Israels heilsgeschichtliche Gegenwart und Zukunft Der Beitrag soll dazu dienen, in diesen äußerst umstrittenen und kontrovers diskutierten Fragen eine Orientierungshilfe zu geben. Es soll vor allem die heilsgeschichtliche Stellung des Volkes Israels in der Zeit von der Kreuzigung bis zur Wiederkunft von Jesus in ihren wesentlichen Grundzügen dargestellt werden. Außerdem soll untersucht werden, ob bestimmte alttestamentliche nationale und territoriale Verheißungen für Israel noch gelten und ob bestimmte politische Ereignisse der Gegenwart die Erfüllung dieser Verheißungen bedeuten. Dabei sollen die wichtigsten hierzu vertretenen Auffassungen einander gegenübergestellt und anhand der Bibel bewertet werden. Der Leser soll dadurch in die Lage versetzt sein, sich anhand der jeweils vorgebrachten Argumente ein eigenes Urteil zu bilden. Veröffentlicht am 13. Februar 2015 aus Bibel und Gemeinde 110, Band 1 (2010), Seite 23-36. * Thomas Zimmermanns Jg. 1958, studierte Rechtswissenschaft und arbeitet als freier Schriftsteller. Er ist Ältester und ehrenamtlicher Prediger in der Freien Christlichen Gemeinde Liblar. 1. Der Ausgangspunkt: Die Erwählung Israels durch Gottes Bund mit Abraham und Mose Die grundlegende heilsgeschichtliche Tatsache für Israel vor dem Kommen von Jesus ist der Bund, den Gott mit Israel durch Abraham und Mose geschlossen hat. Gott hat Israel unter allen Völkern erwählt und zu seinem Bundesvolk gemacht. Das beruhte nicht etwa auf der zahlenmäßigen Größe oder sonstigen Eigenschaften Israels, sondern einzig und allein auf Gottes Souveränität (vgl. 5. Mose 7, 78; 5. Mose 10, 5). Dieser Bund war ein Heilsbund, d.h. die Hauptzusage Gottes bestand darin, dass dieses Volk und seine Angehörigen Vergebung ihrer Sünden erlangen und Gemeinschaft mit Gott haben sollten, und zwar sowohl in dieser Welt als auch in der Ewigkeit. Bei den von Gott verheißenen Gaben handelte es sich also nicht nur um irdische Segnungen wie z. B. den Besitz des Gelobten Landes, Wohlstand, Friede und Bevölkerungswachstum - auch dies alles hat Gott dem Volk Israel zugesagt, wenn es gehorsam ist -, sondern auch und vor allem um geistliche (vgl. z. B. 2. Mose 19, 5-6; 5. Mose 7, 6; auch aus Stellen wie 2. Mose 32, 32f. geht im Umkehrschluss hervor, dass die Glieder des Volkes Israel in das Buch des Lebens eingeschrieben waren). Der erste Bund, den Gott mit Israel schloss, war der Bund mit Abraham (1. Mose 15, 7-21; 1. Mose 17, 3-14). Darin verhieß Gott Abraham eine zahllose Nachkommenschaft und den Besitz des Landes Kanaan. Schon vorher hatte Gott Abraham versprochen, dass in ihm alle Geschlechter der Erde gesegnet werden (1. Mose 12, 3). Der Bund mit Abraham setzte sich allerdings nur in Isaak und seinen Nachkommen fort, nicht in Ismael und dessen Nachkommen. Mit Mose als Repräsentant des Volkes schloss Gott dann den eigentlichen Heilsbund mit dem Volk Israel (2. Mose 19-24). In diesem Bund verpflichtete sich Gott, Israel zu seinem Eigentum zu machen, während das Volk ihm heilig, d.h. abgesondert für ihn sein sollte. Dieser Bund wurde im AT dreimal erneuert (unter Josua [Josua 24], Josia [2. Könige 22-23] und Esra [Nehemia 8-10; Esra 10, 3]). Zeichen dieses Bundes war die Beschneidung (1. Mose 17, 9-14). In diesen Bund war nicht nur das Volk Israel als solches, sondern jeder einzelne Jude eingeschlossen. Jedoch bedeutete dies nicht, dass jeder Angehörige des Bundesvolkes das Ziel des Bundes, Nicht jeder Angehörige des Volkes Israel erreichte die ewige Gemeinschaft mit Gott die ewige Gemeinschaft mit Gott im Himmel, tatsächlich erreichte. Dies war nur bei denjenigen Juden der Fall, die Gott und seinem Bund treu waren und für ihre Sünde Buße taten1) . Die Abtrünnigen hingegen, die in Sünde lebten und sich nicht zur Buße führen ließen, verloren die Bundesgnade wieder und gingen ewig verloren (vgl. z. B. Hesekiel 3, 20; 18, 24). Sie wurden aus dem Buch des Lebens gestrichen (2. Mose 32, 33). Hier wären als Beispiele etwa Esau, die Rotte Korach und Saul sowie die abtrünnigen Könige Israels und Judas zu nennen. Diese Ungehorsamen und Abtrünnigen machten in der Geschichte Israels oftmals den größten Teil des Volkes aus (vgl. z. B. 1. Könige 19, 18; Jesaja 1, 9; Jesaja 10, 22-23). Schon das AT sagt deutlich, dass die bloße abstammungsmäßige Zugehörigkeit zum Volk Israel nicht ausreicht, um in das Himmelreich zu gelangen (vgl. z. B. Jesaja 10, 22-23) und dieser Aspekt wird im NT (etwa in Römer 2, 28-29; Römer 9, 68; Philipper 3, 3) wieder aufgegriffen. Die Angehörigen der übrigen Völker gehörten nicht zu diesem Bund, jedoch konnten sie sich als "Proselyten" dem Volk Israel anschließen. Dies setzte die Abkehr von ihren Götzen zu Jahwe sowie die Beschneidung und das Einhalten der übrigen Gesetze und Gebote Israels voraus. Dann wurden auch sie zu voll berechtigten Gliedern des Gottesvolks und hatten Anteil an der Israel zugesagten Gnade und den übrigen Verheißungen. Wichtigstes Ergebnis dieses Teils der Untersuchung ist die Feststellung, dass Israel das von Gott erwählte Bundesvolk des Alten Bundes ist, dass jedoch nur die gläubigen und treuen Glieder dieses Volkes das Ziel ihrer Erwählung erreichten. 