brock hau/ Corrie ten Boom Weihnachts-erinnerungen Corrie ten Boom . Weihnachtserinnerungen W eihnachtserinnemngen von Corrie ten Boom R. Brockhaus Verlag Wuppertal R. Brockhaus Taschenbuch Bd. 269 © 1976 Corrie ten Boom Titel der amerikanischen Ausgabe: Corries Christmas Memories erschienen bei Fleming H. Revell Company, Old Tappan N.J. Deutsch von Elisabeth Bender 1. Auflage r978 2. Auflage r979 Umschlagfoto: Corrie ten Boom Gesamtherstellung: Breklumer Druckerei Manfred Siegel ISBN 3-417-20269-8 INHALT 1. Die Weihnachtsgeschichte, wie ich sie erzählte ...................... 7 2. Eine Weihnachtsgeschichte, »Vater Martin« 23 3. Casper ten Booms Weihnachtsbotschaft .... 41 4. Corries Erinnerungen an vergangene Weihnachten! ............................. 51 5. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas2,1-20 59 Weihnachten! Weihnachtsfreude -Jesus ist geboren! Ich möchte Sie ein ganz klein wenig an meinen Weih-nachtscrinnerungen teilhaben lassen. Ich bin nun 86 Jahre alt. Wenn ich an die Heiligen Abende zurückdenke, an die Weihnachtsfeiern, die Weihnachtslieder und Weihnachtsgeschichten, wird mir dankbar bewußt: Es war kein kurzes, flüchtiges Vergnügen. Es war und ist eine unaussprechlich tiefe Freude, voller Glanz. Gott liebt die Welt und sandte seinen Sohn. Wer an ihn glaubt, wird nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben. Das ist die Weihnachtsfreude. Die Weihnachtsfreude ist für jeden da, denn Jesus sagte: »Kommt her zu mir, alle ...» Bei den Weihnachtsfeiern bildeten Betsie und ich immer ein Team. Die eine erzählte die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, die andere eine Weihnachtsgeschichte. . . W eihnachtsgeschichte, wie ich sie erzählte Joseph war in großer Sorge. Man konnte es seinem Gesicht ansehen. »Was ist los, Joseph?« fragte Maria. »Wir müssen nach Bethlehem gehen. Jeder muß sich an dem Ort registrieren lassen, wo seine Familie herkommt. Wir sind Davids Nachkommen, also müssen wir in die Stadt Davids gehen, nach Bethlehem. Oh, Maria! Jetzt müssen wir genau zu der Zeit reisen, in der du das Kind erwartest — aber du siehst nicht aus, als würde dir das viel ausmachen!« Joseph konnte sich nicht erklären, wie seine Worte geradezu Freude bei Maria auslösen konnten. »Ich habe dir noch nicht erzählt, mit was für einem Problem ich mich herumschlage, Joseph«, erklärte sie. »Unser Kind ist nicht nur unser Kind. Er ist der Messias, und die Propheten sagten, daß Christus, der Messias - der Herr -, in Bethlehem geboren würde und nicht in Nazareth, wo wir wohnen. Joseph, jetzt gehen wir nach Bethlehem, und Gott hat es ganz deutlich gezeigt, daß unsere Zeiten in seinen Händen sind. Er macht niemals einen Fehler.» Es war eine recht große Reisegesellschaft, die Nazareth aus dem gleichen Grunde verließ wie Joseph und Maria. Aber im Verlauf des Tages legte sich ein ziemlicher Abstand zwischen sie und die anderen, die sich beeilten, denn sie wollten so früh wie möglich Bethlehem erreichen. Joseph und Maria blieben allein zurück. Behutsam führte Joseph den Esel, auf dem Maria saß, über die schlecht gepflasterte Straße. Doch endlich sahen auch sie vom Gipfel des Berges auf Bethlehem hinab, auf dessen flache Dächer die sinkende Sonne schien. Auf den Feldern in der Nähe der kleinen Stadt hüteten Hirten ihre Herden. Joseph grüßte sie. »Guten Abend, ihr Hirten! Habt ihr einen guten Tag gehabt? . . . Könntet ihr mir sagen, wo ich ein Gasthaus finde?» »Ziemlich viel los heute. Den ganzen Tag über strömten die Leute an unseren Feldern vorbei. So viele sind es noch nie gewesen. Die Schafe waren unruhig. Sie sind das nicht gewöhnt. Eine Herberge? Es gibt eine gleich am Anfang der Straße, ihr müßt euch rechts halten.<■ »Vielen Dank!« Der Wirt stand in der Tür des Gasthauses. Er schaute auf Maria. »Es tut mir leid; wir haben keinen Platz für euch. Den ganzen Tag über strömten Fremde hier in die Stadt. Wir haben kein großes Gasthaus. Das Haus ist voll bis unters Dach.« »Hast du keine Ecke; wo meine Frau schlafen kann? Sie erwartet bald das Kind.« »Ja . . . warte!« sagte der Wirt. »Geht um das Haus herum, dort ist der Stall. Vielleicht findet ihr dort ein Plätzchen.« Bevor Joseph ging, sagte er zu Maria: »Warte hier. Gott wird mir zeigen, wo ich für diese Nacht ein Unterkommen finde.« Nun war Maria allein; sie schaute sich um. Es war ruhig und dunkel in den Straßen. Es gab keine Straßenlaternen und auch keine erleuchteten Fenster; die gingen nach hinten hinaus, auf den Hof zu. »Herr, du weißt, daß unser Kind nun bald kommt«, flüsterte Maria. Sie hatte großen Frieden im Herzen. Schließlich sah sie Joseph um die Ecke kommen. »Ich habe etwas für dich und den Esel gefunden . . . und für das Kind.« Er führte den Esel um das Haus herum, und da sah Maria den Stall. Joseph hatte schon in einer Ecke eine Schütte frisches Stroh für Maria ausgebreitet. »Sieh, was ich für das Baby habe!» Er zog eine Futterkrippe herüber. Joseph reinigte sie und legte auch da frisches Stroh hinein. Es war wirklich wie ein kleines Bett. »Und nun versuch ein bißchen zu schlafen, Maria. Ich werde wachen.» Joseph ging zur Stalltür und sah hinaus in die Nacht, in die Richtung, wo die Felder der Hirten liegen mußten. Ärgerliche Stimmen drangen aus den offenen Fenstern des Gasthauses über den Hof. »In was für einer Zeit leben wir!« empörte sich eine rauhe Stimme. »Es ist ein Elend, dieser Diktator macht mit uns, was er will! Wie lange soll das noch dauern? Ich habe mein Geschäft im Stich lassen müssen, bloß um mich hier registrieren zu lassen!« Eine ruhige Stimme antwortete: »Der Messias wird uns befreien. Die Propheten . . .