Eckart zur Nieden

Mein Name ist Markus

1979

Abschrift des Hörspiels „Mein Name ist Markus“ aus einer Sendung des Evangeliums-Rundfunks.

 

Mein Name ist Markus, zu Deutsch: der Hammer. Johannes Markus, wohnhaft in Jerusalem, das heißt, eigentlich in Alexandria. Nun, ich bin fast so etwas wie ein Weltbürger geworden, man könnte höchstens sagen, dass ich meinen ersten Wohnsitz in Jerusalem habe. Nur gelegentlich kehre ich dorthin zurück. Ich hätte mir ja nie träumen lassen, dass ich mich einmal so von meiner Heimat lösen würde.

Ich bin einer von denen, die sich nicht recht wohl fühlen, wenn sie nicht ihren eigenen Schornstein rauchen sehen. Das hat mir auch anfangs manche Schwierigkeiten gemacht. Später habe ich ein bestimmtes Image bekommen: Markus, der Mann der Tat. In der Symbolik hat man mir sogar einen Löwen zugeordnet. Ich muss sagen, das schmeichelt mir sehr, aber ich kann es mir nicht erklären, vielleicht weil mein Name Markus so „markisch“ klingt? Vielleicht, weil ich Jesus in meinem Evangelium als den Mann der Tat geschildert habe? Und da meint man eben, da wäre was von meinem eigenen Wesen eingeflossen. Das stimmt überhaupt nicht. Gerade weil ich so wenig von dem Heldenhaften an mir hatte, hat mir die Gestalt Jesu imponiert. So wie er mich beeindruckt hat, habe ich ihn geschildert. Weiter nichts. Wenn es aber wirklich so sein sollte, dass ich das Bild eines mannhaften Gottesstreiters abgebe, dann muss ich bekennen, das das allein Gottes Werk ist. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Verstehen sie mich recht: Ich sage das nicht aus frommer Bescheidenheit oder weil wir in unseren Kreisen es eben so gewöhnt sind, keinen Ruhm für uns zu ernten und in allem Gott die Ehre zu geben, sondern es ist wirklich so. Es lässt sich beweisen. Ich war ein Feigling. Ein zaghafter Randsiedler, der ersten christlichen Gemeinde. Gott aber hat mich aus der Sofaecke geholt. Er hat mich zu einem Streiter in seinem Reich gemacht. Er ganz allein. Die Entwicklung dahin ging allerdings über eine lange Zeit. Da war viel seelsorgerliche Hilfe nötig, viel Geduld der Brüder. Manche Rückschläge hat es gegeben. Aber unser Herr gibt nicht auf. Dafür bin ich ein wandelndes Beispiel. Aber nun genug der Vorrede, ich will endlich zu meiner Geschichte kommen. Sie begann im Haus meiner Mutter. Es war sicherlich für meine ganze Lebensgeschichte von Bedeutung, dass meine Mutter, Maria, ein großes Haus besaß. Da sie zu den Frauen gehörte, die Jesus und seine Jünger finanziell unterstützten, lag es natürlich nahe, dass wir sie oft zu Gast hatten. Ich erlebte das alles mit, in räumlicher Nähe aber innerlicher Distanz. Ich war damals noch sehr jung, fast eher ein Kind als ein Mann. Neugier zog mich zu all den Dingen hin, die sich da ereigneten, aber nicht im tieferen Sinn ein geistliches Bedürfnis. Sicher war es auch der erzieherische Einfluss meiner Mutter, die mein Interesse weckte, aber viel stärker noch die Faszination, die von Jesus ausging. Es ist ja bekannt, dass junge Leute sich nach Vorbildern ausstrecken und