordreich, und sie verschleppten die Bevölkerung in das heutige Mesopotamien. Die Assyrer strebten danach, auch das Südreich zu erobern. Sie machten es ebenfalls nahezu vollständig platt. Eigentlich hatten sie alles schon erobert, außer Teilen der Hauptstadt Jerusalem mit dem Tempelbezirk. Das alles ereignete sich zur Zeit des Königs Hiskia. Man wartete eigentlich nur noch auf den alles erledigenden Sturmangriff. Unter der Führung des assyrischen Königs Sanherib war auch bereits alles schon zum letzten und entscheidenden Vernichtungsschlag vorbereitet. Aber dann zog in einer Nacht ein Engel des Herrn durch das Heerlager der Assyrer, und er vernichtete 185.000 Mann. Damit änderte sich die Lage schlagartig. Das assyrische Heer, das nahezu alles erobert hatte, musste kleinlaut und beschämt abziehen. Wie gesagt: Das war zur Zeit des Königs Hiskia. In derselben Zeit wirkte in Jerusalem der Prophet Jesaja. Jesaja erlebte diese Zeit des Zusammenbruchs des Volkes Gottes aus nächster Nähe mit. Und er erlebte mit, dass viele nach Jerusalem geflohen waren und einige - namentlich die Armen - hatten an der höchsten Stelle Jerusalems, das war beim Tempel, ihre letzte Zuflucht genommen. An diese Leute, die menschlich gesprochen keine Hoffnung mehr hatten, sondern damit rechnen mussten, in den nächsten Tagen von den Assyrern niedergemetzelt und abgeschlachtet zu werden, an diese wendet sich Jesaja mehrfach und gerade ihnen gibt er herrliche, wunderbare Verheißungen. Hören wir Jesaja 25, 1-5 besonders Vers 4: Es ist ein Gebet Jesajas: O Herr, du bist mein Gott; dich will ich erheben! Ich lobe deinen Namen, denn du hast Wunder getan; deine Ratschlüsse von alters her sind zuverlässig und wahrhaftig! Denn du hast die Stadt zum Steinhaufen gemacht, die feste Burg zum Trümmerhaufen, den Palast der Fremden zu einer untergegangenen Stadt [...] Darum ehrt dich ein mächtiges Volk, die Städte gewalttätiger Nationen fürchten dich; denn du bist dem Schwachen eine Zuflucht geworden, eine Zuflucht dem Armen in seiner Not, ein Schirm vor dem Wolkenbruch, ein Schatten vor der Hitze, als der Zornhauch der Tyrannen wie ein Unwetter gegen eine Wand [daherkam]. Wie die Sonnenglut in einer dürren Gegend, so dämpfst du das Toben der Fremden; wie die Sonnenglut durch den Schatten einer Wolke, so legt sich der Triumphgesang der Tyrannen. Jesaja 29, 18-21 besonders Vers 19: An jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis heraus sehen. Und die Elenden werden wieder Freude am Herrn haben, und die Armen unter den Menschen werden frohlocken über den Heiligen Israels. Denn der Tyrann hat ein Ende, und der Spötter verschwindet, und alle sollen ausgerottet werden, die auf Unrecht lauern, die einen Menschen auf bloße Anklage hin schuldig sprechen und demjenigen Schlingen legen, der im Tor Recht spricht, und den Gerechten aus nichtigen Gründen verdrängen. Jesaja 41, 14-17, besonders Vers 17: So fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, du Häuflein Israel; denn ich helfe dir, spricht der Herr, und dein Erlöser ist der Heilige Israels. Siehe, ich mache dich zu einem neuen, scharf schneidenden Dreschwagen, mit Doppelschneiden versehen: Du wirst Berge zerdreschen und zermalmen und Hügel der Spreu gleichmachen; du wirst sie worfeln, und der Wind wird sie davontragen, und der Sturmwind wird sie zerstreuen; du aber wirst fröhlich sein in dem Herrn und dich des Heiligen Israels rühmen. Die Elenden und Armen suchen Wasser und finden keines; ihre Zunge verdorrt vor Durst. Ich, der Herr, will sie erhören; ich, der Gott Israels, will sie nicht verlassen. Merken wir: Jesaja gibt diese Verheißungen nicht allen materiell oder sozial Verelendeten. Vielmehr sind es die Bedürftigen im Sinn von Lazarus. Es sind die, die ihre Hilfe bei Gott suchen, die von Gott Hilfe erflehen: Bist du ein solch geistlich Armer? Dann ist dir das Reich der Himmel verheißen. 