« Laute Stimmen - alle zu gleicher Zeit - fielen ihr ins Wort. Joseph konnte das Ende des Satzes nicht mehr verstehen. Er sah sich um. Es war eine helle Neumondnacht. Sterne - so viele Sterne! - standen am Himmel. Jetzt konnte er die Schafe ausmachen und die Hirten, die sie bewachten. Die Stimmen im Gasthaus verstummten, und dann war alles still. Nichts bewegte sich mehr. Und in dieser stillen Nacht wurde Jesus geboren. In dem Bündel, das Maria bei sich hatte, befanden sich die Windeln. Nun wickelte sie das kleine Baby. Sie begann unter den winzigen Ärmchen, dann kam ein kleines Bein dran, dann das andere kleine Bein, dann der ganze Körper. Danach legte sie IHN in die Krippe und deckte ihn mit dem Rest der Windeln zu. »Nun versuch zu schlafen, Maria. Ich werde wachen-, sagte Joseph. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und schaute wieder über die Felder. »Joseph«, wie zärtlich klang Marias Stimme! »unser Baby ist nicht nur unser Kind. Es ist das Kind aller Welt . . . Nur weiß es noch niemand. Nur wir.« Dann schlief sie ein. Joseph wachte. Plötzlich hörte er Schritte, sie kamen um das Gasthaus herum direkt auf den Stall zu. Es waren Schritte von Männern. Wie gut, daß ich wache, dachte Joseph. Er stellte sich so, daß niemand an ihm vorbei in den Stall gehen konnte. »Entschuldige«, sagte ein alter Mann. »Wir möchten in den Stall schauen.« »Tut mir leid, jetzt nicht«, antwortete Joseph. »Bitte, laß uns nur mal in die Krippe sehen.« »Nein«, entgegnete Joseph mit fester Stimme, »gerade nicht in die Krippe, denn dort liegt ein neugeborenes Kind.« »Wegen des Kindes kommen wir!« Da hörte Joseph Maria rufen: »Joseph! Laß sie herein! Kommt, Leute, und erzählt mir, wie ihr von dem Kind erfahren habt. Kommt herein, Männer.« Joseph ging zur Seite. Die Männer kamen in den Stall. Da sah Maria, wie all diese Männer und ein paar Jungen vor dem Kinde knieten. Einen Augenblick lang war es ganz ruhig. Jeder empfand die Stille der Nacht. Aber dann begann einer der Männer zu reden: »Wir waren bei der Herde und sprachen über das, was der Tag gebracht hatte. Daß noch nie so viele Menschen über die Felder gekommen waren, alle, um sich registrieren zu lassen. David ist der Ahnherr von so vielen . . . Ich sagte: -Wenn es mit dieser schrecklichen Diktatur doch bald ein Ende nähme! Keine Freiheit. Sklaven der Römer!*« Er zeigte auf den ältesten Hirten. »Er gab die Antwort. >Der Messias wird Frieden bringen-, sagte er. »Das wissen wir von den Pro- pheten.« Dann las er uns vor, was Jesaja über den kommenden König von Israel gesagt hat. Wir hörten zu, wir alle glaubten es - ja - und dann geschah es!« Er schwieg. Einen Augenblick war wieder alles still. Alle blickten auf das Kind. »Ja«, fuhr der alte Hirt fort, »dann geschah es. Plötzlich stand ein Engel vor uns. Er war licht und schön, und wir fürchteten uns sehr. Aber er sagte: •Fürchtet euch nicht! Siehe, ich bringe euch große Freude, die alle Menschen angeht. An diesem Tage, heute, wurde euch in der Stadt Davids pin Heiland geboren. Es ist Christus, der Herr. Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.«« Der Hirt war wieder still. Jeder empfand: Es ist Heilige Nacht. Der Junge, der dem Kind am nächsten stand, erzählte weiter: »Und dann hörten wir und sahen - ein Stück Himmel. Um uns herum waren Engel, so hell wie der hellste Sonnenschein, und sie sangen - oh, sie sangen: •Ehre sei Gott im höchsten Himmel! Frieden auf Erden unter den Menschen, die guten Willens sind.« Ja, es war, als hätte Gott den Vorhang ein Stück zur Seite geschoben, daß wir ein kleines bißchen Himmel sehen und hören konnten. Aber dann-, fuhr der Junge fort, »dann war alles weg, und es war wieder dunkel, so dunkel, dunkler als es je vorher gewesen war. Nach dem himmlischen Licht war die Erde dunkel, so schrecklich dunkel.» Jetzt erzählte der alte Hirt die Geschichte weiter. »Ja, und der Junge hier sagte: -Laßt uns doch gehen und das Kind sehen!' Ich fragte ihn: >Wo könnten wir es denn finden?« Der Junge antwortete: >Na, das ist doch leicht: Es liegt in der Krippe!«. >Ja, natürlich, unsere Krippe! Du hast recht«, sagte ich, «wir gehen nach Bethlehem und sehen uns das an, was der Herr uns da gesagt hat.« So sind wir so schnell wie möglich hergekommen. Nun wißt ihr, warum wir gekommen sind.« »O Joseph«, staunte Maria, »wir sind nicht die einzigen, die von der Geburt des Kindes wissen, des Kindes für die ganze Welt — auch die Engel wissen davon, und die Hirten wissen es auch!« Der älteste Hirt nickte. »Ja«, sagte er, »und morgen werden wir es überall erzählen.« Auf Zehenspitzen — ganz leise — verließen die Hirten und die Jungen den Stall. Sie waren so glücklich! »Wir wissen es, die Engel und die Hirten wissen es, und morgen werden es alle die wissen, denen es die Hirten erzählen«, flüsterte Maria. »Aber wie wird es der Rest der Welt erfahren, die große, weite Welt, für die das Kind geboren ist?« Ein paar Tage später hörte Joseph, wie jemand an die Tür klopfte. Sie wohnten jetzt in einem hübschen Zimmer. Der Besitzer hatte die Geschichte von dem Baby durch die Hirten erfahren und es ihnen für die Zeit ihres Aufenthaltes in Bethlehem angeboten. Joseph öffnete die Tür, und da standen einige sehr würdige Herren vor ihm, prächtig gekleidete Fremde, und hinter ihnen sah Joseph Kamele stehen. »Dürfen wir eintreten?« fragte ein dunkelhaariger Mann. »Wir würden so gerne das Kind sehen!« Joseph trat zur Seite, und drei Männer traten ein. Maria hatte das Kind auf dem Schoß und sah staunend, wie sich die reichen Männer vor dem Kind verbeugten und niederknieten. »Der König von Israel«, sagte einer der Männer. »Der König der Welt.