dieser Mann aus Nazareth war in der Tat ein Leitbild, wie es sich ein Halbwüchsiger nur wünschen kann. Eine unerklärliche Güte ging von ihm aus. Man fühlte sich immer zugleich verunsichert und geborgen. Es war einfach unmöglich in seiner Gegenwart so zu bleiben wie man war. Immer wusste man sich auf geheimnisvolle Weise gemeint, wenn er sprach, so als spräche er nur für einen selbst. Ich habe ihn nicht sehr oft gesehen, aber die wenigen Male sind mir unauslöschlich in Erinnerung geblieben. Am lebendigsten aber ist mir die Erinnerung an seine Gefangennahme. Ich hatte schon geschlafen, wie sich das für einen wohlerzogenen Jungen gehört, da erwachte ich von einigem Tumult zu Hause. Es hatte schon die vergangenen Tage etwas in der Luft gelegen, das auf eine dramatische Zuspitzung der Ereignisse hindeutete. Ich wollte nichts verpassen, schnell warf ich mir das Leinentuch über mit dem ich mich auf meinem Lager in der nackten Haut zugedeckt hatte, es war ja warm und rannte hinaus. Jesus und seine Jünger gingen wieder in Richtung Ölberg. Sie übernachteten dort immer, hatte meine Mutter gesagt. Sie wusste aber nicht genau, wo. Die Neugier tritt mich hinter ihnen her. Im schwachen Sternenlicht fiel mir gar nicht auf, das nur elf der Jünger bei Jesus waren, das merkte ich erst später. In der Ölbaumpflanzung Getsemaneh jenseits des Kidron-Tales machten sie Halt. Ich konnte nicht näher heranschleichen, wenn ich nicht entdeckt worden wollte, so wartete ich ab. Nach längerer Zeit bemerkte ich viele Lichter, die von der Stadt herüberkamen. Irgendetwas Dramatisches schien sich anzubahnen. Ich kroch noch tiefer in mein Versteck, dann waren sie da. Tempeldiener und Leute des Hohenpriesters. Sie waren bewaffnet mit Schwertern und Spießen. Fackeln erleuchteten die Szene. An der Spitze der Schaar: Judas. Mir stockte der Atem, bei dem was sich nun abspielte. Judas gab Jesus, der den Häschern entgegentrat einen Kuss. Das war offensichtlich ein Zeichen. Die Männer griffen nach ihm. Petrus zog sein Schwert und verletzte einen der Männer. Jesus sprach, einige der Tempeldiener stürzten zu Boden, aber der Meister nutzte nicht etwa die Gelegenheit, zu fliehen. Im Gegenteil: Er heilte den Verletzten und ließ sich dann willig gefangen nehmen. Das war den Jüngern unheimlich: Kämpfen wollten sie noch für ihren Herrn, aber sich wehrlos gefangen nehmen lassen… Sie schlugen sich rasch seitlich in die Büsche und suchten im Schutz der Dunkelheit das Weite. Das war wohl auch nicht so ganz im Sinne der Pharisäer und ihres Trupps. Man begann den Garten systematisch zu durchsuchen und da erst wurde mir die Gefahr bewusst, in der ich schwebte. Wenn sie mich hier entdeckten, musste ich ja da mit hineingezogen werden. Ich sprang auf und wollte fliehen, da packte mich aber einer, der in der Nähe stand. Zum Glück erwischte er nur den leinenen Überhang. Ich ließ das Tuch los und rannte nackt davon. Das Leinen habe ich nie wieder gesehen. Aber, der Verlust war zu verschmerzen. Ich möchte jedenfalls das Erlebnis in dem nächtlichen Garten nicht missen.