2. Glückselig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden (Matthäus 5, 4) Auch bei den Trauernden sollten wir nicht allgemein an die denken, die Trübsal blasen oder gar an die, die angesichts ihres Lebens in Selbstmitleid zu versinken drohen, weil sie irdische Verluste erfahren haben. Im zweiten Korintherbrief macht der Apostel einmal auf den Unterschied zwischen irdischer und himmlischer Traurigkeit aufmerksam: Denn wenn ich euch auch durch den Brief betrübt habe, so bereue ich es nicht, wenn ich es auch bereut habe; denn ich sehe, dass euch jener Brief betrübt hat, wenn auch nur für eine Stunde. Nun freue ich mich - nicht darüber, dass ihr betrübt wurdet, sondern darüber, dass ihr zur Buße betrübt worden seid; denn ihr seid in gottgewollter Weise betrübt worden, sodass ihr von uns keinerlei Schaden genommen habt. Denn die gottgewollte Betrübnis bewirkt eine Buße zum Heil, die man nicht bereuen muss. Die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod. Denn siehe, wie viel ernstes Bemühen hat dies bei euch bewirkt, dass ihr in gottgewollter Weise betrübt worden seid, dazu Verantwortung, Entrüstung, Furcht, Verlangen, Eifer, Bestrafung! Ihr habt in jeder Hinsicht bewiesen, dass ihr in der Sache rein seid (2. Korinther 7, 8-11). Über wieviel Irdisches jammern und klagen wir! Wir verzweifeln über irdische Einbußen, grämen uns, und werden schließlich schwermütig! Der Apostel Paulus schreibt: Es gibt eine Betrübnis der Welt. Diese Betrübnis führt in den Tod. Demgegenüber gibt es eine Trauer, eine gottgewollte Betrübnis, etwa Betrübnis über unsere Sünde. Es ist eine Trauer, die zur Buße, zum Heil, zur Rettung führt. Kennen wir diese? Der Prophet Jesaja schreibt ähnlich: Über [Israels] sündhafte Habgier wurde ich zornig, und ich schlug es, verbarg mich und zürnte; da wandte es sich noch weiter ab auf seinen selbst erwählten Wegen. Seine Wege habe ich gesehen. Dennoch will ich es heilen und es leiten und ihm und seinen Trauernden mit Tröstungen vergelten, indem ich Frucht der Lippen schaffe: Friede, Friede den Fernen und den Nahen, spricht der Herr; ja, ich will es heilen! Aber die Gottlosen sind wie das aufgewühlte Meer, das nicht ruhig sein kann, dessen Wasser Schlamm und Kot aufwühlen. Keinen Frieden, spricht mein Gott, gibt es für die Gottlosen! (Jesaja 57, 17-21). Was für ein Trauernder bist du? Bist du ein über Irdisches und Zeitliches Trauernder, oder einer, von dem Gott sagt: Ich will diesen Trauernden, der im Glauben auf mich blickt, trösten und mit Glückseligkeiten überschütten? 3. Glückselig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich ererben (Matthäus 5, 5) Was meint eigentlich sanftmütig? Heißt das so viel wie "weinerlich", "kläglich", "kümmerlich"? Dass das nicht gemeint sein kann, erkennen wir schon daraus, dass Mose einmal als der Sanftmütigste von allen Menschen bezeichnet wird (4. Mose 12, 3). Sanftmut ist mehr als eine Charaktereigenschaft. Ich gestehe, dass mich zuweilen Menschen überrascht haben, die ich normalerweise als kämpferisch kennengelernt habe, wie sie Beleidigungen, Verleumdungen stillschweigend einsteckten und bewusst darauf verzichteten, zurückzuschlagen. Und das alles nicht aus Stolz. Nicht im Sinn von: Mit dem gebe ich mich nicht ab, denn er ist für mich gar nicht satisfaktionsfähig. Es