« Joseph fragte leise: »Sagt - wie habt ihr davon erfahren? « Sie setzten sich hin, und einer erzählte: »Wir sind Astronomen, und wir sind Freunde. Wir erforschen die Sterne und studieren astronomische Bücher. Und sobald wir etwas entdecken, teilen wir es einander mit. Eines Nachts nun sahen wir alle drei den Stern. Wir kamen zusammen, um miteinander herauszufinden, was es für eine Bewandtnis mit diesem Stern haben könnte. Wir hatten ihn nie zuvor gesehen. Wir holten unsere Bücher herbei, fanden aber nichts, bis wir in einem sehr alten Buch über einen Propheten lasen — Bileam hieß er. Er war ein richtiger Prophet, aber ein böser König nahm ihn in seinen Dienst und verlangte, daß er Israel verfluchte. Er wollte jenem König zu Willen sein; aber weil er nur aussprechen konnte, was Gott ihm eingab, segnete Bileam Israel, anstatt ihm zu fluchen. Und so sprach er von einem König, der kommen würde, einem, der Frieden brächte. Und daß ein nie vorher gesehener Stern erscheinen würde (4. Mose 24,17). So entschlossen wir uns, nach Israel zu gehen, und nachts ging der Stern immer vor uns her, bis er direkt über eurem Haus stand.« Die Männer legten dem Kind Jesus kostbare Geschenke hin. Gold, Weihrauch, Myrrhe-nur Königen überreichte man solche Geschenke. Dann verließen die Männer das Haus. Maria staunte. »Nun wissen nicht nur wir es und die Hirten«, sagte sie, »die Einwohner von Bethlehem und die Engel — auch den Menschen in dem fernen, fernen Land werden diese gelehrten Männer nun von Jesus erzählen. Alle Welt soll von unserem Kind hören.« Soll ich euch erzählen, wie die Geschichte weitergeht? Wenigstens etwas sollt ihr noch hören: In der selben Nacht gebot Gott dem Joseph, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu gehen, weil der König Herodes Jesus töten wollte. Joseph gehorchte sofort, denn er war es gewohnt, Gott zu gehorchen. In der Nacht verließen sie Bethlehem — im Dunkeln gingen sie über die Felder. Sie grüßten die Hirten, und die fragten nach dem Ergehen des Kindes. Es war ein weiter Weg nach Ägypten. Ich kann mir denken, daß Joseph, als sie endlich dort ankamen, schnell wieder Arbeit fand. Gute Zimmerleute braucht man überall. Und dazu kamen die kostbaren Geschenke der Weisen, Gold, Weihrauch, Myrrhe. Die Familie hatte keine Not. Sie blieben so lange im Lande Ägypten, bis die Gefahr vorüber war, und dann gingen sie nach Nazareth zurück. Was danach geschah, kannst du in der Bibel nachlesen. Es macht mich immer glücklich, wenn ich über diese Geschichte nachdenke. Warum? Weil ich weiß, daß dieses Kind Jesus in Bethlehem für die ganze Welt geboren ist - auch für dich und für mich. Du und ich wissen mehr als die Hirten, sogar mehr, als die weisen Männer, die Astronomen, wußten. Wir wissen, daß Jesus am Kreuz für die Sünden der ganzen Welt starb -auch für deine und meine Sünde. Und wenn wir Ihm unsere Sünden bekennen, wird Er sie uns vergeben. Das ist möglich, weil er ja nicht nur für uns starb, sondern - weil er lebt! Als er aus dem Tode auferstanden war, sagte er: Ich bin bei euch bis ans Ende der Welt. Das glaube ich. Ich verstehe es nicht, aber das macht nichts. Denn er ist zugleich bei mir und bei dir und beim Vater im Himmel, und dort setzt er sich für uns ein. Ist das nicht eine Freude? Jesus wird wiederkommen, aber dann nicht als Baby, sondern als mächtiger Herr, der alles neu machen wird. Das Beste kommt noch: Wir werden Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen! Aber jetzt will ich dir nicht noch mehr erzählen. Wenn du alles wissen willst, dann lies die Bibel! Rüben Saillens war ein kraftvoller französischer Evangelist. Als Ergebnis seines Dienstes in Frankreich zu Beginn dieses Jahrhunderts kamen Tausende Franzosen zu Jesus. Man nannte ihn den Spurgeon Frankreichs. Saillens war der Verfasser der bewegenden Geschichte »Der Schuhmacher Martin«. Später erschien sie als eine Erzählung Leo Tolstois. Saillens schrieb deswegen an Tolstoi. In seiner Antwort entschuldigte dieser sich dafür, daß sein Name zu Unrecht unter der Geschichte stand. Er hatte sie tatsächlich übernommen, und zwar aus einer englischen Veröffentlichung. Dieser Brief von Tolstoi existert noch. Wenn später die Verwandten Saillens' um das Abdrucksrecht gebeten wurden, antworteten sie: »Rüben Saillens hat nie das Copyright für die Geschichte in Anspruch genommen. Er wollte ihre Verbreitung nicht einschränken, sie sollte so häufig wie möglich nachgedruckt werden.« Eine Weihnachtsgeschichte »Vater Martin« Sie kennen den Vater Martin nicht? Wenn er auch nur ein armer Schuhmacher ist, so wohnt er doch nicht einsam irgendwo oben unterm Dach. Seine Werkstatt, sein Wohnzimmer, sein Schlafzimmer und seine Küche - das alles befindet sich in einem schmalen Holzhaus, an der Ecke eines Platzes mitten in der Altstadt von Marseille. ^ Hier lebt er das Leben eines Weisen. Er ist weder zu reich noch zu arm, denn er flickt die Schuhe aller Leute in der Nachbarschaft. Erst seit seine Augen altersschwach geworden sind, hat der gute Mann kein einziges Paar neuer Schuhe mehr gemacht. Wenn Sie ihn auch nicht kennen sollten - die Fischer von St. Jean und die Marktfrauen auf dem Platz vor seiner Wohnung kennen ihn gut, und auch die Schlingel von der Grundschule, die mit dem Glockenschlag vier Uhr wie ein Bienenschwarm in seine Werkstatt einfallen. Er hat auf alle ihre Schuhe schon Flicken aufgesetzt, er weiß genau, wo sie drücken. Die Hausfrauen trauen es keinem anderen zu, daß er die Stiefel ihrer Söhne so gewissenhaft repariert, denn die Jungen bringen es fertig, selbst die besten innerhalb von vierzehn Tagen zu zerreißen. Seit einiger Zeit hört man von Vater Martin, daß er fromm geworden ist. Nicht so, daß ihm das Lachen vergangen wäre,- aber seit er zu den »Versammlungen« geht - dort singt man fromme Lieder, und die Leute sprechen über Gott -, hat er sich verändert. Er arbeitet nicht weniger oder schlechter. Im Gegenteil. Aber man sieht ihn nicht mehr wie früher in den Wirtschaften sitzen. Er hat ein großes Buch, und wer durch die schmalen Fenster in die Werkstatt blickt, kann ihn dort häufig darin lesen sehen. Er scheint jetzt glücklicher zu sein als bisher. Vater