65. Bibelkurs                                                                                                                            BK 65

 

                Wer ist Jesus Christus? I

                               Teil 1: Jesus als Mensch

 

            Die religiösen Angebote werden in unserer Zeit immer zahlreicher. Die Bibel sagt, dass Jesus der einzige Weg zu Gott ist. Aber viele reden auch von Jesus – und meinen doch einen anderen Weg. Deshalb ist es heute nötiger als je, Jesus zu kennen, wie die Bibel Ihn uns zeigt.

I. Warum ist es für Christen wichtig, Jesus Christus gut zu kennen? Es geht in der Bibel nicht so sehr darum, dass wir uns Wissen über Christus aneignen – obwohl das auch nötig ist. Aber das Entscheidende ist, dass wir Christus kennen lernen, weil wir Gottes Sohn gleich wer-den sollen. Das ist ein hochgestecktes Ziel – aber das ist wirklich der Plan Gottes mit den Christen. In einem berühmten Kapitel des Apostels Paulus stellt er es deutlich heraus – in Römer 8: „Alle, die Gott auserwählt hat, ... sollen Seinem Sohn gleich werden.“ (Römer 8, 29) Wer einen Anfang mit Christus gemacht hat, wird erfahren, dass Gott in seinem Leben auf dieses Ziel hinarbeitet. Dazu sollen sowohl Schwierigkeiten, Probleme und Enttäuschungen als auch Erfolgserlebnisse mithelfen. Das sagt der Apostel im Vers vorher (Römer 8, 28): „Wir wissen, wenn jemand Gott liebt, muss alles dazu beitragen, dass er das Ziel erreicht, zu dem Gott ihn nach Seinem Plan berufen hat.“ – und der Plan Gottes ist: wir sollen Jesus ähnlich werden. Deshalb ist es wichtig, das Charakterbild Jesu zu studieren – denn in dieses Bild sollen wir verwandelt werden. – Der britische Theologe Selwyn Hughes gibt seit 40 Jahren eine Bibelstudienserie heraus, die viel gelesen wird (- in 20 Sprachen übersetzt, - 1/2 Mio. Leser in aller Welt), mit dem Titel „Jeder Tag mit Jesus“. In einem Heft für Glaubensanfänger (für 53 Tage; Louis Palau benützt es am liebsten bei seinen Evangelisationen) unter dem gleichen Titel beschreibt er am ersten Tag das Ziel: „Gott möchte, dass du und ich Jesus ähnlich werden. Gottes höchstes Ziel besteht nicht darin, uns zu Missionaren, Predigern, Ärzten oder Lehrern zu machen – wir sollen vielmehr Seinem Sohn ähnlich werden. Alles andere muss diesem vorrangigen Ziel untergeordnet werden. Weil dies das Hauptziel ist, müssen wir uns ernsthaft damit befassen.“ - Dieses Hauptziel begegnet uns mehrmals in der Bibel, wodurch die Wichtigkeit dieses Themas nur noch mehr hervorgehoben wird.

·         Im ersten Kapitel der Bibel steht, dass Gott den Menschen zu Seinem Bild geschaffen hat.
“Gott schuf den Menschen zu Seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf ER ihn.“ (1. Mose 1, 27) Das ist der Grundgedanke bei der Erschaffung des Menschen: der Mensch soll ein Ebenbild Gottes sein. Leider ist dieses Bild durch die Sünde zerstört worden (1. Mose 3). Jesus wurde von Gott als Mensch auf unsere Erde gesandt und hat die Ebenbildlichkeit Gottes wiederhergestellt. Der Apostel schreibt: „Christus ist der Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Ebenbild Seines Wesens.“ (Hebräer 1, 3) Wenn wir also dem Sohn Gottes gleich werden, wie das Paulus in Römer 8 beschreibt, dann gelangt der ursprüngliche Plan Gottes zur Durchführung. Aus der Gottebenbildlichkeit wird die Jesusebenbildlichkeit. Im Neuen Testament finden wir mehrmals diesen Gedanken.

·         Der berühmteste Christus-Hymnus im Neuen Testament beginnt mit den Worten: „Ein jeder sei gesinnt wie Jesus Christus auch war.“ (Philipper 2, 5). Dies ist die genaue Übersetzung der griechischen Worte, wie sie auch in vielen anderen Übersetzungen, auch den englischen, verwendet wird. Ähnlich schreibt es auch der Apostel Petrus: „Weil Christus gelitten hat, so wappnet euch auch mit demselben Sinn“. (1. Petrus 4, 1) Wenn wir die Gesinnung Jesu übernehmen sollen, müssen wir sorgfältig das Verhalten Jesu in den Evangelien studieren.