gibt nämlich auch Gewaltlosigkeit und Widerstandslosigkeit aus Selbstgefälligkeit, im Sinn von: "An dir mache ich mir meine Hände nicht schmutzig." Oder: "Es verträgt sich nicht mit meiner Würde, mich mit jemandem wie dir zu zoffen." Derartiges wäre nicht sanftmütig, sondern arrogant. Andererseits gibt es natürlich auch Gewaltlosigkeit aus Feigheit. Aber auch das ist nicht gemeint. Sanftmut im Sinn der Bergpredigt meint, dass ich mich dem anvertraue, der gerecht urteilt, dass ich von daher sage: "Ich räche mich nicht." "Ich lasse das jetzt den Herrn regeln." "Ich übergebe mich dir, Herr." Wir sollten nicht meinen, dass die Verheißungen, die Jesus hier gibt, allein für das Leben nach dem Tod Geltung haben. Nach unserer Auferstehung, also nachdem der Herr in Herrlichkeit zurückgekommen ist, werden diese Verheißungen vollendet werden. Aber auch bereits in dieser Zeit schenkt Gott Erfüllung. Den Jüngern Jesu wird die Verheißung gegeben: Sie werden das Land oder die Erde ererben. Es fällt mir auf, dass es für sanftmütige Jünger Jesu gar nicht so entscheidend ist, wohin sie gehen, wo sie leben und auch wie die Umstände sind, in denen sie leben. Merkwürdigerweise können sie überall zuhause sein. Während die anderen immer etwas zu nörgeln haben und überall und immer etwas finden, an dem sie irgendetwas auszusetzen haben, lassen sie sich nicht so schnell in Aufregung versetzen. Menschen, die sich den ganzen Tag nur mit ihren eigenen Rechten und Ansprüchen beschäftigen und stets nur darüber nachgrübeln, wo sie heute mal wieder diskriminiert worden sind, die finden niemals Ruhe, und zwar auch dann, wenn sie noch so weit räumlich wegziehen. Auch wenn sie auswandern oder - zum Beispiel in den Ferien - sonst wohin fahren, sodass gerade sie den Eindruck erwecken, die Erde würde ihnen zu Füßen liegen: Solchen Leuten gehört die Erde nicht. Es sind die Sanftmütigen, die das Land besitzen, weil sie als Erben Gottes über die Erde gehen. Darin erleben die, die zum Reich der Himmel zu gehören, ein Stück Glückseligkeit. Und sie erfahren diese bereits hier und jetzt. 4. Glückselig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden (Matthäus 5, 6) Den Ausdruck die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, haben wir ähnlich zu verstehen wie den Begriff der Armen. Im Blick auf sie schreibt Lukas: Selig seid ihr, die ihr hungert. Lukas lässt also das nach Gerechtigkeit weg. Aber durch die Hinzufügung von hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit erläutert der Herr, worum es ihm geht: In diesem Leben einzig und allein Essen und Trinken zu begehren, wäre animalisch. So verhalten sich Tiere. Das Leben eines Menschen zeichnet sich dadurch aus, dass man nach mehr verlangt als nach einem vollen Magen. Aber nun gibt es nicht wenige, die wenden ein: Ja, es gibt mehr als Nahrung. Aber trotzdem muss doch zuerst der Magen gefüllt worden sein, da man andernfalls für "Höheres" gar nicht offen sei: Zuerst seien die materiellen Bedürfnisse zu stillen. So ähnlich wie Bert Brecht es einmal drastisch formulierte: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral!" Halten wir fest: Jesus Christus urteilt anders! Der Herr spricht von seinen Jüngern, also von Menschen, die mit einem leeren Magen aufwachen und trotzdem vor allem anderem auf die Gerechtigkeit Gottes ausgerichtet sind. Die Gerechtigkeit, von der hier die Rede ist, meint eine Lebenshaltung, die dem Reich Gottes angemessen ist. Es handelt sich um die Gerechtigkeit des Reiches Gottes in unserem Denken, Sprechen und Handeln, sodass wir in jeder Beziehung danach