 

Und ein anderes Erlebnis ist mir noch sehr deutlich vor Augen. Es war, nachdem Jesus gekreuzigt und wieder auferweckt und in den Himmel aufgefahren war. Die Gemeinde sammelte sich nur heimlich im Haus meiner Mutter, nachts, wenn es dunkel war, trafen sie ein, in kleinen Trupps, um nicht aufzufallen. Nur auf ein bestimmtes Klopfzeichen wurde das Tor geöffnet. Ich fand das alles verständlicherweise ungeheuer spannend, andererseits teilte sich mir diese geheime Furcht mit. Weil ich damals noch nicht den lebendigen Glauben an Jesus hatte, dem alle Macht gegeben ist, ängstigte ich mich. Als Jakobus, der Bruder von Johannes enthauptet worden war, nahm die Angst zu. Aber merkwürdig, die Jünger waren überhaupt nicht ängstlich. Man sollte doch meinen, dass wenigstens Johannes, der Bruder des Ermordeten und Petrus, engster Freund zurückgezogen hätten. Aber gerade die beiden waren die mutigsten Bekenner. Mich beeindruckte das ungeheuer. Und ich begann etwas von der Kraft zu ahnen, die Gott seinen Leuten gibt. Ja mehr noch: ich verlangte danach, auch diese Kraft kennen zu lernen. Herodes fühlte sich herausgefordert, als die Apostel so mutig auftraten und sich nicht einschüchtern ließen. Er ließ Petrus verhaften und für einen der folgenden Tage seine öffentliche Verurteilung und Hinrichtung festsetzen. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, mit welcher Inbrunst die Gemeinde in unserem Haus betete. Die Sache war doch hoffnungslos, da noch länger zu beten, war reine Zeitverschwendung, fand ich. Zumal ja auch Jakobus nicht durch das Gebet hatte gerettet werden können. Plötzlich wurde das Gebet, mitten in der Nacht, durch Klopfen am Tor unterbrochen. Rode, unsere Magd, ging um nachzusehen. Nach kurzer Zeit kam sie wieder und stammelte überglücklich, Petrus stände draußen. Niemand wollte das glauben, das Wunder schien ihnen allen nun wohl doch zu groß. Erst ein nochmaliges drängendes Klopfen brachte ihnen in Erinnerung, dass jetzt eigentlich nicht der rechte Augenblick für theologische Diskussionen war. Sie öffneten, und tatsächlich: Petrus stand draußen. Alle wollten sich auf ihn stürzen und ihn jubelnd begrüßen, er aber winkte mit der Hand, dass sie still sein sollten, erzählte kurz die Geschichte seiner wunderbaren Befreiung durch einen Engel und verschwand dann wieder, damit man ihn hier nicht finden sollte. Verstehen Sie, dass ich von all dem so betroffen war, dass ich den Entschluss fasste, nun nicht mehr länger als Zuschauer am Rande zu stehen, weil ich nun eben in das Haus gehörte. Ich wollte auch zur Gemeinde Jesu gehören, ja, ihm selbst wollte ich gehören. Denn dass hatte ich gemerkt, dass die Gemeinde nicht eine Schar von Leuten war, die nur die Lehren eines leider verstorbenen Meisters pflegen und hochhalten wollten. Nein, Jesus war selbst lebendig unter ihnen, wenn auch unsichtbar. Ich habe ja das Ereignis von Pfingsten aus unmittelbarer Nähe miterlebt und begriffen: Hier ist der Herr wieder lebendig zu seinen Leuten gekommen, für die er vorher gestorben war. Aber so etwas muss man eben nicht nur mit dem Verstand begreifen, man muss es ergreifen. Wie konnte das aber bei mir geschehen?

 

Was lag näher, als Petrus danach zu fragen, der ja bei uns ein und ausging. Der musste es schließlich wissen. Das tat ich dann auch und er half mir bei dem entscheidenden Schritt. Darum hat er mich später immer gerne seinen Sohn genannt, seinen geistlichen Sohn.

 

So völlig anders von nun an meine innere Haltung war – ich war nun ein Kind Gottes – ich gehörte jetzt Jesus, so wenig änderte sich zunächst äußerlich. In der Gemeinde war ich ja schon fast zu Haus gewesen und auch was meinen Lebenswandel betrifft, war keine völlige Umstellung nötig, war ich doch ein wohlerzogener Sohn aus gutem Hause, sogar ein Levit. Wenn doch nur all die guten und charaktervollen Menschen begreifen könnten,  wie weit entfernt sie von der Gotteskindschaft sein können. Wie gut aber, dass Christus jeden aufnimmt, das er keinen Versager ausschließt. Mir selbst ist das so wichtig, weil ich gerade am Anfang meines Lebens mit ihm so versagt habe. Noch heute schäme ich mich dessen. Aber ich weiß, dass der Herr mit vergeben hat und darum kann ich die Geschichte auch getrost erzählen, ich will mich ja nicht besser machen als ich bin, gerade das ist das schlimmste was ein Christ tun kann.