·         In dieselbe Richtung weist auch, dass wir Jesus nachfolgen sollen – das steht 70 mal in den vier Evangelien. Jesus nachfolgen bedeutet: in Seine Fußstapfen treten, denselben Weg wie ER gehen, Seine Art übernehmen, in Seiner Nähe bleiben (wenn der Abstand zu Ihm zu groß wird, verliere ich Ihn aus den Augen – und dann verirre mich). Deshalb werden die Christen oft einfach die Nachfolger Jesu genannt. Für sie ist ER das Vorbild: sie reden, denken, handeln – wie ER!

·                    Auch das Wort Jünger unterstreicht das noch einmal. 264 mal steht das griechische Wort dafür - „mathetés“ – in den Evangelien. Es bedeutet wörtlich: der Lernende, der Schüler. (Das Wort „lernen“ steht 25 mal in den Evangelien). Die Nachfolger Jesu gingen also gleichsam bei Jesus in die Schule. Sie lernten von Ihm aus den Gesprächen mit Ihm, aus Seinem Verhalten, aus Seinen Reden und Wundern. Sie waren drei Jahre lange jeden Tag – rund um die Uhr – mit Ihm zusammen. Da kann man wirklich viel lernen! – In einem berühmten Wort sagt Jesus: „Kommt her zu Mir alle, die ihr Probleme und Lasten habt und frustriert seid ... und lernt von Mir!“ (Matthäus 11, 28+29). Wer die ganze Welt zu sich einlädt, alle Problemfälle unter den Menschen zu sich ruft, - der muss wahrlich einen großen Reichtum in Reserve haben – denn Jesus ist überzeugt, dass ER jedem helfen kann, der zu IHM kommt, - ganz egal, wie groß auch die Probleme sind! - Bei Christus lernten die Jünger den Willen Gottes erkennen und ihn dann auch tun. Sehr oft haben sie dabei von Christus Korrektur erfahren. Aus Fehlern kann man lernen – aber es ist nötig, dass wir Einen haben, der uns sagt, was das Richtige ist. Das kann man am besten bei Jesus erfahren. – Bei Jesus haben die Jünger nicht nur die Lehre aufgenommen (wie die Rabbinen-Schüler) sondern sie lernten bei Jesus einen ganz neuen Lebensstil. Paulus hat das mit anderen Worten so formuliert: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Denkens und eurer Gesinnung...“ (Römer 12, 2) Ähnlich schreibt Paulus an die Christen in Ephesus, die er vor dem Rückfall in ihr altes Leben warnt und mit den Worten ermahnt: “Ihr habt Christus so nicht kennen gelernt.“ (Epheser 4, 20). Wenn wir das Leben Jesu studieren, dann sollen wir davon inspiriert werden. Unser Lebensstil soll dem von Jesus gleich werden. Das ist der Wille Gottes mit den Christen. Wir werden – wie die Jünger – viel Korrektur brauchen, aber es geht einem großen Ziel entgegen. Da lohnt sich die Anstrengung. Nirgendwo steht in der Bibel, dass dieses Ziel nicht erreichbar wäre.

·         Dieses Ziel ist erreichbar, - nicht mit größter eigener Anstrengung – sondern dadurch, dass Jesus selbst uns dabei hilft. Das geschieht, wenn Christus in uns lebt, - gleichsam als unsere innere Kraftquelle, als unser geheimer Motor. Christus lebt in uns, wenn wir IHN aufnehmen – wie Johannes schreibt (Johannes 1, 12: „Wie viele Ihn aber aufnahmen, denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden“). Bevor wir IHN aber aufnehmen, muss unser Haus (unser Herz) „entrümpelt“ werden: die eigene Sünde erkennen, bereuen, bekennen – das ist vor der Aufnahme notwendig. Das übersehen viele und kommen deshalb geistlich nicht voran. – Wegen dieser sehr wichtigen Aktion kam Jesus auf die Erde und ging den schweren Weg ans Kreuz – damit eine Vernichtung der Sünde geschehen kann. Wenn die Sünde vergeben ist, dann zieht Jesus ein – mit allen himmlischen Schätzen, wie es einem großen König ansteht: ER bringt Frieden, Freude und Kraft mit – und gerade diese Seine Kraft ermöglicht es uns, Sein Charakterbild (ein Lieblingsausdruck des bedeutenden Theologen Martin Kähler in Halle) in uns zu realisieren.

