H Brunnen Die Medien- Christen und die Publizistik Brunnen Verlag Gießen/Basel © 1994 Brunnen Verlag Gießen Umschlaggestaltung: Helmut Pfindel Umschlagfotos: BGEA, epd, idea (Harald Krille), PRS/Bundespostministerium (2) Satz: Christlicher Anzeigen-Verlag Wetzlar Gmb! Herstellung: Hubert & Co., Göttingen ISBN 3-7655-5724-2 Gewidmet Horst Marquardt, dem „ Vater" der evangelikalen Publizistik in Deutschland, zum 65. Geburtstag Inhalt 1. Vorwort von Helmut Matthies 7 2. „Mehr Evangelium in den Medien!" 11 Erfahrungen in 45 Jahren Medienarbeit (Horst Marquardt) 3. Vor dem Jahr 2000 18 Wünsche an eine christliche Medienarbeit (Horst Marquardt) 4. Anspruch und Wirklichkeit 26 Die Kirche und die Massenmedien (Peter Kollmar) 5. Eine Brücke zwischen Kirche und Welt 39 Von der Aufgabe christlichen Rundfunks (Jürgen Werth) 6. Wächst Deutschland zu langsam zusammen? 45 Fernsehen: Die Zuschauer haben einen großen Einfluß (Henning Röhl) 7. Wenn Gott verramscht wird 53 Kirche und Journalisten (Uwe Siemon-Netto) 8. Der Medienmarkt boomt Zur Situation kirchlicher Publizistik (Edgar Sebastian Hasse) 9. Glaubensschwund und Medienmüll Der religiöse Buchmarkt in Deutschland (Hans Steinacker) 10. Viel Wind um wenig Blätter? 91 Der evangelikale Blätterwald und seine Auswirkungen (Stephan Volke) 57 76 11. Ethik im Journalismus 104 Theologische Thesen aus evangelikaler Sicht (Rolf Hille) 12. Ein Journalist will nach Wittenberg 110 Kirchliche Journalisten und das SED-Regime (Gerhard Besier) 13. „Probleme? - Wir haben Bücher zur Lösung" 116 Der evangelische Buchhandel in der Krise (Klaus Rösler) 14. Wider das Wehklagen 122 Journalisten als Propheten? (Peter Hahne) 15. Ein Wunder Gottes 126 Wie christlicher Privatfunk in Deutschland begann (Hanni Lützenbürger) 16. Ein frommer Sender 136 Der Evangeliums-Rundfunk heute (Klaus Krämer) 17. Auf, in die Medien! 143 Die Konferenz Evangelikaler Publizisten (Ulrich Eggers) 18. Ins Wasser geworfen 152 Wie man heute Journalist wird (Wolfgang Baake / Peter Fischer) 19. Gegen den Strom 156 Zwei Jahrzehnte kirchliche Alternativpublizistik: idea (Wilhelm E. Winterhager) 20. Was ist Wahrheit? 173 Wie ein Medienmann Christ wurde (Horst Marquardt) 21. Die Autoren 175 Vorwort Wir leben heute in einer Zeit, in der die Massenmedien Presse, Funk und Fernsehen eine so große Rolle spielen wie nie zuvor: Niemals haben so viele Menschen so viel zu lesen, zu hören und zu sehen bekommen wie in der Gegenwart. Die Zeit, in der sich jeder Deutsche im Durchschnitt mit Medien beschäftigt (fast 36 Stunden pro Woche), nähert sich der Stundenzahl, die er arbeitet: 37,5. Dies mag man beklagen, aber der Trend dürfte von Christen und Kirchen nicht aufzuhalten sein. Nichts bestimmt das Leben der Menschen so sehr wie die Massenmedien. In immer mehr Familien ist das Fernsehen bereits zum Babysitter und Erzieher geworden. Schulkinder sitzen im Durchschnitt die Woche über länger vor dem Fernseher als im Unterricht. Während ein Pfarrer einen kleinen Teil seiner Gemeinde über den Gottesdienst noch eine Stunde pro Woche beeinflussen kann, stehen dem knapp 16 Stunden Einwirkung allein durch das Fernsehen gegenüber, von Radio, Büchern, Zeitungen und Zeitschriften ganz abgesehen. Anstatt darüber - wie häufig unter Christen - zu jammern, wäre es besser, diese Situation als Flerausforderung anzunehmen, Bürger in so großer Zahl mit der christlichen Bot- schaft zu erreichen, wie dies durch die traditionellen kirchlichen Angebote nicht mehr möglich ist. Doch diese Chance wird weithin leider noch nicht gesehen oder sogar geleugnet. Die ständige Kritik lautet, über elektronische Medien könne man nicht missionieren, ja, man sollte es gar nicht erst versuchen. Auch abgesehen von oft fehlenden missionarischen Elementen liegt generell - von Ausnahmen besonders in Bayern und Württemberg abgesehen - die praktische Medienarbeit der Landes- und Freikirchen im argen. Kirchliche Fernsehsendungen haben in der Regel eine sehr geringe Einschaltquote. Christen sehen sie häufig deshalb nicht, weil sie ihnen zu wenig fromm sind, und Atheisten fragen sich bei nicht wenigen Sendungen, was das Ganze denn mit Religion zu tun habe. Der kirchliche Zeitungsmarkt hat in den letzten 25 Jahren seine Auflage halbiert. Einige Blätter werden pro Exemplar im Jahr mit mehr als 100 Mark aus Kirchensteuermitteln subventioniert. Welch ein Mißbrauch von anvertrauten Geldern! Was wäre, wenn ... Bisher hat die Kirche keine Kraft gefunden, sich in ihrer publizistischen Arbeit so neu zu besinnen, wie dies angesichts der desolaten Lage notwendig wäre. Führt erst ein massiver Rückgang der Kirchensteuereinnahmen zu einer Kurskorrektur? Die kirchliche Medienarbeit sollte sich zu schade sein, nur auf Zwang hin zu einer Wende fähig zu sein. Schon wenn man einmal zwei Jahre lang sämtliche Subventionen für christliche Blätter einstellen würde, könnte sich herauskristaiiisieren, was eigentlich von den Kirchenmitgliedern und den sonstigen Bürgern noch erwünscht ist. Aber zu dieser selbstkritischen Infragestellung ist man aus Selbsterhaltungsgründen nicht bereit, fordert das Gleiche aber in Kommentaren immer wieder von Parteien und anderen gesellschaftlichen Organisationen. Dabei geht es in der Medienarbeit nicht um einen Spezialauftrag einiger weniger, sondern darum, ob Christen und Kirchen bereit sind, dem Auftrag ihres Herrn zu folgen, allen Menschen seine Botschaft mitzuteilen und Orientierung im ethischen Chaos der Gegenwart zu bieten. Wenn die Bürger aber heute über Gottesdienste, Kirchentage und anderes nicht mehr in großer Zahl erreicht werden, sind die Christen von ihrem Auftrag geradezu verpflichtet, über die üblichen Veranstaltungen hinaus das zu nutzen, worüber heute alle Menschen intensiv erreicht werden: die Medien. Das erfolgreichste Alternativunternehmen Einer, der dies als einer der ersten erkannt hat, ist der in Berlin geborene Pastor und Journalist Horst Marquardt. Weil im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr wenig von der christlichen Botschaft vorkam, baute er zusammen mit anderen von 1960 an den Evangeliums-Rundfunk allein durch Spenden zu einer großen Rundfunkanstalt auf, die täglich rund eine Million Hörer im deutschsprachigen Bereich hat. Weil in den Presse- und Informationsdiensten der Kirchen nur wenig von Evangelisation, Mission und den kirchlichen Erneuerungsbewegungen zu lesen war, gründete er 1970 idea. Weil der Dachverband Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) Mission nicht als eine Funktion kirchlicher Medienarbeit sehen konnte, rief er 1975 einen Dachverband evangelikaler Medienaktivitäten, die Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep), ins Leben. Gleichzeitig bündelte er europaweit und international publizistisch-missionarische Aktivitäten im Rahmen der Evangelischen Allianz und der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation. Es gibt nur wenige publizistische Aktivitäten im evangelikalen Raum, die nicht von ihm zumindest mitinspiriert worden wären. In einem Intellektuellenblatt hieß es, was Horst Marquardt geleistet habe, sei „das wohl erfolgreichste Unternehmen der auf die Herausforderung der Kulturrevolution von 1968 antwortenden konservativen Alternativpublizistik". Das alles schuf Marquardt ohne großen Rückhalt bei seiner eigenen oder bei anderen Kirchen, allein durch Überzeugungskraft, Motivation und unsagbaren Fleiß. Aus Anlaß seines 65. Geburtstages legen Medienleute aus Landes- und Freikirchen dieses Buch vor - eine Bilanz nicht nur der Werke, die von Marquardt gegründet wurden, sondern des protestantischen Medienschaffens weit darüber hinaus. Nicht nur ihnen ist für ihre Mühe zu danken, sondern auch allen anderen, die mit der Herstellung des Buches betraut waren, insbesondere dem Christlichen Anzeigen-Verlag unter Leitung von Reinhard Freitag, dem Designer Helmut Pfindel und den Mitarbeiterinnen Elisabeth Passarge, Damaris Poppendieker, Ursula Schoberth und Brigitte Seifried. Mein Dank gilt ebenso dem Brunnen Verlag, der bereit war, in kurzer Zeit dieses Buchprojekt zu verwirklichen. Helmut Matthies „Mehr Evangelium in den Medien!" Erfahrungen in 45 Jahren Medienarbeit Ohne sein Engagement ist evangelikale Publizistik in Deutschland nicht vorstellbar: Horst Marquardt. 1960-ein halbes Jahr nach der Gründung - übernahm er die Verantwortung beim Evangeliums-Rundfunk (ERF), einer der ältesten privaten Rundfunkanstalten in Deutschland mit mittlerweile fast einer Million Hörern. Zuvor war er zwei Jahre Pastor der Evan-gelisch-methodistischen Kirche in Berlin und vier Jahre in Wien. 1970 rief Marquardt den Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea) ins Leben. Er ist seither dessen Vorsitzender. Bei der Gründung der Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep) 1975 in Stuttgart hat er entscheidend mitgewirkt. Sein zweiter Wirkungsbereich ist die Evangelisation: Marquardt leitet den Deutschen Zweig der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation, neben der Evangelischen Allianz einer der beiden internationalen evangelikalen Dachverbände. Auch zählt er zum Verwaltungsrat der Deutschen Bibelgesellschaft und war jahrelang „Wort zum Sonntag"-Sprecher. Seit Anfang 1994 ist er Internationaler Direktor für Europa, den Nahen Osten und Afrika der mit dem ERF verbundenen Radiomissionsgesellschaft Trans World Radio (TWR) und Vorstandsmitglied des ERF, dessen Direktor er bis Ende letzten Jahres war. Der Theologe und Journalist ist am 14. Juli 1929 in Berlin geboren, in Breslau zur Schule gegangen, verheiratet und Vater von vier Kindern. Mit ihm sprach Helmut Matthies. idea: Sie sind seit 45 Jahren journalistisch tätig. Als Sie anfingen, gab es außer der Presse für die Masse nur das Radio. Seither ist geradezu eine Revolutionierung in der Massenkommunikation vorgegangen. Gleichzeitig wächst die Kritik an den Massenmedien: Zu großer Medienkonsum nehme Kindern die Kind- heit, zerstöre die Familien, schalte das Denken aus und manipuliere so jeden. Können Sie noch uneingeschränkt für die Massenmedien eintreten? Marquardt: Alles kann mißbrauchtwerden. Aberder Mißbrauch der Massenmedien sollte nicht ihren guten Gebrauch verhindern. Entscheidend ist, daß man gezielt und nicht wahllos die Medien nutzt. Für Kinder und Familien ist es dabei sicher besser, nur wenig fernzusehen und statt dessen miteinander zu reden und etwas zu unternehmen. Wenn Kinder sich etwas ansehen, sollten die Eltern dabei sein, um mit ihnen über das Angeschaute sprechen zu können. Und wenn Christen feststellen, daß ihr geistliches Leben unter zu großem Medienkonsum leidet, dann müssen sie eben notfalls ihren Fernseher abmelden. idea: Wie beurteilen Sie das Programmangebot des Fernsehens ? Marquardt: Es gibt wesentlich mehr antichristliche Sendungen als solche, über die wir Christen uns freuen könnten. Dabei vergessen viele Medienmacher, daß das Evangelium nichts Antiquarisches ist, sondern eine weitaus größere gesellschaftliche Beachtung verdient als bisher. Das vielbeklagte Defizit an inneren Werten in unserem Volk würde es ebenso nicht geben wie das weitverbreitete Gefühl, sinnlos zu leben, wenn „mehr Evangelium in den Medien" vorkäme, wie wir die Aktion nennen, die die Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep) gestartet hat. Christen sind in den Medien eine Ausnahme idea: Die kep fordert seit mehr als zehn Jahren „mehr Evangelium in den Medien". Doch was hat sich tatsächlich geändert? Marquardt: Leider hat sich nur wenig gebessert. Christen werden kaum zu Talkshows eingeladen, evangelistische Sendungen sind eine Ausnahme. Alle möglichen Exoten dürfen ihre Meinung äußern bzw. erhalten in den Medien ein großes Forum, nur nicht wir Christen - von Ausnahmen abgesehen. Wenn 10.000 junge Christen sich zu Pfingsten treffen, dann ist das nirgendwo eine Meldung wert. Ein Ausländer, der unser Programm sieht und davon ausgeht, daß wir ein christliches Land sind, wird sich sehr wundern. Es ist kaum möglich, zu einer guten Sendezeit etwas Geistliches zu hören. idea: Liegt das Fehlen christlicher Angebote nicht auch an der Trägheit der Christen ? Marquardt: Natürlich. Die Situation wäre anders, wenn sich mehr Christen für die Massenmedien interessierten: auf Sendungen brieflich und/oder telefonisch reagierten, für die Medienmacher beteten. Der Einfluß der Christen könnte entscheidend größer sein, wenn sie die Massenmedien nicht Andersdenkenden überließen. Warum fordern Christen und Gemeinden nicht weniger Gewalt und mehr politische Fairneß? Warum setzen sie sich nicht für bewußt christliche Filme bis hin zum Bibelwort als Tagesabschluß vor der Nationalhymne ein? Erfahrungen: „Wort zum Sonntag" idea: Welche Erfahrungen haben Sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem als „ Wort-zum-Sonntag"-Sprecher gemacht? Marquardt: Das „Wort zum Sonntag" ist eine der besten Möglichkeiten, Menschen zu erreichen. Jedes „Wort" wird durchschnittlich von vier Millionen Menschen gesehen. An vielen Abenden nach einer Ansprache bin ich noch bis in die Nacht hinein angerufen worden. Jedes Mal hatte ich einen umfangreichen Briefwechsel. Ich bedaure, daß manche Sprecher des „Wortes zum Sonntag" die geistliche Dimension zu wenig heraus-stellen. Damit wird eine Chance vertan. Die Menschen wollen im „Wort zum Sonntag" nicht bevormundet werden, sondern Wegweisung für ihr Leben bekommen. Privatfunk- Enttäuschungen idea: Besonders die Evangelikalen haben Hoffnungen auf den seit fast zehn Jahren möglichen Privatfunk gesetzt. Jetzt ist die Enttäuschung offenbar groß... Marquardt: Wirscheinen den Medienverantwortlichen nicht ins Programm zu passen. Wo beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Macht, Einfluß, Beziehungen und Ideologien regieren, da sind es beim privaten das Geld und die Einschaltquote. Das ist verständlich, denn die Finanzierungsmöglichkeiten für die Privaten sind ja reichlich unfair, wenn man bedenkt, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten in Gebühreneinnahmen geradezu schwimmen und dem Hörer darüber keine Rechenschaft schulden, daß aber die Privaten alles selbst erwirtschaften müssen. GEP: Erst gegen, dann für Private idea: Ein Dachverband kirchlicher Medienarbeit, das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), hat jahrelang gegen den Privatfunk und eine kirchliche Beteiligung gekämpft. Jetzt ist das GEP fast überall dabei... Marquardt: Ich muß hier ein bißchen schmunzeln. Man meinte vermutlich beim Gemeinschaftswerk, gegen die Privaten sein zu müssen, um nicht Möglichkeiten im Öffentlich-Rechtlichen zu verlieren. Die Wende kam dann wohl durch die Landeskirchen, die mit den privaten Anbietern verhandelten und Verträge abschlossen. Das GEP hat dann nachgezogen. Ich hätte mir gemeinsame Lösungen vorstellen können: daß etwa die Kirchen und Religionsgemeinschaften weiter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geblieben wären, und wir hätten als Evangeliums-Rundfunk die christliche Vertretung im Privatfunk übernommen. Aber das blieb eine bloße Hoffnung. Immerhin ist es in einigen Bundesländern zu gemeinsamen Lösungen mit den Kirchen gekommen. Solche positiven Kooperationsmodelle gibt es z.B. in Niedersachsen, vor allem aber in Baden und Württemberg, im Fernsehbereich auch in Bayern. Einseitiger Kirchenfunk idea: Nun gibt es ja in den öffentlich-rechtlichen Anstalten den Kirchen funk und bei den Privaten manches Modell der Zusammenarbeit mit den Kirchen. Braucht es da denn noch sozusagen als Parallelstruktur einen eigenen privaten Evangeliums-Rundfunk? Marquardt: Die Redaktionen, die für „Kirche" verantwortlich sind, haben den Auftrag, das gesamte Spektrum des kirchlichen Lebens abzudecken: vom Feminimus bis zum Pietismus, von der Christvesper bis zum Gottesdienst für Tiere. Leider wird über evangelikale Anliegen nur selten und oft verzerrt berichtet. Insgesamt entspricht der gegenwärtige Kirchenfunk nicht unseren Vorstellungen von einem ausgewogenen Programm. Vor allem fehlt es vielen Sendungen an geistlicher Substanz. Die Zielsetzung des Evangeliums-Rundfunks ist eine andere: Wir sprechen über unser Leben und die Gesellschaft, in der wir leben, aus der Glaubensbindung an Jesus Christus. Wir konzentrieren uns ferner darauf, Menschen zum Glauben an Jesus Christus zu rufen und sie auf diesem Weg zu begleiten. Wir bieten Positionen an, die wir aus der Bibel begründen, und fordern zum Nachdenken darüber auf. Mit unserem Programm bieten wir etwas, was die Hörer sonst nicht finden. idea: Gibt das nicht ein einfältiges Programm - wie es dem ERF auch aus manchen kirchlichen Kreisen vorgeworfen wird? Marquardt: Wer das sagt, hört und sieht uns nicht. Wir machen ganz normale Sendungen für ganz normale Menschen. Wir bieten aber auch fachspezifische Beiträge an mit hochkarätigen Theologen, die auch geistige Ansprüche stellen. Auf die Seite des weltvergessenen, geistig unbedarften Pietisten - den es mehr in den Augen von ahnungslosen Kritikern als tatsächlich gibt - wird man uns nicht abtun können. Wie wird man Christ? idea: Ist nicht Rundfunk ein viel zu anonymes Medium, als daß dadurch Menschen tatsächlich Christen werden könnten? Statistiken bestätigen dies mit ihrer Angabe, daß die meisten Christen durch das persönliche Gespräch für den Glauben gewonnen wurden... Marquardt: Wir wollen das persönliche Gespräch mit unserer Radiomission nicht ersetzen, sondern gerade dazu ermutigen. Nach unserer Erfahrung sind zahllose Menschen durch Radiosendungen auf die christliche Botschaft und Kirchengemeinden hingewiesen und oft auch zum Glauben an Christus geführt worden. Viele Gebiete - von China bis zu den moslemischen Staaten Afrikas - sind Missionaren versperrt. In weiten Teilen der Welt ist die öffentliche christliche Verkündigung verboten. Die dort lebenden Menschen können meist nur von außen, also über Rundfunk, erreicht werden. Wir wissen, daß in evangeli-stisch unerschlossenen Gebieten Osteuropas und der Dritten Welt durch die Radiomission Menschen Christen wurden und dann Gemeinden gründeten - ohne jede Hilfe von außen. Im übrigen haben wir bei unseren Sendungen nichteine Masse von Menschen vor Augen, sondern den einzelnen. Wir verstehen unsere Sendungen als seelsorgerliches Gespräch. Und wir erleben, wenn eine Sendung den einzelnen trifft, dann reagiert er. Von den 500 Zuschriften, die wir täglich im Wetzlarer Funkhaus des ERF erhalten, sind viele seelsorgerlichen Inhalts. Auch Frommes für Fromme idea: Erreicht der Evangeliums-Rundfunk aber nicht hierzulande tatsächlich nur die ohnehin Frommen? Marquardt: Nein. Repräsentative Befragungen ergaben beispielsweise, daß zehn Prozent unserer Hörer uns durch Zufall gefunden haben, also nicht, weil sie Christliches gesucht hätten. Viele unserer Hörer schreiben, daß sie zuvor nicht kirchlich engagiert waren, aus der Kirche ausgetreten oder von ihrer Ortsgemeinde enttäuscht seien. Wer hätte sie sonst erreicht, angesprochen, motiviert, wenn nicht der ERF? Im übrigen ist es keine Schande, Frommes für Fromme zu bringen. Die Christen brauchen doch auch kontinuierlich geistliche Nahrung. idea: Ziehen Sie diese Christen mit Ihren Sendungen nicht von den Gemeinden