Martin hat viel Kummer gehabt. Seine Frau starb vor mehr als zwanzig Jahren. Vor zehn Jahren war sein Sohn von einer Seefahrt nicht zurückgekommen. Seine Tochter — er erwähnt sie nicht mehr. Wenn irgend jemand fragt, was aus ihr geworden sei, läuft ein Schatten über sein Gesicht, und anstatt zu antworten, senkt er den Kopf. Aber zu der Zeit, als er nach der Tagesarbeit in die Gastwirtschaft ging, um mit anderen Karten zu spielen, kannte der alte Schuhmacher kaum wirkliche Freude. Heute, wie gesagt, scheint er glücklicher zu sein; das kommt anscheinend von dem großen Buch. Es war Heiliger Abend. Draußen war es kalt und naß, aber in Vater Martins Wohnung war es hell und warm. Er hatte Feierabend gemacht, hatte auch schon seine Suppe gegessen. In seinem kleinen Ofen bullerte das Feuer, und er selbst saß in einem Korbstuhl, die Brille auf der Nase und las: «... denn sie hatten keinen Raum in der Herberge« (Luk 2,7). Er sah auf und dachte nach. »Keinen Raum«, sagte er, »keinen Raum für ihn!« Er sah sich in seiner Stube um. Sie war klein, und, obwohl alles einfach war, doch sauber. »Hier wäre genug Raum für ihn gewesen«, fügte er hinzu, »wenn er nur gekommen wäre! Was für ein Glück müßte das sein: Ihn empfangen! Ich wäre beschämt, und sicher würde ich ihm den ganzen Platz überlassen haben. Kein Raum für ihn! Oh, warum kam er nicht und fragte mich . . .? Ich bin allein. Ich habe niemanden, an den ich denken kann. Und keinen in der Welt, der sich um mich kümmert. Ich würde ihm liebend gern Gesellschaft leisten. Wenn dies das erste Christfest wäre? Wenn der Heiland in dieser Nacht auf die Welt käme? Wie würde ich mich um ihn kümmern! Wie würde ich ihm dienen! Warum offenbart er sich heute nicht mehr so wie früher? Was würde ich ihm geben? Die Bibel erzählt, was ihm die Weisen gebracht haben: Gold, Weihrauch, Myrrhe; von all dem besitze ich nichts. Diese Männer waren reich. Aber die Hirten —was schenkten sie ihm? Darüber wird nichts gesagt. Vielleicht hatten sie gar keine Zeit und konnten sich darum nicht kümmern. Ach, ich wüßte, was ich ihm geben würde!« Er stand auf und griff ins Regal; da standen zwei winzige, sorgfältig verpackte Schuhe. Zwei Babyschuhe. »Ja«, sagte er, »das ist es, was ich ihm geben würde-mein Meisterstück. Die Mutter würde die Schuhe lieben. - Aber was mache ich mir für Gedanken!« Er mußte über sich selbst lächeln. »Nein, was rede ich für einen Unsinn! Wie kann ich mir so etwas einbilden! Als ob mein Heiland meine kleine Wohnung und meine Schuhe brauchte!« Der alte Mann setzte sich wieder hin. Gedankenversunken sah er aus dem Fenster, wo, je später es wurde, desto mehr Menschen auf der Straße zu sehen waren. Die Leute eilten nach Hause. Aber Vater Martin rührte sich nicht, wahrscheinlich schlief er. »Martin«, sprach da eine sanfte Stimme ganz dicht an seinem Ohr. »Wer ist da?« rief der Schuhmacher erschrocken. Aber der Blick nach der Tür war zwecklos. Es war niemand zu sehen. »Martin, du willst mich sehen. Nun, dann schau auf die Straße - morgen - von früh bis spät. Du wirst mich einige Male Vorbeigehen sehen. Versuche mich zu erkennen - denn ich werde dir nicht sagen, wer ich bin.« Nun war es wieder still. Martin rieb sich die Augen. Es war dunkel, seiner Lampe war das Öl ausgegangen. Da schlugen alle Glocken Mitternacht - es war Weihnachten! »Er ist es«, sagte der alte Mann. »Er versprach, an meinem Hause vorbeizugehen. Aber vielleicht war es nur ein Traum! Wenn auch - ich werde ihn erwarten. Ich habe ihn noch nie gesehen, aber ich kenne doch sein wunderbares Bild von all den Kirchen. Ich werde ihn sicher wiedererkennen.« Dann ging Martin zu Bett. Eine ganze Weile beschäftigten ihn noch die seltsamen Worte, die er gehört hatte. Lange vor Tagesanbruch wurde beim Schuhmacher die kleine Lampe angezündet. Er legte mehr Kohlen in den Ofen, der noch nicht ganz ausgebrannt war, und machte sich Kaffee. Dann reinigte er schnell sein Zimmer und setzte sich ans Fenster, um mit dem beginnenden Tag den ersten Passanten zu erwarten. Als der Himmel heller wurde, sah Martin den Stra- ßenkehrer auf dem Platz - von allen Menschen mußte er immer als erster da sein. Martin gönnte ihm nur einen kurzen Blick, er hatte wahrlich Wichtigeres zu tun, als einem Straßenkehrer zuzusehen. Aber draußen schien es kalt zu sein. Die Fenster waren beschlagen, und der Mann stellte schon nach wenigen kräftigen Strichen den Besen wieder hin und versuchte, sich mit noch größerer Anstrengung warm zu halten; er schlug sich die Arme um den Leib und stampfte mit den Füßen. »Der arme Mann«, sagte Martin, »er friert noch immer. Es ist Feiertag heute - aber nicht für ihn. Wie wär's, wenn ich ihm eine Tasse Kaffee anböte?« Und so klopfte er ans Fenster. Der Straßenkehrer drehte sich um, sah Vater Martin hinter der Fensterscheibe und kam näher. Der Schuhmacher öffnete ihm die Tür. »Kommen Sie herein«, sagte er. »Wärmen Sie sich!« »Da werde ich nicht Nein sagen, danke! Was für ein scheußliches Wetter! Man könnte meinen, man sei in Sibirien.« »Mögen Sie eine Tasse Kaffee?« fragte Vater Martin. »Ach, Sie guter Mann! Mit Vergnügen natürlich. Lieber spät als gar keine Weihnachtsmahlzeit.« Der Schuhmacher bediente schnell seinen Gast, dann eilte er ans Fenster zurück und suchte die Straße und den Platz nach Fußgängern ab. »Warum schauen Sie denn nach draußen?« fragte der Mann schließlich. »Ich erwarte meinen Meister«, antwortete Martin. »Ihren Meister? Sie arbeiten für eine Fabrik? Aber wer besucht denn zu solcher Zeit seine Arbeiter! Sie haben heute Feiertag!« »Ich spreche von einem anderen Meister«, erklärte der alte Schuhmacher. »Oh!« »Einen Meister, der jeden Moment eintreffen kann und mir versprach, heute zu kommen. Sie werden ihn kaum kennen, es ist Jesus.« »Ich habe von ihm gehört, aber ich kenne ihn nicht. Wo lebt er?