2. Das Kommen von Jesus und der Neue Bund Der mit Mose geschlossene Alte Bund sollte nach dem Willen Gottes nicht von ewiger Dauer sein. Er zielte auf das Kommen des Messias Jesus Christus ab, der den Alten Bund erfüllen und zugleich einen Neuen Bund mit seinem Volk Israel schließen wollte (Hebräer 8, 8-13; Jeremia 31, 31-34). Der Neue Bund und das Kommen von Jesus wurden schon im AT an vielen Stellen angekündigt (vgl. z. B. Jesaja 9, 56; Jeremia 31, 3 1-34; Micha 5, 1). Im Zentrum des Neuen Bundes steht die Person von Jesus Christus. Wer an ihn glaubt, der soll zu diesem Neuen Bund gehören und errettet werden (vgl. z. B. Lukas 22, 20; Galater 4, 4-7). Zu diesem Glauben gehört aber auch eine radikale Abkehr von der Sünde und die Unterordnung des gesamten Lebens unter die Herrschaft von Jesus Christus (Matthäus 3, 8; Matthäus 10, 37-39; Markus 1, 15). Zugleich sagt die Bibel, dass es außerhalb der Verbindung mit ihm keine Erlösung und keine Gemeinschaft mit dem Vater gibt (Johannes 14, 6; Apostelgeschichte 4, 12; 1. Johannes 5, 12). Allen Wiedergeborenen verheißt Jesus den Empfang des Heiligen Geistes (Apostelgeschichte 2, 38; Epheser 1, 13). Diesen Neuen Bund wollte Gott ursprünglich nur mit seinem Volk Israel schließen (vgl. z. B. Matthäus 10, 6; 15, 24). Sollte Israel diesen Bund jedoch ablehnen, wie Gott es von Anfang an voraussah, so plante er die Einbeziehung der Heiden in diesen Bund. Auch das ist bereits im AT angekündigt, z. B. in Psalm 72, 11; Jesaja 25, 68; Sacharja 14, 16-19 und wurde kurz nach der Geburt von Jesus von Simeon ausgesprochen (Lukas 2, 32). Wichtigstes Ergebnis dieses Teils der Untersuchung ist die Feststellung, dass der Alte Bund durch einen Neuen Bund in Jesus Christus erfüllt und abgelöst wurde. 3. Die Folgen der Verwerfung und Kreuzigung von Jesus 3.1 Der historische Tatbestand Eine kleine Minderheit des Volkes und der Oberschicht nahmen Jesus als Messias an und wurden seine Jünger Jesus wurde von der großen Mehrheit des Volkes Israel nicht als Messias anerkannt. Die Massen jubelten ihm zwar eine Zeitlang zu, jedoch akzeptierten sie ihn letztlich nicht als Messias und Erlöser, sondern nur als Brotkönig, Wunderheiler und politischen Befreier. Als er ihre Erwartungen nicht erfüllte, wandten sie sich von ihm ab. Die meisten Pharisäer, Hohenpriester und Schriftgelehrten, also die religiöse Führungsschicht, bekämpften ihn von Anfang an als Gotteslästerer, der sich anmaßte, Gott zu sein sowie als Sünder und Irrlehrer, der das Gesetz des Mose übertrat und dessen Geltung aufheben wollte, und bewirkten schließlich auch seine Kreuzigung durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus. Eine kleine Minderheit des Volkes und auch der Oberschicht, darunter auch einige Pharisäer, nahmen Jesus jedoch als Messias an und wurden seine Jünger. 3.2 Die Folgen für das Volk Israel Es waren zum einen weltlich-diesseitige Folgen: Jesus kündigte die Zerstörung des Tempels und der Stadt Jerusalem und die Zerstreuung der Juden in alle Welt an (Matthäus 23, 38-39; Matthäus 24, 2; Markus 13, 12; Lukas 23, 28- 31). Das geschah nach der Niederschlagung des großen jüdischen Aufstandes gegen die Römer im Jahre 70 n.Chr. sowie eines weiteren Aufstandes in den Jahren 132 bis 135 n.Chr. Die Verwerfung von Jesus hatte für das Volk Israel aber auch geistliche Folgen: Das Heilshandeln Gottes wurde jetzt auf die Heiden ausgeweitet, indem diese berufen wurden, gleichberechtigt neben den Juden in den Neuen Bund einzutreten. Sie mussten nicht mehr den Weg über das Judentum gehen, v.a. brauchten sie sich nicht mehr beschneiden zu lassen oder sonstige Bestimmungen des Zeremonialgesetzes einzuhalten (Apostelgeschichte 15, 28ff.; Galater 2, 14). Außerdem ordnete Jesus Christus in seinem Missionsbefehl für die Zeit des Neuen Bundes die Heidenmission ausdrücklich an (Matthäus 28, 19). 3.3 Die Auswirkungen auf das Heil der Juden Umstritten sind die Auswirkungen der Verwerfung von Jesus auf das Heil der Juden: Manche denken, die Juden müssten nicht erst durch Jesus Christus zum Vater kommen Eine Auffassung ("Zwei-Wege-Lehre"2) besagt, dass der Bund Gottes mit Israel ungekündigt fortbestehe. Der Alte Bund gelte also für die Juden weiter und der Neue Bund gelte nur für die Nichtjuden. Hieraus wird die weitere Schlussfolgerung gezogen, dass jeder einzelne Jude errettet sei, sofern er sich an das alttestamentliche Gesetz hält. Die Annahme von Jesus als Messias sei im Gegensatz zu den Heiden (Nichtjuden) für die Juden nicht heilsnotwendig, da sie unabhängig von Jesus Christus Volk Gottes seien und in der Gemeinschaft mit Gott ständen. Sie müssten nicht erst durch Jesus Christus zum Vater kommen, da sie schon beim Vater seien. Nach anderer Auffassung stehen diejenigen Juden, die Jesus Christus nicht als Messias anerkennen, nicht in der Gnade Gottes. Auch für die Juden sei die Errettung nur durch Jesus Christus möglich. Auch sie müssen sich zu ihm bekehren und sich der christlichen Gemeinde anschließen, da das Bundesvolk des Neuen Bundes die christliche Gemeinde sei.3 Nach einer weiteren Auffassung4 müssen sich die Juden zwar zu Jesus Christus bekehren, um errettet zu werden. Sie müssten sich aber nicht der (überwiegend heidenchristlich geprägten) christlichen Gemeinde anschließen, sondern stellten als "messianische Juden" eine dritte Gruppe zwischen (heiden-) christlicher Gemeinde und nichtmessianischen Juden dar. Die erstgenannte Auffassung ist in Anbetracht der schon genannten Bibelstellen nicht haltbar. Denn diese Aussagen (wie z. B. Johannes 14, 6, wo Jesus von sich selbst, und zwar zu den Juden, sagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich") enthalten keine Ausnahmen für bestimmte Gruppen von Menschen. Schon Jesus selbst rief die Juden als sein Volk zur Umkehr auf und sagte ihnen, dass sie nur durch ihn Errettung finden würden. Dies galt selbst für einen frommen und gottesfürchtigen Pharisäer wie Nikodemus (Johannes 3, 3.5.7)! Jesus Christus ist deshalb der einzige Heilsweg, weil alle Menschen Sünder sind (Römer 2, 11-12; 3, 23) und durch ihre Sünde von Gott getrennt sind (Römer 6, 23) und weil nur Jesus Christus stellvertretend für alle Menschen am Kreuz gestorben ist und dadurch die Sündenvergebung und damit die Versöhnung mit Gott bewirkt hat. Dies bedeutet folglich, dass alle, die ihn nicht als Messias und Erlöser annehmen, verloren sind, und zwar auch diejenigen, die abstammungsmäßig zum Volk Israel gehören. Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass die Ablehnung von Jesus als Messias an vielen Stellen des AT und des NT als schwere heilsentscheidende Verfehlung bewertet wird (vgl. nur Psalm 69, 25-29; Jeremia 22, 5; Matthäus 21, 40-44; Matthäus 23, 37; Lukas 19, 14.27; Lukas 20, 16). Was die Frage der Beziehung der Heidenchristen zu den Judenchristen betrifft, so wird man aus verschiedenen Stellen des NT (z. B. Galater 3, 28 und Epheser 2, 11-16) eindeutig entnehmen können, dass die an Jesus Christus Gläubigen nach dem Willen Gottes eine einheitliche Gemeinde bilden sollen, in der der Gegensatz zwischen Juden und Heiden aufgehoben ist, sodass für eine Aufspaltung in messianische Juden und Heidenchristen kein Raum ist. Judenchristen und Heidenchristen sind in der Gemeinschaft von Jesus Christus und dem Neuen Bund als Leib des Christus zu einer auch äußerlichen Gemeinschaft miteinander verbunden (vgl. z. B. 1. Korinther 12, 12-13). Auch der Wunsch des Paulus, selbst verflucht und vom Heil ausgeschlossen zu sein, wenn dadurch seine "Brüder und Stammverwandten nach dem Fleisch", d. h. die Juden, errettet würden (Römer 9, 3), hat nur dann einen Sinn, wenn Paulus feststellen muss, dass sie in ihrem jetzigen Zustand, d.h. ohne Jesus als Messias, verloren sind. Darüber hinaus sagt die Bibel an verschiedenen Stellen sogar, dass ein Teil der Juden, und zwar diejenigen, die Jesus Christus nicht als Messias anerkennen, "verstockt" werden (Römer 11, 7b-8) und dass ihnen eine "Decke vor dem Gesicht hängt" (2. Korinther 3, 15). Zwar ist die Auslegung dieser Stellen umstritten. Manche sind der Ansicht, dass "Verstockung" in diesem Zusammenhang nur die zeitweilige Beiseitesetzung Israels als Nation bedeute, nicht aber die Verwerfung oder Verstoßung der Verstockten im ewigen Gericht.5 Dagegen spricht jedoch, dass das hier für "Verstockung" verwendete Wort "porosis" identisch ist mit dem in Römer 9, 17 und Hebräer 3, 13 verwendeten Wort. In diesen beiden Parallelstellen bezieht es sich eindeutig auf den Ausschluss von der Errettung bzw. auf den Verlust des Heils. "Verstockung" in diesem Sinne bedeutet eine geistliche Verhärtung, die eine Bekehrung zu Jesus Christus unmöglich macht. Andererseits beruht diese Verstockung nicht darauf, dass Gott die Verstockten von vornherein vom Heil ausschließen wollte, sondern - wie auch ansonsten, z. B. beim Pharao, - darauf, dass sie auf den ein- oder mehrmaligen Anruf Gottes ablehnend oder sogar feindselig reagiert hatten. Auch für die Juden gibt es keinen Heilsweg ohne Jesus Christus Was die Frage der Beziehung der Heidenchristen zu den Judenchristen betrifft, so wird man aus verschiedenen Stellen des NT (z. B. Galater 3, 28 und Epheser 2, 11-16) eindeutig entnehmen können, dass die an Jesus Christus Gläubigen nach dem Willen Gottes eine einheitliche Gemeinde bilden sollen, in der der Gegensatz zwischen Juden und Heiden aufgehoben ist, sodass für eine Aufspaltung in messianische Juden und Heidenchristen kein Raum ist. Judenchristen und Heidenchristen sind in der Gemeinschaft von Jesus Christus und dem Neuen Bund als Leib des Christus zu einer auch äußerlichen Gemeinschaft miteinander verbunden (vgl. z. B. 1. Korinther 12, 12-13). Wichtigste Konsequenz dieses Teils der Untersuchung ist somit, dass es für die Juden keinen Heilsweg ohne Jesus Christus gibt, sodass es für die Gemeinde von Jesus legitim und geboten bleibt, ihnen Jesus Christus als den Messias und den einzigen Weg zur Erlösung zu verkündigen. 