ab? Marquardt: Nein. Unsere Untersuchungen zeigen, daß religiöse Sendungen Christen nicht von Gemeindebesuchen abhalten, sondern geradezu motivierend auf Hauskreis- und Gemeindeaktivitäten wirken. Für Christen ist z.B. auch ein Fernsehgottesdienst keine Alternative zum Gemeindegottesdienst. Aber gut gemachte Gottesdienstübertragungen können Menschen erreichen, die sonst am Sonntag morgens nur ausgiebig frühstücken würden. Sie können neugierig darauf gemacht werden, wieder einmal einen Gottesdienst zu besuchen. idea: Wie kommt es eigentlich, daß Deutschland seit Jahren keine große geistliche Erweckung mehr erlebte? Marquardt: Den Christen geht es offensichtlich in Deutschland noch so gut, daß ein Umdenken hin zu mehr Evangelisation bisher weithin nicht stattgefunden hat. Viele Christen brennen nicht mehr für die Sache des Christus. Es fehlt die Leidenschaft zum totalen Einsatz, es scheint-so meinen sie-ja auch so alles zu laufen. idea: Könnte das auch an der reformatorischen Theologie liegen? Katholischerseits wird darauf hingewiesen, daß seit der Reformation der geistliche Grundwasserspiegel In Deutschland immer weiter gesunken ist... Marquardt: Die Theologie, die von deutschsprachigen Kathedern gelehrt wird, hilft weithin nicht, Gemeinde Jesu zu bauen. Solange man allgemein davon ausgeht, daß Menschen, die getauft worden sind, Christen sind, ohne daß dies in ihrem Leben auch Konsequenzen hat, wird es mit den christlichen Kirchen weiter bergab gehen. Es muß wieder klar gesagt werden: Das gehört zum Christsein, und das nicht. Es muß wieder von Himmel und Hölle, Gnade und Gericht, Buße und Erneuerung, Schuld und Vergebung gepredigt werden. idea: Was heißt Christ sein, und wie wird man eigentlich Christ? Marquardt: Christ ist einer, der weiß, daß Gott da ist, daß man mit ihm rechnen kann, daß man sich vor Gott verantworten muß. Kurzum: Einer, der seine ganze Existenz Gott verdankt und an Gottes Ordnungen orientiert und so ein sinnvolles, glückliches Leben findet. Christ wird einer, der entdeckt, daß Schuld, die ihn von Gott trennt, die Ursache ist, daß er nicht glauben kann, und der bereit wird, seine Schuld vor Christus zu bekennen, die Vergebung Christi in Anspruch zu nehmen und ein „Neues Leben" zu beginnen. Dann ist er Christ. Ein Christ lebt in dankbarer Abhängigkeit von Gott und verantwortungsbewußt gegenüber seinem fernen und nahen Nächsten. idea: Wir danken für das Gespräch. Vor dem Jahr 2000 Wünsche an eine christliche Medienarbeit Horst Marquardt Ich wünsche mir eine christliche Presse, die sich nicht einfach mit den politischen, ethischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der 90er Jahre abfindet nach dem Motto „Da kann man halt nichts machen", sondern die tapfer das Wort ergreift, wo immer es nötig ist, auch wenn sie sich von ihren politischen und theologischen Gegnern nachsagen lassen muß, daß sie „konservativ" oder „fundamentalistisch" sei. Die Evangelikalen lassen sich mitunter in einen Sprachgebrauch hineinnehmen, der mich an Vorgänge erinnert, die es während des „Kalten Krieges" gab. Damals haben Menschen im Westen, die mit der Politik ihrer Regierung nicht einverstanden waren, einfach den Sprachgebrauch des Kommunismus übernommen. Heute ist es oft so, daß Evangelikale den Sprachgebrauch der säkularen Welt übernehmen. Das sollte nicht so weitergehen! Darum sollten sich Evangelikale dafür einsetzen, daß z.B. das Wort „konservativ" durchaus positiv zu werten ist; es heißt: erhaltend, bewahrend. Was ist daran schlecht? Sowohl im kirchlichen als auch im politischen Leben brauchen wir Ordnungen und Werte als Mittel gegen Vermassung, Nivellierung und gesellschaftliche Auflösung. Gebe es Gott, daß „konservative" Kräfte innerhalb der evangelikalen Bewegung nicht schweigen! Ein weiteres Beispiel für den Mißbrauch von Wörtern ist mit den Begriffen „Fundamenta-list"/"Fundamentalismus" verbunden. Warum lassen es sich die Evangelikalen gefallen, als „Fundamentalisten" abgestempelt und bewußt mit fanatischen Mullahs auf eine Stufe gestellt zu werden? Fritz Laubach hat in seinem ausgezeichneten Buch „Aufbruch der Evangelikalen" bereits 1972 darauf hingewiesen, daß „Fundamentalismus" ursprünglich etwas sehr Positives war. Die Fundamentalisten waren diejenigen, die darauf bestanden, daß es gewisse unerläßliche und unwandelbare Lehren gibt, an denen die christliche Kirche festhalten müsse: die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift, die Gottheit Christi, seine Geburt von der Jungfrau Maria, sein stellvertretendes Sühneopfer, seine leibliche Auferstehung und seine Wiederkunft. Daß der „Fundamentalismus" später in Amerika in Verruf geriet - welche Bewegung, die über einen längeren Zeitraum anhielt, hatte das noch nicht erlebt -, ist ein anderes Problem. Wegen mancher Fehlentwicklung der „Fundamentalisten" lehnen es Evangelikale in Deutschland in der Regel ab, sich „fundamentalistisch" zu nennen. Wenn andere, die kein Verständnis für unsere geistliche Haltung und theologische Einstellung haben, dennoch nichts Besseres wissen, als sie in die fundamentalistische Schublade zu tun, dann ist das bedauerlich, sollte aber nicht als unabänderliches Schicksal hingenommen werden. Es muß darüber gesprochen werden. Die Gemeinden müssen informiert werden. Evangelikale Publikationen brauchen eine klare, überzeugende Terminologie. Die Zahl der mißbrauchten Begriffe ist leider im Wachsen. Neue Begriffe schaffen Es sollte auch öfter zur Absprache kommen zwischen evan-gelikalen Schriftleitern und den Verantwortlichen in den elektronischen Medien über gemeinsame Aktionen und Reaktionen. Wichtig wäre es - gerade auch durch die kirchliche Presse -, die mißverstandenen Begriffe zu klären und wenn möglich neue Begriffe zu schaffen! Sehr wesentlich ist es auch, daß evangelikale Medienleute Ton und Richtung angeben. Viel zu oft wird reagiert statt agiert. Es wird z.B. nur reagiert auf unchristliche, mörderische Ansichten politischer Parteien und der Masse auf der Straße (§218; Asylanten), statt wegweisend zu sein. Evangelikale reagieren auch nur auf die antichristlichen Kräfte des Okkultismus, Spiritismus, New Age u.a. Wann werden sie es schaffen, Themen zu nennen, die von säkularen und kirchlichen Medien aufgegriffen werden? Die 90er Jahre brauchen schöpferische Initiativen, sonst bleibt die D-Mark das „Goldene Kalb", sonst werden neue sozialistische Gedanken wach, sonst tötet die Gesellschaft bald auch die „unnützen Alten" genauso herzlos wie heute die Babys im Mutterleib, sonst wird das Vereinigte Europa kein hilfreiches Miteinander einer großen, aufeinander angewiesenen Völkergemeinschaft, sondern Tummelplatz ungezügelter Nationalisten. Und, weil andere es kaum wagen werden, sollten Evangeli-kale auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Islam aufmerksam machen! Während meines Studiums und in den ersten Jahren meiner Pastorentätigkeit versuchten wir unseren Glauben dadurch zu kennzeichnen, daß wir einen schon zuvor bewährten Begriff wieder einführten. Wir sagten, wir seien „mit Ernst" Christen. Das wurde natürlich völlig mißverstanden, als hätten wir keinen Humor und würden nicht gerne lachen. Dann gab es eine Zeit, da waren wir „Biblizisten" und „Pietisten". Obwohl beide Begriffe kirchengeschichtlich durchaus eine positive Wertung erfahren können, wirkten sie fast wie Schimpfwörter. Darum versuchten wir in den 60er/70er Jahren, dem zu entgehen, und setzten uns dafür ein, daß der Begriff „evangeli-kal" bekanntwürde. Wasgabdasfürein Durcheinander! Manche nannten sich evangelikal, die es gar nicht waren. Andere, die eigentlich evangelikal waren, wollten sich nicht so nennen, weil sie mit denen, die sich evangelikal nannten, ohne es zu sein, nicht auf eine Stufe gestellt werden wollten! „Evangelikal" im Duden Ich war sehr froh, als eines Tages die neueste Auflage des Dudens das Wort „evangelikal" wiedergab mit „unbedingt dem Evangelium verpflichtet". Besser konnte es ein Theologe auch nicht ausdrücken. Ich wünsche mir, daß die kirchliche und besonders die evangelikale Presse etwas von dem weiterzugeben vermag, was es für die 90er Jahre bedeutet, „unbedingt dem Evangelium verpflichtet" zu sein. Sicherlich gehört dazu, daß man in der Öffentlichkeit auch das Einigende betont, wobei nie verschwiegen zu werden braucht, daß es unter den Christen mancherlei Unterschiede gibt. Als wenig hilfreich empfinde ich jedoch kleine Publika- tionen, die auf sich aufmerksam machen wollen, indem sie sich auf irgendeinen Fehler konzentrieren, den sie bei anderen Evangelikalen entdeckt haben oder meinen, entdeckt zu haben. Einen anderen in deröffentlichkeitschlechtzumachen, baut nicht „Gemeinde Jesu". Wir brauchen vom Heiligen Geist gewirkte Gemeinsamkeit. Eine gemeinsame evangelikale Zeitung Unsere regionale Tageszeitung würde es schon längst nicht mehr geben, wenn sie sich nicht mit anderen benachbarten Tageszeitungen zusammengetan hätte. Gemeinsam haben alle denselben Text, erscheinen aber in den verschiedenen Regionen unter einem anderen Titel und mit zusätzlichen Informationen über die Region. Ähnliches wäre sicher auch im evangelikalen Lager möglich. Man könnte eine Kernausgabe erarbeiten, deren Text von Nord nach Süd und von Ost nach West übereinstimmend wäre. Die jeweiligen Denominationen, Organisationen oder Missionen könnten einen „Mantel" um diesen Kern legen, worin die verbandseigenen Nachrichten, Neuigkeiten und Trends vermittelt werden. Eine solche Zeitung könnte eine große Auflage erzielen, sie könnte sehr kreativ und spritzig sein. Ob es Versuche in dieser Richtung geben wird? Vermutlich nur, wenn die wirtschaftliche Situation dazu drängt. Aber solcher Druck wäre kein gutes, geistliches Motiv. Die Gemeinden und die Medien Viele christliche Medienleute fühlen sich von ihren Gemeinden nicht getragen; im Gegenteil, sie haben den Eindruck, als sehe man christliche Medienarbeit mehr oder weniger als ein Hobby an. Wir wünschen uns als evangelikale Medienleute, daß die Kirchen entdecken, daß christliche Medienarbeit genauso ihre Aufgabe in der Gemeinde hat wie Theologie, Mission, Diakonie. Christliche Medienarbeit muß endlich auch ihren Platz bei der Ausbildung von Theologen und kirchlichen Mitarbeitern finden. Dazu sollte man in den Lehrplänen mehr als eine Stun- de ansetzen, denn es reicht einfach nicht, nur etwas über die geschichtliche Entwicklung der Medien zu sagen oder über ihre Bedeutung und Vielfalt - es muß vor allem auch die Gesetzmäßigkeit der Kommunikationsarbeit vermittelt werden, so ist z.B. zu fragen, warum kommt der eine Artikel an, und der andere nicht? Welche Verantwortung hat der einzelne Christ gegenüber den Medien im allgemeinen und den kirchlichen Medien im besonderen? Wie reagiere ich auf ein gutes Fernsehprogramm? Was tue ich, wenn Radio und Fernseher den christlichen Glauben verächtlich machen? Es muß auch eine Gelegenheit geben, über die Macht der Medien zu sprechen und über die große Gefahr der Manipulation. Warum sollte bei der Ausbildung künftiger Pfarrer und Evangelisten nicht auch darüber informiert werden, warum alle auf das Boulevardblatt „Bild" schimpfen und es dann doch lesen? Prediger und Seelsorger müssen künftig auch wissen, wie leicht Fernsehnachrichten und -berichte zu manipulieren sind. Das dazu erforderliche Wissen ist anhand bestimmter Beispiele durchaus vermittelbar. Schon vor Jahren wurde darauf hingewiesen, daß es an den Schaltstellen der deutschen Medien, besonders in der Rundfunk- und Fernsehlandschaft, allein im Westen über 30 Prozent erklärte Atheisten gibt, im Osten sind es mehr als 90 Prozent. Das kann nur anders werden, wenn evangelikale Christen ihre geistliche Verantwortung für die Medien erkennen, für die Medienmacher beten und auch vor Gott dafür eintre-ten, daß er Menschen zur Mitarbeit rufen möchte, die ihn lieben und ehren und die nicht ohne jede ethische Norm leben, sondern sich der göttlichen Ordnung verpflichtet wissen. Entwicklungen, die zu denken geben Ich bin betroffen, wenn in einer ARD-Sendung („Report") auf geistliche Gefahren in unserem Land hingewiesen wird, wenn vor Spiritismus und Satanismus gewarnt wird, wenn verheerende Folgen mancher Rockmusik aufgezeigt werden. Ich freue mich auf der einen Seite, daß in einer ganz „weltlichen" Sendung eine solche Thematik aufgegriffen wird. Auf der anderen Seite bin ich traurig, weil ich mich nicht erinnern kann, in einer christlichen oder sogar kirchlich beaufsichtigten Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu dieser Problematik Wegweisendes gehört zu haben. Mir haben kirchliche Medienbeauftragte schon vor Jahren den Vorwurf gemacht, ich würde zu pauschal kritisieren und wäre nicht dankbar genug für die vielen kirchlichen Sendungen, die es im öffentlich-rechtlichen System und jetzt auch bei den Privaten gäbe. Es mag sein, daß die eine oder andere Kritik in den vergangenen Jahren zu pauschal war. Tatsächlich gab es immer wieder hervorragende Vertreter, die als kirchliche Beauftragte an einer der Sendeanstalten tätig waren. Es gab auch Wegbereiter und Botschafter in der privaten Radiolandschaft. Doch insgesamt gesehen ist die Situation in unseren Rundfunk- und Fernsehanstalten eher noch negativer geworden. So sehr ich mich freue, wenn eine Frau im Radio oder auf dem Bildschirm über ihren Glauben spricht und über den Auftrag der Christen, kann ich nicht gutheißen, daß es heute oft wichtiger zu sein scheint, den Proporz Mann/Frau herzustellen, als auf die geistliche Qualität der einzelnen Rednerinnen und Redner zu achten. Ich habe mir die Texte des „Wortes zum Sonntag" eines ganzen Jahres angeschaut: In den 52 Sendungen ist nur wenige Male darauf hingewiesen worden, daß Gott Glauben schenkt, daß Gott tröstet, froh und frei macht. Darüber hinaus werden die meisten Menschen so angesprochen, als wüßten sie, woher sie ihre geistliche Kraft beziehen können. Es wird lediglich an ihren guten Willen appelliert. Der scheint zu genügen, ob es die Einheit der Deutschen betrifft, den Schutz der Umwelt oder die Aufgabe, Frieden zu schaffen. Nach meiner Meinung ist das „Wort zum Sonntag" (und diese Sendung steht hier nur für andere) nach wie vor eine großartige Möglichkeit, davon zu sprechen, wer der Herr unseres Glaubens ist, wie einer zum Glauben kommt und was zu geschehen hat, damit er im Glauben bleibt bzw. wächst. Nur - es muß eben auch davon gesprochen werden, wenigstens von Zeit zu Zeit! Wer zu Talkshows eingeladen wird Würde es einen herausragenden Evangelikalen geben, der schwul ist, Asylant, Linkspietist, weiblich, gegen den Staat ein- gestellt bzw. gegen die jeweilige Regierung allzumal - dann hätte er Aussicht, immer wieder zu Interviews und Talkshows eingeladen zu werden! Die Wortführer der Evangelikalen in den 90er Jahren dagegen sind wahrscheinlich zu normal, um als Gesprächspartner interessant genug zu sein. Es ist an der Zeit, daß sich mehr Evangelikale profilieren, nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Sache willen. Sie müssen mit Aussagen an die Öffentlichkeit treten, die die Aufmerksamkeit einer breiteren Hörer- und Leserschicht finden. Dabei wird es einige Themen geben, die teilweise im politischen Bereich liegen, zum Teil aber auch im ethischen. Evangelikale, die sich in den 80er Jahren für die Einheit Deutschlands einsetzten, galten als konservativ und rückständig. Wer heute nicht bereit ist, neue, sozialistische Experimente zu probieren, wird als „rechts" abgestempelt werden. Und wer auf die wachsenden Gefahren des Islam hinweist, wird als neuer „kalter Krieger" bezeichnet werden. Und wer seiner Liebe zu Israel Ausdruck gibt, wird nicht beliebt sein. Der Säkularismus bleibt im Vormarsch. Das gilt es zu erkennen und sich darauf einzurichten. Klaus Bockmühl wies schon 1985 darauf hin: „Weniger Religion bedeutet mehr sozialen Zwang. Soziologen beweisen heute sozusagen den alten Satz William Penns: Völker lassen sich entweder von Gott regieren, oder sie werden von Tyrannen beherrscht. Wenn sich diese Wahrheit von den Blättern der jüngsten Geschichte ablesen läßt, dann steht fest: Der Säkularismus ist nicht nur ein Feind der Religion, sondern auch ein Feind der Menschheit" („Das Evangelium und die Ideologien", Seite 51). Werden die Evangelikalen dem bis zum Jahr 2000 etwas entgegenzusetzen haben? Was ist nun ganz konkret zu tun? 1. Die evangelikale Medienarbeit muß Teil unserer gesamten gemeindlichen und kirchlichen Arbeit werden und einen Platz einnehmen wie Evangelisation, Mission und Diakonie. 2. Christliche Medienleute - ob sie nun im säkularen Raum arbeiten oder in spezifisch christlichen Medien - bedürfen der Unterstützung der Gemeinde, der Aufmunterung, des Lobes, des Tadels und vor allem der Fürbitte. 3. Es ist erforderlich, daß sich Christen in stärkerem Maße ihrer Gesamtverantwortung bewußt werden und Presseartikel, Radio- und Fernsehsendungen nicht nur konsumieren, sondern darauf reagieren, durch Leser- und Hörerzuschriften, durch Telefonate und Gespräche mit den Verantwortlichen. 4. Evangelikale Medien, Radio- und Fernsehsendungen bedürfen der besonderen Fürbitte und auch der finanziellen Unterstützung. Wer finanziell dazu in der Lage ist, sollte christliche Literatur nutzen, indem er sie selbst liest, weitere Bücher kauft und weitergibt, christliche Zeitschriften bezieht, auswertet und geeignete Radio- und Fernsehsendungen nicht nur zur eigenen Erbauung hört und sieht. Christliche Medien sind ausgezeichnete Missionsinstrumente. Ähnlich wie Bücher und Zeitschriften weitergegeben werden können, ist auch auf Radio- und Fernsehsendungen aufmerksam zu machen. Wir brauchen viele wache Christen in den Gemeinden, die Nachbarn, Bekannte, Verwandte und Kollegen zum gemeinsamen Hören und Schauen einladen. Vielerorts im In- und Ausland sind auf diese Weise Hauskreise und Gemeinden entstanden. Ich wünsche mir evangelikale Medien, die der Christ als willkommene Begleitung begrüßt und die der Nichtchrist als aufschlußreiche Informationsquelle entdeckt. Ich wünsche mir, daß es durch die christlichen Medien möglich wird, im Volk ethische Maßstäbe zu beachten und entsprechend zu leben. Ich wünsche mir schließlich, daß die Stoßkraft des Evangeliums sich auch im sozialen Bereich unserer Familien, Gemeinden und der Gesellschaft im In- und Ausland auswirkt. Ein Wort, das mir wie ein Leitwort für evangelikale Publizistik zu sein scheint, prägte Ludwig Hofacker (1798-1828) in anderem Zusammenhang: „Die Menschen sind benebelt vom Zeitgeist, vom Gott dieser Welt. Darum muß ich die Lügen des Teufels enthüllen, auch in der Theologie, aber schreien will ich, daß man es vom Nordpol bis zum Südpol hört, damit die Menschen doch Gott fürchten und ihm die Ehre geben sollen!" Anspruch und Wirklichkeit Die Kirche und die Massenmedien Peter Kollmar Wir leben in einer Gesellschaft, die bestimmt ist durch einen nie zuvor erreichten Komfort an Medien. Tageszeitungen mit eigenen Vollredaktionen haben eine tägliche Gesamtauflage von 27,3 Millionen Exemplaren (Stand 1991). 