« Nun erzählte Vater Martin dem Straßenkehrer mit wenigen Worten die Geschichte, die er am Abend zuvor gelesen hatte, und fügte noch ein paar Einzelheiten hinzu. Und noch während er sprach, wandte er sich wieder dem Fenster zu. Als der Arbeiter wußte, wer gemeint war, sagte er nachdenklich: »Und Sie erwarten ihn? Ich habe den Eindruck, Sie werden ihn nicht so sehen, wie Sie sich das vorstellen. Aber das macht nichts. Sie haben ihn mir gezeigt. Würden Sie so gut sein und mir Ihr Buch leihen, Herr . . .?« »Martin«, half der Schuhmacher. »Herr Martin, ich versichere Ihnen, Sie haben Ihre Zeit heute morgen nicht vertan, wenn der Tag auch gerade erst begonnen hat. Vielen Dank und auf Wiedersehn!« Der Arbeiter ging und ließ Vater Martin allein. Der saß schon wieder dicht hinter der Scheibe. Später kamen ein paar Trunkenbolde vorbei; der alte Schuhmacher würdigte sie keines Blickes. Danach kamen die Straßenhändler mit ihren kleinen Wagen. Er kannte sie zu gut, um Notiz von ihnen zu nehmen. Aber eine oder auch zwei Stunden später wurden seine Augen von einer ärmlich gekleideten Frau festgehalten, die ein Kind auf dem Arm trug. Sie war so blaß, so mager, daß es das Herz des alten Mannes an-griff. Vielleicht erinnerte sie ihn an seine eigene Tochter. Er öffnete seine Tür und rief ihr nach: »Hallo! Kommen Sie herein!« Die Frau hörte ihn rufen und kam zurück, als sie Vater Martins einladende Handbewegung sah. »Es sieht nicht so aus, als ginge es Ihnen zu gut, meine Hübsche.« (Meine Hübsche war im alten Marseille ein häufig gebrauchter Ausdruck. Man redete damit Fischweiber und Waschfrauen an, alle armen Frauen, die in ähnlichen Umständen lebten, ganz gleich, ob sie jung oder alt waren). »Ich gehe ins Krankenhaus«, sagte die junge Frau. »Ich hoffe, sie nehmen mich mit dem Kind. Mein Mann ist zur See, und ich erwartete ihn in den vergangenen drei Monaten.« »Genauso wie ich meinen Sohn erwartete«, sagte der Schuhmacher. »Aber er kam nicht zurück, und nun habe ich kein Geld mehr, und ich bin krank. Deshalb muß ich ins Krankenhaus.« »Arme Frau«, sagte der alte Mann; sie tat ihm leid. »Sie würden doch sicher gern etwas Brot essen, während Sie sich aufwärmen . . .Nein? . . .Dann aber eine Tasse Milch für das Kleine. Schauen Sie, das ist meine, ich habe sie noch nicht benutzt. Wärmen Sie sich, und geben Sie mir das Kleine. Ich hatte selbst Kinder, es ist Jahre her. Ich weiß, wie man mit ihnen umgeht. Ist das ein hübsches Kind! Was, Sie haben ihm keine Schuhe angezogen? >< »Ich habe keine«, seufzte die arme Frau. »Warten Sie, ich habe ein Paar, die werden passen.« Unter dem Protest und dem Dank der Mutter nahm der alte Handwerker die Schuhe (es waren dieselben, die er gestern abend vom Regal genommen hatte) und zog sie dem Kind an. Sie paßten wie angegossen. Vater Martin konnte den Seufzer nicht zurückhalten, als er sich von seinem Meisterwerk trennte. Für ihn war es solch ein Schatz, und er hatte ihn sein Leben lang gehütet. Nun, sagte er zu sich selbst, sie haben für mich keinen Wert mehr. Damit wandte er sich wieder dem Fenster zu. Er sah so angestrengt hinaus, daß die junge Frau überrascht fragte: »Warum schauen Sie hinaus?« »Ich erwarte meinen Meister«, antwortete Martin. Die junge Frau verstand nicht; oder sie tat nur so. »Kennen Sie den Herrn Jesus?« fragte er sie. »Gewiß«, dabei schlug sie das Kreuz, »es ist noch nicht so lange her, daß ich meinen Katechismus lernte.« »Ich warte auf ihn.« »Und Sie denken, er kommt hier vorbei?« »Er hat es mir gesagt.« »Unmöglich! Oh, wie gerne würde ich bei Ihnen bleiben und ihn auch sehen, wenn das stimmte - aber es muß ein Irrtum sein. Ich muß jetzt gehen, damit ich aufgenommen werde.« »Können Sie lesen?« fragte der Schuhmacher. »Ja.« »Dann nehmen Sie doch dieses kleine Buch mit.« Er legte ihr ein Evangelium in die Hand. »Lesen Sie es sorgfältig. Es wird nicht dasselbe sein, wie wenn man ihn sieht, aber fast, und vielleicht werden Sie ihn später einmal sehen.« Die junge Frau konnte wohl nicht so ganz daran glauben, aber sie nahm das Buch an. Sie dankte und ging, und der alte Mann setzte sich wieder ans Fenster. Stunde um Stunde verging. Ein Passant nach dem anderen kam über den Platz und ging weiter. Der kleine Ofen glühte, und Martin saß in seinem Stuhl am Fenster und schaute hinaus. - Der Meister kam nicht. Er sah einen jungen Priester daherkommen, blond und blauäugig, so wie die Bilder in der Kirche Christus darstellten. Aber gerade, als der Priester an Martins Fenster vorbeikam, hörte er ihn murmeln: »Mea culpa - Meine Schuld!« Sicher würde sich Christus nicht in dieser Weise selbst angeklagt haben. Er konnte es nicht sein. Die jungen Leute, die alten Leute, die Seeleute, die Handwerker, die Hausfrauen, die großen Damen - sie alle gingen vorbei. Eine ganze Anzahl Bettler bat den guten Mann um ein Almosen; von seinem freundlichen Gesicht versprachen sie sich allerhand. Sie wurden nicht enttäuscht. Aber der Meister kam nicht. Seine Augen wurden müde, sein Herz ermattete. Die Tage sind kurz im Dezember. Die Schatten auf dem Platz waren schon lang, und in der Ferne konnte man den Laternenanzünder sehen. In den Fenstern der Häuser gegenüber flammten die Lichter auf, und aus allen Küchen strömte der Duft von gebratenem Truthahn, dem Weihnachtsessen der Einwohner von Marseille. Der Meister kam nicht. Es wurde schließlich Abend, und der Nebel kam. Es hatte keinen Sinn mehr, länger am Fenster zu bleiben. Die letzten Fußgänger verloren sich im Nebel, bevor man ihr Gesicht überhaupt erkennen konnte. Der alte Mann ging traurig an seinen Ofen, um sich sein einfaches Mahl zu bereiten. »Es war ein Traum«, murmelte er. »Aber bis zuletzt habe ich gehofft.