 

Die Sache begann so. In Antiochien hatte sich eine große christliche Gemeinde gebildet. Sie war vielleicht in mancher Hinsicht lebendiger als die Gemeinde in Jerusalem. Dort hatte ein Prophet eine wirtschaftliche Notzeit angekündigt, die sich besonders in Judäa auswirken sollte. Mann sammelte daraufhin und schickte das Geld durch zwei Männer nach Jerusalem. Einer von ihnen war Paulus, der früher, damals noch unter den Namen Saulus, die Gemeinde energisch verfolgt hatte, bis ihn Christus überwand. Der andere war mein älterer Vetter Josef aus Zypern, der allgemein nur Barnabas genannt wurde. Als die beiden wieder nach Antiochien ziehen wollten, bestürmte ich meinen Vetter, mich doch mitzunehmen. Ich war ja noch nie aus Jerusalem herausgekommen und wollte wenigstens einmal Antiochien sehen, diese große Metropole, in der es außerdem so eine lebendige Gemeinde gab. Barnabas nahm’ mich mit. Es entstand zwischen uns eine Freundschaft, die über die verwandtschaftliche Bindung hinausging. Als wir einige Zeit in Antiochien waren, wurde den führenden Männer dort durch den heiligen Geist klar, dass sie nicht unter sich bleiben, sondern die Botschaft von Jesus Christus auch zu denen bringen sollten, die bisher noch nichts davon gehört hatten. Paulus und Barnabas wurden für diese Aufgabe bestimmt. Die beiden suchten noch einen jungen Helfer, der ihnen, wenn sie ihre ganze Kraft auf Verkündigung und Gebet konzentrieren mussten, in mancherlei äußeren Belangen zur Hand gehen konnte. Barnabas schlug mich vor. Ich sagte zu und bald bestiegen wir ein Schiff und fuhren nach Zypern. Ich sagte wohl schon, dass ich eigentlich an meinem Zuhause hänge, aber war es die Abenteuerlust(?), die ich trotzdem mitgingen ließ oder war es einfach das Wissen, dass ich etwas für Jesus tun sollte(?), jedenfalls fuhr ich mit etwas gemischten Gefühlen. In Zypern ging dann alles noch recht gut. Wir hatten sogar Eingang in den höchsten Kreisen. Der römische Provinzverwalter empfing uns und war tief beeindruckt von dem, was Paulus und Barnabas sagten.

Noch mehr davon, dass Paulus seinen Hof-Astrologen als Strafe für seine dunklen Machenschaften für eine begrenzte Zeit Blindheit ankündigte. Als das dann so kam, waren alle von Gottes Macht überzeugt, und das war wohl auch der Sinn. Der Konsul wurde gläubig. Man kann sich denken, dass wir es gut hatten auf der freundlichen Insel unter einer uns wohl gesonnenen Regierung. Aber aus einem, mir damals völlig unerfindlichen Grund drängte Paulus weiter. Schließlich fuhren wir wieder nach Kleinasien hinüber zur Hafenstadt Perge. Und dort – ja es hilft nicht, lange darum herumzureden – ich ging stiften. Ich trennte mich von den beiden und fuhr auf eigene Faust nach Jerusalem zurück. Natürlich könnte ich es mir bequem machen und das Ganze mit jugendlicher Unreife entschuldigen, natürlich gab es reichlich Gründe dafür. Wir kamen in das raue Bergland, die Macht Roms war hier nur sehr begrenzt, weil auch die Römer sich hier nicht sehr gerne in dieser unbequemen Gegend aufhielten. Straßenüberfälle waren hier an der Tagesordnung, die Leute pflegten ihre Meinungsverschiedenheiten lieber mit Handgreiflichkeiten als mit Worten auszutragen, was ja auch Paulus später am eigenen Leib erfahren musste. Ein bisschen mag auch bei meinem Entschluss mitgewirkt haben, dass ich mir zu schade war, für einen unbeachteten Hilfsdienst, während alle Leute immer nur von Paulus und Barnabas sprachen. Ich fiel dabei gar nicht auf, dabei war ich doch auch jemand, kam aus einer der ersten Familien in der Urgemeinde in Jerusalem, hatte – im Gegensatz zu den beiden – Jesus bei seinen Lebzeiten als Mensch selbst gesehen und mit seinen Jüngern engen Kontakt gehabt. Heute weiß ich natürlich, das das alles ziemlich unsinnige Gedanken sind. Gründe hatte ich reichlich für meine Flucht, aber sie sind keine Entschuldigung. Im Gegenteil: Meine Feigheit und mein Hochmut klagen mich an.