3.4 Die Auswirkungen auf die Stellung Israels als Bundesvolk Beim Kommen von Jesus war es das Bundesvolk Gottes, das als solches in der Heilsgnade stand, auch wenn nur die treu bleibenden Glieder dieses Volkes das ewige Ziel tatsächlich erreichten (s.o.). Umstritten ist, ob es diese Stellung verloren hat, indem es als Bundesvolk von der christlichen Gemeinde abgelöst wurde oder ob es diese Stellung beibehalten hat. "Wenn ... die Auffassung abgelehnt wird, dass die Christengemeinde das Volk Israel als ‚erwähltes Volk' abgelöst und ersetzt habe, und zugleich daran festgehalten wird, dass die Kirche als ‚das Israel Gottes' nicht nur in ihren einzelnen Gliedern, sondern auch als korporative Größe erwähltes Volk Gottes ist, stellt sich die Frage nach der Zuordnung beider Faktoren"6 Auch hierzu gibt es mehrere grundsätzlich divergierende Ansichten: Diejenigen, die der Ansicht sind, dass die Juden auch ohne den Glauben an Jesus Christus errettet seien, meinen dementsprechend, dass dies auch und erst recht für das jüdische Volk als solches gelte. Aber auch die Vertreter der "jüdisch-messianischen Theologie", die die Annahme von Jesus Christus als Messias für die Errettung der einzelnen Juden für erforderlich halten, sind der Ansicht, dass das jüdische Volk als solches weiterhin Bundesvolk sei, auch wenn die im Rahmen des Neuen Bundes verheißene Gnade nur den an Jesus Gläubigen und damit nur den messianischen Juden zugute käme.7 Eine dritte Auffassung, die in der christlichen Theologie lange Zeit vorherrschend war, nimmt an, dass das Volk Israel als Bundesvolk verworfen und "enterbt" und durch die christliche Gemeinde ersetzt sei. Die Segnungen und Verheißungen, die ursprünglich dem Volk Israel gegolten haben, seien nach der Verwerfung von Jesus verwirkt oder aber, insbesondere was die geistlichen Segnungen und Verheißungen betrifft, auf die christliche Gemeinde übergegangen.8 Die beiden erstgenannten Meinungen können für sich in Anspruch nehmen, dass es an verschiedenen Stellen heißt, dass Gott sein Volk Israel, das er zuvor erwählt hat, "nicht verstoßen" hat (so v.a. in Römer 11, 12). Paulus nennt als Argument hierfür die Tatsache, dass er als Jude in Jesus Christus Gnade bei Gott gefunden hat. Gott will, dass alle Menschen, also auch die Juden, errettet werden (1. Timotheus 2, 4) und eine Anzahl von Juden (die Judenchristen, darunter Paulus selbst) haben Jesus auch als Messias angenommen. Eine "Verwerfung" im Sinne der Beendigung seines Handelns mit Israel und der besonderen Stellung Israels ist somit abzulehnen. Dennoch folgt hieraus nicht, dass das Volk Israel unabhängig von seiner Anerkennung von Jesus als Messias in der Gnade des mit ihm geschlossenen Bundes steht. Wenn Gott sagt, dass er sein Volk nicht verstoßen hat, so ist dabei zu berücksichtigen, dass die Errettung dieses Volkes unter der Bedingung der Anerkennung des Neuen Bundes und damit der Anerkennung von Jesus Christus als Messias steht. Da das Volk Israel als solches den Neuen Bund (noch) nicht angenommen hat, kommen ihm dessen Verheißungen derzeit auch nicht zugute. Die jüdisch-messianische Theologie beruft sich v. a. auf Römer 11, 17-24. Aus dem Bild vom Ölbaum und seinen Zweigen ergebe sich, dass zwar die nichtmessianischen Juden als "herausgebrochene Zweige" nicht in der Gnade ständen, dass jedoch Israel als Volk auch im Zeitalter des Neuen Bundes der "Ölbaum" und damit das Bundesvolk bleibe.9 Wäre dies anders, so hätte Paulus in Römer 11, 17 von einem Ölbaum sprechen müssen, dessen Wurzeln, Stamm und Zweige allesamt tot sind und von autonom lebenden wilden Ölzweigen. Aber dieses Argument sollte man nicht überbewerten, da es Paulus in seinem Bild vom Ölbaum in erster Linie darum ging, die Verbundenheit der christlichen Gemeinde mit der "Wurzel" Israel aufzuzeigen10 und die Heidenchristen vor Überheblichkeit zu warnen. Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich, dass die Ansicht, wonach Israel aufgrund seiner Verwerfung von Jesus von Gott verworfen worden sei, nicht zutrifft, obwohl dies für das Volk Israel ernste Folgen gehabt hat, die zum Teil schon beschrieben wurden: Neben der Zerstörung Jerusalems und des Tempels und die bis Mitte des 20. Jahrhunderts währende Zerstreuung der Juden in nahezu alle Länder der Erde war dies vor allem der Verlust des Gemeinde Heils für diejenigen Juden, die 1/2010 Jesus und den Neuen Bund ablehnten. Dies war es, was Jesus mit seinen Worten aus Matthäus 21, 44 ff. aussprach, worin er den Pharisäern und Schriftgelehrten ankündigte, dass das Reich Gottes von ihnen genommen und einem anderen Volk gegeben werde, nämlich der christlichen Gemeinde. Zugleich sagt Jesus, dass er der Eckstein ist, an dem sich alles entscheidet, und dass jeder verworfen wird, der ihn verwirft (Matthäus 21, 44; Lukas 20, 18; 1. Petrus 2, 78). Es trifft nicht zu, dass das Volk Israel, weil es Jesus verwarf, nun auch von Gott verworfen ist Was die sog. "Enterbung" des Volkes Israel durch die Gemeinde betrifft, sei an dieser Stelle nur soviel gesagt: Da die Glieder der Gemeinde im geistlichen Sinne "Abrahams Same" sind, so wird man annehmen können, dass die geistlichen Verheißungen des Abrahamsbundes auf sie übergegangen sind und zwar vor allem die Verheißung, dass "Abrahams Nachkommen" ein großes Volk werden und ein Segen für die Welt sein werden (vgl. z. B. auch Matthäus 5, 13, wo Jesus seine Jünger "Salz der Welt" nennt). Hinsichtlich "weltlicher" oder materieller Dinge (wie z. B. Landbesitz, Wohlstand, Gesundheit, langes Leben, Bewahrung vor äußeren Feinden) hat die Gemeinde demgegenüber keine Verheißungen von Gott erhalten (vgl. etwa 1. Timotheus 6, 6-8), auch wenn Gott vielen Christen auch weltlichen Segen geschenkt hat. Man wird aufgrund einer Gesamtschau dieser - z. T. scheinbar widersprüchlichen - Textstellen und heilsgeschichtlichen Zusammenhänge zu dem Ergebnis gelangen können, dass das Volk Israel trotz seiner Verwerfung von Jesus zwar Bundesvolk geblieben, aber als solches bis zu seiner Bekehrung "beiseitegesetzt" ist. Die weiteren umstrittenen Fragen, ob für das Volk Israel trotz der Ablehnung von Jesus Christus und des Neuen Bundes dennoch bestimmte Verheißungen politischer und territorialer Art aus dem AT fortgelten und in unserer Gegenwart erfüllt werden und ob es in seiner Gesamtheit in der Zukunft Jesus Christus als Messias annehmen wird, sollen im nächsten Abschnitt behandelt werden. Wichtigste Konsequenz dieses Teils der Untersuchung ist die Feststellung, dass das Volk Israel als Folge der Verwerfung von Jesus als Bundesvolk zwar nicht verworfen, wohl aber beiseitegesetzt ist, sodass statt seiner die Gemeinde von Jesus Träger und Vermittler der geistlichen Verheißungen geworden ist. 4. Die Zukunft Israels 4.1 in politisch-territorialer Hinsicht Das Nordreich Israel verlor im Jahre 722 v.Chr. nach der Eroberung durch die Assyrer seine staatliche Souveränität und das Südreich Juda im Jahre 587 v.Chr. nach der Eroberung durch die Babylonier. Darüber hinaus wurden die meisten Bewohner des Nordreichs nach Assyrien und die des Südreichs nach Babylonien verschleppt. Jedoch war die Babylonische Gefangenschaft nach dem Willen Gottes auf 70 Jahre begrenzt (Jeremia 25, 9-11; Jeremia 29, 10);11 seit etwa 538 v.Chr. durften die nach Babylon verschleppten Juden wieder in ihre Heimat zurückkehren, den Tempel und später auch die Stadt selbst und ihre Mauern aufbauen und ihre Religionsausübung fortsetzen. Die staatliche Souveränität erlangte Israel allerdings nicht zurück: Das Land stand unter der Herrschaft der Babylonier (bis 558 v.Chr.), der Perser (von 558 v.Chr. bis 332 v.Chr.), der Griechen (von 332 v.Chr. bis 312 v.Chr.) und schließlich der Römer (von 63 v.Chr. bis zur Teilung des Römischen Reiches in Ost- und Westrom im Jahr 395 n.Chr.). Danach gehörte das Land zum Oströmischen Reich bis zur Eroberung durch die Araber im Jahre 638 n.Chr. Israel ist bis zu seiner Bekehrung "beiseitegesetzt" Nach dem Scheitern des jüdischen Aufstandes gegen das Römische Reich in den Jahren 66 bis 70 n.Chr. wurde auch der zweite Tempel zerstört und nach einem weiteren Aufstand in den Jahren 132 bis 135 n.Chr. wurde auch der größte Teil der Einwohner Israels und Judäas in alle Teile des Römischen Reiches verschleppt. Jedoch begann seit Anfang des 20. Johannes. die Rückkehr einer zunehmenden Anzahl von Juden in ihre Heimat und im Mai 1948 wurde die Gründung des Staates Israel ausgerufen. Dieser Staat behauptete sich bis heute in mehreren Kriegen gegen die Angriffe einer Vielzahl zumeist feindlicher arabischer Nachbarstaaten sowie gegen die Bedrohung durch Terroranschläge palästinensischer Extremisten. In diesem Zusammenhang ist theologisch sehr umstritten, ob die Wiederherstellung des Staates Israel und der Rückkehr der Juden nach Israel auf der Erfüllung biblischer Verheißungen beruht oder nicht. Es stehen sich hier v.a. folgende Auffassungen gegenüber: Nach einer Auffassung12 hat Gott sein Volk auch während der Zeit der Zerstreuung und Verfolgung erhalten, sodass es bis heute nicht untergegangen ist und sich auch nicht mit den übrigen Völkern verschmolzen hat. Über die Bewahrung der Juden hinaus habe er bereits in unserer Gegenwart in Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen sein Werk der Sammlung und Rettung Israels begonnen, und zwar unabhängig von dessen Annahme des Herrn Jesus als Messias bzw. dieser vorausgehend. Dabei handele es sich um ein Geschehen in zwei Phasen: Zunächst eine Zeit der äußeren, nationalen Sammlung, in der die Rückkehr in die Heimat, Landnahme, Staatsgründung und Behauptung des Staates Israel gegen seine äußeren Feinde geschieht. Darauf folge dann die Bekehrung des Volkes Israel als Ganzes. Als biblische Verheißungen des AT und des NT, die Grundlage dieses Handelns Gottes seien, werden v.a. Jesaja 14, 1; Jeremia 16, 14-15; Jeremia 29, 4; Hesekiel 34, 13.24-28; Hesekiel 37, 21; Amos 9, 15; Sacharja 8, 18; Sacharja 10, 6; Matthäus 24, 32-33; Lukas 21, 24 genannt. Bei dieser Sichtweise schwingt meist beides mit: Ein inneres Zurückweichen vor dem Ungehorsam Israels mitsamt seinen Folgen und eine heimliche oder offene Bewunderung für das Überleben des jüdischen Volkes. Zum erstgenannten Aspekt: "Sie erhielten zur Geburt ihrer Nation, als sie voller Freude über die Überquerung des Jordan waren, eine Art Nationalhymne, und es war wohl die seltsamste Hymne, die je gesungen worden ist ... Zuerst sangen sie von den guten Zeiten, in denen Gott sie im heulenden Wind der Wüste gefunden hatte und sie wie einen Augapfel hütete. Sie sangen von dem kommenden furchtbaren Verrat, bei dem sie den Gott vergessen würden, der sie erwählt hatte. Mit dieser bittersüßen Melodie auf den Lippen zogen die Israeliten in das Gelobte Land ein".13 Zum zweiten Aspekt: "Man fühlt auch etwas von der unbeugsamen Bereitschaft, die nationale und religiöse Freiheit selbst gegen eine erdrückende Übermacht zu verteidigen. Wenn man daran denkt, wie vielen bei uns politische und religiöse Freiheit gleichgültig sind, dann regt sich