   Zur Verdeutlichung dieses Geschehens sei Paulus zitiert mit Worten aus dem Epheserbrief: „In uns, den Gläubigen, wirkt dieselbe starke Kraft, die Gott bewiesen hat an Christus, als ER Ihn auferweckte von den Toten“ (Epheser 1, 19+20 – Übers. Albrecht) Jetzt können wir verstehen, dass das große Ziel – Jesus ähnlich werden – erreichbar ist, denn die Auferstehungskraft ist eine große Kraft, die weder unsere Physiker noch unsere Mediziner und Psychologen kennen. Sie ist eine ganz außergewöhnliche Macht, die den Gläubigen zur Verfügung steht. Deshalb konnte der große dänische Denker Sören Kierkegaard (der oft zur Schwermut neigte) sagen: „Es muss ja alles gut werden, weil Christus auferstanden ist“ – Weil diese Kraft so groß ist, kann mit ihr jedes Hindernis überwunden werden. Denn wer mit dem Tod fertig wird, der wird mit allem anderen erst recht fertig.

   Von daher versteht man auch, dass der Apostel Paulus sehr, sehr oft (164 mal) die Christen beschreibt als Menschen, die „in Christus“ sind, - die „in dem HERRN“ sind. In Römer 16 verwendet Paulus diese „Formel“ (die kürzeste „Formel“ für die Beschreibung eines Christen, sagte ein großer Theologe) zehn Mal bei der Aufzählung einer Namensliste. Wenn jemand klagt, dass er nichts von der Kraft Christi spüre, dann ist wohl die Frage angebracht: Ist ein Bekenntnis und eine Vergebung der Sünden geschehen? Darüber nachdenken – das ist eine sehr wichtige Angelegenheit! – Wer die Sache mit der Schuld und Sünde an den Rand schiebt oder schnell und nur oberflächlich erledigt, wird nie die Kraft des Auferstandenen er-fahren. Christus zieht erst ein, wenn die Sünde ausgeräumt ist. Aber wenn Er eingezogen ist, ist auch die Kraft da, Ihm ähnlich zu werden. - Um Hilfe zu bekommen, ist in manchen Fällen deshalb eine Beichte anzuraten.

·         Wenn wir Christus in den Evangelien kennen lernen, sollten wir nie vergessen, dass ER heute noch genau derselbe ist. ER hat sich nicht geändert. Wie ER in verschiedenen Geschichten in den Evangelien geschildert wird, - genau so handelt ER auch heute!Jesus Christus ist gestern, heute und in alle Ewigkeit immer derselbe.“ (Hebräer 13, 8) – Nach Seiner Auferstehung war Jesus 40 Tage lang mit Seinen Jüngern zusammen. Diese sechs Wochen festigten bei den Jüngern die Gewissheit, dass Jesus immer noch der Gleiche ist, wie sie IHN in drei Jahren kennen gelernt hatten. Diese Erinnerung war für später wichtig, wenn Jesus nicht mehr leiblich unter ihnen lebte. – Übrigens hat sich Jesus während dieser 40 Tage nur den Gläubigen gezeigt, - keinem Ungläubigen! – Seinen Gläubigen wollte ER damit eine Glaubenshilfe geben.

·         Wir wollen auch nicht vergessen, dass wir Christen nach Seinem Namen, nach Christus, genannt werden. Das sollte ein kleiner Tipp für uns sein, dass eigentlich unsere Mitmenschen  in uns Christus entdecken sollen, - wenn wir schon nach Seinem Namen genannt sind.

 

II. Es gibt noch einen anderen Grund, warum wir Christus gut kennen sollten: Jesus ist die bedeutendste Persönlichkeit, die auf unserer Erde gelebt hat. – Aus Anlass der Jahrtausendwende hielt John Stott in London eine Vortragsreihe unter dem Titel: „Der unvergleichliche Christus“. Zur Einführung sprach der engl. Erzbischof von Canterbury und zitierte ein berühmtes Wort eines anonymen Autors: „Alle Armeen, die jemals marschierten, - alle Kriegsflotten, die je über die Meere segelten, - alle Parlamente, die jemals tagten, - und alle Könige und Herrscher, die jemals regierten, haben – alle zusammengenommen - unser Leben auf der Erde nicht so sehr geprägt wie das einzigartige Leben von Jesus Christus.“ Als 18-jähriger Kriegsgefangener erhielt ich 1945 unter den 42.000 Kriegsgefangenen in dem großen Lager Foucarville bei Cherbourg neben anderem ein Jesus-Bild (durch den YMCA), auf dessen Rückseite der vollständige Text des erwähnten Zitats war (eine Kurzbeschreibung des Lebens Jesu).