trachten, vor Gott in rechter Weise zu leben. An anderer Stelle der Bergpredigt sagt es Jesus Christus ähnlich: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und die anderen Dinge, wie zum Beispiel ein gefüllter Magen, werden dir darüber hinaus ebenfalls geschenkt (Matthäus 6, 33). Als Jesus in die Wüste ging, dort vierzig Tage fastete und hungerte, da war auch am Ende dieser Zeit sein größtes Verlangen nicht, dass sein Magen gefüllt wird, sondern dass er von Gott im Blick auf sein Leben und seinen Dienst Zustimmung bekam. Mit anderen Worten: dass er Gott gefällt. Spätestens angesichts dieser Seligpreisung stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt solche Menschen? Gibt es Menschen, die mit einem leeren Magen die Gerechtigkeit Gottes und sein Reich suchen? Die also vor allem anderen sich darum kümmern, dass in dieser Welt Gott zu seiner Ehre kommt, die Leid tragen angesichts all des Bösen, des Gottlosen, das in dieser Welt geschieht und die danach hungern und dürsten, dass sich dies endlich ändert? Ich will mit dieser Frage nicht darauf hinaus, dass wir vielleicht nun äußerlich mit Betroffenheitsmiene erklären, davon seien wir alle sehr weit entfernt. Angesichts unseres Wohlstandes sind wir tatsächlich sehr weit von Hunger und Durst entfernt. Denn niemand von uns leidet hier an Nahrungsknappheit. Aber das ist nicht etwas, um sich darüber betroffen zu geben, sondern um dafür Gott von Herzen zu danken, etwa auch heute vor dem Mittagessen. Vielleicht kommt bald eine andere Zeit, in der sich die bereits jetzt ankündigenden Lieferengpässe zuspitzen. Die Regel: Zuerst den Magen füllen, und dann kann man auch an die geistlichen Dinge denken, ist gefährlich. Oder sagen wir es einmal so: "Ach, heute fühle ich mich nicht so gut, da bleibe ich zu Hause im Bett und versäume den Gottesdienst, oder verfolge ihn lediglich im Internet." Ihr Lieben, die Gefahr ist, dass unser Magen mit zunehmendem Wohlstand auch größer wird. Die Gefahr lauert, dass wir heute noch mehr darauf achtgeben, alle unsere privaten Befindlichkeiten zu befriedigen. Darum haben wir vermutlich heutzutage stets mehr "Hunger" und "Durst". Wir bilden uns ein, mehr Mängel zu haben, und beschäftigen uns auch mehr mit unseren Problemen. Und dann sprechen wir: Erst das größere Auto, dann kann ich an Gott denken und ihm dienen; erst Urlaub (sicher in diesem Jahr), dann die Gemeinde; erst das teurere Handy, dann die Mission; erst mein Wohlbefinden, dann Gott. Wir schaffen es bei unserem Reden, uns selbst zu überlisten, indem wir uns weiszumachen suchen: Wir benötigen schließlich dieses oder jenes unbedingt. Aber damit rutschen wir immer weiter weg vom Hungern und vom Dürsten nach der Gerechtigkeit. Denn - ehrlich - wann ist der Punkt erreicht, dass unsere materiellen Bedürfnisse erfüllt sind, um sich im Anschluss daran den "höheren Werten" zu widmen? Jesus sagt hier: Gewöhne dich daran, in deinem Leben dem Reich der Himmel Vorrang zu geben. Denn die, die vor allem anderen nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, die werden satt werden. 