« Nachdem er gegessen hatte, öffnete er sein Buch. Er wollte lesen. Aber seine Traurigkeit war zu groß. »Er ist nicht gekommen«, wiederholte er immer wieder. Plötzlich erleuchtete ein übernatürliches Licht den Raum, und ohne daß sich die Tür auch nur einen Spalt geöffnet hätte, war das ganze Zimmer voller Menschen. Der Straßenkehrer war da. Die junge Frau mit dem Kind war da - und alle fragten den alten Mann: »Hast du MICH nicht gesehen?« Danach kamen die Bettler, denen er Almosen gegeben, die Nachbarn, denen er ein gutes Wort gesagt, die Kinder, denen er zugelächelt hatte. Und jeder einzelne fragte das gleiche: »Hast du MICH nicht gesehen?« »Aber wer seid ihr?« fragte der Schuhmacher. Nun beugte sich das Kind auf dem Arm der jungen Frau auf das Buch des Mannes herunter und zeigte mit dem Finger auf die Stelle, wo er es geöffnet hatte. Und er las: »Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mich getränkt; ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt . . . Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.- Und: »Wer eines dieser Kleinen aufnimmt, der nimmt mich auf.- Mein Vater hatte in Amsterdam ein Uhrengeschäft eröffnet. Er war achtzehn fahre alt und begann gleich mit einigen Freunden, eine Sonntagsschule aufzubauen. Als es Weihnachten wurde, überlegten er und die Freunde, wer vor den Kindern und deren Eltern die Festpredigt halten sollte. Man entschied sich für Vater. Er hat die ganze Rede aufgeschrieben. Das war im fahre r878. In einer alten Truhe fand ich das kleine Buch, in das er die Botschaft eingetragen hatte — ich fand es im fahre r976, fast hundert fahre später. Casper ten Booms W eihnachtsbotschaft Hätten die Einwohner von Behtlehem gewußt, wer Joseph und Maria waren und wer das kleine Kind, das von ihr geboren werden sollte - wie gern würden sie einen kleinen Raum für ihn vorbereitet haben! Aber wie es damals war, so ist es oft heute. Viele verlassen den Heiland, der an der Tür ihres Herzens steht und klopft, ohne ihm Beachtung zu schenken. Sie haben keinen Raum für Jesus. Viele sind zu stark mit sich selbst beschäftigt, und sie glauben nicht, daß er der Sohn des lebendigen Gottes ist. Laßt mich euch Ältere fragen - wie steht es mit euch? Auch unter euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Er kam nicht in Majestät als der König der Könige und der Herr aller Herren, sondern er nahm die Gestalt eines Knechtes an. Er kam, um allen Völkern Freude zu bringen und um sie mit Gott zu versöhnen. Er brachte Frieden auf die Erde und will ihn auch in eure Herzen bringen - jenen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Er ist der einzig Eine, der die Menschen von ihren Sünden erlösen kann. Willst du von deiner Schuld freigesprochen und aus den Ketten erlöst werden, mit denen dich der Teufel wie einen Sklaven bindet? Gott ruft dir zu: »Ich habe deine Missetaten weggefegt wie eine Wolke . . . Wenn eure Sünden wie Scharlach wären, sollen sie doch weiß werden wie Schnee; wenn sie rot wären wie Purpur, sollen sie doch werden wie Wolle« (fesaja 44,22; 1,18). Nur die, die ihn als den Einen kennengelernt haben, der sie aus den Händen des Feindes befreit hat, damit sie ihm ohne Furcht, in Heiligkeit und Gerechtigkeit, alle Tage ihres Lebens dienen — nur die können ihm dafür danken - nur sie sind wirklich frei. Ihr wißt ja: Wäre unser Herr tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in euch, ihr wäret doch verloren. Oh, nehmt sein Opfer um eures Lebens willen an - schickt ihn nicht mit der Antwort weg: Kein Raum für dich. Andernfalls könntet ihr Gefahr laufen, daß man, wenn ihr eines Tages Einlaß in das himmlische Jerusalem wünscht, auch zu euch sagt: Kein Raum hier für euch! Dann hat es keinen Sinn mehr zu klagen und zu rufen: »Oh, wenn ich das nur gewußt hätte!« Man erzählt von Viktoria, der Königin von England, daß sie während ihres Aufenthalts in ihrer Sommerresidenz Balmoral gern in einfachen Kleidern durch den Wald wanderte und sich freute, wenn sie unerkannt blieb. Vor einigen Jahren geriet sie während eines solchen Spaziergangs in ein heftiges Unwetter. Als sie eine alte Hütte sah, rannte sie auf sie zu, um sich unterzustellen. In dieser Hütte lebte eine alte Bäuerin allein, die das Haus nur verließ, um nach ihrer Ziege zu sehen und den kleinen Garten zu bestellen. Die Königin grüßte sie und fragte, ob sie ihr einen Regenschirm leihen könne, sie werde auch dafür sorgen, daß er schnell zurückgebracht würde. Die alte Frau hatte die Königin noch nie gesehen, sie hatte also keine Ahnung, wer da bei ihr Unterschlupf gesucht hatte. »Nun«, antwortete sie ziemlich mürrisch, »ich habe zwei Schirme. Der eine ist sehr gut, fast neu. Ich habe ihn kaum gebraucht. Der andere ist alt, er ist nichts mehr wert, den können Sie nehmen; den neuen verleihe ich keinem - wer weiß denn, ob ich ihn jemals zurückbekomme.“ Mit diesen Worten gab sie der Königin den abgetragenen alten Schirm, dessen Stangen nach allen Seiten herausspießten. Die Königin dachte, bei diesem Wetter sei ein schlechter Schirm immer noch besser als gar keiner, und nahm ihn höflich an. Sie dankte der Frau und ging mit einem kleinen Lächeln hinaus. Doch wie groß war der Schrecken der armen alten Frau, als am nächsten Morgen ein Diener in der königlichen Livree eintrat und ihr im Namen der Königin Viktoria den alten Schirm zurückbrachte! Sie lasse danken und versichern, daß er ihrer Majestät gute Dienste geleistet habe, sagte der Überbringer. Wie traurig war die Frau nun, daß sie der Königin nicht das Allerbeste, das sie besaß, angeboten hatte, und wieder und wieder klagte sie: »Wenn ich es nur gewußt hätte! Oh, wenn ich es nur gewußt hätte!« Das ist die Klage derer, die zu spät erkennen, daß an jenem Tage er es sein wird, den alle Augen sehen werden. Heute abend kommt der Heiland nahe zu euch, nicht im königlichen Glanz - den hat er abgelegt. Nein, er kommt als ein armes kleines Kind. Und in dieser bescheidenen Gestalt will er von euch angenommen werden. Wenn ihr es getan habt, werdet ihr eines Tages den König in seiner Schönheit schauen. Dann werdet ihr in heiliger Scheu vor ihm stehen und ausrufen: »Ich wußte es nicht, wie unendlich groß und gut du bist!