 

  Diese Einmaligkeit Jesu wird durch verschiedene Fakten noch unterstützt:

·         Die Jahreszahlen bei jeder Datumsangabe – fast in der ganzen Welt – werden seit 1500 Jahren nach Christus gerechnet. Bis 525 n.Chr. hat man die Jahre nach dem Regierungsantritt der römischen Kaiser berechnet. Dann berief der Papst einen mathematisch begabten Mönch, um Ordnung in das Wirrwarr der Jahreszahlen zu bringen. Dieser Mönch entschied: wir dürfen unsere Jahre nicht nach blutrünstigen Kaisern (wie Diokletian) berechnen, die die Christen verfolgten – wir zählen sie nach Christus, weil ER der HERR über alles ist. Seitdem spricht man vom Anno Domini (= „im Jahr des HERRN“). Bei der Mondlandung hinterließen die amerikanischen Astronauten auf dem Mond ein Schild mit dem Datum: AD 20.7.1969. – Diese Zeitregelung ist bis heute geblieben. Das bedeutet: Jede Jahreszahl in Zeitungen, Bibliotheken, Verträgen, Büchern, Briefen in der ganzen Welt erinnert uns an Christus. – Antichristliche Kräfte – z.B. in der franz. Revolution 1789 – versuchten, eine neue Zeitrechnung einzuführen, was aber bald wieder aufgegeben wurde. Es ist kaum zu erwarten, dass die gängige Regelung jemals geändert werden wird.

·         Auch die Astronomie hat die Christus-Orientierung übernommen. Seit Jahrhunderten gibt es für jeden der neun Planeten, die um die Erde kreisen, ein graphisches Zeichen. Das Zeichen für den Planeten Erde ist das Kreuz auf der Erdkugel. Bei fünf weiteren Zeichen (Merkur, Venus ♀, Jupiter, Saturn, Neptun) wird das Kreuz mit verwendet. Diese eindeutig christlichen Zeichen werden in der wissenschaftlichen Literatur in allen Ländern der Welt verwendet.

(Es empfiehlt sich, die Planeten-Zeichen – im Lexikon! - hier nachzutragen. Der PC hat nur das Zeichen für Venus.)

 

III. Der große Einfluss von Christus in der Geschichte

  Das erste Thema, um das in der jungen Kirche 4 Jahrhunderte lang gerungen wurde, war das Thema: Christus. Schon Paulus warnte die Korinther: „Wenn einer zu euch kommt und einen anderen Jesus predigt, den wir nicht gepredigt haben...“ (2. Korinther 11, 4). Es gab in der Kirche zwei Strömungen, die eigenes Gedankengut (nicht aus der Bibel begründet) verbreiteten: die einen sagten, dass Christus nur Mensch war (nicht Gott). Das vertrat Arius und erhielt großen Zulauf. Die andere Richtung betonte: Christus ist nur Gott – und übersah, dass „das WORT Fleisch geworden ist.“ Das wurde vor allem im Osten gepredigt. Erst das Konzil von Chalzedon (481n.Chr.) bei Konstantinopel, mit 500 Bischöfen, hat Klarheit geschaffen mit dem Ergebnis: Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. – Das ist uns heute selbstverständlich, aber damals wurde in vier Konzilien über 125 Jahre lang darum erbittert gekämpft. Daraus erkennt man, dass es der jungen Kirche ungeheuer wichtig war, wer Christus nach der Schrift wirklich ist. Denn an Christus hängt unsere Erlösung. – Es war der heilige Geist, der immer Jesus verherrlichen will (Johannes 16, 13+14) und der hier unsichtbar Seine Kirche „in alle Wahrheit“ leitete. - Diese Bekenntnisse haben auch die Reformatoren übernommen. (Spätere Streit-Themen waren: Staat und Kirche, Glaube und Werke, Abendmahl, Taufe und viele andere).