5. Glückselig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen (Matthäus 5, 7) Barmherzigkeit zu üben ist im Unterschied zum Trauern etwas Aktives. Bei Barmherzigen haben wir den anderen im Blick! Jünger Jesu sind keine Duckmäuser, die sich irgendwo in eine einsame Ecke verkriechen, um als Underdogs zu existieren. Nein, sie tun etwas in dieser Welt. Jünger Jesu sind Menschen, die Initiative ergreifen. Ich würde sogar sagen, dass Jünger Jesu Menschen sind, die durch Originalität und Findungsreichtum auffallen. Und ich bin davon überzeugt, dass es gerade in dieser härter werdenden Zeit auffällt, wenn man dem anderen Barmherzigkeit erweist. Der Evangelist Johannes hat in seinem Evangelium das folgende Wort von Christus überliefert: Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu verurteilen (Johannes 3, 17; 12, 47). Damit bringt er nicht moralische Gleichgültigkeit zum Ausdruck. Vielmehr steht dieses Wort im Gegensatz zu einer Welt, die unbarmherzig richtet, verurteilt, schlecht redet, herumnörgelt, verleumdet, tadelt, mobbt, hetzt und den anderen in Grund und Boden verurteilt ... Auch in der Gemeinde? Ja, momentan wird das Leben härter. Die Menschen werden rücksichtsloser. Wer kann es sich heutzutage da überhaupt noch leisten, barmherzig zu sein? Gilt da nicht auch für uns die Devise: Jeder muss sehen, wo er bleibt!? Meinen wir, dass solche gesellschaftlichen Entwicklungen an der Gemeinde vorübergehen? Aber gerade heute sollten wir in der Gemeinde auf das Wort hören: Glückselig sind die Barmherzigen. Jesus sagte dieses Wort zu einer Bevölkerung, die in ihrem Denken hart geworden war. Wer diese hartherzige Haltung überwindet und Barmherzigkeit erweist, dem, so sagt Jesus, wird Barmherzigkeit zuteilwerden. Wann passiert das und wo? Die naheliegende Antwort lautet: im Himmel. Diese Auskunft ist nicht falsch. Aber ist es das, was Jesus hier meint? Meines Erachtens sollten wir bei dieser Verheißung auch das Leben hier und jetzt nicht ausschließen. In Psalm 58 heißt es einmal - es ist ein Psalm, in dem viel von den Boshaftigkeiten der Menschen die Rede ist und von all den Kränkungen, die sich hartherzige Menschen gegenseitig antun. Am Schluss des Psalms heißt es dann aber: Und die Menschen werden sagen: Doch gibt es Lohn für den Gerechten, doch gibt es einen Gott, der Recht tut auf Erden (Psalm 58, 11.12). Es bleibt wahr! Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit geschehen, und zwar im zukünftigen Leben und ansatzweise bereits in diesem Leben. 6. Glückselig sind die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott sehen (Matthäus 5, 8) In einer der vorherigen Predigten erwähnten wir, dass Jesus sich wahrscheinlich bei dieser Seligpreisung von den Essenern abgrenzt, einer Gruppierung, die sich in die Wüste beim Toten Meer zurückzog, möglichst weit weg von der bösen Welt. Dort praktizierten sie eine detaillierte Form kultischer Reinheit, mit viel rituellen Waschungen. Auch bei den Pharisäern gab es rituelle Reinigungen. Aber die Essener machten es noch intensiver. Hier sagt Jesus nun: Selig sind die Reinen von Herzen. Mit anderen Worten: Es kommt nicht auf die äußere, rituelle Reinlichkeit an, sondern auf die innere Reinheit. Auch die alttestamentlichen Reinheitsgesetze meinten schlussendlich nichts anderes als die innere Reinheit, die Reinheit des Herzens (Psalm 24, 4). Es ist zum Verständnis hilfreich, in diesem Zusammenhang an ein anderes Wort von Jesus zu denken. Das ist nicht eine Seligpreisung, sondern das Umgekehrte, ein Weheruf: Wehe euch Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr das Äußere des Bechers und der Schüssel reinigt. Inwendig aber sind sie voller Raub und Unmäßigkeit. Du blinder Pharisäer, reinige zuerst das Inwendige [...] (Matthäus 23, 25.26). Dieses Wort macht deutlich, was im Gegensatz steht zu rein sein von Herzen: Es ist von innen voller Raub und Maßlosigkeit zu sein. Man kann das umschreiben mit "durch und durch egoistisch sein"... Den anderen anblicken unter dem Gesichtspunkt: Wie und auf welche Weise kann ich besser als du werden? Wie kann ich dich ausstechen - auf