Bewunderung, ja geradezu etwas Neid".14 Nach anderer Auffassung15 hätten diese Verheißungen in Wort, Werk und Person von Jesus Christus ihre Erfüllung gefunden. Alle alttestamentlichen Verheißungen, die sich auf eine erneute Existenz Israels in Palästina beziehen, seien dadurch hinfällig geworden. Oder aber es wird gesagt, dass die betreffenden Verheißungen bereits in der Vergangenheit, etwa bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft erfüllt worden seien. Oder aber sie seien an die Bedingung des Gehorsams gegen Gott geknüpft gewesen und durch den Ungehorsam des Volkes Israel verwirkt worden. Oder sie seien auf die christliche Gemeinde übergegangen. Wieder andere Vertreter dieser Auffassung nehmen an, dass diese Prophezeiungen und Verheißungen von Vornherein nicht wörtlich, sondern nur bildlich zu verstehen seien. Die Staatsgründung Israels und seine Behauptung gegen seine Feinde beruhe im Wesentlichen auf Glück, diplomatischem Geschick und militärischer Tüchtigkeit. Israel sei ein Staat wie jeder andere und könne nicht aufgrund biblischer Verheißungen die zwischen ihm und seinen arabischen Nachbarn umstrittenen Gebiete für sich beanspruchen, sondern sei im Interesse des Friedens zu Entgegenkommen und Kompromissen verpflichtet. Bezieht sich die Rückkehr und Wiederherstellung auf die Zeit nach einer weltweiten Zerstreuung? Es muss also anhand der Bibel geprüft werden, ob die genannten Verheißungen tatsächlich die Rückkehr der Juden aus der weltweiten Zerstreuung und eine erneute Staatsgründung beinhalten und ob sie noch heute für Israel gelten. Es lässt sich nicht bestreiten, dass in den genannten Bibelstellen von einer Rückkehr des Volkes Israel in seine angestammte Heimat aus einer vorangegangenen Zerstreuung und Verbannung die Rede ist (vgl. nur Jesaja 14, 1; Jeremia 16, 14-15; Amos 9, 15 sowie aus dem NT Lukas 21, 24). Es wäre jedoch als erstes zu prüfen, ob sich diese Rückkehr und Wiederherstellung auf die Zeit nach der weltweiten Zerstreuung 70 n.Chr. bezieht. Denn es wird hiergegen als erstes der Einwand erhoben, dass diese Verheißungen bereits in der Vergangenheit, insbesondere mit der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft, erfüllt seien. Bei den meisten dieser Stellen wird man zugeben müssen, dass sie hinsichtlich der Art und Weise sowie des Zeitpunktes der Rückkehr der Juden nach Israel mehrdeutig sind, sodass aus ihnen nicht mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden kann, dass sie sich auf die Zeit nach der weltweiten Zerstreuung durch die Römer und damit auf die Gegenwart beziehen. So heißt es etwa in Jesaja 14, 1a: "Denn der Herr wird sich über Jakob erbarmen und Israel noch einmal erwählen und sie in ihr Land setzen". Bei einigen Stellen ist es jedoch nicht möglich, sie auf die babylonische Gefangenschaft oder eine andere in der Vergangenheit liegende Rückkehr der Juden aus einer Verbannung zu beziehen. Dies ist etwa bei Amos 9, 15 der Fall, wo es heißt: "Denn ich will sie in ihr Land pflanzen, dass sie nicht mehr aus ihrem Land ausgerottet werden, das ich ihnen gegeben habe, spricht der Herr, dein Gott". Man kann nicht behaupten, diese Verheißung habe sich mit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil erfüllt, denn die Römer haben das Volk Israel später doch erneut aus ihrem Land vertrieben.16 Ebenso kann sich die Rückkehrverheißung in Jeremia 16, 14-15 nicht auf das babylonische Exil beziehen, da die Rede davon ist, dass Gott das Volk Israel "aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin er sie verstoßen hatte" zurückbringen will. In "alle" bzw. eine Vielzahl von Ländern wurden die Juden aber nur nach 70 n.Chr. verbannt. Was das zweite Argument gegen eine Fortdauer der o.g. Verheißungen betrifft, wonach diese in Jesus Christus ihre Erfüllung gefunden hätten, so hat David H. Stern mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Verheißungen dem jüdischen Volk direkt und nicht dem Messias gelten.17 Die Annahme, die Verheißungen würden durch den Messias erfüllt, würde praktisch zu deren Aufhebung führen. Dem Einwand, dass diese Verheißungen durch den Ungehorsam Israels verwirkt seien, wäre entgegenzuhalten, dass sie an keine Bedingungen geknüpft waren. Es handelt sich um Verheißungen und Prophezeiungen, die nach dem Plan Gottes unabhängig von dem Verhalten des Volkes Israel zu einer bestimmten Zeit in Erfüllung gehen sollen. Auch ist ausgeschlossen, dass diese Verheißungen auf die christliche Gemeinde übergegangen sind, da Gott dieser niemals die Verheißung des Besitzes eines bestimmten Landes auf der Erde gegeben hat. Die Verheißungen und Prophezeiungen der Bibel sind im Allgemeinen nicht sinnbildlich, sondern wörtlich zu verstehen Gegenüber der Meinung, die Verheißungen seien von vornherein nur sinnbildlich gemeint, wäre zu sagen, dass die Verheißungen und Prophezeiungen der Bibel im Allgemeinen nicht sinnbildlich, sondern wörtlich zu verstehen sind und dementsprechend erfüllt wurden bzw. noch werden. In diesem Zusammenhang sei etwa nur auf die biblische Prophetie hinsichtlich der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft oder hinsichtlich der Stadt Tyrus erwähnt, deren Zerstörung in Hesekiel 26 angekündigt wurde und um 330 v.Chr. erfolgte.18 Generell ist als Auslegungsgrundsatz festzuhalten, dass biblische Aussagen entsprechend ihrem Wortsinn zu verstehen sind, sofern nicht gewichtige Gründe vorliegen, die betreffende Textstelle bildlich oder symbolisch zu verstehen.19 Dies gilt auch für die hier erörterten prophetischen Aussagen. Wichtigste Konsequenz dieses Teils der Untersuchung ist somit die Feststellung, dass die alttestamentlichen Verheißungen einer Rückkehr der Juden nach Israel, ihrer erneuten Staatsgründung und der Behauptung dieses Staates gegen seine Feinde fortgelten. Die entsprechenden politischen Ereignisse bedeuten somit die Erfüllung dieser Verheißungen; sie sind nicht etwa zufällig geschehen oder Folge glücklicher Umstände. Israel ist kein Staat wie jeder andere! 