·         Einer der stärksten Einflüsse auf die Kultur des Abendlands und der westlichen Zivilisation ging

von den Klöstern des Benedict von Nursia aus (529 wurde Monte Cassino gegründet). Sechs Jahrhunderte lang (bis ins 12. Jh.) haben die Benediktiner im Abendland gearbeitet. Ihr Grund-satz „Bete und arbeite!“ ist zum Segen für Europa geworden. Benedikts Regel (= die Lebens-ordnung in 73 Kapiteln für das Leben in den unabhängigen Klöstern) ist christozentrisch. Das Leben des Mönchs soll ein Leben für Christus sein. Die acht Gebetszeiten, bei denen viele Psalmen verwendet werden, umfassen täglich 3 bis 4 Stunden Gebet. Der ganze Psalter wird in einer Woche durchgebetet! Die Psalmen betrachten sie als Gebete zu Christus. Die Arbeit wird als Gottesdienst gesehen. Ein namenloses Heer von Missionaren und Missionarinnen hat das ganze Leben in den Dienst der Liebe gestellt. Sie arbeiteten in den Wäldern, auf Äckern und Weinbergen – und in Werkstätten und Bibliotheken. Auf das Lesen der Heiligen Schrift wurde viel Zeit verwendet, so dass man weite Teile auswendig konnte, die man dann bei der Handarbeit halblaut wiederholte. (Das war auch ein Schutz gegen Zerstreuung und Müßiggang). Schon das Alte Testament betont das „Murmeln“ der göttlichen Worte (siehe Psalm 1, 2: „sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht“ – „nachsinnen über“ = „murmeln“). Dadurch soll eine allmähliche Umgestaltung in Christus erfolgen. – Auf diese Weise hat also Christus unsere abendländische Geschichte geprägt, was heute leider oft übersehen wird.

·         Auch für die Reformatoren war Christus das Zentrum ihres Glaubens. M. Luther schreibt in der Römerbriefauslegung: „Hier ist die Türe weit offen, um die Heilige Schrift zu verstehen, d.h. alles muss im Verhältnis zu Christus verstanden werden. – In der ganzen Schrift geht es überall um Christus!“

·         Aus neuerer Zeit ist William Wilberforce in England als ein großer Christuszeuge im politischen Bereich zu nennen. Durch ihn erfolgte die Abschaffung der Sklaverei. Er war ein überzeugter Christ. Er hielt sich immer vor Augen, dass er einmal vor dem Richterthron Christi stehen würde, um seine Arbeit zu verantworten. Mit 21 Jahren kam er 1780 ins Parlament in London. Nach 7 Jahren stellte er zum ersten Mal einen Antrag auf Abschaffung der Sklaverei. Die späteren Anträge wurden immer wieder abgelehnt. Aber er gab nicht auf. Endlich – nach 45 Jahren – wurde sein Antrag 1833 mit überwältigender Mehrheit im Unter- und Oberhaus angenommen. Drei Tage später starb er. Christus war die Triebkraft bei einem Parlamentarier, damit nach 1800 Jahren endlich die Sklaverei aufhörte.

Es ließen sich noch viele Beispiele aufführen, die beweisen, dass von Christus eine außergewöhnlich Kraft und Faszination ausgeht. Sogar seine Gegner wurden in Seinen Bann gezogen. Wie lässt es sich sonst erklären, dass der ungläubige Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein 1972 ein Buch schrieb mit dem Titel: „Jesus Menschensohn“, wo er die Gottessohnschaft Jesu ablehnte. Bischof Dietzfelbinger kommentierte: „Auch Menschen, die gottlos geworden sind, kommen nicht los von Jesus.“ - Christus ist eine unvergleichliche Persönlichkeit in der Geschichte. Das geben auch jene zu, die sich nicht zu Seinen Nachfolgern zählen. – Nun wollen wir die vier Evangelien befragen, was sie uns über Christus zu sagen haben – zunächst über Jesus, den Menschen.

 

IV. Jesus – als Mensch.

Von der äußeren Erscheinung Jesu wissen wir überhaupt nichts. Von Sokrates, Julius Cäsar, Augustus haben wir Bilder, aber von Jesus nicht. Sein Äußeres war anscheinend den ersten Christen nicht wichtig, viel wichtiger waren ihnen Seine Reden, Seine Taten, Sein Charakter, Sein Verhalten. Das ist dem Trend unserer Zeit ganz entgegengesetzt. Heutzutage wird auf Aussehen großer Wert gelegt. – Der Liederdichter Gerhard Tersteegen (1697-1769) war ein sehr frommer Christ, den auch Goethe schätzte. Aber es gibt von ihm kein Bild. Er ließ sich von niemand malen. Das ist ein Zeichen seiner großen Demut. – Wie schildern uns die Evangelien Jesus als Mensch?