1990 gab es allein in den westlichen Bundesländern 8.106 Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 328 Millionen Exemplaren. Der Hörfunk bietet rund 250 Programme (ARD 50 und die privaten etwa 200). Im normalen Kabelhaushalt können heute rund 27 Programme empfangen werden. Die Vielzahl von Zeitungen, Hörfunkprogrammen und Fernsehkanälen erreicht unvorstellbare Massen von Menschen. Massenmedien und Mediengesellschaft lauten die Stichworte, die unser letztes Jahrzehnt im 20. Jahrhundert beherrschen. Diese Entwicklung wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Euphorisch begrüßen die einen die neuen Informationsmöglichkeiten, pessimistisch warnen die anderen vor den Gefahren der Manipulation. Natürlich werden auch die Kirchen davon betroffen. Verkündigung ist ein Kommunikationsgeschehen. Wenn sich durch die Massenmedien generell die Kommunikationsbedingungen verändern, muß das auch Auswirkungen auf den Grundauftrag der Kirchen haben: der Welt das Evangelium zu predigen und die Menschen von der Wirklichkeit Gottes zu überzeugen. Um des biblischen und kirchlichen Auftrags willen ist es also notwendig, sich sorgsam mit den Massenmedien und ihren Auswirkungen auf die Kommunikation auseinanderzusetzen. 1. Medien in der Geschichte der Kirche Schriftrollen im AT, Briefe im NT, die Bibel als Buch der Bücher - die jeweils aktuellen Medien haben die Priester, Propheten und Apostel genutzt, um von Gott und Jesus Christus zu reden. Die Buchdruckkunst im 15. Jahrhundert hat die Bibel endlich zu einer Massenware gemacht, die sich viele Menschen leisten konnten. Bis dahin mußten die Bibeln abgeschrieben werden. Ein teures Verfahren, das den Besitz einer Bibel zu einem Privileg des Adels und des Klerus machte. Der moderne Buchdruck demokratisierte die Bibel zu einem Buch für alle, förderte das Lesen und Schreiben. Die neuen Druckmöglichkeiten nutzte Martin Luther, um in Flugschriften mit hohen Auflagen seine reformatorischen Erkenntnisse unter die Massen zu bringen. Eine neue Dimension in der Nutzung von Medien hat erst die Erfindung des Radios und des Fernsehens in unserem Jahrhundert eröffnet. Auch ohne die Fähigkeit des Lesens und Schreibens können die Menschen nun Meldungen, Nachrichten und Botschaften verstehen, weil sie erzählt und in Bildern erläutert werden. Prinzipiell ein weiterer Schritt zur Demokratisierung, besonders für die Menschen in armen Ländern, die - aus welchen Gründen auch immer- Analphabeten bleiben mußten. Radio und Fernsehen heben Grenzen auf: Bildungsunterschiede und die Trennung von Privatraum und Öffentlichkeit werden eingeebnet. Die elektronischen Medien kommen ins Haus. Sie sind die elektronische Nabelschnur zur Welt. Die Menschen erwarten Antworten und Orientierung in den Programmen. Hilfe für das persönliche Leben, Orientierung in der Meinungsvielfalt, Perspektiven für das Zusammenleben der Völker bieten aber die biblische Botschaft, die kirchlichen Stellungnahmen zu den Zeitthemen, Gottesdienste. Deshalb nutzen die Kirchen selbstverständlich auch diese elektronischen Medien. Es ist mehr als nur eine Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirchen, daß dieses Recht der Kirchen auch in den Rundfunkgesetzen abgesichert ist. Dahinter steht auch das Bewußtsein, daß die Bibel, die christliche Lehre und der Glaube zu den fundamentalen Grundlagen unseres Gemeinwesens gehören. Sie haben unsere Kultur entscheidend geprägt. 2. Pluralisierung im Medienbereich Die Pluralisierung nimmt zu. Im Fernsehbereich vorangetrieben durch den technologischen Fortschritt HDTV (High Divisi- on TV). Mit dieser komprimierten Technik können bald zehnmal soviel Fernsehprogramme über die Satelliten übertragen werden als bisher. Das Massenangebot von Programmen und der fast unbegrenzte Zugriff auf die Fernsehkanäle aus aller Welt macht das Fernsehen zu dem beherrschenden Medium der Zukunft, einem Leitmedium. Schon wird an dem sog. Interaktiven Fernsehen gearbeitet, an Multi-Media, an Data Highways. Dann wird es möglich sein, mit seiner Fernbedienung oder einem kleinen Computer zu Hause, sein eigenes Fernsehprogramm, seine eigene Zeitung zusammenzustellen. Nach Lust und Laune, nach Interessen oder Notwendigkeiten. Für jedes Individuum eben sein spezielles Angebot. Der technologische Fortschritt und die neue Fernsehphilosophie wird die Autonomisierung (eigenständige Entscheidung) und die Individualisierung in der Fernsehnutzung weiter fördern. Dieser Trend zeigt sich aber auch auf dem Zeitschriftenmarkt. Die Angler, die Segelflieger, die Hausrenovierer, jede Zielgruppe, jedes Hobby hat seine eigene Zeitschrift. Special interest press heißt der Fachausdruck. Pluralismus, Autonomisierung und Individualisierung - Es ist nicht zufällig, daß im Zusammenhang mit den Medien genau die charakteristischen Merkmale auftauchen, die auch unsere moderne Gesellschaft beschreiben. Die Definition Mediengesellschaft beschreibt zutreffend diese Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Medien. Unser Wissen, die Kenntnis von fremden Kulturen, Ländern und anderen Religionen, unser gesamter Horizont hat sich durch die Medien enorm erweitert. Die Welt ist zu einem Dorf geworden, durch das wir mit Fernsehaugen wandern, informiert durch Zeitungen und Hörfunk. Es ist eine ganz eigene, größere und andere Wirklichkeit. Unterschieden und unabhängig von der persönlichen Erfahrung und Kenntnis: eine Wirklichkeit der Medien. Sie ist vorzeigbar und sichtbar. Sie wirkt real und wahr. Aber selbst überprüfen können wir sie nicht. Die Welt zerfällt offensichtlich in verschiedene Wirklichkeiten: in medial vermittelte und in persönlich erfahrbare. Nun hängen aber Wahrheit und Wirklichkeit eng zusammen, zumindest für die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes eines Berichts oder einer Nachricht. Ob etwas wahr ist, kann man an den eigenen Erfahrungen, der selbst erlebten und deshalb bekannten Wirklichkeit messen. Falsche Angaben werden so entlarvt und Manipulationen durchschaut. Mit den Meldungen der Medien ist genau diese direkte Form des Gegenchecken aber nur selten möglich. So besteht immer die Gefahr, daß Auswahl der Nachricht, Interesse hinter der Meldung, Hintergrund des Berichtes unaufgedeckt bleiben. Medien kann man zur Manipulation nutzen. Der Benutzer ist ihnen ausgeliefert. Wer fotografiert, weiß, wie leicht es ist, einen Bildausschnitt so zu wählen, daß das wunderschöne Motiv auf den Film kommt, die häßliche Umgebung aber unsichtbar bleibt. Standort und Interesse des Fotografen spielen die entscheidende Rolle. Prinzipiell kann das mit der Produktion und Zusammenstellung von Berichten und Filmen in den Medien auch geschehen. Es muß nicht so sein, sollte es auch nicht. Damit es in der Medienarbeit aber wirklich nicht passiert, müssen die Benutzerder Medien die Chance haben, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Es ist also gut, sorgfältig zu analysieren und nüchtern die Chancen und Gefahren abzuwägen. Der Medienmarkt ist ein enormer wirtschaftlicher Wachstumsbereich. Internationale Konzerne bestimmen ihn zunehmend. Nachrichten sind Waren, die gehandelt, also verkauft und gekauft, werden. Der Mediennutzer zahlt letzten Endes den Preis. Durch die Gebühren oder auf dem Umweg über den Preis von Produkten in allen Geschäften. Die Wirtschaft setzt auf die Werbung in den Massenmedien. Werbung lohnt sich nur in solchen Sendungen, die von den Massen gesehen werden. Ein massenattraktives Programm erwarten Wirtschaft und Werbebranche. Ein Minderheitenprogramm bleibt da leicht auf der Strecke. Einschaltquoten bestimmen das Gesamtprogramm. Sogenannte Programmblocker werden an den Rand gedrängt, z.B. in die Nachtstunden oder ganz gestrichen. Kulturelle und kirchliche Programme sind hier besonders gefährdet. Selbst die Nachrichtensendungen sollen unterhalten. Mindestens aber Information und Unterhaltung zuschauerfreundlich verbinden. Infotainment - zusammengesetzt aus Information und Entertainment- nennt die Branche das.Medien sind ambivalent. Die Informationsmöglichkeiten haben sich durch die Medien außerordentlich gesteigert. Die Gefahren der Manipulation sind aber auch außergewöhnlich gestiegen. 3. Kirche in der Mediengesellschaft Wie soll nun die Kirche auf die Mediengesellschaft und die weltweite Vernetzung von Nachrichten, die Vielfalt der Medien reagieren? Der Grundsatzstreit darüber ist auch in Deutschland kontrovers geführt worden. Dahinter stehen wichtige Kernfragen: Erreicht die Kirche mit ihrer Botschaft und ihrem Anliegen über die vielen Fernseh- und Hörfunkkanäle mehr Menschen oder führt die Programmvielfalt gerade dazu, daß kirchliche Themen untergehen in dem Überangebot der Sender? Kann das Evangelium auch über das Medium mit den Menschen kommunizieren? Oder beeinflußt umgekehrt das Medium die Botschaft bis hin zur Verfälschung? Kann die Kirche durch ihr Engagement die Tendenz zu Programmverflachung, zum Infotainment brechen oder bietet sie durch ihre Mitwirkung nur ein Feigenblatt für das Programmprofil von Sex und Gewalt? Gehört es zu den Selbstverständlichkeiten, auch über die privaten Sender die Menschen anzusprechen oder schwächt das ihre Stellung im Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Kann die Kirche ihre eigenen Vorstellungen von Medienpolitik glaubwürdig vertreten durch Mitwirkung in den Gremien und im Programm oder eher durch bewußte Verweigerung? Wie kann sie Entwicklungen in der Mediengesellschaft beeinflussen? Es sind also auch Anfragen an die kirchliche Medienarbeit selbst und an ihre gesellschaftliche Medienpolitik. Durch konkrete Politik sind Fakten geschaffen worden. Die Fragen aber bleiben. Das ist auch gut so, weil die Kirche ihre Unabhängigkeit und Unverwechselbarkeit auch in den Medien bewahren soll. Zum kirchlichen Selbstverständnis zählt, ständig seinen Standpunkt und seine Entscheidungen zu überprüfen. 4. Kirchliche Publizistik Öffentlichkeit gehört zum Wesen der Kirche; sie ist eine eige- ne Dimension kirchlichen Handelns. Evangelische Publizistik dient dieser Öffentlichkeit. Sie gründet sich auf die biblische Botschaft und wendet sich an alle Menschen. Das Wort Gottes wird öffentlich und in die Öffentlichkeit hinein verkündigt. An diesem Auftrag der Kirche hat auch die gesamte kirchliche Publizistik teil. Dem Gewicht ihrer Botschaft angemessen, darf die Kirche aber in diesem Engagement nicht dilettieren. Eine durch Dilettantismus angeregte Gleichsetzung mit Bedeutungslosigkeit darf sich nicht einstellen. Auch deshalb spielt in der gesamten evangelischen Publizistik die journalistische und medienpraktische Professionalität eine wesentliche Rolle. Dem Inhalt der Bibel entsprechen sollten ebenfalls die Kriterien des publizistischen Arbeitens. Das journalistische Ethos kirchlicher Publizisten muß bestimmt sein von: Wahrheit, Liebe zu den Menschen, Schutz der Schwachen, Fürsprache für die Verfolgten. Deshalb passen unzureichend recherchierte Beiträge, verächtliche Kommentare oder dem augenblicklichen Geschmack angepasste Sex- und Gewaltstories nicht in die kirchlichen Medien. Im Gegenteil: Die Kirchen fühlen sich verpflichtet, darauf zu achten, daß diese Kriterien weiterhin das Fundament jeglicher Publizistik bleiben. In der augenblicklichen gnadenlosen Konkurrenz auf dem Medienmarkt besteht allerdings die Gefahr, daß aus kommerziellen Gründen schnell einmal die guten Sitten vergessen werden. Der journalistische Standard also der Einschaltquote nachgeordnet wird. Gerade über den Götzen Einschaltquote hat der Mediennutzer, also jeder einzelne, die Möglichkeit, auf das Programm einzuwirken. Je höher die Einschaltquote, desto belegter sind auch die Werbeplätze in einem Programm. So ist es jedenfalls im Privatfernsehen, das sich ausschließlich aus Werbung finanziert. Wenn nun aber aus Protest gegen schlechtes Programm oder angepaßten Journalismus diese Sendungen ausgeschaltet werden, wird die Werbung sich andere - hoffentlich bessere - Programme aussuchen. Die Einschaltquoten liegen jeden Morgen auf dem Tisch der Programmverantwortlichen. Die Masse der Entscheidungen jedes einzelnen Fernsehzuschauers bestimmt also auch öualität und Ausrichtung des Programms. Der Medienkonsument hat seine wahre Macht noch gar nicht richtig erkannt und eingesetzt. 5. Kirchliche Printmedien Schon ein Blick auf einen Zeitschriftenkiosk in einem Hauptbahnhof beweist, daß es eine kaum überschaubare Masse von Illustrierten, Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen, Heften usw. gibt. Kirchliche Publikationen allerdings finden sich darunter fast nicht. Dabei gibt es eine Menge kirchlicher Zeitungen, Zeitschriften und Publikationen. Statistisch sind 313 evangelische und katholische Zeitschriften erfaßt. Dazu kommen etwa 800 weitere themen- und gruppenspezifische konfessionelle Zeitschriften. Die Auflagenhöhe der 18 überregionalen evangelischen Kirchengebietszeitungen mit rund 750.000 Exemplaren pro Woche, die rund 90.000 Exemplare der überregionalen Wochenzeitschrift „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt" und die etwa 25.000 Exemplare des Magazins „idea-spektrum" sind beachtlich. Aber sie haben sich auf einem fast ausschließlich innerkirchlichen Markt eingerichtet. Die wenigen Zeitschriften, die, wie das Deutsche Sonntagsblatt, versuchen, sich auch auf dem säkularen Markt zu behaupten, bleiben erfolglos. Eine unvoreingenommene, kritische Diagnose zeigt eine weitere Begrenzung der kirchlichen Printmedien. Sie erreichen weniger den repräsentativen Durchschnitt der Kirchenmitglieder oder sogar unkirchliche Leser, sondern nur bestimmte Zielgruppen. Gruppen, die sich durch ihr Frömmigkeitsprofil (idea-spektrum), durch ihre kirchlichen Amtsfunktionen (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt) oderdurch ihre Altersstruktur (Kirchengebietspresse) beschreiben lassen. Eine Leseranalyse der Kirchengebietszeitungen hat ergeben, daß rund 50% ihrer Leserinnen und Leser älter als 65 Jahre sind. „Ergraute" Blätter, die mit den Abonnenten sterben könnten. Diese drohende Entwicklung zur Seniorenpresse muß aufgehalten werden. Die notwendigen strukturellen und redaktionellen Überlegungen unter den Herausgebern der Kirchengebietspresse haben zum Glück eingesetzt. Anzustreben sind größere publizistische Einheiten und eine intensivere redaktionelle Kooperation. Ebenfalls nötig ist gerade für die evangelische Kirche eine EKD-weite evangelische Wochenzeitschrift. Denn für die innerkirchliche Konsensbildung ist es konstitutiv, daß die Informationen und Kommentare Kirchenmitglieder prinzipiell in allen Landeskirchen und Gemeinden erreichen. Damit sie breit diskutiert werden können, müssen sie auch überregional publiziert und diskutiert werden. Diese regionale und bundesweite Verbreitung rechtfertigt eine finanzielle Unterstützung der Wochenzeitungen aus dem kirchlichen Etat. Denn über ihre (Print-)Medien beteiligt die Kirche die Menschen an dem Gespräch über das Zeitgeschehen und trägt zu deren Urteilsfindung bei und ermöglicht eine jeweilige evangelische Standortbestimmung. Gleichzeitig äußert sich hier das Verständnis eines freiheitlichen evangelischen Journalismus. Es ist ein besonderes Merkmal der evangelischen Kirche, daß sie daneben ein weiteres dichtes Netz von speziellen Zielgruppenpublikationen hat. Zeitschriften und Mitteilungsblätter, die von Werken und Einrichtungen und kirchlichen Diensten für ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herausgegeben werden (katechetisch-pädagogische Zeitschriften, theologische Fachzeitschriften, Kinder- und Jugendzeitschriften, Zeitschriften für Diakonie und Mission, Mitarbeiterzeitschriften und nicht zu vergessen die Gemeindebriefe). Die Publikationen für innerkirchliche Gruppen und Zwecke sind zahlreich genug. Zuviel für zu wenige, behaupten Kritiker zu Recht. Die Kirche will von ihrem Anspruch und Auftrag her ihre Themen und Anliegen aberebenfalls in die säkularen Medien, Zeitungen und Rundfunk transportieren. Dieses gelingt heute nur noch mit den evangelischen Nachrichtenagenturen: Seit 1910 durch den epd und seit 1970 zusätzlich durch idea. Professionalität und Seriosität, hoher Kenntnisstand über kirchliche Hintergründe und theologische Motive-lauten die Erwartungen der Redaktionen an diesen evangelischen Nachrichtenservice. Die Arbeit der evangelischen Agenturen wird in Zukunft immer wichtiger. Das hängt u.a. mit der zunehmenden Unkenntnis säkularer Journalisten über Kirchezusammen. Die säkularen Medien sind also darauf angewiesen, daß die kirchlichen Nachrichtendienste kompetent aus dem Bereich Kirche und Theologie berichten. Die nach den allgemein gültigen Regeln der Publizistik arbeitenden Agenturen mit ihrer Ausrichtung auf die professionellen Redaktionen haben den Kirchen unter den Publizisten Anerkennung verschafft. Diese Reputation ist nicht gering zu schätzen in einer Zeit, in der Berichterstattung generell immer mehr auf sogenannte „inszenierte Öffentlichkeit" zurückgreift (Pressekonferenzen, Pressetermine, Pressemitteilungen), also auf die Arbeit der Pressestellen. Allerdings sind heute klassische Recherchepublizistik und Pressestellenarbeit faktisch keine Wahlalternative mehr, sondern längst zu Ergänzungen geworden. Die „inszenierte Öffentlichkeit" liefert mittlerweile 60% aller Meldungen in den Medien. Deshalb ist es verständlich, daß auch die Kirchen auf diese Entwicklung mit der Einrichtung von kirchlichen Pressestellen reagiert haben. Die großen konfessionellen Wochenzeitungen (Auflage im Zahlenvergleich) • • • - 140.692 Rheinischer 128.219 Merkur _ _ches 103.276 108.091 123.368 103.829 6. Kirchliche Rundfunkarbeit Das „Wort zum Sonntag" ist seit 40 Jahren der Inbegriff kirchlicher Verkündigungssendungen im Fernsehen, ergänzt durch regelmäßige Fernsehgottesdienste. Im Hörfunk sind es neben den Gottesdienstübertragungen vor allem die Morgenandachten. Eine beachtliche Rolle spielt der ERF mit seinem reichhaltigen Programm. Für die besondere Form einer Rundfunkpredigt und -andacht schulen die Kirchen ihre Predige- rinnen und Prediger. Gottesdienste und Verkündigung der biblischen Botschaft sind der zentrale Auftrag und das Identifikationsmerkmal von Kirche. Insofern ist für die Kirchen ihre Präsenz im Rundfunkprogramm durch Verkündigungssendungen konstitutiv. Sie erreicht auf diesem Weg alte, kranke und behinderte Menschen, die nicht selbst zu einem Gottesdienst in die Kirche gehen können. Verkündigungssendungen und die Beiträge aus den Kirchenfunkredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender sind aber ebenfalls rundfunkpolitisch konstitutiv. Sie sind Teil der Grundversorgung (Bildung, Beratung, Information und Unterhaltung), zu der der öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet ist und für die er Rundfunkgebühren, eben auch von den Kirchenmitgliedern, erhält. Die sendereigenen Kirchenfunkredaktionen sind von ihrem Auftrag und Selbstverständnis her auf Berichterstattung aus allen Kirchen und Religionsgemeinschaften, sowie auf religiöse und ethische Themen ausgerichtet. Eine dramatische Veränderung im gesamten Rundfunkbereich hatsich zu Beginn der80er Jahredurch die Einführung des sogenannten dualen Systems (den neuen privatrechtlichen Rundfunk neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk) ergeben. Eine vollkommen neue