4.2 hinsichtlich der Wiederannahme durch Gott Nach dem unter 3 und 4.1 Gesagten hat das Volk Israel zwar seine heilsgeschichtliche und politische Sonderrolle beibehalten und die Verheißungen Gottes, wieder in ihr angestammtes Land zurückzukehren, gelten weiterhin und gehen seit Beginn des 20. Johannes. in Erfüllung. Andererseits haben die Juden, die nicht an Jesus Christus als den Messias glauben, nicht die Gotteskindschaft und die Versöhnung mit Gott erlangt, und das Volk Israel als solches ist zwar "Bundesvolk" geblieben, aber beiseitegesetzt. Somit wäre die Frage zu stellen, ob sich das Volk Israel als Ganzes zu Jesus Christus bekehren und damit wieder Heil und Erlösung finden wird. Ohne seine Bekehrung zu Jesus Christus ist die Wiederannahme Israels nicht zu denken! Wird sich das Volk Israel als Ganzes wieder zu Jesus Christus bekehren und damit Heil und Erlösung finden? Nach einer Auffassung20 ist dies zu bejahen, da sich das Volk Israel in der Zukunft, entweder während der Weltherrschaft des Antichristen oder bei der Wiederkunft von Jesus, zu Jesus Christus bekehren werde. Nach anderer Auffassung21 ist dies zu verneinen; ihr zufolge werden auch in der Zukunft allenfalls einige wenige Juden errettet werden, die sich zu Jesus Christus bekehren und sich der christlichen Ge meinde anschließen. Es ist somit zu prüfen, ob es biblische Aussagen gibt, die eine künftige Bekehrung des Volkes Israel in seiner Gesamtheit zu Jesus Christus verheißen. Als solche werden von den Vertretern der erstgenannten Auffassung v.a. Römer 11, 25f. in Verbindung mit Jesaja 27, 9 und 59, 20 sowie mit Jeremia 31, 33 genannt; ferner u.a. Hesekiel 3, 45 und Sacharja 12, 10. Denn in Römer 11, 25f. ist die Rede davon, dass "ganz Israel" (im griechischen Urtext: "pas Israel") gerettet wird. Allerdings ist sehr umstritten, was an dieser Stelle mit "ganz Israel" gemeint ist. Die Auffassung, die eine künftige Bekehrung Israels verneint, nimmt nämlich an, dass damit die neutestamentliche Gemeinde gemeint sei. Wie in Galater 6, 16 beziehe sich auch in Römer 11, 26 der Begriff "Israel" nicht auf das Volk Israel seiner Abstammung oder seinem jüdischen Glauben nach, sondern auf die christliche Gemeinde.22 Wieder andere Ausleger23 nehmen an, dass in Römer 11, 26 mit "Israel" zwar Angehörige des jüdischen Volkes gemeint seien, jedoch nur diejenigen unter ihnen, die zu der von Gott erwählten und in Römer 9, 6-8 und 11, 5 genannten kleinen Minderheit gehören. Nur diese kleine Minderheit der Juden sei es, die sich bekehren wird. Die erstgenannte Auffassung nimmt hingegen an, dass damit das Volk Israel in seiner Gesamtheit gemeint sei. Das gesamte zu dem betreffenden Zeitpunkt lebende Volk Israel werde sich bekehren, wobei die Meinungen auseinandergehen, ob dies als endzeitliches Ereignis vor der Wiederkunft von Jesus oder bei bzw. nach der Wiederkunft von Jesus erfolgen werde. Allerdings bedeute die Bekehrung "ganz Israels" nicht, dass sich jeder einzelne Jude bekehren werde, sondern nur die Gesamtheit des Volkes Israel in ihrer von Gott bestimmten oder vorausgesehenen Fülle.24 Zumeist wird angenommen, dass es nicht alle, sondern (nur) die große Mehrheit der dann lebenden Juden sei; z.T. wird angenommen, dass "ganz Israel" auch lediglich eine Minderheit der dann lebenden Juden bedeuten könne.25 Wenn in Römer 11, 26 auf Textstellen des AT (Jesaja 59, 10 und Jeremia 31, 33) Bezug genommen wird, so bedeute dies, dass die künftige Bekehrung des Volkes Israel den Verheißungen der Schrift entspreche.26 Es muss somit geprüft werden, welche der Auslegungen der Worte "ganz Israel" nach dem Textzusammenhang zutrifft. Es bestehen auch unter bibeltreuen Auslegern grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten darüber, ob mit "Israel" in neutestamentlichen Textstellen und Zusammenhängen stets das Volk Israel gemeint ist und von der Gemeinde stets unterschieden werde oder ob mit dieser Bezeichnung auch die christliche Gemeinde oder die Judenchristen gemeint sein können. Hierauf kommt es an dieser Stelle jedoch meiner Meinung nach nicht an, denn Paulus setzt in diesen Kapiteln die christliche Gemeinde und das Volk Israel als zwei voneinander zu unterscheidende heilsgeschichtliche Größen miteinander in Bezug und in Römer 11, 13ff. warnt er die Heidenchristen vor jeglichem Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Volk Israel.27 Israel wird sich als Ganzes bekehren, aber nicht jeder einzelne Israelit Bereits