·         Jesus war ein Mann voller Tatkraft. Bei Ihm waren die Tage oft sehr gefüllt. Oft strömten die Menschen in Scharen zu Ihm, Kranke und Besessene, um bei Ihm Hilfe zu erfahren (Markus 1, 21-35). Manchmal kam Er kaum zum Essen (Markus 3, 20). ER hat Entbehrungen, Strapazen wie et-was Selbstverständliches ertragen. ER verlangte eine volle Hingabe des Lebens (Matthäus 10, 37), verzichtete auf „Ansprüche“ eines bequemen Daseins (Matthäus 8, 20). ER kam, um zu dienen, nicht, um sich dienen zu lassen (Markus 10, 45). Seine Leidenstage zeigen Seine körperliche Leistungsfähigkeit: durchwachte Nächte, lange Verhöre ohne Beistand, erbarmungslose Geißelung. – In unserer Zeit wird viel Wert gelegt auf Bequemlichkeit, Wellness (=Wohlergehen) und Freizeit, - das ist eine andere Welt! - Für Christen ist Christus auch im Alltagsleben ein Vorbild.

·         Jesus zeigte große Unerschrockenheit – vor allem in der Auseinandersetzung mit Seinen Gegnern (Matthäus 21, 23-32). „Die Zöllner und Huren sind besser als ihr“ rief Er den religiösen Machthabern zu. Er kümmerte sich nicht um Urteile von Menschen, war frei von ängstlicher Rücksichtnahme. ER verkehrte nicht nur mit Zöllnern sondern berief auch einen Zöllner in Seinen engsten Jüngerkreis. (Matthäus 9, 9). – Es gibt nicht wenige, für die am meisten Gewicht hat, „was die Leute sagen“ - „was man allgemein tut“ - „was die meisten denken“ – das ist meilenweit von den Prinzipien Jesu entfernt.

·         Seine Freundlichkeit hat viele Menschen angezogen. Trotz aller schweren Kämpfe hatte ER

ein Herz voll Liebe und Anteilnahme. Er konnte gut mit Kindern umgehen (Markus 10, 13-16). Aus innigem Mitleiden sorgt Er für das hungernde Volk (Matthäus 15, 32), gibt Er der Witwe ihren Sohn wieder (Lukas 7, 13), weint Er über Jerusalem (Lukas 19, 41) – und auch beim Tode des Lazarus (Johannes 11, 35). Eine laute Fröhlichkeit kann man sich bei Ihm kaum denken. Otto Borchert schreibt in seinem vielgelesenen Jesus-Buch „Der Goldgrund des Lebensbildes Jesu“ (1916): „Bei Jesus ist die Spannung zur Sünde zu groß gewesen, als dass Scherz und Spaß sich bei Ihm hätten einfinden können.“

·         Eine Seelenruhe begegnet uns bei Jesus, wie sie in unserer hektischen Zeit immer seltener wird. Besonders deutlich wird das beim Sturm auf dem See Genezareth (Markus 4, 35-41). Draußen wüten die Wasserwogen, drinnen im Schiff zittern ratlos die Jünger – ER aber kann schlafen. ER hat einen tiefen inneren Frieden. ER weiß: Gott lenkt alles Geschehen im Universum, - den Weg der Sterne und den Zug der Wolken, das Schicksal der Sperlinge und das Wachstum der Lilien. Alles geschieht gemäß Seinem Willen, alles muss Seinen Zielen dienen. Gott wird kein Ereignis zulassen, das nicht zu unserem Besten dient. Gott benützt im Leben Seiner Kinder nur das, was Er im voraus als gut für das Leben jedes Einzelnen befunden hat. – Wir können dieselbe Seelenruhe haben wie Jesus, denn wir haben den gleichen himmlischen Vater, der ein allmächtiger Gott ist. Dieser Vater sorgt für Seinen Sohn genau so wie für alle, die zu Seinen Kindern gehören, - die zu Jesus eine lebendige Beziehung haben. Jesus sagt: „Wie Mich Mein Vater liebt, so liebe Ich euch auch“ (Johannes 15, 9 – und der Vater liebt uns genau so. Spurgeon sagt es kurz und bündig: „Die Angst überlassen wir denen, die keinen himmlischen Vater haben.“ – Wir leben in einer hektischen Zeit, da können wir nicht aussteigen. Umso nötiger ist es, dass wir uns immer wieder erinnern: „Mein Gott regiert die Welt, ER steht hinter mir, ER unterstützt mich. ER hat viel Kraft und viel Weisheit.“ Diese Gewissheit gibt innere Ruhe.