Rundfunklandschaft ist entstanden. Die Zahl der Fernseh- und Hörfunkprogramme ist fast explodiert. Die Finanzierung hat sich verlagert: Die privaten Sender finanzieren sich nicht über Gebühren, sondern über Werbung. Das hat unbestreitbar unmittelbare Auswirkungen auf das Programm. Es muß massenattraktiv sein, damit viele Menschen die zwischengeschaltete Werbung sehen. Einschaltquoten sind zu einem neuen Götzen geworden. Mittlerweile wird Programm zusätzlich auch für sehr spezielle Zielgruppen ausgerichtet. Die Konsumenten sollen durch fast ununterbrochene Musik an das Programm gebunden werden. Wortbeiträge stören da nur. Sie werden drastisch reduziert. Sogenannte Programmblocker werden unbarmherzig herausgefiltert, gestrichen oder zumindest in die wenig attraktiven Sendezeiten abgedrängt. Diese Programmpolitik hat natürlich Auswirkungen auf die kirchlichen Sendungen. Großer Respekt gilt den öffentlich-rechtlichen Sendern, die Gottesdienstübertragungen und Sen- düngen der Kirchenfunkredaktionen nicht in Nischenprogramme verstecken oder in unattraktive Sendezeiten verbannen. Mit Blick auf Einschaltguoten und den ungehemmten Musikfluß werden zunehmend aber auch in den öffentlich-rechtlichen Programmen genauso wie in den privaten Sendern kirchliche Sendungen und Themen abgedrängt. Hier müssen die Kirchen und ihre Vertreter in den Rundfunkgremien gegenhalten und für eine prominente Plazierung der Verkündigungssendungen und der Kirchenfunkredaktionen kämpfen. Nicht nur aus institutionellem Eigeninteresse, sondern vor allem um die religiöse Dimension in der Breite des Programmangebotes zu sichern. Die ständig wachsende Zahl von privaten Hörfunkprogrammen wird die Kirchen auf Dauer aber vor eine grundsätzliche rundfunkpolitische Entscheidung stellen. Nicht daß die vielen kirchlichen Agenturen und Redakteure eventuell nicht genügend Beiträge liefern könnten. Das Problem liegt in dem Programmprofil. Wenn es denn so ist, daß die Wortbeiträge immer minimaler und thematisch ganz zufällig in das Musikprogramm eingestreut werden, dann taucht die Frage auf: Sollen wir dieses Zufallsprinzip akzeptieren oder müssen wir nicht ganz anders ansetzen: und zwar zusätzlich mit einem kircheneigenen Sender? Das Beispiel ERF ist anregend. Der Erfolg des ERF basiert ja u.a. darauf, daß er bundesweit empfangen werden kann, feste Sendefrequenzen und ein klares Profil hat, das viele Menschen und unterschiedliche Zielgruppen anspricht. Eine politische und medienpädagogische Funktion können die Kirchen für unser Gemeinwesen durch ihre offizielle Vertretung in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkgremien und in den Landesmedienanstalten, zuständig fürdie privaten Sender, wahrnehmen. Es geht um zwei Kernprobleme: Einmal darum, sich für den Erhalt und die Steigerung der Programmqualität einzusetzen; z.B. durch mehr und bessere Sendungen für Kinder, Minderheiten und ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Zum anderen darum, im Interesse der Presse-und Meinungsfreiheit und der demokratischen Grundrechte darauf zu achten, daß die wirtschaftlichen Verflechtungen im Rundfunkbereich im Zusammenhang mit internationalen Medienkonzernen auf Dauer nicht zu einer Monopolisierung von Informationen und zu einem politischen Mißbrauch von Nachrichten führen. Die Mediengesellschaft darf nicht weniger, sie muß mehr demokratische Regeln und Rechte haben. 7. Mediale und direkte Kommunikation Kirche und Massenmedien - das darf nicht so verstanden werden, als ob die Medien - oder anders ausgedrückt - als ob die mediale Kommunikation die beherrschende Kommunikationsform der Kirche in der Mediengesellschaft sein müßte. Die Massenmedien spielen eine wichtige Rolle. Und die Kirche sollte diese Informationswege umfassend und professionell nutzen. Aber es bleibt die Besonderheit der Kirche, daß ihre Kommunikation mit den Kirchenmitgliedern in erster Linie eben direkt verlaufen kann: Durch ihre Mitarbeiter und Pastoren kann die Kirche alle Menschen in ihrem Wohnbereich und durch viele Spezialpfarrämter auch in ihrem Berufsleben erreichen - ein Angebot, das in einer anonymen Gesellschaft eine neue Qualität bekommt. Organisatorisch ist das durch das Prinzip der flächendeckenden Parochien (Ortskirchengemeinden) gewährleistet. Theologisch ist diese Kommunikation darin begründet, daß Verkündigung als ein ganzheitlicher Prozeß gemeindlicher Kommunikation verstanden wird, der Predigt, Seelsorge und Diakonie integrierend umfaßt. Direkte Kommunikation in einer Kirchengemeinde - das ist das Kasualge-spräch, der Geburtstagsbesuch und die Krankenpflege durch die Diakoniestation. Diese direkte menschliche Begegnung können die Medien nicht bieten. Und schließlich: Die Kommunikationstheorie weist daraufhin, wie wichtig die Routine ist. Zur Routine zählen hier die alltäglichen Begebenheiten, die täglichen Handgriffe und eben auch die täglichen Gespräche und Begegnungen. Sie sichern so das Alltagswissen und die Identität. Das, was für jeden Menschen gilt, trifft genauso für die Gesellschaft und besonders auch für den christlichen Glauben zu: Die Inhalte der christlichen Identität brauchen ihre Bestätigung in der Alltagswelt. Erfährt der Christ keine Bestätigung durch andere, so verflüchtigt sich seine lebendige Wirklichkeit. Der christliche Glaube braucht christliche Gemeinschaft. Deshalb ist die Gemeinde, dort wo gemeinsam Gottesdienst gefeiert, gesungen und gebetet wird, der entscheidende Ort für die Vergewisserung der christlichen Identität. Die Gemeinde und der Glaube ieben von dieser direkten Kommunikation. Mediale Kommunikation kann dafür nie ein vollwertiger Ersatz, wohl aber eine gute Ergänzung sein. FürdieTeilnahmeamZeitgespräch und den öffentlichen Diskurs sind die Medien unverzichtbar. Dieses muß auch die Kirche akzeptieren und sich mit ihrer Botschaft und ihrem Anliegen in die Medienwelt begeben. Denn gleichzeitig funktioniert über die Medien die öffentliche Information über die Kirche und ihre Botschaft. Unzutreffend ist, das sei in diesem Zusammenhang deutlich zum Schutz der Medien gesagt, die beliebte kirchliche Einschätzung, daß sich hierzulande in den Medien eine kirchen- und religionsfeindliche Stimmung ausbreitet. Es gibt ab und an Entgleisungen. Aber in Rundfunk und vielen säkularen Blättern ist die religiöse Berichterstattung seriös und wohlwollend, natürlich unter der Voraussetzung, daß Kirche und Kirchliches keinen Schonraum beanspruchen können. Was allerdings oft nicht übereinstimmt, ist das Selbstbildnis von Kirche mit dem öffentlich und publizistisch relevanten Bild. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft ein Graben. Wer das Gegenteil von dem praktiziert, was er predigt, darf sich über eine Einbuße an Glaubwürdigkeit nicht beklagen. Auch das ist eine Anfrage an unsere kirchlichtheologische Kommunikationsbasis. Aber wenn man differenziert hinschaut, dann kann man häufig erkennen, wie sich in der Kirchenkritik oft hohe Erwartungen an die Kirche verbergen. Eigentlich sollte die Kirche dankbar sein für solches Interesse der Massenmedien, das, wohlverstanden, der Sache einer ecclesia semper reformanda nutzen kann und die Botschaft verbreiten hilft. Eine Brücke zwischen Kirche und Welt Von der Aufgabe des christlichen Rundfunks Jürgen Werth 1. Die Lage Wir leben in einer eigenartigen Zeit, einer Zeit des Umbruchs, einer Zeit der Krise. Gewiß, das war die Zeit zu allen Zeiten. Die gute alte Zeit ist ja nur deswegen gut, weil sie alt ist und damit bekannt und vertraut, und doch kommen die Veränderungen heute in einer schnelleren Abfolge. Was gestern noch galt, muß heute schon lange nicht mehr gelten, und morgen wird sich möglicherweise schon niemand mehr daran erinnern, daß es einmal gegolten hat. Es ist die Krise der Institutionen und Organisationen und damit gleichzeitig auch die Krise der Traditionen. Parteien, Gewerkschaften, Kirchen - ihnen allen laufen die Mitglieder davon. Die Menschen hierzulande sind verdrossen, sind überdrüssig. Mich erinnert die Lage an einen Satz von Ernesto Cardenal, der einmal gesagt hat, der Mensch könne niemals satt werden, höchstens überdrüssig - eine Beschreibung der Menschen in Mitteleuropa in der Mitte der 90er Jahre. Die Kirchen erleben finanziell dramatische Zeiten. Dabei scheint die Entwicklung konsequent. Millionen Mitglieder haben längst innerlich gekündigt. Einer solchen innerlichen Kündigung folgt zwangsläufig irgendwann auch die äußere Kündigung. Prof. Jürgen Moltmann sprach im Februar 1994 bei seiner Emeritierung davon, daß die Volkskirche ein „auslaufendes Modell" sei. Ist die Volkskirche schon bald eine Kirche ohne Volk? Seit langem wünscht sich das Volk die Kirche nur noch in Hintergrundpräsenz, etwa wie den Hausarzt, dessen Telefonnummer man hat, den man aber möglichst nicht in Anspruch nehmen möchte. Überhaupt scheint der christliche Glaube „gleich-gültig" geworden zu sein, er steht gleich gültig neben ungezählten Lebens- und Glaubensentwürfen. Das Christentum hat seinen prägenden Einfluß auf die Welt verloren. Die aktuelle Religion ist ein Flickwerk aus Christentum, asiatischen Religionen und Esoterik. Menschen gehen gleichsam wie mit dem Einkaufswagen durch die Welt und packen im Supermarkt der Religionen hinein, was ihnen gefällt. Toleranz ist angesagt - auch in der Kirche. Michael Herbst schrieb in der Zeitschrift „Schritte": „Die Lieblingswendung der 90er lautet: Wir können uns so gut stehen lassen." Die Kirche ist gespalten: Die einen tendieren zur Anpassung. Ein polnischer Schriftsteller nahm sie vor Jahren aufs Korn. „Die Christen", so schrieb er, „fürchteten nichts so sehr, wie nicht mehr für zeitgemäß gehalten zu werden." Die anderen ziehen sich zurück in eine christliche Wagenburg. Doch der Geist, den die Kirche atmet, kommt da nicht mit und der Herr der Kirche schon gar nicht. Er hat sich mit Haut und Haaren auf diese Welt eingelassen, und er tut es noch. Trotzdem geht er nicht in ihr auf. Er ist in der Welt, nicht von der Welt. Seine Botschaft, das Evangelium, ist es auch und die, die daran glauben, ebenfalls. Dabei beschreibt das ja eine eigenartige Spannung, doch anders verlieren Christen ihre Existenzberechtigung. Sind sie nicht mehr „in der Welt", haben sie ihr auch nichts mehr zu sagen. Sind sie aber „von der Welt", wie alle anderen auch, haben sie genauso wenig Zusagen. 2. Die Wege Es kommt darauf an, Kommunikation zu wagen. Sich neu auf die Welt und ihre Menschen einzulassen. Wahrnehmung und Zuwendung sind für mich die entscheidenden Stichwörter. Das wird eindrucksvoll in der Begegnung Jesu mit dem reichen Jüngling beschrieben: „Jesus sah ihn an, gewann ihn lieb und sprach ..." So ist Jesus Menschen begegnet. So sollen wir Menschen begegnen: hinschauen und hinhören, Menschen liebgewinnen und dann - erst dann - sagen, was wir zu sagen haben. Solche persönlichen Kontakte sind vielleicht überhaupt die Kirchentür der 90er Jahre. Längst ist es bei evangelistischen Veranstaltungen Usus, Christen aufzufordern, quasi als „Eintrittsgeld", einen oder eine mitzubringen, denen Christus fremd ist. Nur mit Plakaten, nur mit Anzeigen, nur mit Zeitungsartikeln läuft nichts oder fast nichts. Trotzdem spielen die Medien die zweite zentrale Rolle beim Versuch, Menschen der 90er Jahre mit dem Evangelium zu erreichen. Denn das alte englische Sprichwort „Mein Heim ist mein Schloß" feiert in diesen und den nächsten Jahren fröhliche Urständ. So berichtete „DieZeit" am4. März 1994: „Gerade heute morgen haben Sie den letzten Rest Zahnpasta aus der Tube gequetscht. Am Abend schalten Sie den Fernseher ein, und was flimmert da geballt über den Bildschirm? Werbung für Zahnpasta. Zufall? Im Paradies der Zukunft vielleicht nicht mehr. Amerikanische Marktforscher wissen längst, daß eine Zahnpastatube durchschnittlich 6 Wochen hält. In der digitalen Welt von morgen hat die Supermarktkasse ihren Einkauf registriert, als Sie mit Ihrer Chipkarte bezahlt haben, und exakt fünfeinhalb Wochen später sorgt ein Computer der Handelskette dafür, daß Sie in Ihrem ganz persönlichen Fernsehprogramm mit entsprechender Werbung überschüttet werden. Zur gleichen Zeit wird Ihr Nachbar viel leicht via Bildschirm daran erinnert, daß sein Auto neue Reifen braucht." Tatsächlich stehen wir am Vorabend einer weiteren elektronischen Revolution. Bob Malune, amerikanischer „Kabelkönig", sagte kürzlich: „Die überwiegende Mehrheit unserer Einnahmen am Ende dieses Jahrzehnts wird aus Diensten und Produkten stammen, die heute noch nicht erfunden sind." Die amerka-nische Trendforscherin Faith Popcorn verkündete schon vor Jahren, daß es irgendwann keine Bürohochhäuser mehr zu geben brauche. Jeder arbeitet dann an seinem eigenen PC zu Hause. Elektronische Kommunikation drängt tatsächliche Kommunikation von Mensch zu Mensch in den Hintergrund. Schöne neue Welt? Ich halte es mit Rudolf Alexander Schröder: „Schau dir'san und stehe fest. Nur wer sich nicht schrecken läßt, darf die Krone tragen." Christen sprechen häufig von den „Außenstehenden", wenn sie die meinen, die an kirchlichen Angeboten kein Interesse zeigen. Die „Außenstehenden" der 90er Jahre aber stehen nicht mehr draußen, sie sitzen zu Hause. Deshalb gehört das Evangelium auch in die Massenmedien. Weltweit ist Hörfunk seit Jahrzehnten das Instrument der Mission. In China spricht man von 50 bis 100 Millionen Christen. Etwa die Hälfte davon, so ein Urenkel von Hudson Taylor, sei durch Radiosendungen zum erstenmal in Berührung mit dem christlichen Glauben gekommen. Der indische Zweig von „Trans World Radio" verzeichnet zur Zeit monatlich 50.000 Zuschriften. In Indien leben 80 % der Bevölkerung in rund 650.000 Dörfern. Radio hat Lust zur Grenzüberschreitung. Radiosendungen sind persönlich, aber niemals aufdringlich. „Trans World Radio", Partner des „Evangeliums-Rundfunks" (ERF), sendet zur Zeit in über 100 Sprachen das Evangelium in die Welt. Ich plädiere dafür, daß beides zueinander findet: die Mission via Medien und die Mission via persönlicher Kontakte. Beides gehört zusammen. 3. Medien nutzen Elektronische Massenmedien erweitern die Möglichkeiten des einzelnen Christen, erweitern die Möglichkeiten einzelner Gemeinden. Und zwar seelsorgerlich, pädagogisch, informatorisch und missionarisch. Hörfunk- und Fernsehsendungen können eine Hilfe sein, ins Gespräch zu kommen, persönliche Kontakte zu knüpfen und zu vertiefen. Der seelsorgerliche Aspekt: Konrad Eißler, Pfarrer an der Stuttgarter Stiftskirche, machte die Mitglieder des ERF-Vereins neulich noch einmal darauf aufmerksam, welchen wichtigen diakonischen Dienst der Evangeliums-Rundfunk durch seine Programme ausübe. Er sprach von den zahllosen alten Menschen in seiner Gemeinde, für die ERF-Sendungen häufig die Zeit zwischen den Hausbesuchen des Pfarrers oder anderer Gemeindemitglieder überbrücken. Der pädagogische Aspekt: Der katholische Bischof Josef Homeyer (Hildesheim) weist darauf hin, daß nur ein durchdachter und verstandener Glaube auf die Dauer überlebensfähig sei. Es komme in den nächsten Jahren verstärkt darauf an, die Gemeinden zu evangeli- sieren, ihnen zu einem vertieften Verständnis des christlichen Glaubens zu verhelfen. Auch hier helfen Radiosendungen durch ihre regelmäßige Präsenz. Der missionarische Aspekt: Der ERF sendet seit Jahren im Kontext privater, kommerzieller Radio- und Fernsehstationen und kommt hier häufig mit Menschen ins Gespräch, die das Gespräch mit Christen ihrerseits nicht suchen würden. Das ist der christliche Glaube auf dem Marktplatz, auf dem Boulevard. Manch einer schreibt, er sei durch solche Sendungen ins Nachdenken gekommen und habe dann am Ende verstanden, daß Christus die Antwort auf die entscheidenen Fragen seines Lebens ist. Der Informationsaspekt: Da der ERF ein Gemeinschaftswerk ist, kommen unterschiedliche christliche Traditionen zum Ausdruck. Die präsentierten Modelle reichen von Taize bis Puschendorf. Das elektronische Massenmedium hat seine Grenzen. Auf die Dauer ist es ein höchst unzureichender Gesprächspartner, es kann auch keine „Amtshandlungen" ausüben, nicht die Beichte abnehmen, nicht taufen, kein Abendmahl spenden. Aber: Siehe oben. In der Hand der Gemeinden entfaltet es ungeahnte Möglichkeiten. 4. Die Inhalte Unsere Programme sollen mit beiden Beinen in der Welt stehen und gleichzeitig mit beiden Beinen in der Schrift. Mir hilft das Bild der Ellipse, die zwei Brennpunkte hat. Der eine Brennpunkt der Ellipse hat der Mensch zu sein, an den wir uns wenden, seine Fragen, seine Sehnsüchte. Der andere Brennpunkt ist das Evangelium, ist der menschenfreundliche Gott, der sich seiner Welt in Christus zuwendet. Wir wollen und müssen darum kämpfen, daß beide Brennpunkte erhalten bleiben. Würden wir uns auf einen von beiden beschränken, verlören wir unsere missionarische Kompetenz. Wie ein Programm aussehen könnte, habe ich Wolf Schneider entlehnt, dem Leiter der Hamburger Journalistenschule. Denn was er als Eigenschaften eines guten Beitrags aufzählt, gilt erst recht für eine gute evangelistische Sendung, eine gute missionarische Verkündigung. 1. Sie soll nützen und ergötzen; also eben nicht nur nützen und eben nicht nur ergötzen, sondern nützlich ergötzen oder ergötzlich nützen; wirklich auf die wesentlichen Fragen ein-gehen, aber eben in ansprechend unterhaltsamer Art. 2. Sie soll erzählen, und das möglichst so, daß der Zuhörer gleichsam einen Film sieht. Ich wage die Behauptung, daß Menschen unserer Tage mit den Berichten der Evangelien mehranfangen können als mit manchem Paulusbrief. Die sind wichtig, aber vielleicht mehr eine Hintergrundinformation. 3. Sie soll prallvoll sein mit Menschen; nichts interessiert einen Menschen mehr als ein Mensch. Lassen Sie uns von Menschen berichten, lassen wir Menschen zu Wort kommen. Journalisten nennen das seit Jahrzehnten „human touch". 4. Sie soll ehrlich und kompetent sein. Ehrlich, also keine falschen Versprechungen machen, abgedeckt sein mit eigenen Erfahrungen. Gleichzeitig soll sie kompetent sein, sachkundig, wissend. 5. Sie muß überraschend sein. „Sagt es um Gottes willen einmal anders", soll Charles Spurgeon gesagt haben. Zugegeben, das ist Kirche in den Medien allzu selten. Das sind vielleicht auch unsere Programme viel zu selten. Vielleicht sollten wir Autoren es uns angewöhnen, uns selbst ab und zu einmal wieder zu überraschen. Ist der Ostinato unserer Beiträge ein monotones „Weiß ich schon, weiß ich schon, weiß ich schon", werden wir auch unsere Zuhörer kaum begeistern können. Und wofür das alles? Für Menschen, die kaufen, ohne das Loch in der Seele füllen zu können, die überdrüssig werden, aber nicht satt. Für Menschen die laut Viktor E. Frankl notorische Sinnsucher sind. Wo anders würden sie den finden als im Evangelium von Jesus Christus. Wächst Deutschland zu langsam zusammen? Fernsehen: Zuschauer haben großen Einfluß Wächst Deutschland immer langsamer zusammen? Wo liegen die Probleme im Miteinanderverstehen? Fragen an einen Mann, der sich in West und Ost auskennt: Henning Röhl (Leipzig), Fernsehdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Der MDR ist innerhalb der ARD (1. Fernsehprogramm) für die Bundesländer Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zuständig und steuert 10,5 Prozent zum Gesamtprogramm der ARD bei. Als regionales Fernsehprogramm in diesen drei neuen Bundesländern verzeichnet der MDR unter seinen Zuschauern die „längste Sehdauer" von allen Dritten Programmen in Deutschland. Bis Sommer 1991 leitete Röhl als Chefredakteur ARD-aktuell (Tagesschau, Tagesthemen, Wochenspiegel). 