« Denn was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört noch in eines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben. Hast du ihn angenommen, und kannst du wie der alte Simeon vom Kind in der Krippe sagen: »Meine Augen haben dein Heil gesehen, o Herr!«? Dann wirst du mit Freude dem Beispiel der Hirten folgen und das Wort verkündigen, das über dieses kleine Kind gesagt worden ist. Dann wird das Wort Gottes in deinem Familienkreis einen Ehrenplatz einnehmen. Denn wenn wir selbst den kostbaren Schatz gefunden haben, dann sollen auch unsere Kinder dieses Vorrecht mit uns teilen. Nicht wahr, ihr Eltern, die ihr eure Kinder in unsere Sonntagsschule schickt: Ihr wollt, daß sie in jungen Jahren ihren Heiland kennenlernen! Aber ihr räumt auch ein, daß dazu mehr gehört als eine Stunde Sonntagsschule pro Woche. Wenn es euer aufrichtiger Wunsch ist, daß euer Kind ein kleines Schaf des guten Hirten wird, müßt ihr mit eurem eigenen Leben ein Beispiel geben. Lebt der Friede Gottes in eurem Hause und in eurem Herzen? Sehen es eure Kinder bei euch, wie sie dem Herrn folgen und sich selbst verleugnen sollen? Ein Vater mußte seinem schwerkranken Sohn sagen, daß er bald sterben würde. Der Junge antwortete: »Gut, Vater; dann werde ich vielleicht schon diese Nacht bei Jesus sein.« »Ja, mein Junge«, antwortete der Vater. Er drehte sich schnell um, um seine Tränen zu verbergen. Aber als der Junge sah, wie es seinem Vater schwer wurde, sagte er: »Weine doch nicht, Vater! Sobald ich im Himmel angekommen bin, gehe ich sofort zu Jesus und sage ihm, daß du alles getan hast, um mich zu Jesus zu füh- ren. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hast du das getan.« Vater, Mutter in unserer Mitte heute abend: Würde euer Kind von euch das gleiche sagen können? Wenn nicht, dann gibt es noch eine Gelegenheit, viel zu korrigieren. Beginnt heute abend, indem ihr mit euren Kindern und für sie auf die Knie geht. Der Herr läßt sich von jedem, der ihn sucht, finden. Und wenn ihr es tut, dann wird ihr und euer Weg dem jener Hirten gleichen, von denen es heißt: »Sie gingen zurück und priesen und lobten Gott.« Corries Erinnerungen an vergangene Weihnachten! Nun will ich erzählen, wie Betsie und ich in Holland Weihnachten gefeiert haben. Wir arbeiteten wie ein richtiges Team zusammen und hatten auf acht bis zehn Weihnachtsfeiern zu sprechen. In Clubs, Sonntagsschulen, Krankenhäusern, bei Soldaten, in Kirchen - überall, wo wir eine Gelegenheit dazu bekamen. Die Weihnachtsbescherung bot überall die gleichen Geschenke. Das Festessen bestand aus Christstollen mit Butterguß und Rosinen und einer Tasse heißer Schokolade. Außerdem bekam jedes Kind eine Apfelsine. Es gab damals in ganz Holland nicht die süßen Apfelsinen, wie wir sie heute kennen; und ich erinnere mich noch sehr gut dran, wie sich einem der Mund beim Essen zusammenzog. Aber es war eine Freude, eine spezielle Weihnachtsfreude. Außerdem gab es wenn irgend möglich ein kleines christliches Buch und einen Wandspruch mit einem Bibeltext, der von Blumen und Vögeln umrahmt war. Meistens verteilten wir unsere Aktivitäten so: Bei der ersten Feier erzählte Bctsie die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2, und ich erzählte eine Weihnachtsgeschichte. Bei der zweiten Feier wechselten wir dann. Betsie erzählte eine und ich erzählte die Weihnachtsgeschichte. Während der Weihnachtszeit war in unserer Uhrmacherwerkstatt und im Geschäft natürlich viel Betrieb, und ich weiß noch, wie ich mir, müde von einem arbeitsreichen Tag, auf dem Wege zur Feier vorrechnete: Nummer vier. Noch fünf Abende (oder sechs) — und dann sind wir durch Weihnachten! Ich wußte, daß das falsch war, und betete: »Herr, tu ein Wunder an mir, daß ich nicht erschöpft, sondern froh zu dieser Weihnachtsfeier gehen kann, auch noch zu Nummer zehn! Es sollte doch für jeden Freude bedeuten, daß du in Bethlehem geboren bist! Deshalb müssen Betsie und ich Freude haben, um deine Kanäle sein zu können.« Gott beantwortete jenes Gebet, und all die Jahre, in denen wir die Arbeit taten, geschah das Wunder. So will ich von einem glücklichen und einem traurigen Weihnachten in meinem Leben erzählen. In unserer Beje zu Hause war Weihnachten ein Fest. Mutter und die Tanten besaßen die Gabe, es mit viel Farbe und Festfreude zu erfüllen. Ich erinnere mich an die Ilex- und Mistelzweige, den mit roten Bändern geschmückten Weihnachtstisch, und manchmal gab es sogar einen kleinen Weihnachtsbaum. Tante Jans schenkte ihren Soldaten irnmer ein Weihnachtsbuch; deshalb sandte uns die Buchhandlung eine große Anzahl Bücher zur Auswahl zu. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mich schon als Kind freute, wenn all diese Bücher ankamen und ich sie mitlesen durfte. Der Höhepunkt des Fenstes in der Beje kam, wenn wir uns gegenseitig mit Weihnachtsgeschichten erfreuten und miteinander Weihnachtslieder sangen. Tante Jans konnte eine Geschichte so gut erzählen, daß es unmöglich war, ihr nicht zuzuhören. Ich erinnere mich, daß das eigentliche Weihnachtsgeschehen von ihr und Vater klar hervorgehoben wurde. Vater las die Geschichte aus einem kleinen Buch vor, das nicht nur aus Lukas, sondern auch aus den anderen Evangelien alles zitierte, was zur Geschichte gehörte. Da folgte den zwanzig Versen von Lukas 2 das zweite Ka- pitel des Evangeliums des Matthäus, Propheten wurden herangezogen, aus allem zusammen wurde eine große Geschichte. Und beide, Vater und Tante Jans, machten es uns so klar, daß Weihnachten uns alle angeht. Mich! Jesus kam meinethalben. Jesus war mein Freund, mein Heiland. Weihnachten 1944. Betsie war gestorben. Ich war in der Krankenbaracke von Ravensbrück. In meinem Herzen war es dunkel, und dunkel war es um mich herum. In den Straßen zwischen den Baracken standen Weihnachtsbäume. Warum, weiß ich nicht. Es waren die traurigsten Weihnachtsbäume, die ich je gesehen habe. Ich bin sicher, daß es in gotteslästerlicher Absicht geschah, daß man die Leiber toter Gefangener unter diese Bäume warf. Als ich versuchte, den Mitgefangenen in meiner Nähe etwas von Weihnachten zu erzählen, machten sie sich darüber lustig, sie spotteten und verhöhnten jedes Wort. Zuletzt war ich still. Mitten in der Nacht hörte ich dann plötzlich ein Kind weinen. Es rief: »Mama, komm zu Oelie (sprich: Uhlie)! Oelie ist so allein!