finanziellem Gebiet, auf sexuellem Gebiet usw. Wie man andere anschaut, so meint man, dass die anderen auch einen selbst anschauen. Mit anderen Worten: So jemand wird dem anderen dann auch stets unlautere Absichten unterstellen. Dadurch wird man zynisch. Man wird in seinem Herzen unrein. Demgegenüber muss der Reine von Herzen realistisch damit rechnen, dass seine Umgebung ihn für töricht hält. Denn jemand, der danach trachtet, von Herzen rein zu sein, riskiert es, übers Ohr gehauen zu werden. Der Reine von Herzen setzt sich der Gefahr aus, für dumm gehalten zu werden. Aus diesem Grund sagt Jesus seinen Jüngern, dass sie nicht allein einfältig wie die Tauben sein sollen, sondern auch klug wie die Schlangen. Leider halten viele Christen sich nur an den letzteren Teil dieser Aussage. Dann aber sind sie gerade nicht rein in ihrem Herzen. Jesus spricht die Reinen von Herzen glückselig, und er sagt: Sie werden Gott sehen. Gilt das für später? Ja. Aber es gilt auch für heute! Gott sehen ist eine alte Ausdrucksweise für in das Haus Gottes gehen. Dazu musste man sich reinigen. Psalm 24 spricht über rein sein von Herzen und von Händen. Diejenigen, die das sind, haben gleichsam den Tempel bei sich. Sie gehen dort stets hinein, um Gott zu schauen. Was auch immer sie sonst noch für verdrießliche und enttäuschende Dinge ansehen müssen, sie schauen vor allem anderen Gott und gehen getrost ihren Weg, bis sie dahin kommen, wo sie ewig Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden. 7. Glückselig sind die Friedfertigen/Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen (Matthäus 5, 9) Auch bei diesem Wort blickt Jesus vermutlich in eine ganz bestimmte Richtung innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Vermutlich hat er hier die Zeloten im Auge, also die Menschen, die in der jüdischen Gesellschaft polarisierten, die einen "heiligen Krieg" vom Zaun brechen wollten gegen "das kranke Gemeinwesen". Sie vermochten in ihrer Umgebung nichts Gutes mehr zu entdecken, und also schlugen sie los. Sie waren es dann vor allem, die den Aufstand gegen die Römer anzettelten und damit namenlos viel Leid über das jüdische Volk brachten. Es handelt sich um Menschen, die daran interessiert sind, bei einem Konflikt immer noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Es waren Leute, die bereits ihren Kindern Aggressivität gegen die Gesellschaft einzuimpfen suchten. Sie waren es, aus deren Mund man hören konnte: "Wir akzeptieren es nicht mehr länger!" "Jetzt reicht es!" Auch in unseren Tagen gibt es solche Zeloten, solche Eiferer, die ein einziges Thema kennen, nämlich das, was alles hier schiefläuft. Das Problem ist: Sie haben sogar vielfach Recht. Aber es sind vielfach Leute, die mit Lazarus, mit Gott hilf nichts zu tun haben wollen. Aber genau den Lazarussen sagt Jesus: Glückselig die Friedensstifter. Glückselig die, die vermittelnd und versöhnend zwischen beide Streitparteien treten. In Streitigkeiten, etwa in Gemeinden haben es in der Regel die am schwersten, die zu vermitteln trachten. Denn denen begegnet man von beiden Seiten mit Misstrauen: Sie gelten als halbherzig, als inkonsequent, als angepasst. Aber Jesus spricht sie glückselig! Und gerade sie sind nicht einsam! Vielmehr gehören gerade sie zu der Familie Gottes. Gerade sie werden Gottes Kinder genannt. Wir leben in einer Zeit, in der die Kriege zwischen den Völkern zumindest in unseren Breiten halbwegs zurückgedrängt worden sind. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges liegt über 76 Jahre zurück. Das ist, wenn man die Geschichte Europas betrachtet, eine bemerkenswert lange Zeit ohne Krieg! Aber diese kriegslose Zeit ist leider nicht dadurch verursacht, dass die Menschen friedeliebender geworden sind. Sie sind eher ängstlicher als früher. Sie sind mehr interessiert an ihrem irdischen Leben. Sie leben nach dem Motto: "Wir haben nur diese eine Welt!" "Ich habe nur dieses eine Leben und meine Gesundheit!" Desto eher führt man dann Krieg im privaten Bereich, so wie der Prophet Micha und dann auch Jesus es sagen: Der Vater gegen den Sohn, die Tochter gegen die Mutter, jemandes Hausgenossen sind seine Feinde (Micha 7, 5; Matthäus 10, 21). Wenn Jesus sagt, Glückselig sind die Friedensstifter, dann hat er nicht die Diplomaten, die Taktiker vor Augen, sondern er denkt bei den Friedenstiftern an diejenigen, die gerade eine Ehekrise durchmachen und auf Versöhnung aus sind; er denkt an den Sohn, der im Aufstand gegen seinen Vater lebt, und dann umkehrt und Frieden sucht; er denkt an die Mutter, die in Konfrontation mit ihrer Tochter lebt, und diesen Grabenkrieg endlich zu überwinden trachtet, sodass sich die beiden wieder in Augen blicken können. Denen gilt: Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne [und Töchter] Gottes genannt. 8. Glückselig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel (Matthäus 5, 10). Auch bei dieser Seligpreisung ist es gut, sich zunächst das jüdische Gemeinwesen vor Augen zu führen. Diese Verfolgten um der Gerechtigkeit willen bildeten den Gegensatz zu den Sadduzäern. Die Sadduzäer, das war die Gruppe, die jedenfalls in der jüdischen Welt immer weich auf den Kissen landeten. Sie betrieben äußerst geschickt Politik. Vor allem sorgten sie dafür, dass sie keine schmutzigen Finger bekamen, oder richtiger gesagt, man ihnen ihre schmutzigen Finger nicht nachweisen konnte. Der Gedanke, verfolgt zu werden und dann noch um der Gerechtigkeit willen, war ihnen fremd. Ja, er kam ihnen lächerlich vor. Ihnen erschien ein solches Verhalten dumm. Sie dachten eher taktisch: Es ist besser, dass ein Mensch stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde geht (Johannes 11, 50). Ein derart taktierendes Reden, wie es hier aus dem Mund von Kaiaphas kam, war typisch für die Sadduzäer. Genau mit diesem Wort warfen sie Jesus vor die Wölfe. Jesus spricht die glückselig, die, wenn es um Gerechtigkeit geht, keinen Kompromiss kennen, und die ihr Leben wie selbstverständlich für die Gerechtigkeit aufs Spiel setzen. Auch dann, wenn sie barmherzig sind und sanftmütig und Friedensstifter sind, wenn es um das Tun der Gerechtigkeit geht, dann sind sie im Blick auf sich selbst rigoros kompromisslos. Dann verhalten sie sich im Blick auf sich selbst so hart wie ein Amboss und sind bereit einzustecken. Für diese Menschen, die bereit sind, um der Gerechtigkeit willen Nachteile in Kauf zu nehmen, ist das Reich der Himmel. Die Sadduzäer dachten, durch Geschicklichkeit, Taktik und diplomatische Klugheit ihr Reich zu bekommen. Aber damit kamen sie nicht weit. Im jüdischen Aufstand wurden sie durch die Radikalen ihres Volkes hinweggefegt. Übrigens, das kann auch eine Warnung an diejenigen unter uns sein, die meinen, dass man die Krisen unserer Zeit mit Cleverness wird überstehen können. Ich denke nicht, dass das klappen wird. Vielmehr werden wir uns schon positionieren müssen. Für die Gerechtigkeit Gottes das eigene Leben bereit sein einzusetzen und auch Verfolgung miteinzubeziehen, gehört zum Leben eines Jüngers. Denn für ihn muss das Wichtigste sein, Gott über alle Dinge zu lieben. Und dann warte einmal ab, mit welchen Glückseligkeiten Gott dich erquickt und tröstet. Amen. 9