1989 ehrte die Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep) Röhl mit dem „Silbernen Kompaß" für „fairen Journalismus" über christliche Themen. Mit Henning Röhl sprach Helmut Matthies. idea: Überall ist von Vergangenheitsbewältigung die Rede. Wie hat der MDR die vielen Redakteure und Funktionäre behandelt, die schon vor der Wende beim DDR-Fernsehen tätig waren? Röhl: Die meisten unserer heutigen Mitarbeiter waren schon vorher beim DDR-Fernsehen beschäftigt. Die Verantwortlichen von damals konnten wir allerdings nicht weiter beschäftigen. In den Redaktionen sind auch einige Mitarbeiter aus dem Westen dazugekommen. In vielen, sehr intensiven Gesprächen haben wir ausgewählt. idea: Wie hat man sich verhalten? Röhl: Viele haben erklärt, daß sie bis zur Wende an den DDR-Sozialismus geglaubt hätten, heute aber einsähen, daß er gescheitert sei. Manches Gespräch verlief mit Tränen. Viele haben mich mit ihrer Argumentation überzeugt. Viele Fehler bei DDR-Berichten idea: Gab es das auch bei den westlichen Fernsehanstalten, daß man bekannt hat, sich im Blick auf die Einschätzung der Vergangenheit geirrt zu haben? Röhl: Dies ist ein Punkt, der mich manchmal auf die Palme bringt. Wir haben im Westen bei der Berichterstattung über die DDR viele Fehler gemacht. Manches haben wir richtig gesehen, aber es eigentlich nicht wahrhaben wollen. Jedenfalls haben wir nicht darüber berichtet. Und die, die sich anders verhalten haben, über die zog man her - auch in der evangelischen Kirche, selbst von einem westlichen Kirchenleiter. Ich denke hier nur an einen Mann wie den Leiter des ZDF-Maga-zins, Gerhard Löwenthal, der zwar von der Bundesregierung, aber noch immer nicht vom ZDF rehabilitiert worden ist. Dabei zeigte er vielen DDR-Bürgern, daß sie nicht vergessen sind. idea: Sie reden immer von „wir". Sie selbst gelten ja nun in der ARD als einer der Konservativsten im Blick auf die Frage des Sozialismus und mußten sich deshalb viel Prügel gefallen lassen ... Röhl: Ich bin vor der Wende viele Male in der DDR gewesen, habe dort zahlreiche Freunde und war natürlich auch von daher dem DDR- System gegenüber kritisch eingestellt. Aber auch ich war manches Mal noch viel zu zaghaft und hätte deutlicher sein müssen. Als ich einmal den DDR-Staat mit der Apartheid in Südafrika verglich, gab es Ärger, und ich bin zurückgewichen. Heute werfe ich mir das vor. idea: Stimmt das Bild von der inneren Mauer, die durch Deutschland verläuft? Röhl: Trotz aller Probleme: Man ist mit der Einheit schon viel weiter vorangekommen, als man durch die Medien oft vermittelt bekommt. Es gibt zwar in manchen Bereichen noch eine innere Mauer, aber man sollte sie auch nicht ständig hervorhe- ben. Insgesamt ist es so, daß der Osten sich sehr viel schneller in Richtung Westen bewegt hat, als man ahnen konnte. Was man vom Osten lernen kann idea: Was könnten die Bürger in den alten von denen in den neuen Bundesländern lernen? Röhl: Man lebt im Westen anonymer, als es im Osten - bis jetzt jedenfalls noch - der Fall ist. Ich wohne in einem der Plattenbauhochhäuser in Leipzig: Man redet und trifft sich dort häufiger, als ich das im Westen erlebt habe. Man pflegt auch mehr Freundschaften und führt weniger nichtssagende Gespräche. Ich fühle mich jedenfalls in Leipzig ganz und gar nicht als Außenseiter, sondern integriert. idea: Gibt es ein Hauptvorurteil gegenüber den mitteldeutschen Bürgern ? Röhl: Ja, sie seien faul. Und das ist einfach nicht wahr. Was an Engagement und Leistung in Mitteldeutschland seit der Wende vollbracht wird, ist zum großen Teil geradezu hervorragend. Grundsätzlich sollten die Bürger aus den alten Bundesländern öfter in die neuen fahren und sich beispielsweise einmal die Häuser, die Wohnungen ansehen. Sie werden erkennen, daß dieser Staat bei der Wende kurz vor dem völligen Zusammenbruch stand - ebenso wie der gesamte Ostblock. Um es mal auf einen Punkt zu bringen: Hier ist unheimlich viel schlicht Schrott. Und das ist eine Schuld des Systems und nicht des Einzelnen. Die Überwindung dessen, was der Sozialismus 40 Jahre lang angerichtet hat, ist natürlich ein äußerst langwieriger Vorgang. Bürger aus dem Westen sollten sich also mit Kritik sehr vorsichtig verhalten. Um auf noch einen Unterschied zu kommen: Man ist in Mitteldeutschland sehr kontaktfreudig. Man wird häufig angesprochen und spürt keineswegs irgendeine Reserviertheit. Insgesamt sollten wir alle mehr Geduld miteinander haben. Die Bürger aus den alten Bundesländern sollten auch bedenken, daß die Menschen im Osten es trotz politischem Druck und Mauer nicht nur schlecht gehabt haben. Sie sind keineswegs 40 Jahre in Trauerkleidern herumgelaufen und haben sich vielfach auch freuen können. Auch diese Einschätzung gilt es zu bedenken. idea: Tut der Westen genug für den Osten? Röhl: Das Entscheidende ist, wie es getan wird. Viele Bürger haben schlechte Erfahrungen mit Geschäftemachern aus dem Westen, die sich teilweise katastrophal benommen haben und benehmen. Ich denke zum Beispiel an Firmen, die ganze Häuserreihen aufkaufen und deren Bewohner dann durch überhöhte Mieten geradezu raustreiben. Der Immobilienschacher in der Leipziger Innenstadt erinnert sehr an die früheren Vorgänge im Frankfurter Westend. Es gibt noch viele negative Beispiele. Nicht machtlos gegenüber dem Fernsehen idea: Sie haben sich aufgrund Ihrer Erfahrungen als Chefredakteur von „Tagesschau" und „Tagesthemen" dafür ausgesprochen, daß Korrektursendungen eingeführt werden sollten. Auf diese Weise könnte richtiggestellt werden, was sich als falsch erwiesen hat. Haben Sie in Ihrer fast dreijährigen Tätigkeit beim MDR Entsprechendes verwirklichen können? Röhl: Noch nicht. Bisher ist uns allerdings auch noch kein großer Fehler nachgewiesen worden. Wenn dies geschehen sollte, werden wir uns am nächsten Tag korrigieren, egal, was war. Es darf nicht sein, daß Betroffene beim Fernsehen oder Hörfunk das Gefühl haben, sie seien machtlos. In einer Zeitung ist es ja kein großes Problem, über einen Leserbrief oder eine Gegendarstellung anderes zu Gehör zu bringen. Dies muß in den elektronischen Medien auch möglich werden. Wobei ich immer wieder betone, wie notwendig es ist, daß sich Hörer und Zuschauer bei ihren Sendern melden. Beschwerdebriefe werden sehr intensiv gelesen. Auch kann man sich bei den Rundfunkräten beschweren, die die Kontrolle übereinen Sender ausüben. Vielfach werden auch Telefonanrufe bei den Sendern genau registriert. Je mehr Christen reagieren, um so mehr werden sie auch Gehör finden und Einfluß ausüben. Hier kann man reagieren: DIE ADRESSEN VON RUNDFUNK ANSTALTEN ARD-Programmdirektion Postfach 200665, 80006 München, Tel. (089) 591333. Bayerischer Rundfunk (BR) Rundfunkplatz 1, 80300 München, Tel. (089) 38061/Hörfunk 590001. Hessischer Rundfunk (HR) Postfach 101001, 60010 Frankfurt, Tel. (069) 1551. Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), Postfach 94, 04132 Leipzig, Tel. (0341) 55950. Norddeutscher Rundfunk (NDR), Rothenbaumchaussee 132-134, 20149 Hamburg, Tel. (040)41560. Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (ORB), August-Bebel-Straße 26-53, 14482 Potsdam, Tel. (0331) 96510. Radio Bremen (RB) Postfach 330320, 28333 Bremen, Tel. (0421) 2460. Saarländischer Rundfunk Funkhaus Haiberg (SR) 66100 Saarbrücken, Tel. (0681)6020. Sender Freies Berlin (SFB) Masurenallee 8-14, 14057 Berlin, Tel. (030) 30310. Süddeutscher Rundfunk (SDR), Postfach 106040, 70049 Stuttgart, Tel. (0711) 9290. Südwestfunk (SWF) Postfach 820, 76530 Baden-Baden, Tel. (07221) 920. Westdeutscher Rundfunk (WDR), 50600 Köln, Tel. (0221) 2201. ZDF/3sat Postfach 4040, 55100 Mainz, Tel. (06131) 702161. Kabelkanal Martin-Koller-Straße 13, 81829 München, Tel. (089) 451850. PRO 7 Bahnhofstraße 28,85767 Unterföhring, Tel. (089) 950010. RTL, Aachener Straße 1036, 50858 Köln, Tel. (0138) 1050. RTL 2 Max-Planck-Str. 39, 50858 Köln, Tel. (02234) 95880. SAT.1 Otto-Schott-Straße 13, 55127 Mainz, Tel. (06131) 9000. n-tv Taubenstraße 1, 10117 Berlin, Tel. (030) 23125500. Evangeliums-Rundfunk (ERF), Postfach 1444, 35573 Wetzlar, Tel. (06441) 5050. DeutschlandRadio (DLR Köln) 50963 Köln, Tel. (0221) 3451. DeutschlandRadio (DLR Berlin), Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz, 10825 Berlin, Tel. (030) 85030 Deutsche Welle (DW) Raderberggürtel 50, 50968 Köln, Tel. (0221) 3890. DRS (Schweiz) Fernsehstraße 1-4, CH-8052 Zürich, Tel. 0041 (1) 3055719. ORF (Österreich) Würzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. 0043 (1) 878780. ARTE 2a rue de la Fonderie, F - 67000 Straßburg, Tel. 0033 (88) 522277. idea: Was wünschen Sie sich von den Kirchen ? Röhl: Auf jeden Fall mehr Ermutigung. Bei der EKD-Synode, die sich - Ende 1992 in Suhl - mit dem Schwerpunktthema „Medien" beschäftigte , gab es ja so gut wie nur Kritik an den Medien, wobei man deren notwendige Gesetzmäßigkeiten gar nicht erst dargestellt hat. Man versteht nicht, daß wir von einer Predigt im Gottesdienst nicht fromme Sätze wiedergeben können, sondern immer nur das, was einen aktuellen Bezug hat. Auch sollte man verstehen, daß wir die Vergangenheitsbewältigung der Kirchen sehr kritisch beurteilen. idea: Was läuft falsch? Röhl: Hier wird noch vieles zugedeckt. Man hat weder den Mut zur Wahrheit noch zu einem Schuldbekenntnis. Und das wirkt besonders bei einer Kirche merkwürdig, die ansonsten ständig andere zur Umkehr ruft. In dem Zusammenhang erscheint mir die uneingeschränkte Verteidigung Stolpes durch zahlreiche Kirchenrepräsentanten nicht glaubwürdig. In den neuen Bundesländern wird jeder Pförtner aus dem Amt entfernt, wenn man in seinen Akten findet, daß er als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit geführt wurde. Nach Angaben der Gauck-Behörde steht fest, daß Stolpe IM unter dem Decknamen „Sekretär" gewesen ist. Warum muß er keine Konsequenzen ziehen? Für mich fällt es schwer, Journalisten und andere Mitarbeiter in unserem Hause zu entlassen, wenn sie Stasi-Mitarbeiter gewesen sein sollen, solange Stolpe noch im Amt ist. Die hier geübte doppelte Moral halte ich für problematisch. Schule: Montags läuft nichts idea: In einem Berichtübereine Studienwoche zum Thema „ Kinderfilme" wurden Lehrer zitiert, die sagten: Am Montag läuft bei unseren Schülern faktisch nichts. Alle seien noch so bewegt von den zahllosen Filmen des Wochenendes, daß sie noch nicht fähig seien, einem normalen Stundenplan zu folgen. Auf dieser Studienwoche wurde eine ....Montagspädagogik für Fern-sehgeschädigte" gefordert. Ist das auch eine Anfrage an Sie als Fernsehverantwortlichen ? Röhl: Von der gleichen Problematik hören wir auch aus Kindergärten, daß nämlich die Kinder montags besonders schwierig seien. Doch dies ist ja nicht in erster Linie eine Anfrage an das Fernsehen, sondern vielmehr an die Eltern. Eltern, die ihre Kleinen zu lange fernsehen lassen, dürfen sich nicht wundern, wenn die Kinder dann auch geschädigt werden. Insbesondere sollten Eltern ihre Kinder beim Fernsehkonsum nicht alleinlassen, sondern zuschauen und mit ihnen danach über das Gesehene sprechen. Natürlich sollten sie dabei auch den Mut haben, nötigenfalls den Abschaltknopf zu betätigen. Statt dessen aber hat in vielen Familien das Fernsehen mittlerweile die Funktion des früheren Kindermädchens übernommen. Wenn die Eltern sich nicht mit ihren Kindern beschäftigen wollen oder etwas anderes Vorhaben, dann setzen sie die Kinder einfach vor den Bildschirm. Zum Kinderprogramm istzu sagen: Es macht die Kinder mit Sicherheit nicht aggressiv. Das Problem ist nicht das Kinderprogramm, sondern daß die Kinder Sendungen sehen, die nicht für sie gedacht sind, also insbesondere das Programm nach 20.15 Uhr. Hier aber setzt die Verantwortung der Eltern ein. Mit Bildern wird auch gelogen idea: Wieviel TV-Konsum empfiehlt der Fernsehmann Röhl? Röhl: Entscheidend ist nicht die Zeit, die man vor dem Fernseherverbringt, sondern die Einstellung zu dem, was gezeigt wird. Ich kann nur immer wieder betonen: Glaubt nicht alles, was ihr im Fernsehen seht! Das Fernsehen hat dadurch, daß es per Bild kommt, die höchste Glaubwürdigkeit aller Medien. Dabei ist das Fernsehen natürlich auch zu einem wichtigen Manipulationsinstrument geworden. Und es wird mit Fernsehbildern nicht selten gelogen und betrogen - auch im deutschen Fernsehen. Ein Beispiel: Wir haben in „Tagesschau" und „Tagesthemen" die Erschießung des rumänischen Diktators Ceaucescu und seiner Frau gezeigt. Erst nachträglich stellten wirfest, daß sie längst erschossen waren, als die Bilder gedreht wurden. Das rumänische Fernsehen hatte die Toten nachträglich noch einmal für einen Film präpariert und sozusagen Leichen noch einmal erschossen, nur weil man meinte, demonstrieren zu müssen, daß sie auch tatsächlich umgebracht wurden. idea: Wurde das bei Ihnen korrigiert? Röhl: In diesem Falle ja. idea: Aber wie soll sich nun der Zuschauer verhalten? Er muß doch davon ausgehen können, daß das, was ihm gezeigt wird, der Wirklichkeit zumindest größtenteils entspricht. Röhl: Hier liegt tatsächlich ein großes Problem vor, das sich auch nicht generell lösen läßt. Nötig ist auf jeden Fall ein kritischer Zuschauer, der unter Umständen auch einmal nachfragt, ob sich das Gezeigte auch wirklich so abgespielt hat. Warum viele Journalisten so links sind idea: Gibt es Ihrer Erfahrung nach eine Erklärung dafür, daß sich 35 bis 40 Prozent der westdeutschen Journalisten im Rundfunk zum Atheismus bekennen ? Das sind fast dreimal so viel wie der westdeutsche Bevölkerungsdurchschnitt. Röhl: Journalisten sind sehr anfällig für das, was dem Zeitgeist entspricht. Und es gilt eben nicht mehr als angemessen, Mitglied einer Kirche zu sein. idea: Und daß sich mehrheitlich Journalisten bei Umfragen als politisch linksstehend bezeichnen? Röhl: Das hat natürlich auch etwas mit dem natürlichen journalistischen Opportunismus zu tun und dem Wunsch, auf der Seite dessen zu stehen, was man als Fortschritt ansieht. idea: Welchen Stellenwert hat Christliches im deutschen Fernsehen? Röhl: Es gibt eine Reihe von kirchlichen Sendungen. Das zeigt, daß Christliches im Fernsehen einen Stellenwert hat. Aber es ist längst nicht das zentrale Gedankengut. Das ist es freilich auch außerhalb des Fernsehens längst nicht mehr. Mein Vorschlag wäre: Mehr Christliches auch in allgemeinen Sendungen zu bringen und weniger Politisches in den kirchlichen Beiträgen. idea: Wir danken für das Gespräch Wenn Gott verramscht wird Die Kirche und die Journalisten Uwe Siemon-Netto Johann Tetzel (1465-1519) ist wieder da. Im 16. Jahrhundert war Tetzel ein Dominikanermönch und verkaufte Ablässe, damit der Petersdom in Rom gebaut werden konnte. Heute ist er evangelisch und verramscht Gott, auf daß sich die leeren Kirchen wieder füllen. Dafür verramscht Tetzel unter anderem folgende Güter: 1. Gottes Namen. Wir dürfen damit herumkaspern. Wir dürfen zur Göttin beten. Wir kommen auch ganz ohne Gottes Namen aus, zum Beispiel im Grundgesetz. Sagt die moderne Tetzel-Theologie. 2. Gottes Weisheit. Wir dürfen sie in Frage stellen. Ein törichter Gott, dem die Homosexualität ein Greuel ist! Tetzeis Gott läßt sich nach Trends umdefinieren. Er hat die gleichgeschlechtliche Liebe als Schöpfungsvariante erfunden. Formulieren wir also 1. Mose 1,27 um: „Zum Bilde Gottes schuf er ihn: und schuf sie als Mann - und Mann." 3. Gottes Schöpferprivileg. Er steht zur Disposition. Es ist nicht mehr seine Sache, ob ein Leben im Mutterleib wachsen darf. Und so weiter und so weiter. Sogar der Sadomasochismus ist laut Tetzel-Theologie gottgewollt - zwecks Selbstverwirklichung. Die Sache hat aber einen Haken: Tetzel bleibt der Erfolg versagt. Kirchen, die zu theologischen Ramschläden umfunktioniert worden sind, bleiben leer. Denn Tetzel und seine Ware werden nicht ernstgenommen, am wenigsten von jenen, denen er zuerst imponieren muß, wenn er sich dem Publikum bekannt machen möchte: uns Journalisten. Natürlich berichten wir an prominenter Stelle, daß der eine oder andere Pfarrer Gottes Namen aus dem Grundgesetz streichen will. Natürlich begleiten wir die Debatte, ob homosexuelle Paare ins Pfarrhaus einziehen dürfen, mit angemessenem Trara. Das sind vermeldenswerte Geschichten. Nur mögen sich die Urheber von Sensationen nicht einbilden, daß sie automatisch den Respekt der Journalisten erwerben. Bedenken wir, mit wieviel Tamtam die erste Bischöfin des Weltluthertums hochgejubelt wurde, eine Theologin, die in der Homosexualität ein zentrales Thema unserer Tage sieht. Bald darauf wurde sie wegen einer läppischen Immobilienangelegenheit vorgeführt. So ist das: Wenn ein Geistlicher im Reich der Welt wildert, wird er nach weltlichen Kriterien beurteilt. Da er aber in weltlichen Fragen ein Laie - griechisch: ho idiotes - ist, wird er von weltlichen Instanzen nicht richtig ernstgenommen. Ich staune immer wieder darüber, wie unbedarft moderne Tetzel-Kleriker um die Medien buhlen. Sie merken gar nicht, wie uninteressant sie wirken, wenn sie Gott in seinem eigenen Haus verramschen, um Raum für Betroffenheit über weltliche Themen zu schaffen. Will sagen: Wenn sie die Kirche zu einem Billiganbieter von Ethik indifferenter Qualität reduzieren. Wir Journalisten mögen Zyniker sein, aber so dumm sind wir nicht, daß uns Inkompetenz nicht auffiele. Wir, die wir die Nöte der Welt täglich unmittelbar erleben, haben keinen Bedarf für Pfarrer, die von der Kanzel mitteilen, was wir selbst viel besser - und korrekter - formulieren können. Wir haben keinen Bedarf für klerikale Lösungsangebote auf Stammtischniveau. Als alter Kriegsreporter weiß ich nur zu genau, daß der von vielen Pfarrern gepredigte Pazifismus ei ne Albernheit ist. Der Zweite Weltkrieg beweist uns dies: Wären die Alliierten von Pazifisten regiert gewesen, hätte Hitler sein mörderisches Werk wohl vollenden können. Der Golf-Krieg, das Massaker im ehemaligen Jugoslawien und unzählige andere Konflikte machen uns wieder und wieder deutlich, daß Kan-zei-Pazifismus nichts als klerikales Papperlapapp ist. Die Kirche soll um Frieden beten und die Leidenden trösten. Aber sie soll nicht denjenigen ins Handwerk pfuschen, die notfalls mit Waffengewalt Verbrechern Einhalt gebieten wollen: Das ist nicht ihr Job. Im Vietnam-Konflikt haben mich nicht die wohlfeil demonstrierenden Pastoren beeindruckt. Nein, der Theologe, der mir damals am meisten imponierte, war ein lutherischer Militärseelsorger, der 1968 im Kessel von Khe Sanh, während unaufhörlich Raketen und Granaten einschlugen und sich überall die gefüllten Leichensäcke stapelten, todesmutig mit dem Sakrament von Stellung zu Stellung lief. Im Angesicht so vieler zerbrochener Leiber reichte er den Soldaten den einen zerbrochenen Leib, der Leben spendet. Dies war sichtbare, lebendige Kirche, die mit großer Intensität in die Welt hineinwirkte. Wenn die Kirche aber nicht geistlich ins Reich der Welt hineinwirkt, sondern in dieses Reich auswandert, muß sie feststellen, daß sie dort weder ein Heimatrecht noch einen richtigen Arbeitsplatz hat. Wie also könnte die Kirche uns Journalisten erreichen - uns, die wir das Auge, das Ohr und die Zunge des Reiches der Welt sind? Indem die Kirche, statt uns nachzuäffen, erstens unsere Neugier weckt und zweitens unsere Sehnsüchte stillt. 