Nun, es ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Im Gegenteil – die Sache hatte noch weit reichende Folgen. Als ich später zur Besinnung gekommen war, habe ich um Vergebung gebeten. Bei meinen Herrn und Brüdern, vor allen aber bei meinem himmlischen Herrn. Als Paulus dann mit Barnabas zu einer erneuten Reise aufbrechen wollte, schlug mein Vetter vor, mich wieder mitzunehmen. Da aber war Paulus strikt dagegen. Sie gerieten hart aneinander, was damit endete, dass Paulus mit Silas nach Kleinasien zog, Barnabas aber mit mir nach Zypern. Ich verstehe Paulus natürlich in seiner Reaktion. Wir sind auch später wieder in ein gutes brüderliches Verhältnis eingetreten. Ich konnte wieder mit ihm zusammenarbeiten und die Sache war vergeben und vergessen. Er hat sogar später öffentlich gesagt und geschrieben, dass ich ihm für seinen Dienst nützlich wäre. Ich erzähle Ihnen dass auch nicht, um einen alten Groll aufzuwärmen, sondern um deutlich zu machen, welche Veränderung Jesus bei mir bewirkt hat. Vielleicht ist das Wort „Veränderung“ auch gar nicht der richtige Ausdruck, ich habe gar nicht etwa das Gefühl, ich sei über jene Schwäche längst hinaus – im Gegenteil: Im Grund bin ich auch heute noch auf der einen Seite stolz und eingebildet auf der anderen Seite feige und zurückhaltend. Kurz: ein Versager. Aber weil Christus mehr und mehr die Herrschaft über mich bekommen hat, hält er all das unter Kontrolle. Ich bin von ihm abhängig. Ich muss nicht nach meinen eigenen Regungen handeln, nach Angst und Ich-Sucht, die immer noch da sind, sondern ich lasse mich von ihm leiten.

 