·         Jesus konnte leidenschaftlich sein. Das sehen wir bei der „Tempelreinigung“ in Jerusalem (Johannes 2, 13-17). Die meisten Leute tragen in sich das Bild eines „milden“, „sentimentalen“ Jesus, der großzügig und nicht „kleinlich“ ist. Wenn es um Gottes Ehre, um Gottes Gebote ging, dann konnte bei Jesus heiliger Zorn aufflammen. Die Jünger wurden sofort an den Psalm 69 erinnert: „Der Eifer um Dein Haus hat mich gefressen“ und an Jesaja 56, 7: „Mein Haus soll ein Bethaus sein!“ Gegenüber den Pharisäern – den Vertretern der „Kirche“ - gebraucht Er die schärfsten Worte: „Ihr Heuchler, ihr Narren und Blinden, ihr Schlangen und Otterngezüchte“. (Matthäus 23). Jesu Zorn war frei von persönlicher Gereiztheit. Auch unsere Leidenschaft muss „geheiligt“ sein, - gereinigt von Hassgedanken.

·         Jesu geistige Gaben. Mehrmals wird in den Evangelien darauf hingewiesen, dass Jesus ein außerordentlich begabter Redner war und mit überwältigender Vollmacht auch vor Tausenden (ohne Lautsprecher!) sprach (Matthäus 7, 28+29; Johannes 7, 44-46). Manchmal war das Haus überfüllt, wo Er sprach (Markus 2, 2), oft „traten sie sich untereinander“ (Lukas 12, 1) – oder Er musste in ein Schiff treten, um von dort zu den Massen zu reden. Wenn Er in die Einöde floh, strömten Ihm Tausende nach und vergaßen dabei die Sorge um Essen und Trinken (Markus 4, 1; Markus 6, 33; Markus 8, 2). Jesus war ein Volksredner wie selten einer – aber kein Demagoge. ER sprach einfach. Sinnspruch (ähnlich unserem Sprichwort) und Gleichnis (Markus 4, 34) waren Seine hauptsächlichsten Darstellungsformen. Das Entscheidende aber war der Inhalt Seiner Rede. ER sprach stets aus dem unmittelbaren Erleben heraus – oft nach einem Gespräch mit Gegnern. Wir lesen nie etwas von einer Vorbereitung auf Seine Reden.

·         Bei Seinen vielen Gleichnissen merken wir: Jesus ging mit offenen Augen durch die Welt. ER beobachtet das gemeinsame Wachsen von Unkraut und Weizen, das verschiedene Schicksal von Samenkörnern auf dem Ackerboden (Matthäus 16, 1-3; Matthäus 13, 1-30). ER freut sich an der Schönheit der Natur und sieht zugleich hinter allem Naturgeschehen das Walten Seines Vaters im Himmel. Nichts ist Ihm im Alltagsleben zu klein, um nicht beobachtet und durchdacht zu werden (der Sauerteig, der Lappen auf dem alten Kleid). Wer so genau unseren Alltag beobachtet, der verdient auch unser Vertrauen, wenn ER als Zeuge von der unsichtbaren Welt spricht.

·         Jesus kennt die Menschen. ER macht nicht den Fehler vieler Psychologen, die Menschen in „Schubfächern“ einzuteilen. ER nimmt jeden persönlich und sucht den „wunden Punkt“ bei ihm herauszufinden (der reiche Jüngling Markus 10; Nikodemus Johannes 3; die Samariterin Johannes 4). Jesu reiner Blick durchschaut die Menschen bis in die verborgenen Winkel ihres Herzens. Jede ernste Beschäftigung mit Jesus braucht auf unserer Seite eine völlige Wahrhaftigkeit – sonst bringt uns eine Begegnung mit IHM nicht weiter.

 

 

9. April 2005                          Pfr. Gerhard Hägel, Bobengrün