1. Wenn die Neugier die erste Voraussetzung für den Journalistenberuf ist, sollte uns logischerweise faszinieren, was der Theologe Rudolf Otto totaliter aliter genannt hat, das gänzlich Andere. Gott also. Statt uns mit Bekanntem zu langweilen, wäre die Kirche besser beraten, uns mit größtem Geschick auf das unfaßlichste aller Mysterien zu stupsen. 2. Was die Sehnsüchte anbelangt, so sind wir Journalisten, die wir im Durchschnitt nur 58 Jahre leben, damit üppig ausgestattet; denn ob wir's nun zugeben oder nicht: Unsere Seelen sind wund. Auch in den Redaktionen hat sich herumgesprochen, daß die materialistische Weltanschauung hoffnungslos gescheitert ist. Natürlich geben wir unsere Sehnsüchte nicht offen zu. Da wir Journalisten die Quintessenz aller Weltlichkeit sind, liegen wir in einem ständigen Konflikt zwischen unserer Neugier und jenem Aspekt der Ursünde, der die Menschheit seit Adams Zeiten begleitet: Wie die ersten Menschen (1. Mose 3,8) verstecken wir uns vor Gott; wie der Vogel Strauß, der seinen Kopf in den Sand steckt, tun wir dann, als wäre Gott nicht da. Das Bedürfnis, Gott zu negieren, ist uns angeboren, es ist Teil unserer Natur. Hier zeigt sich aber, wie töricht Kleriker sind, die der Welt durch die Medien kundtun, diese oder jene Veranlagung - zum Beispiel die Homosexualität oder Sado- masochismus - sei schon deshalb gut und gottgewollt, weil sie uns angeboren sei. Argumentierte diese Kirche folgerichtig, müßte sie hinzufügen, auch Gottlosigkeit sei richtig und gottgewollt, weil uns angeboren. Eine Kirche aber, die Gott zu solchen Rabattpreisen verschleudert, betreibt Ablaßhandel. Und damit befriedigt sie weder die Neugier noch die Sehnsüchte von Journalisten. Wenn wir also davon ausgehen, daß Journalisten ein Konzentrat der Gesellschaft sind, so müssen wir uns fragen: Was muß die Kirche tun, um vor allem uns den Weg zu leuchten, und zwar nicht mit Strohfeuern spätpubertärer Keßheiten, sondern mit der Dauerflamme des Gotteswortes? „ Das Denken, das von den menschlichen Problemen ausgeht und von dorther nach Lösungen fragt, muß überwunden werden, es ist unbib-lisch", schrieb der Lutheraner Dietrich Bonhoeffer, „nicht von der Welt zu Gott, sondern von Gott zur Welt geht der Weg Jesu Christi und daher der Weg alles christlichen Denkens." Dies erfordert eine klug konzipierte Medien-Mission, in der für eine Tetzel-Theologie kein Platz ist. Wir dürfen uns nicht mit dem Defätismus der modernen Ablaßkrämer zufriedengeben -jener verzagten Theologen, die von einer postchristlichen Ära faseln. Wir haben dafür zu sorgen, daß die Historiker von morgen unser Zeitalter als eine von mehreren zwischenchristlichen Epochen in der Geschichte klassifizieren werden. Deshalb schließe ich mich dem Schweizer Theologen Robert Leuenberger an, der in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb: „Wie die Kirchen ihre Zukunft bestehen werden, hängt zuletzt einzig davon ab, ob sie bei allem geforderten Wandel bei ihrerSacheundsonstbei nichtszu bleiben vermögen, selbst dann, wenn sie dadurch etwas von ihrer 'gesellschaftlichen Akzeptanz' einbüßen müssen. Eine Kirche aber, die nicht dazu bereit wäre, ein Stück gesellschaftlicher Unzeitgemäßigkeit auf sich zu nehmen, hätte der Gesellschaft ihrer Zeit nichts mehr zu sagen. Die Geschichte jedenfalls lehrt, daß die Kirche, entgegen allen scheinbar irreversiblen Prozeßabläufen, sich immer nur dann zu erneuern und ihre Kräfte der Erneuerung auf die Welt zu übertragen vermocht hat, wenn sie sich den Quellen zuwendete, aus denen sie lebt." Der Medienmarkt boomt Zur Situation der kirchlichen Publizistik Edgar Sebastian Hasse Der säkulare Medienmarkt boomt. Neue Nachrichtenmagazine erobern solvente Käuferschichten. Der „Spiegel" mußte Anzeigen- und Auflagenverluste durch „Focus" hinnehmen; im Herbst 1994 wird die „Mutter aller Illustrierten", der „Stern", Konkurrenz aus eigenem Hause bekommen: Nach dem Vorbild der österreichischen Info-Illustrierten „News" (Wien) erscheint im Verlag Grüner + Jahr (Hamburg) „Tango", ein informationsillustriertes Wochenmagazin. Auch andere Verlage basteln an ähnlichen Projekten (Heinrich Bauer; Springer; Burda). Brandneue Titel wie „Fit for fun" und „Max" aus der Hamburger Verlagsgruppe Milchstraße waren auf Anhieb journalistische Bestseller - die neuen Zeitgeistmagazine. Auf dem kirchlichen Printmarkt jedoch fehlt jede Aufbruchstimmung. Die Kirche steckt in einer religiösen Rezession, die mit einem Ansehensverlust in der Gesellschaft verbunden ist. Steigende Austrittszahlen führen zu geringeren Kirchensteuereinnahmen. Die Folge: In den Haushaltsplänen der Landeskirchen regiert der Rotstift, der auch in der Publizistik ansetzt. Die wähnt sich, mehr denn je, in einem Ghetto der mangelnden öffentlichen Akzeptanz. Und die Resonanz in der Kirche sinkt. Die Krise dieser Publizistik, die eigentlich eine Krise kirchlichen Handelns ist, wiegt umso schwerer, wenn man sich der Ursprünge und Glanzzeiten medienvermittelter Kommunikation in der Kirche besinnt. Als das Fernsehen noch nicht den Alltag der Familien beherrschte, als der Trost und der Rat der Religion bei den Zeitgenossen noch etwas zählte - da war die Blütezeit der kirchlichen Blätter. 1. Anfänge und Aufbrüche Die evangelische Publizistik beginnt mit der Reformation-mit Martin Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 und der öffentlichen, durch die Erfindung des Buchdrucks möglichen Verbreitung seiner Ideen. Mit den pietistischen Blättern entsteht Ende des 18. Jahrhunderts der Prototyp protestantischer Gemeindepresse - 1786 die „Sammlungen für die Liebhaber der christlichen Wahrheit", angeregt von der Deutschen Christentums-Gesellschaft. Das Laienblatt veröffentlichte Bibelauslegungen, „Nachrichten über die Entwicklung des Reiches Gottes", Gebetserhörungen und warnte vor schädlichen (meist rationalistischen) Schriften. Das Programm prägte fortan die evangelische Gemeindepresse. Der Aufschwung kirchlicher Publizistik setzt sich nach den Befreiungskriegen (1813-1815) fort. Unter dem Einfluß kirchenpolitischer Interessen bilden sich die Sprachrohre konfessionalistischer Gruppierungen heraus. Die „Allgemeine Kirchenzeitung", 1822 als Organ des theologischen Rationalismus gegründet, publizierte vor allem Nachrichten aus dem kirchlichen Leben und der Welt. Die „Evangelische Kirchenzeitung", gegründet von Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802-1869), war das Parteiblatt der konfessionellen Lutheraner; die „Protestantische Kirchenzeitung", 1854 entstanden, das der theologisch Liberalen. Die Evangelische Allianz gründete 1859 die „Neue Evangelische Kirchenzeitung", die eine gute Resonanz bei den Kirchenleitungen fand. Christliche Vereine, Verbände und Verlage begannen im 18. Jahrhundert mit der Herausgabe der Sonntagsblätter, die erbaulich waren, Geschichten erzählten und missionieren wollten. Doch erst aufgrund der sozialen Bewegung - die Reaktion von Kirche und Gesellschaft auf die wachsende Industrialisierung und ihre verheerenden sozialen und geistigen Folgen für die Arbeiter - gewinnt die Kirche ein tieferes und zielorien-tierteres Verhältnis zur Presse - auch zu ihrer eigenen Hinzu kam die Verschärfung des Verhältnisses zur römisch-katholischen Kirche (Ultramontanismus), die die Protestanten zur Apologie herausforderte. Der von Willibald Beyschlag und Friedrich Nippold, einem scharfen Antikatholiken, gegründete Evangelische Bund, wollte eine „deutsch-protestantische Schutz- und Trutzburg gegen Rom" (Beyschlag) sein. Als wichtiges Mittel, das Ziel zu erreichen, sollte diesäkulare und kirch- liehe Presse dienen. Im ersten Aufruf des Evangelischen Bundes von 1887 sprechen sich die Initiatoren gegen Ultramontanismus, Materialismus und religiösen Indifferentismus aus. Sie fordern innerhalb des protestantischen Lagers „konfessionelle Friedensbestrebungen" 2. Der Gründer des Evangelischsozialen Preßverbandes für die Provinz Sachsen, Stanislaus Swierczewski, urteilte über den Evangelischen Bund, der habe „unbestreitbar als erster das Verdienst, daß evangelisch-kirchliche Angelegenheiten auf breitester Grundlage regelmäßige Würdigung in der Tagespresse fanden ..." 3. Damit habe er wichtige Vorarbeiten für das publizistische Engagement der Inneren Mission geleistet. Regelmäßig gab der Evangelische Bund eine „kirchliche'Korrespondenz" für die deutsche Tagespresse heraus. 350 Zeitungen waren um 1903 die Abonnenten, zudem 350 Privatpersonen. Die „Preßverbände" nahmen diesoziale Frage ins Visier. Der erste, der Evangelisch-soziale Preßverband für die Provinz Sachsen, entstand 1891. Seine Gründung und sein Wirken kann als erste wirksam und systematisch betriebene Aktion kirchlicher Publizistik verstanden werden 4. Weil sich die evangelischen Kirchen den sozialen Problemen zuzuwenden begannen, rückten sie in den Blickpunkt öffentlichen Interesses, denn bislang fanden die Vorgänge in der Kirche wenig Beachtung in der Tagespresse 5. Zu den Aufgaben der „Preßverbände" zählte die Bekämpfung der Gottesentfremdung, des Sittenverfalls und die „Gewinnung der durch die Sozialdemokraten verführten unteren Stände für die evangelische Kirche, für Vaterlandsliebe und soziale Ordnung" 6. Von herausragender Bedeutung war das Engagement Johann Hinrich Wicherns (1808-1881) (und der Inneren Mission), der 1848 auf dem Wittenberger Kirchentag die „Notstände der protestantischen Kirche" beklagte und seine publizistischen Ideen 1849 in der Denkschrift „Die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche" zusammenfaßte 7. Er unterschied christliche Flugschriften, Volksliteratur und populäre religiöse Zeitschriften, deren Ziel auch die Erbauung und die Förderung der Sonntagsheiligung sein müsse. In einer Zeit, in der das säkulare Massenblatt „Gartenlaube" eine Auflage von 380.000 Exemplaren erzielte, ging die Innere Mission den richtigen Weg: Publizistik als grundlegendes Mittel der Inneren Mission. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es im deutschsprachigen Raum 860 evangelische Titel mit einer Auflage von 8,3 Millionen Exemplaren. In Württemberg hatten sie eine Auflage von 850.000; in Sachsen von 673.000 8. Das Handbuch der Evangelischen Presse von 1929, mither-ausgegeben von August Hinderer, zählt 1929 insgesamt 1.928 evangelische Titel - Auflage: 15,6 Millionen. Zum Vergleich: 1965 waren es 700 Titel mit 7,5 Millionen Auflage. In der Weimarer Republik wandelt sich die „Pressearbeit" zur Öffentlichkeitsarbeit der Kirche 9 - vor allem unter dem Einfluß des Theologen, Publizisten und Direktors des Evangelischen Presseverbandes in Berlin, August Hinderer. Sein Bestreben war es, daß die Kirche wieder eine Macht des öffentlichen Lebens werden sollte. Den von Wiehern propagierten Slogan „Mission durch das gedruckte Wort" wollte Hinderer überwinden, indem er vom „Protestantischen Dienst in der Solidarität mit der Presse" ,0 sprach. Auf dem zweiten deutschen evangelischen Pressetag von 1920 hieß es, daß die „evangelische Presse eines der unentbehrlichsten Mittel sei"; „ohne evangelisch-christliche Presse kein evangelisch-christliches deutsches Volk". Vor allem im Kreis der dialektischen Theologen um Karl Barth stieß der kulturprotestantische Ansatz auf scharfen Widerspruch. In jenem Zeitraum des Aufbruchs, vom 18. Jahrhundert bis zur Machtergreifung Hitlers, beschreibt Ortmann " zusammenfassend fünf Motive evangelischer Publizistik: das polemische; das apologetische; das missionarische und ökumenische Motiv und die soziale Bewegung als Handlungsbasis. Der Nationalsozialismus zerstörte die Pressefreiheit - auch der religiösen Presse. Teile der evangelischen Publizistik, die dem kulturprotestantischen Ansatz folgten (und nicht dem Verkündigungsansatz), ließen sich, in der Hoffnung zu überleben, vor den Propagandawagen der NS-ldeologen sperren. Im „Kirchengesetz über die evangelische Presse" vom 9. Juli 1934 wird die protestantische Presse der NSDAP-treuen Deutschen Evangelischen Kirche unterstellt '2. In einer Anordnung des Präsidenten der Reichspressekammer vom 12. Juli 1935 wird klargestellt: „Die Behandlung politischer Fragen oder die Stellungnahme dazu ist nicht Aufgabe der kirchlichen konfessionellen Presse" ’2 3. Das Jahr 1941 bescherte der kirchlichen Presse, von Verordnungen wie dem Frick-Erlaß vom 6. September 1934 über die „Veröffentlichung über die derzeitigen Verhältnisse der Evangelischen Kirchenzeitungen, Gemeindeblätter, Wochenblätter und Zeitschriften" bereits gegängelt, das endgültige Aus. Vom 1. Juni 1941 an mußten die Blätter ihr Erscheinen einstellen. Nach dem Krieg begann ein neuer Aufschwung. Selbst in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erhielten kirchliche Blätter ihre Lizenzen. 1956 wurden in der Bundesrepublik 1.250 evangelische Zeitschriften und Zeitungen gezählt ’4. Der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje gründete das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt", außerdem entstand „Christ und Welt", das später mit dem „Rheinischen Merkur" fusionierte. Herausgefordert von den neuen demokratischen Verhältnissen und geprägt von den Erfahrungen in der NS-Diktatur, begann in Kirche und protestantischer Publizistik ein neues Nachdenken über die theologischen Dimensionen kirchlicher Publizistik - ein Prozeß, der bis heute anhält. 2. Zusammenfassung Abgesehen vom Verbot der kirchlichen Presse im Dritten Reich, stand die evangelische Publizistik 200 Jahre lang in einer Blütezeit. Obwohl das Versagen der staatstragenden Kirche in der „sozialen Frage" die Aversion der Arbeiter gegen die Religion nährte, gelang es ihr, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Dazu diente eine zielgruppenorientierte mediale Kommunikation: Blätterfür kirchenpolitische Gruppierungen, erbauliche Zeitschriften, missionarische Blätter, Verbandsschriften. Der kirchlichen Publizistik gelang es in der Vergangenheit, mit modernen Managementstrukturen (Presseverbände) auf gewandelte Kommunikationsbedürfnisse zu reagieren. Dabei schaffte sie jene Gratwanderung zwischen den beiden publizistischen Polen: Gott und die Welt. Die zielgruppenorientierte Kommunikation - Spartenzeitungen für bestimmte Lesergruppen - dürfte auch heute ein Weg sein, der evangelischen Presseprodukten das Überleben sichert. Der Erfolg der Wetzlarer Nachrichtenagentur „idea" - und auf katholischer Seite von „publik forum" - bestätigt die Richtigkeit dieser These. Der historische Exkurs zeigt auch: Je mehr die Kirche ihre publizistische Verantwortung erkannte, um so größer war der Erfolg ihrer Presse. 3. Die Krise der Kirche - die Krise ihrer Presse Vor mehr als zehn Jahren schrieb der rheinische Pastor und hauptberufliche Parlamentsjournalist K. Rüdiger Durth (Bonn) im Deutschen Pfarrerblatt: Der „Subventionen fressenden" kirchlichen Pressearbeit fehle der dringend notwendige Funke, um endlich „aus dem Schatten gesellschaftlicher Wirkungslosigkeit herauszukommen". Das „Elend protestantischer Presse" lasse sich dabei in inhaltlichen Fragen nachwei-sen. Evangelische Publizistik sei, so Durth, voll von Vorurteilen. „Weithin sind die protestantischen Medien politisch links und theologisch zumindest liberal eingestellt", urteilt Wolfgang Baake '5. Damit würden sie aber dem entgegenstehen, was laut Umfragen an der Gemeindebasis gedacht werde. Baake glaubt, der Auflagenrückgang evangelischer Printmedien habe „nicht entscheidend damit zu tun, daß der Säkularismus und die Kirchenaustritte zugenommen haben". „Der Grund der Misere liegt vielmehr in der Identitätskrise der protestantischen Publizistik. Das Problem für viele Blätter scheint zu sein, daß man nicht genau weiß, wozu man eigentlich da ist... Eine missionarische, evangelistische Zielsetzung oder der Wunsch, Christen auf dem Weg des Glaubens zu begleiten, erfolgte und erfolgt weithin nicht, beziehungsweise wird abgelehnt." Baake schlußfolgert: „Von daher ist die Krise der protestantischen Publizistik... die Folge von theologischer und politischer Einseitigkeit" ’6. Die Auflagenzahien sprechen für sich. Zwar verkündet der Evangelische Pressedienst (epd) vom 13. Oktober 1993: „Auflagenrückgang der Kirchenpresse deutlich gebremst". Doch im Vergleich zu den früheren Glanzzeiten ist das Ergebnis mager: Im Bereich der Evangelischen Kirche gibt es derzeit 17 Kirchengebietsblätter mit wöchentlicher und eine Kirchenzeitung mit Mtägiger Erscheinungsweise. Gesamtauflage: BEREICH WEST Titel 1970 1986 1990 I/94 Veränd. zu 1990 in % Aufbruch - Evangelische Kirchenzeitung für Baden 95.191 49.308 41.870 31.377 -25,06 Berlin-Brandenburgisches Sonntagsblatt 10.226 5.832 5.772 11.802 +104,47* Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 178.351 148.097 141.699 127.189 -10,24 Evangelischer Kirchenbote (Pfalz) 37.723 24.208 25.482 25.183 -1,17 Evangelische Kirchenzeitung für Hessen und Nassau 56.559 30.926 27.500 16.994 -38,20 Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern (Rothenburg) 43.137 44.255 41.382 37.561 -9,23 Kasseler Sonntagsblatt 31.886 26.008 46.539 38.321 -17,66 Niedersächsische Evangelische Zeitung 42.217 35.943 48.179 52.130 +8,20 Nordelbische Kirchenzeitung 75.000 36.320 11.942 22.133 +85,34 Sonntagsblatt- Evangelische Wochenzeitung für Bayern (München) 81.460 54.207 62.032 53.460 -13,82 Unsere Kirche - Evangelisches Sonn tagsblatt für Westfalen und Lippe 166.723 111.187 111.936 101.441 -9,38 Der Weg - Evangelisches Sonntagsblatt für das Rheinland/Evangelisches Wochenblatt an der Saar 91.231 58.849 60.891 42.483 -30,23 BEREICH OST 1989 1992 i/94 Veränd. zu 1992 Die Kirche - Evangelische Kirchenzeitung für Berfin-Brandenburg/Provinz Sachsen/ Pommern/Schlesische Oberlausitz 45.000 28.000 21.029 in% -24,90 Glaube und Heimat - Evangelische Wochenzeitung für Thüringen 39.000 23.000 19.409 -15,61 Der Sonntag (Wochenzeitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens) 38.000 23.000 19.001 -17,39 Mecklenburgische Kirchenzeitung 15.000 10.000 9.000 -10,00 Potsdamer Kirche 15.000 _____ * * * 1991 wurden die Titel „Potsdamer Kirche'* und „Berliner Sonntagsblatt" zusammengelegt. (Qu«ll«: IVW-Auflag«nlist« 1/94) 750.000 Exemplare (bei rund 29 Millionen Kirchenmitgliedern). Hinzu kommen etliche Verbandszeitschriften und periodische Publikationen. Auffällig ist jedoch eine profiliertere Ziel-gruppen-Publizistik in der katholischen Kirche ’7. Hohe Auflagen erreichen vor allem die Frauenzeitschriften (rund eine Million) und Jugendmagazine (rund 1,3 Millionen). Laut einer Untersuchung des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik und der Konferenz Evangelischer Medien- und Presseverbände von 1993 (Titel: „Die Kirchengebietspresse - vielseitig und leistungsstark") in Frankfurt am Main gilt: Der Anteil der unter 45jährigen Leser beträgt nur zehn Prozent (1978 waren es immerhin noch 23 Prozent). 