diese Feststellung spricht entscheidend dafür, dass hier tatsächlich das Volk Israel gemeint ist. Gegen die erste Auffassung spricht ferner, dass Paulus dann nichts Neues sagen würde, was über seine Aussage in Römer 9, 6 hinausginge. Auch könnte man die Feststellung, dass sich einige Juden im Laufe der Heilsgeschichte der christlichen Gemeinde anschließen, wohl kaum als "Geheimnis" (Römer 11, 25) ansehen. Ähnliches gilt für die Ansicht, die unter "ganz Israel" nur die in Römer 9, 6 und 11, 5 genannte kleine Minderheit der Juden versteht. Somit ist davon auszugehen, dass sich das Volk Israel in der Zukunft als Ganzes zu Jesus Christus bekehren wird. Die Frage, wann dies geschehen wird, sowie die Frage, wie groß der Anteil der Bekehrten an der Gesamtheit des Volkes Israel sein wird, soll hier nicht näher behandelt werden. Man wird Römer 11, 25f. jedoch wohl mit Sicherheit entnehmen können, dass sich nicht jeder einzelne Jude bekehren wird, denn dann hätte Paulus nicht "pas Israel" (ganz Israel), sondern "pantes hoi Israelites" (alle Israeliten) schreiben müssen. Ebenso ist nicht unumstritten, ob die künftige Bekehrung des Volkes Israel denjenigen Juden, die zu ihren Lebzeiten Jesus Christus nicht als Messias angenommen hatten, gleichsam rückwirkend zugute kommt, sodass auch sie letztlich errettet sind und in das Himmelreich eingehen. Dies wird man jedoch ablehnen müssen, da sich aus der Bibel ergibt, dass die Gnadenzeit für jeden Menschen spätestens mit dem Ende des irdischen Lebens endet (vgl. z. B. Prediger 11, 3; Hebräer 9, 27). Wer also ohne Jesus Christus gestorben ist, durch den allein er Gnade bei Gott hätte erlangen können, der kann diese Gnade auch später nicht mehr erlangen. Auch für die hier beschriebene Situation der Juden, die in der Zeit zwischen dem Kommen von Jesus und der Bekehrung des Volkes Israel ohne Jesus Christus gestorben sind, enthält die Bibel keine Ausnahme. Wichtigstes Ergebnis dieses letzten Abschnitts der Untersuchung ist die Feststellung, dass sich das Volk Israel in der Zukunft zu Jesus Christus als seinem Messias bekehren wird. 1. Die Vergebung der Sünden geschah allerdings nicht durch das Blut der Opfertiere, die bei der Darbringung der von Gott eingesetzten Sündopfer geschlachtet wurden (Hebräer 10, 34). Dies war nur eine Vorschattung auf das Blut von Jesus Christus, das die Sünde der Menschen hin- wegnimmt, und zwar auch die der gläubigen Juden im Alten Bund (vgl. Hebräer 9, 11-14; 10, 5-14 2. Hauptvertreter dieser Lehre sind u.a. Martin Buber und Pinchas Lapide. Diese Auffassung wurde de facto in den 90er Jahren von zahlreichen evangelischen Landeskirchen übernommen, so z. B. in der Rheinischen Kirche, wo 1996 in den Grundartikel 1 der Kirchenordnung folgende Sätze aufgenommen wurden: "Sie (die Ev. Kirche im Rheinland; Th.Z.) bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde". Dementsprechend wird Judenmission in den evangelischen Kirchen in Deutschland weitgehend als überflüssig und sogar schädlich abgelehnt. 3. So die bis vor wenigen Jahrzehnten nahezu einhellige Auffassung der protestantischen Theologie. 4. z. B. David H. Stern, Kommentar zum jüdischen Neuen Testament, Bd. 2, 1996, S.143. 5. So z. B. Jürgen van Oorschot, Hoffnung für Israel, 1988, S.20; Ernst Schrupp, Israel in der Endzeit 6. Wolfgang Nestvogel, Erwählung und/oder Bekehrung?, 2002, S.9. 7. So z. B. Stern aaO, Bd. 2, S.142 ff. 8. So v.a. Augustinus und Martin Luther, z.T. auch Johannes Calvin. 9. So Stern aaO, Bd. 2, S.143. 10. Vgl. dazu näher Stern aaO, S.139 f. 11. Wobei diese 70 Jahre mit dem ersten Einbruch der Babylonier nach Jerusalem im Jahre 605 v.Chr. beginnen; vgl. dazu etwa Norbert Lieth, Zukunftsaussichten, Bd. 2, 1996, S.61. 12. z. B. René Pache, Die Wiederkunft Jesu Christi, 12. Aufl. 1993, S.223 ff.; Ernst Schrupp, Israel in der Endzeit, 3. Aufl. 1992, S.96 ff.; Werner Gitt, So steht`s geschrieben, 7. Aufl. 2008, S.64 f. 13. Philip Yancey, Von Gott enttäuscht, dt. 1990, S.64. 14. Rainer Riesner in: Martyria. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Beyerhaus, 1989, S.250. 15. z. B. Heinrich Wiesemann, Das Heil für Israel, 1965, S.31, Jürgen van Oorschot, Hoffnung für Israel, 1988, S.10 ff.; Franz Stuhlhofer, "Das Ende naht!", 2. Aufl. 1993, S.75 ff.; 120 ff. 16. So zutreffend z. B. John Hosier, Endzeit, dt. 2001, S.127 17. in: Kommentar zum jüdischen Neuen Testament, Bd. 2, 1996, S.153. 18. Vgl. zur Prophetie hinsichtlich der Stadt Tyrus: Werner Gitt, So steht`s geschrieben, 7. Aufl. 2008, S.166-173. 19. Vgl. zu diesem Auslegungsgrundsatz des Literalprinzips näher z. B. Dwight D. Pentecost, Bibel und Zukunft, dt. 1993, S.24 ff.; 32-35; 84f. 20. So z. B. Wim Malgo, René Pache, David H. Stern. 21. So z. B. Augustinus, Martin Luther, Johannes Calvin, Adolf Schlatter. 22. Was auch im Hinblick auf Galater 6, 16 umstritten ist. 23. z. B. Abraham Calov und Johann Albrecht Bengel. 24. Vgl. dazu näher Jürgen van Oorschot, Hoffnung für Israel, 1988, S.26. 25. So David H. Stern, Kommentar zum jüdischen Neuen Testament, Bd. 2, 1996, S.154. 26. In diesem Sinne auch Jürgen van Oorschot aaO, S.23 f. 27. So zutreffend Wolfgang Nestvogel, Erwählung und/oder Bekehrung?, 2002, S.8 mit weiteren Argumenten.