Aber bis dahin hatte der Herr noch einige Arbeit mit mir und so sehr ich Paulus verstehe mit seiner Ablehnung, es war mir doch eine große Hilfe, dass Barnabas es noch einmal mit mir versuchte. Wie gut, wenn man jemanden hat, der da ist, wenn man strauchelt, der einem wieder zurecht hilft und einen ermuntert, wieder die ersten Schritte vorwärts zu tun. Aber der auch weiß, das solch eine Betreuung eine Grenze haben muss, wenn man den anderen nicht gängeln will. Und da war Barnabas ein guter Seelsorger. Er hielt mich nicht bei sich fest, sondern sorgte dafür, dass ich auch wieder an anderen Front-Abschnitten des Reiches Gottes zum Einsatz kam. So kam dann auch wieder die brüderliche Verbindung zu Paulus zustande und so wurde ich vor allem ein enger Mitarbeiter von Petrus. Darüber freute ich mich natürlich besonders. Mit ihm – meinen geistlichen Vater – verband mich ein besonders herzliches Verhältnis. Längere Zeit war ich mit ihm auf Reisen und dann in Rom. Ich war sein Dolmetscher, sein Schreiber und… das darf ich wohl sagen…auch einfach sein Bruder, der ihm zur Seite stand, wenn er mutlos werden wollte. Viel mehr aber als er von mir, habe ich von ihm geistliche Hilfe erfahren. Ungezählte gemeinsame Erlebnisse haben uns näher zusammen gebracht. Haben uns aber vor allem beide näher zu Jesus gebracht. Er ist ja der Mittelpunkt unseres Lebens. Es geht im Grunde nicht um unsere Gemeinschaft untereinander, sondern in erster Linie um unsere Gemeinschaft mit Jesus. Ihn müssen wir alle mehr und mehr kennen lernen. Wir merken bei unserem Dienst, wie wichtig es war, dass die Christen, die früher keine Juden, sondern Heiden gewesen waren, mehr von Jesus erfuhren. Überall mussten wir unsere Erlebnisse mit ihm erzählen, vor allem natürlich Petrus. Die Zeit reichte kaum, mit unseren Berichten in alle Gemeinden zu kommen – und es war ja so viel zu erzählen. Da kam der Gedanke auf, alles das, was wir mit Jesus erlebt hatten, nieder zu schreiben. So konnte es aufbewahrt, abgeschrieben und überall vorgelesen werden. Ja, und diese Aufgabe viel mir zu. Manches konnte ich aus eigener Erfahrung aufschreiben, das meiste aber übernahm ich natürlich von Petrus. Einen zuverlässigeren Augenzeugen als ihn gab es ja wohl kaum. Daraus wurde dann die Schrift, die Sie als das Markus-Evangelium kennen. So ist also mein Name in die Geschichte eingegangen. Ein Name, der es eigentlich gar nicht Wert gewesen wäre. Wer bin ich denn schon? Ein Mann, der von sich aus, sicher zu keiner historischen Großtat fähig gewesen wäre. Aber mein himmlischer Vater hatte es in seiner Güte so beschlossen, dass ausgerechnet ich das erste Evangelium schreiben durfte. Später übrigens haben dann auch andere den Gedanken übernommen und noch etwas ausführlicher die Geschichte Jesu niedergeschrieben. Levi oder Matthäus, der ja auch zu den Zwölf gehörte, dann Lukas, der Arzt, der mit Paulus unterwegs war und zuletzt noch Johannes, als er schon ein Greis war. Ich freue mich darüber. Jeder hat andere Dinge für wichtig angesehen, hat manches anders in Erinnerung gehabt. So rundet sich das Bild viel besser ab, dass sich alle, die das lesen, von Jesus machen können. Unvollständig bleiben all diese Berichte natürlich immer noch. Man kann einfach den Eindruck, den Jesus auf uns gemacht hat, nicht in Worten wiedergeben. So viele Jahre ist es nun schon her und doch ist mir sein Bild vor Augen, als sähe ich ihn jetzt. Solch einen unauslöschlichen Eindruck hat er bei mir hinterlassen. Aber von der Erinnerung allein kann ich natürlich heute nicht leben. Wie gut, dass er heute noch gegenwärtig ist. Dass mir heute seine Kraft zufließt. Ein Leitbild, dass ich als halbwüchsiger hatte, hätte mich sicher nicht so prägen können, wie es der Auferstandene selbst getan hat und noch tut. Nur er, der durch seinen heiligen Geist in mir wohnt, konnte aus einem feigen Versager einen brauchbaren Gottesstreiter machen. Nur er konnte mir auch die Kraft geben, nachdem dem Petrus in Rom den Märtyrertod gefunden hatte, allein weiter zu kämpfen. Nun hatte ich meinen väterlichen Freund nicht mehr, aber ich hatte einen Vater im Himmel. Ich suchte auch bewusst nicht die anderen, um nun mit ihnen gemeinsam zu wirken, etwa Paulus auf seinen Reisen durch das Mittelmeer und alle angrenzenden Länder, Johannes in Ephesus, Jakobus, der Bruder des Herrn in Palästina, Thomas sogar im fernen Indien. Sie alle blieben ja auch nicht beieinander um von den alten Zeiten zu schwärmen und sich gegenseitig zu stärken, sondern sie zogen hinaus und erwarteten die Stärkung von Jesus. Sie erfüllten damit seinen Befehl. Das wollte ich auch tun. Ja und so zog ich dann – der ehemals heimwehkranke Jugendliche – als Erwachsener, als im Glauben gewachsener nach Ägypten. Dort in Alexandria, in einem Kulturkreis, der sich sowohl von dem jüdischen als auch von dem römischen unterschied, gründete ich in der Kraft des Christus eine Gemeinde und wurde Bischof. Ja, damit ist meine Geschichte eigentlich schon zu Ende erzählt. Ob ich Ihnen damit ein bisschen Mut machen konnte? Mut, mit der Kraft Christi zu rechnen. Mut, seiner Führung zu vertrauen. Mut, seine Gnade in Anspruch zu nehmen, die auch noch die Nieten in seinem Reich gebrauchen kann. Ich sagte, meine Geschichte hätte ich Ihnen erzählt, aber ich sollte eigentlich zutreffender sagen: Die Geschichte Jesu mit mir.