1991 waren 50 Prozent der Leser über 65 Jahre alt (1978: 37 Prozent). Das heißt: Die Leser der Kirchengebietspresse werden immer älter - und für die Anzeigenkunden immer weniger attraktiv. Die Auflage der Kirchenzeitungen in den neuen Bundesländern ging nach der Wende um ein Drittel zurück. Die Marktanalysen ergaben freilich auch: Die Kirchengebietspresse ist besser als ihr Ruf ’8: „Vor allem die intensive Leser-Blatt-Bindung zeigt, daß es einen Grundzuspruch für diese Organe gibt." Die evangelischen Zeitungen haben bei ihren verbliebenen Lesern eine hohe Akzeptanz ,9. 89 Prozent der Bezieher lesen nahezu alle Ausgaben. Als „intensive Leser" stufen sich 65 Prozent ein. Rund 60 Prozent der Befragten sind seit zehn Jahren und länger Abonnenten, 24 Prozent beziehen das Blatt sogar seit über 20 Jahren. 4. Das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" (DAS) Keine evangelische Zeitschrift ist derzeit so umstritten wie das DAS, die offiziöse EKD-Wochenzeitung. „Sonntagsblatt in Nöten" überschrieb die Frankfurter Rundschau am 10. Mai 1994 eine epd-Meldung, nach der die weitere Existenz dieser Zeitung „ungeklärt" bleibe. Nach den Worten von DAS-Geschäftsführer Pastor Dietrich Sattler gehe es inzwischen um Überlegungen, „wie der Fortbestand der Zeitung im Rahmen der zugesagten Zuschüsse gesichert werden kann" Nach seinen Angaben sei die Auflage, 1993 im Durchschnitt 89.500 Exemplaren, im ersten Quartal von 1994 auf 86.984 gesunken. Im Anzeigengeschäft seien die Einnahmen von 1,25 Millionen DM im vergangenen Jahr um 30 Prozent gegenüber 1992 zurückgegangen. (Zum Vergleich: Der „Rheinische Merkur/ Christ und Welt" hat eine Auflage von rund 108.000 Exemplaren.) Noch bis 1996 erhält das DAS, das seit 1993 zu je 50 Prozent vom Süddeutschen Verlag (München) und von zwölf evangelischen Landeskirchen getragen wird, Subventionen von jährlich rund neun Millionen Mark. DAS-Vorstellungen von einer Kooperation mit der Kirchengebietspresse scheiterten - vorerst. Die Konferenz Evangelischer Medien- und Presseverbände lehnte das Vorhaben Ende 1993 ab. Begründung: Der vom DAS mit der Kooperation geplante Anzeigenumsatz sei unerreichbar, unverantwortliche Mehrkosten in Millionenhöhe entstünden (epd Nr. 246, 21.12.1993). Die Kirchenzeitungen warfen dem Sonntagsblatt vor, einseitig an kommerziellen Aspekten einer Zusammenarbeit interessiert zu sein und konzeptionelle Pläne kaum zu diskutieren. „So wurden mit geschönten Modellrechnungen Hoffnungen geweckt, die, wie die genaue Prüfung ergibt, niemals zu erfüllen sind, ja die sogar zu einem ruinösen Substanzverlust der Kirchengebietszeitungen führen würden", hieß es in einer Erklärung der Medien- und Presseverbände. Das DAS hatte den Kirchenzeitungen vorgeschlagen, entweder das Hamburger Blatt in ein Magazin umzuwandeln oder es auch den Kirchengebietszeitungen beizulegen. Oder die regionalen Kirchenzeitungen um acht bis zwölf Seiten zu erweitern, die von der Hamburger Redaktion geliefert werden sollten. Die beiden Modelle wurden von der Konferenz abgelehnt - als ein Versuch, mit Hilfe der Kirchenzeitungen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des DAS zu beheben. Wegen sinkender Einnahmen, so der epd, habe das DAS 1993 die Kooperation mit regionalen Kirchenzeitungen gesucht. Ein Teil des Auflagenrückgangs, erklärte DAS-Geschäftsführer Dietrich Sattler der FAZ vom 9.2.1994, sei darauf zurückzuführen, daß die Haustür-Werbung aufgegeben wurde. „Doch wir haben", fügte er hinzu, „wegen unserer beschränkten Möglichkeiten für eine offensive Vertriebswerbung objektive Schwierigkeiten, die Auflage zu halten. Wir sind eben ein Kann- und kein Mußtitel, der von Rezession und neuen Konkurrenten auf dem Markt schwer getroffen wird." FAZ-Kom-mentar: „Branchenbeobachter halten es für illusorisch, daß die Wochenzeitung durch eine Erholung des Anzeigengeschäftes oder eine Verbesserung der Auflagenstruktur den kirchlichen Zuschußbedarf, wie von der EKD gewünscht, in einer relevanten Größenordnung wird verringern können." Für Unmut, vor allem bei den Evangelikalen, sorgte die vom Branchendienst „medien aktuell" (Hamburg) Ende 1992 veröffentlichte Nachricht über die Spitzengehälter des DAS-Chef-redakteurs Arnd Brummer. Auf Anfrage der Nachrichtenagentur „idea" bestätigte Sattler, daß der damals 35jährige als stellvertretender Chefredakteur ein Jahresbruttogehalt von 160.000 Mark und als Chefredakteur rund 180.000 DM verdiene (117/1992, 7.12.). Im EKD-Kirchenamt hieß es dazu, das Gehalt sei „atypisch in der Kirche, aber branchenüblich". Auf wenig Verständnis stieß auch der Wechsel der Kirchenzugehörigkeit Brummers. Klaus Simon schrieb in „Erneuerung und Abwehr" 20: „Bei Brummer wagte die Frage der Kirchenmitgliedschaft niemand anzutasten (auf der EKD-Mediensynode 1992 in Suhl - d. A.). Brummer war zunächst katholisch, dann eine zeitlang konfessionslos. Im Zusammenhang seines Eintritts beim Sonntagsblatt wurde er evangelisch." Wolfgang Baake kommentierte in „idea" 117/92: „Wenn man als Chefredakteur einen profilierten Journalisten wie beispielsweise Johannes Gross (regelmäßiger FAZ-Autor, Herausgeber zweier Magazine) genommen hätte, dann wäre ein überdurchschnittliches Gehalt einzusehen gewesen. Daß aber der 35jährige Chefredakteur eines über nur 30.000 Dauerabonnenten verfügenden Wochenblattes mit 180.000 DM im Jahr mehr verdient als jeder Bischof in der EKD-teilweise verantwortlich für Millionen Mitglieder-wird schwer begreiflich zu machen sein ... Kurzum: Das Sonntagsblatt-Debakel hat der Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirche geschadet." Freilich muß man hinzufügen, daß Brummer für eine Neukonzeption des Blattes (mehr Leserdiskussion, mehr Kirchenthemen, mehr Lebensnähe) gesorgt hat. Kaum seriös ist die im Sonntagsblatt-Debakel anzutreffende Erbsenzählerei mit der Argumentation, daß die Kirche jeden DAS-Dauer-abonnenten pro Jahr mit 300 Mark subventioniert. Was wird nicht alles in der Kirche subventioniert - von der Diakonie bis zum sonntäglichen Gottesdienst. Wenn sie noch über so viele finanzielle Kräfte verfügt, dann kann sie auch eine eigene Wochenzeitung subventionieren. Entscheidend ist nur die Frage, ob ein überregionales EKD-Wochenblatt in der bisherigen Form (als die kleine „Zeit") heute noch einen Markt hat und ob es sich die Kirche künftig leisten kann. Erste Konsequenzen wurden auf der Gesellschafterversammlung am 15. Juni 1994 in Hannover gezogen. Das mehrheitlich angenommene Konzept der Chefredaktion und der Geschäftsleitung sieht eine Reduzierung der Zahl der Mitarbeiter, eine Halbierung des bisher üblichen Formates (zukünftig ähnlich der „Bild am Sonntag") und in der Redaktion eine stärkere Berücksichtigung der Leseinteressen der kirchlichen Basis vor. Auf den jährlichen EKD-Zuschuß sei man jedoch auch weiterhin angewiesen, so DAS-Geschäftsführer Dietrich Sattler. 5. Kirchengebietspresse Ost Seit der Wende ist die Auflage der Kirchenzeitungen in den neuen Bundesländern nahezu um die Hälfte gesunken. 1989 lag sie noch bei rund 150.000 Exemplaren. Die Leserzahl war angesichts der Rolle der Kirchenzeitungen als Sprachrohr gesellschaftlicher Kritik vier bis fünfmal höher (rund 700.000). Die 1946 gegründete Wochenzeitung „die kirche" erreichte mit ihren fünf Regionalausgaben vor der Wende rund 45.000 Exemplare Gesamtauflage (1994: 21.029). Die Sowjetische Militäradministration hatte bei der Lizensierung eine Auflage von sogar 52.000 Stück veranschlagt. Doch die SED erschwerte das Abonnement der Kirchenzeitung. 1989 warteten rund 1.000 Leser auf ein Abo, das, so die damalige SED-Begründung, wegen Papiermangels nicht sofort eingegangen werden könne. Die fünf Wochenzeitungen der evangelischen und die zwei Wochenzeitungen der katholischen Kirche hatten-ein-schließl ich weiterer Publikationen-eine Auflage von 300.000 Exemplaren. Weitere Zeitungen (Stand vor der Wende/1994) „Glaube und Heimat" (Thüringen): 39.000/19.409; „Der Sonntag" (Sachsen): 38.000/19.001); „Potsdamer Kirche": 15.000 (plusdie Leserdes „BerlinerSonntagsblattes": zusammen 11.802). Beide Zeitungen wurden zusammengelegt. Bis zu 2.000 Abbestellungen gingen in der Schweriner Redaktion der „Mecklenburgischen Kirchenzeitung" (MKZ) ein, als ein SFB-Fernsehteam den MKZ-Chefredakteur Jürgen Kapiske als Inoffiziellen Mitarbeiter des DDR-Staatssicher-heitsdienstes enttarnt hatte. „Die 'Mecklenburgische Kirchenzeitung' hat dieses 'outing' überlebt", schrieb MKZ-Redakteurin Marion Wulf in einem Zeitschriftenbeitrag. (Die Auflage beträgt jetzt 9.000, vor der Wende waren es 15.000.) „Wir haben versucht, offen den Lesern zu sagen, was uns selbst in der Redaktion bewegt hat in den Tagen. Durch-schaubarkeit war unser Anspruch. Wir haben um Solidarität gebeten und sie bekommen." Kapiske hatte im Frühjahr 1992 seine 19jährige Zusammenarbeit mit der Stasi gestanden. Er schrieb Berichte über Journalisten, Kirchenleitungen, Bischöfe - und seine eigene Redaktion. Der Pfarrer bewarb sich 1973 freiwillig bei der Stasi. Er war mehrere Jahre lang Leiter der Pressestelle der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, später Chefredakteur des Informationsdienstes für die lutherischen Minderheitskirchen in Wien. Auch andere Kirchenjournalisten gerieten in den Sog der Stasi. Im Bereich der kirchlichen Publizistik, meldete „idea" am 29.10.1992, seien mindestens vier Pfarrer von der Stasi als IM geführt worden. Dazu gehörte der Chefredakteur der Wochenzeitung „die kirche", Gerhard Thomas (Berlin), der inzwischen von der berlin-brandenburgischen Kirchenleitung einen „Persilschein" erhielt, weil er ohne sein Wissen als IM geführt wurde. Er hatte weder schriftlich noch mündlich eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Dem idea-Bericht zufolge wurde darüber hinaus der damals 50jährige Mitarbeiter des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP), Frank Rudolph, als Stasi-Mitarbeiter enttarnt. Er war bis zu seiner Ausreise in den Westen 1985 Pfarrer der Berlin-brandenburgischen Kirche. Seit 1963 arbeitete er für die Stasi. Deckname: Klaus. Im GEP war er seit 1988 als Korrektor tätig. Auch der Pressesprecher des DDR-Kirchenbun- des, Pfarrer Rolf-Dieter Günther, wurde von der Stasi als IM geführt. Die Kirchengebietspresse in den neuen Bundesländern steckt nun in der Phase einer Neubesinnung. Früher war sie begehrtes Objekt gesellschaftlichen Interesses. Heute muß sie sich -mehr als zuvor - um die Unterscheidbarkeit im gesamtdeutschen Blätterwald bemühen. Wie die Kirche, so ringt auch ihre Presse um Anteile auf dem Markt der Sinnanbieter. Die neuen Gebühren im Postzeitungsdienst haben im Osten wie im Westen den finanziellen Druck erhöht. Die „Mecklenburgische Kirchenzeitung" - die kleinste im Osten - versuchte nach der Wende ihr Profil zu ändern. Marion Wulf: „Unser konzeptionelles Hauptaugenmerk liegt auf Mecklenburg: die Christen in Mecklenburg untereinander informieren, ihnen Hilfen im Alltag anbieten, ihren Glauben stärken. Und dabei trotzdem über die eigene Kirchturmspitze blicken, Analysen anbieten. Den Blick weiten. Und da die Probleme im Osten noch lange andere als im Westen sein werden, wird es wichtig sein, daß die Kirchenzeitungen hier ihr eigenes Profil behalten." Inzwischen entstehen in den neuen Bundesländern jene Organisationsstrukturen, die zum Bestandteil westdeutscher Kirchenpublizistik gehören: die Presseverbände. 1993 gründete sich der „Evangelische Medienverband in der Kirchenprovinz Sachsen und in der Landeskirche Anhalts e.V." - der Nachfolger des 1891 ins Leben gerufenen „Preßverbandes". Der Medienverband verantwortet die Regionalseite der Wochenzeitung „die kirche" und betreut die kirchliche Rundfunkarbeit. Es wurde sogar ein eigenes kleines Hörfunkstudio in der Magdeburger Hegelstraße eingerichtet. 6. Kirchengebietspresse West Auch die Medien-Synode der EKD 1992 konnte den Niedergang und die Ausdifferenzierung der kirchlichen Presse nicht stoppen. Seit 1970 hat die Kirchengebietspresse rund die Hälfte ihrer Leserinnen und Leser verloren - ein Alarmsignal. Die Zeiten, in denen sich die Blätter selbst tragen konnten, sind vorbei. Die Kirche muß zubuttern, was der Markt nicht hergibt. Theologisch-publizistische Konzepte, zuletzt 1979 im „Publizi- stischen Gesamtplan" entworfen, mögen zwar die Bischöfe beruhigen und die Theologen erfreuen. Neue Leser lassen sich aber dadurch nicht automatisch gewinnen. Die Abwärtsbewegung der Auflagen hat sich jedoch deutlich verlangsamt 2'. Die Verbreitungsdichte (Akzeptanz) kann mit werblichen Aktivitäten erhöht werden. Es gibt in jeder Landeskirche bei den kirchennahen Mitgliedern, deren Zahl in den alten Ländern auf rund acht Millionen geschätzt werden, genug Spielraum für erfolgreiche Abonnentenwerbung. Des weiteren, so die Analyse, seien Managementfehler in Vertrieb und Werbung sowie mangelnde Qualität und Ausstattung der Redaktion zu erkennen und abzustellen. Nur wenn die Landeskirchen und Presseverbände an einem Strang ziehen, kann das Überleben der nach wirtschaftlichen Maßstäben unrentablen Kirchenzeitungen gesichert werden. Die EKD-Synode 1992 erklärte: „Im Blick auf die wachsenden Aufgaben im Medienbereich hält die Synode es für dringend geboten, ein neues publizistisches Gesamtkonzept in Fortführung des 'Publizistischen Gesamtplanes der EKD' von 1979 und unter Berücksichtigung der landeskirchlichen Gesamtpläne zu entwickeln. Dabei sollten Vorschläge gemacht werden, wie die Medienarbeit der Evangelischen Kirche publizistisch verbessert, personell gefördert und -soweit erforderlich - wirtschaftlich konsolidiert werden kann." Werner Dettmar fragt sich im Deutschen Pfarrerblatt (2/1993): „Die Zeit der Differenzierung zwischen landeskirchlichen Blättern und solchen auf EKD-Ebene geht vorüber ... Müßten wir also auf diesem Gebiet nicht alle publizistische Kraft auf gemeinsame Organe konzentrieren - ein Organ mit landeskirchlichem Regionalteil oder auch umgekehrt landeskirchliche Zeitungen mit einem EKD-Mantel?" Die Aufgabe, die sich der kirchlichen Publizistik stelle, sei groß genug. „Sie verdient es, daß wir schon jetzt neue Überlegungen anstellen und alle Kraft auf ein wirksames Instrument in unserer Kirche richten, das an die Stelle von vielem Guten tritt, dem Akzeptanz und damit Effektivität versagt bleibt." Notwendig sind also Innovationen im werblichen, vertrieblichen, redaktionellen und herstellerischen Bereich, um den Erfordernissen des Marktes gerecht zu werden. 7. Mitgliedermagazin ("Echt") Um alle Kirchenmitglieder zu erreichen, gibt die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau seit 1993 „Echt" heraus, ein vierteljährlich erscheinendes Mitgliedermagazin in Millionenauflage. Die ersten Nummern fanden unterschiedliche Resonanz. Der Mainzer Theologieprofessor Gert Otto attestierte den Machern - Chefredakteur ist ein PR-Mann - „außerordentlich dürftiges Niveau". Die Redaktion ließ die Kritik nicht gelten. Rüdiger Niemz, der Chefredakteur, entgegnete im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" (3.12.1993), daß „Echt" gerade bei denen Resonanz fände, die das „traditionelle Angebot von Kirchen wenig attraktiv finden und einfach nicht hingehen-summa summarum mehr als 80 Prozent". Aufgabe von „Echt" sei es, ein „positives Lebenszeichen von Kirche" zu geben. Dazu gehöre eine kritische Distanz der Macher zur Institution auf der einen, zu den Vertretern vor Ort auf der anderen Seite. Inzwischen diskutieren auch andere Landeskirchen, darunter die rheinische, die Herausgabe ähnlicher Mitgliederzeitschriften. Dennoch ist die in „Echt" verabreichte theologische Kost so weich und seicht, als sei sie in einer McDonalds-Küche zubereitet worden. Der Ansatz, kirchenferne Mitglieder anzusprechen, ist richtig. Aber wo die geistliche Tiefe fehlt, bleibt das evangelische Profil auf der Strecke. „Echt" könnte von der Konzeption her auch eine Apothekerzeitschrift sein. Die Redaktion erklärte auf den Vorwurf der billigen Anpassung und Niveaulosigkeit: „Hier wird offensichtlich die moderne, leicht lesbare Aufmachung mit inhaltlicherSubstanzlosigkeitgleichgesetzt. UnserTip: Erst mal hinschauen und lesen! Denn ein wichtiger Teil unseres Konzeptes ist der Einsatz von namhaften und hochqualifizierten Autorinnen und Autoren, die in der Regel für viele bekannte Medien Deutschlands tätig sind - und das mit großem Erfolg." Mein Tip jedoch: Ein Siegfried von Kortz-fleisch macht noch keinen Sommer! 8. Evangelischer Pressedienst Auf den Evangelischen Pressedienst soll nur der Vollständigkeit wegen hingewiesen werden. Die Abdruckquote kirchlicher Meldungen indensäkularen Medien ist nach wie vor recht gering. Allerdings: „Eine Untersuchung hat ergeben, daß der Abdruckerfolg von epd-Meldungen mit abnehmendem Kirchengehalt steigt. Gesellschaftsbezogene Kirchenmeldungen haben eine höhere Akzeptanz als reine Kirchenmeldungen. Wo die Kirche für eine breite Öffentlichkeit zur politischen Kraft wird, werden epd-Nachrichten zur begehrten Ware. Ein Beispiel aus jüngster Zeit war die Berichterstattung über die evangelische Kirche in der DDR. Sie verschaffte dem epd bei vielen säkularen Medien auf einem bestimmten Gebiet eine fast monopolartige Sonderstellung", schrieb Hans Hafenbrack im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt (2.10.1992). Nach einer epd-Studie über die deutschen Tageszeitungen aus dem Jahre 1984 steht für das Thema Kirche ein Prozent des Platzes für überregionale Nachrichten und Berichte zur Verfügung, für das Thema Dritte Welt sind es zehn Prozent. Gerade in diesem Bereich hat der epd seine Kompetenzen entwickelt. Ein drittes Feld sind die Medien. Mit zwei Fachredaktionen (Rundfunk und Film), so Hans Hafenbrack, biete der epd auch in seinem täglich über Satellit verbreiteten Basisdienst für mehr als 90 Redaktionen Nachrichten und Berichte, die auf den Medienseiten der Zeitungen „einen guten Platz finden", epd-Medienmeldungen hätten im Durchschnitt eine achtmal höhere Abdruckchance als Nachrichten über andere Themen. 9. Zusammenfassende Thesen Im Vergleich zu früheren Glanzzeiten evangelischer Publizistik hat die aktuelle Deskription gezeigt: 1. Die kirchliche Publizistik wird in der Gesellschaft immer bedeutungsloser. Je mehr die Kirche an Relevanz verliert, umso größer ist der Akzeptanzverlust ihrer Presse. Je mehr die Kirche ihre publizistische Verantwortung erkennt, umso größer kann der Erfolg ihrer Presse sein. 2. In den Kirchenleitungen und Synoden ist die Fortführung des Status quo evangelischer Publizistik umstritten. Folge: Subventionen könnten gestrichen werden-zugunsten neuer Zeitschriften. 3. Die kirchliche Presse kann überleben, wenn sie nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu arbeiten beginnt. Da das in der Phase des Übergangs nur in Ausnahmen (z.B. „Württember- gisches Gemeindeblatt") zu realisieren ist, wird sie auch künftig eine sowohl wirtschaftlich als auch inhaltlich von Kirchenleitungen und Synoden abhängige, also unfreie Presse sein und bleiben. 