« Ich ging hin und sah das Kind. Es war nicht so jung, wie ich dachte. Es war geistig behindert. »Oelie«, sagte ich, »Mama kann nicht kommen. Aber weißt du, wer zu dir kommen will? Jesus!« Das Kind lag auf einer Pritsche dicht am Fenster, nicht weit von meiner Pritsche entfernt. Obwohl es vor Hunger total abgemagert war, hatte es ein liebliches Gesicht, schöne Augen und lockiges Haar. Es war herzbewegend, Oelie nach der Mutter rufen zu hören. Oelie war operiert worden, und den Einschnitt im Rücken hatten sie mit einer Banderole aus Toilettenpapier verbunden. In dieser Nacht erzählte ich dem armen Kind von Jesus. Wie er als kleines Kind in die Welt kam.; wie er kam, um uns von unseren Sünden zu befreien. »Der Herr Jesus liebt Oelie«, sagte ich. »Und er hat Oelies Strafe am Kreuz auf sich genommen. Nun kann Oelie in den Himmel gehen, und Jesus ist auch schon da. Er richtet schon ein kleines Haus für Oelie ein.« Später fragte ich sie einiges, um herauszufinden, was sie behalten hatte. »Was für ein kleines Haus wird das sein?« fragte ich. »Es ist sehr schön. Dort gibt es keine bösen Menschen wie in Ravensbrück - nur gute Menschen und Engel. Und Oelie wird Jesus dort sehen.« Dann fügte das Kind noch hinzu: »Oelie will Jesus bitten, daß er sie tapfer macht, wenn sie Schmerzen hat. Oelie will an die Schmerzen denken, die Jesus erlitten hat, damit er Oelie den Weg zum Himmel zeigen kann.» Dann faltete Oelie ihre Hände. Zusammen dankten wir. Nun wußte ich, warum ich Weihnachten 1944 in Ravensbrück verbringen mußte. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2,1—20 Es geschah aber in jenen Tagen, daß eine Verordnung vom Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis einzuschreiben. Diese Einschreibung geschah als erste, als Cyrenius Statthalter von Syrien war. Und alle gingen hin, um sich einschreiben zu lassen, ein jeder in seine Vaterstadt. Es ging aber auch Joseph von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, hinauf nach Judäa, in Davids Stadt, die Bethlehem heißt, weil er aus dem Haus und Geschlecht Davids war, um sich einschreiben zu lassen mit Maria, seiner Verlobten, die guter Hoffnung war. Und es geschah, als sie dort waren, wurden ihre Tage erfüllt, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn und wik-kelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Raum für sie war. Und es waren Hirten in derselben Gegend, die auf freiem Feld blieben und des Nachts Wache hielten über ihre Herde. Und siehe, ein Engel des Herrn stand bei ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umleuchtete sie, und sie fürchteten sich mit großer Furcht. Und der Engel sprach zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die für das ganze Volk sein wird. Denn euch ist heute in Davids Stadt ein Erretter geboren, welcher ist Christus, der Herr. Und dies sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.« Und plötzlich war bei dem Engel eine Menge der himmlischen Heerscharen, die Gott lobten und sprachen: »Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen (seines) Wohlgefallens!« Und es geschah, als die Engel von ihnen hinweg in den Himmel auffuhren, daß die Hirten zueinander sagten: »Laßt uns doch hingehen nach Bethlehem und diese Sache sehen, die geschehen ist und die der Herr uns kundgetan hat.« Und sie kamen eilends und fanden Maria und Joseph und das Kind in der Krippe liegend. Als sie es aber gesehen hatten, machten sie das Wort bekannt, das über dieses Kindlein zu ihnen geredet worden war. Und alle, die es hörten, verwunderten sich über das, was ihnen von den Hirten gesagt wurde. Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten zurück, priesen und lobten Gott über alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie es ihnen gesagt worden war. Weitere Bücher Corrie ten Booms: Kleines Haus mit offenen Türen Meine Jugendjahre in Harlem 176 Seiten, Paperpack, ABCteam Bd. 130 Die Zuflucht C. ten Boom erzählt aus ihrem Leben, 1892 - 1945 240 Seiten, Paperpack, ABCteam Bd. 51 Mit Gott durch dick und dünn Weltreisende mit guter Nachricht, 1945 - 1975 176 Seiten, Paperpack, ABCteam Bd. 52 Gefängnisbriefe Täglich geschehen hier Wunder 72 Seiten, Paperpack, ABCteam Bd. 65 Dennoch Gottes Liebe bleibt 160 Seiten, R. Brockhaus Taschenbuch Bd. 3 Besiegte Feinde Vom Sieg über die Mächte der Finsternis 56 Seiten, R. Brockhaus Linienbuch Bd. 13 Im Zentrum seines Willens Über Führung und Nachfolge 48 Seiten, R. Brockhaus Linienbuch Bd. 17 Freu dich - Das Beste kommt noch Vom Leben in der Endzeit 48 Seiten, R. Brockhaus Linienbuch Bd. 15 R. BRÜCKHAUS VERLAG WUPPERTAL zÄleam R. Brockhaus Taschenbuch Band 269 Weihnachten mit Corrie ten Boom. Es liegt der Glanz echter Weihnachtsfreude über diesen Erinnerungen -ein Stück Leben in längst vergangener Zeit, das die ten Boom-Familie mit Freunden und Fremden teilte. Und wie jedes neue Buch Corrie ten Booms ist auch dieses ein Gespräch mit dem Leser. Ein Stück Begleitung bietet sie ihm mit der Einladung an, vergangene Weihnachten mit ihr noch einmal zu erleben. ISBN 3-417-20269-8