4. Das Überleben der Kirchenpresse entscheidet sich auch an der Frage, ob sich kirchliche Publizistik - wie bisher - im Ghetto der Kirchenmauern ereignet. Oder ob es ihr gelingt, sich auf dem Feld des gesellschaftlichen Pluralismus zu bewähren. Mit dieser publizistischen Gretchenfrage korrespondiert unmittelbar und grundlegend das Funktionsverständnis von Kirche in der säkularisierten Postmoderne. Wo die Kirche auf den Markt tritt und politischen Strömungen nachhängt, wird sie verwechselbar. Sie muß etwas in die Waagschale werfen, was die anderen nicht haben: die frohe Botschaft. Wenn die Presse jene Frage Dietrich Bonhoeffers stellt, wer Jesus Christus für uns heute eigentlich ist, sie aktualisiert und publizistisch konkretisiert, bewahrt sie ihr spezifisches, protestantisches Profil. 5. Da Jesus Christus der gute Mensch für andere war, gewinnt die Funktion der kirchlichen Publizistik als Stellvertretung an Bedeutung. Kirche sollte jenen Gruppen in der Gesellschaft Gehör verschaffen, die benachteiligt und in der Öffentlichkeit wenig beachtet sind. Dieses Engagement (Flans-Eckehard Bahr: Verkündigung als Information) kann durchaus missionarische Intentionen und Wirkungen haben. Wenn die evangelische Presse ihre missionarische Intention aufgibt, erledigt sie sich selbst. 6. Neue Formen publizistischen Engagements sind permanent zu prüfen. Ein Vorbild könntedie im Katholizismus stärkervertretene Zielgruppen-Publizistik sein (Frauen-, Jugend-, Kinderzeitschriften). Überlegenswert sind auch kirchliche Mitgliederzeitschriften-allerdings auf höherem Niveau als in Fles-sen-Nassau. 7. Die kirchliche Publizistik und die praktische Theologie bedürfen endlich einer profunden theologischen Systematik. Noch immer fehlt in der evangelischen Theologie eine ausgefeilte „Theologie der Massenmedien". Die theologische Theo-rielosigkeit verstärkt die Symptome publizistischen Konzeptionsdefizits. 8. Die Kirche darf ihren Öffentlichkeitsanspruch nicht aufgeben. „Wirhaben nicht zu fragen, obwirdieÖffentlichkeit meistern können, sondern wir haben der Tatsache zu gehorchen, daß der Meister öffentlich ist", schrieb Helmut Thielicke 22. In einer Zeit der Orientierungslosigkeit und Sinnkrisen bedarf der Mensch von heute der ethischen Wegweisung, die eine normative Publizistik religiöser Provenienz erfüllen kann. Eine dialogbereite, zielgruppenorientierte Publizistik der Stellvertretung muß eine normative Publizistik religiöser Provenienz nicht ausschließen. Zwischen beiden kann und sollte eine Korrelation bestehen. 9. Plädoyer für ei ne Zusammenarbeit der Publizisten und Theologen: Die Kirche, aber auch die Leser der Kirchenpresse sind auf beide angewiesen: den gut schreibenden Publizisten und den sauber denkenden Theologen. Bernhard Klaus ist nicht zuzustimmen, wenn er meint: „An die Stelle des nur interpretierenden theologischen Publizisten muß als Subjekt der Theologie der publizistisch denkende Theologe treten 23." Die Kirche bedarf der Qualitäten beider Berufsgruppen. Führungspositionen in der kirchlichen Publizistik und Pressearbeit sollten nicht längerausschließlich mit ordinierten Pfarrern besetzt werden. 10. Kirchenpresse wohin? Der künftige Weg ist ungewiß. Er wird bestimmt von der Dominanz marktwirtschaftlicher Prioritäten. Der kirchliche Auftrag öffentlicher, medial vermittelter Verkündigung darf darunter nicht leiden. Er kann durch Innovationen im werblichen, ver-trieblichen, redaktionellen und herstellerischen Bereich wirtschaftlich abgesichert werden. 11. Anmerkungen ' Hans-Joachim Dörger: Kirche in der Öffentlichkeit. Programme und Probleme ihrer publizistischen Repräsentanz. Stuttgart: Kohlhammer 1979, 163 S. (Urban Taschenbücher T-Reihe; 644) S. 15 2 Ernst-Albrecht Ortmann: Motive ev. Publizistik. Programm der Gründerzeit ais Frage an die Theologie. Witten: Luther. MCMLXIX 172 S. 51 3 a.a.O. S.52 4 a.a.O. S.54 5 a.a.O. 5.92 6 zit. nach Ortmann 100 7 vgl. Gottfried Mehnert: Evangelische Presse. Geschichte und Erscheinungsbild von der Reformation bis zur Gegenwart. Bielefeld: Lutherverlag 1983, (Evangelische Presseforschung; 4) 418 S., S. 141 ff 8 Mehnert, S.207 9 Dörger, S.16 10 Dörger, S.16 ff ” Ortmann, S.116-127 12 Gerhard E. Stoll: Die evangelische Zeitschriftenpresse im Jahre 1933. Witten: Luther-Verlag 1963, 300 S.,S. 198-200 13 a.a.O. S.199 14 a.a.O. S.129 15 Evangelische Verantwortung, Oktober 1992, S. 14 16 a.a.O. S. 15 17 Michael Strauß, Der Journalist 3/1994 18 Udo Hahn, Herder-Korrespondenz 6/1992 ’9 KNA 21.10.1953 20 2/1993 21 Studie „Die Kirchengebietspresse - vielseitig und leistungsstark". Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Frankfurt am Main 1993, 71 S., S. 17 ff 22 Helmut Thielicke: Kirche und Öffentlichkeit. Zur Grundlegung einer lutherischen Kulturethik. Tübingen: Furche 1947 (Forschungen der Ev. Akademie; 1) S. 22 23 Bernhard Klaus: Kommunikation in der Kirche. Gütersloher Verlagshaus, Gerd Mohn 1979, 256 S., S.203 GlaubensSchwund und Medienmüll Der religiöse Buchmarkt in Deutschland Hans Steinacker Unsere strapaziöse Literatour d'horizon gleicht, dem Dichterwort Theodor Fontanes entsprechend, einem „weiten Feld". Giltesdoch, angesichts eines solch facettenreichen Themas nicht nur spezielle Marktgegebenheiten bzw. die Absatzstrategien für Zielgruppen-Segmente zu ergründen, sondern zugleich die sie beeinflussenden und unlösbar mit ihr verbundenen kultur- und mediengeschichtlichen Phänomene ins Visier zu bekommen. Denn nur auf diesem Hintergrund lassen sich seismografische Entwicklungen für die in diesem speziellen Markt produzierenden und verbreitenden Buchhändler Vorhersagen und, darauf reagierend, Konzepte entwickeln. Ludwig Muth, ein katholischer Verleger und Publizist, der als Vorsitzender des Buchmarktausschusses des Deutschen Börsenvereins das komplizierte Gelände der Buchmarktforschung seit vielen Jahren kontinuierlich und kompetent erkundet, beschreibt in seiner Einführung des Werkes „Der befragte Leser. Buch und Demoskopie" (K.G. Saur Verlag, München, 1993)' seine große Betroffenheit, mit der die Öffentlichkeit schon Mitte der 50er Jahre auf seine erstmals erfolgte Berichterstattung über die Buchkultur im sogenannten Land der Dichter und Denker reagierte: „Im Januar 1955 hatten 35 Prozent der Bevölkerung kein einziges Buch im Hause, kein eigenes und kein geliehenes, weitere elf Prozent verfügten über weniger als zehn Bücher, oder genauer gesagt: ein bis maximal neun Bücher." Der Dichter Erich Kästner faßte damals seine Enttäuschung resigniert zusammen: „Das Bild, das wir uns bisher von uns selber machten, war nichts weiter als Buntstickerei auf dem deutschen Para- dekissenfür Heim und Sofa. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken." (Allens-bacher Berichte, Nr. 20/1993)2 In der Tat: Der religiöse Buchmarkt, was immer man darunter auch verstehen mag, ist verzweigt und verzwickt wie das sagenhafte Labyrinth des Minotauros. Institutionen zwischen Abseits und Allotria Wo es um ihr Selbstverständnis bzw. ihren Selbsterhalt angesichts sinkender Mitgliederzahlen geht - der Theologe Hans Iwand: „Das Christentum ist eine Religion des Buches"! -, versagt sich das Mammutgebilde Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), nicht gerade zimperlich im Publizieren von Denkschriften und Stellungnahmen, die lebenswichtige Frage nach dem Leseverhalten ihrer Glieder professionell und flächendeckend untersuchen zu lassen. Die Gründe dürften eher im perspektivischen Unvermögen als in begrenzten Haushaltsmitteln liegen. Wird doch jährlich das fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinende Feigen- bzw. „Sonntagsblatt" (DAS), ein rachitisches Hätschelkind, das in konfessionellen Einrichtungen und Bundeswehr-Standorten mehr Entsorgungsprobleme schafft als spirituelle Denkanstöße vermittelt, jährlich durch neun Millionen Mark alimentiert. Auch die publizistische Alibieinrichtung Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), deren Fachbereich Buch wohl nie das mühevolle Tageswerk eines christlichen Verlegers kreativ oder kalkulativ tangiert hat, ist im Vergleich zu anderen christlichen Organisationen finanziell großzügig abgesichert. Auf einer ökumenischen Tagung in München „Sind die Kirchen am Ende?" im April 1994 wurde festgestellt, daß die Kirchen „wie entlaubte Bäume in postmoderner Landschaft stehen". Angesichts der ausgemachten Entfremdungsspirale forderte der katholische Theologe Metz eine „Kultur des Erinnerns", da das „Christentum eine Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft in der Nachfolge Jesu" sei. Eine zusätzliche Animation, über die Bedeutung des Buches auf dem Hintergrund solch professaler Erkenntnisse nachzudenken. Auch die um visuelle Präsenz in der Öffentlichkeit und damit gesellschaftliche Anerkennung ringenden evangelikalen Institutionen haben durch einseitige Optionen für die unsere gegenwärtige Medienlandschaft gestaltenden politischen Kräfte stillschweigend eine christliche Buchkultur ins Abseits geraten lassen. Euphorisch stimmten sie Anfang der80er Jahre mit ihnen ein gewaltiges Medien-Halleluja an, wohl in der trügerischen Hoffnung, daß durch die forcierte Totalverkabelung, für die der damalige Postminister Schwarz-Schilling engagiert kämpfte, endlich das wirksame Vehikel für eine durchgreifende TV-Evangelisation unserer Gesellschaft gegeben sei. BTX war das Zauberwort. Dabei ging und geht es den von dieser Entwicklung profitierenden Medien-Mogulen, an der Spitze Leo Kirch, weniger um wertkonservative Gestaltungsmöglichkeiten als allein um stru/cturkonservativen Machtgewinn zur Optimierung von Einschaltquoten für die Propagierung sinnloser oder sogar gefährlicher Produkte. Dazu ist noch nicht einmal der sonntagmorgendliche Werbespot um 7.58 Uhrzu zählen, in dem eine ansehnliche Dame uns aus dem zerwühlten Bett verkündet, daß der einzige Grund, sonntags überhaupt noch aufzustehen, „Knack und Back"-Brötchen seien. Was beim 1. Evangelikalen Medienkongreß 1982 mit der buchstäblich angehimmelten Satellitenschüssel vordem Böb-linger Kongreßzentrum, gesponsert von der Landesregierung Baden-Württemberg als erhoffter Einstieg in die neue kulturrevolutionäre Roll-Back-Ära der „moralischen Wende" beginnen sollte, ist inzwischen zu einem disharmonischen Klagelied über den allabendlichen Medienmüll mutiert. Er bringt die unter uns wuchernde „Explosiv"-Stimmung etwa des Spitzen-Sudelsenders RTL, um das widerlichste, aber wirkungsvollste Beispiel zu nennen, flächendeckend unters Volk. Die gegenwärtig zu bilanzierende Entropie, der süße Wärmetod des schwindenden Wertebewußtseins mit der zu Händen greifenden gesellschaftlichen Sinnkrise, scheint unabwendbar zu sein. Sogar der konfessionelle Fachverband Vereinigung Evangelischer Buchhändler (VEB) ist wohl angesichts mangelnder Finanzausstattung in den letzten Jahren nicht dadurch auf- gefallen, daß er einen aktuellen Blick über den schmalen Tellerrand initiierte, um für seine 400 Mitglieder (200 Buchhändler, 90 Verleger, 110 persönliche Mitglieder) die spezielle Handelsware Buch bzw. deren differenzierte Kundenstruktur untersuchen zu lassen. So saugt man bis heute seinen Honig aus der gemeinsam mit dem Verband Katholischer Buchhändler (VKB) vor über 25 Jahren (!) veranlaßten Umfrage, die das Institut für Demoskopie in Allensbach („Religiöses Buch und christlicher Buchhandel" Hamburg, 1969)3 veröffentlichte. Bleibt somit das Fazit, daß derzeit das christliche Buch keine ernstzunehmende, effektive Lobby in den ihm von der Natur der Sache nahestehenden Verbänden und Institutionen hat. Angesichts des hektischen Wertewandels und der überbordenden Paradigmenwechsel unserer Kaugummi-und Instant-Kultur gleicht solch sträfliches Desinteresse der Christenheit an ihrem ureigenen Medium als apologetische Waffe, evangelistischer Lockruf und seelsorgerliche Medizin einer klammheimlichen Verabschiedung aus der geistig prägenden Mitgestaltung unserer Gesellschaft und Kultur. Nischenmarkt oder Forum, das Lust auf Gott entziffern läßt Und doch: Zumindest das jährliche Statistikmaterial „Buch und Buchhandel in Zahlen", herausgegeben vom Börsenverein für den Deutschen Buchhandel in Frankfurt am Main (1991 und 1992)“, gewährt einen für unser Thema hilfreichen Einblick in den sogenannten christlichen Buchmarkt, wie er derzeit sein, wie es scheint, schwindendes Nischendasein gefunden hat. Wenn man die „lesende" Kirche aus einer „lebenden" ableiten will, wofür ja wohl einiges spricht, dann mag es um den gegenwärtigen Zustand der in unserem Kulturraum befindlichen Christenheit nicht allzu gut bestellt sein. Während zum Beispiel 1990 bei der inländischen Titelproduktion die Belletristik von 14,7 Prozent im Vergleich zu 1991 auf „nur" 14,5 Prozent zurückging, sank im Vergleichszeitraum die Sparte „Christliche Religion" von 5,0 Prozent auf immerhin 4,4 Prozent. Diesen Anteilen entsprechen folgende Zahlen von produzierten christlichen Titeln: 2.176 (1990: 2.139) Erstauflage 799 (920) Neuauflage 2.975 (3.059) Gesamttitel Im Vergleich hierzu die gemeldeten Titel sämtlicher Sachgebiete: 1991: 67.890 (1990: 61.015) Nach welchen Sachgebieten Bücher produziert werden: Belletristik 14,5 % Wirts« 5,3 % Medizin 5,3 % Recht 5,0 % Übrige Sodtgebiete 50,3 % Geographie, Heirat- und Länderkunde, Reisen 4,2 % Atlanten 4,5 % Christliche Religion 4,4 % Quelle: Wöctientfches Verzeichnis der Deutschen Nchonotebliogrophie, 1991 Es bleibt als interessante Facette solcher Zahlenspiele nachzutragen, daß bei Übersetzungen aus fremden Sprachen 1991 neben der Belletristik (4.175 = 43,7 Prozent), Kinder- und Jugendbücher (1.231 = 12,9 Prozent), Psychologie (489 = 5,1 Prozent) der Bereich Christliche Literatur mit 329 (= 3,4 Prozent) bereits an vierter Stelle steht. Ob aber eine solche Spitzenposition Anlaß zur stolzen Freude ist, mag angesichts von nur 137 religiösen Titeln, die für wertgehalten wurden, aus dem Deutschen übersetzt zu werden, wohl angezweifelt werden, da eine solche Einbahnstraße geistig-geistlichen Austausches für eine mangelnde internationale Marktfähigkeit bzw. Provinzialität deutscher Titel angesichts wachsender weltweiter Kooperationsaktivitäten schließen läßt. Neben der bereits erwähnten Allensbachstudie2 sowie den Zahlen des Börsenvereins steht uns für erhellende Beobachtungen noch anderes Material zur Verfügung: So veröffentlichte 1979 die katholische Mediendienstleistungsgesellschaft - ein Wortungeheuer zwar, aber mit hilfreichen Aktivitäten angesichts desinteressierter evangelischer Institutionen! - die Untersuchung „Religiöses Buch und christlicher Buchhandel" (Stuttgart, 1979)\ die die religiöse Lektüre auch mit anderen religiösen Kommunikationsformen vergleicht und somit für den hier darzustellenden Buchmarkt wichtige Einblicke gestattet. In diesem Zusammenhang ist auch die 1988 erfolgte Untersuchung über „Familie und Lesen" von Renate Köcher (Archiv für Soziologie und Wirtschaftsfragen des Buchhandels LXIII)6, die das Institut für Demoskopie in Allensbach zusammen mit dem Börsenverein für den Deutschen Buchhandel für das Bundesfamilienministerium durchführte, hilfreich. Wir gewinnen daraus die verblüffende Erkenntnis, daß sich nur jeder zehnte Bundesbürger für religiöse Literatur interessiert, von denen elf Prozent Kleinschriften bevorzugen, und zwar stärker aus den unteren Sozialschichten, aber mehr von Katholiken als von Protestanten, was wohl nicht zuletzt mit dem flächendeckenden Angebot der Schriftenstände in den ganztägig geöffneten katholischen Kirchen Zusammenhängen mag. Auch der christliche Buchmarkt braucht angesichts fehlender christlicher Buchhandlungen, besonders in den mittleren und Kleinstädten, ständige Präsentationsmöglichkeiten seiner Angebote, wie sie durch Schriftenstände und Büchertische gegeben sind. Immerhin ist diese Beobachtung katholischer Lesepräferenz deswegen erwähnenswert, weil das Traktat als eine geistlich-missionarische Äußerung zu der großen Tradition der evangelischen Schriftenmission der Erweckungsbewegungen gehört (siehe hierzu meine Veröffentlichung „Rose und Dynamit - über die Bedeutung und Verbreitung christlicher Literatur", Brendow Verlag Moers, 19937). Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, daß das traditionell schwächere Leseverhalten katholischer Christen gegenüber evangelischen inzwischen ausgeglichen ist. Unsere Infratestuntersuchung von 19794 gibt neben den bereits erwähnten Kleinschriften einen hilfreichen Einblick in die Interessenskala der Leser wieder: • Es folgt das religiöse Sachbuch, das aus christlicher Werteeinstellung sich den Themen Ehe, Familie, Bibel, Kirche und Zeitfragen widmet und überwiegend Leser mit höherer Bildung anspricht; • Gebets- und Meditationsliteratur im engeren Sinne nutzten nur sechs Prozent aller Befragten. Es darf vermutet werden, daß nach den expandierenden Meditationsbewegungen der 80er Jahre eine aktuelle Untersuchung andere Werte ergeben würde. • Auch die mit fünf Prozent aller Befragten genannten Bild-Text-Hefte, die dabei sind, wegen ihrer größeren Gestaltungsmöglichkeiten durch Abbildungen und Druckfarben die traditionellen Kleinschriften abzulösen, haben sich in der Zwischenzeit wohl stärker im Markt durchsetzen können. • Bleibt die mit acht Prozent von Katholiken und vier Prozent von Protestanten bevorzugte religiöse Belletristik, die inzwischen wachsende Marktanteile gefunden haben dürfte, wie die speziellen Programme der Verlage Brendow und Brunnen mit ihren verstärkt publizierten Autoren wie Adrian Plass und C.S. Lewis bzw. deren Nennung in Bestsellerlisten vermuten lassen. Daß dieser Markt reizvolle verlegerische Impulse ermöglicht, ist an dem in jüngster Zeit erkennbaren neuen Erscheinungsbild des traditionsreichen Johannis Verlags erkennbar, der verstärkt jungen Autoren eine angemessene Plattform bietet. •Ais Schlußlichtsei die theologische Literatur mit nur vier Prozent der Befragten erwähnt, die sich an eine gehobene, aber meinungsführende Bildungsschicht wendet. Um die Reichweite religiöser Literatur als Rückschluß auf eine „lesende Kirche" ausmachenzu können, sei an dieser Stelle auf die vergleichende und analysierende Darstellung der erwähnten Untersuchungen von Ludwig Muth in dem Buch „Glauben durch Lesen?", Herder Verlag Freiburg, 19908, hingewiesen. Muth unterscheidet zwischen Privatlektüre, Bücher also, die man je nach Geschmack und Vorliebe lesen kann oder auch nicht, und ritueller Lektüre, die zur Praktizierung des eigenen Glaubensvollzugs unumgänglich ist: Bibel, Gebetbücher, zu denen auch der 1994 erstmalig vom Hänssler Verlag mitverlegte Uralt-Bestseller „Losungen" zu zählen ist, der trotz der konkurrierenden Quell-Doublette „Bibelworte für heute" weiter in diesem speziellen Bereich marktführend bleiben wird. Jeder vierte Christ erklärte, Gebetbücher zu benutzen, was auch von dem Bibelbuch gilt, in das 27 Prozent aller Erwachsenen gelegentlich hineinschauen. Letztlich sind es aber nur fünf Prozent, die häufig2 solche Lektüre pflegen. Es gilt inzwischen als erwiesen, daß auch das 1992 werbemäßig propagierte „Jahr mit der Bibel" wohl zeitweilig einen relativen Bibelboom auszulösen vermochte, aber auf Dauer wohl kaum zum Erschließen neuer Leserkreise führte. Unter der Überschrift „Deutsche kaufen weniger Bibeln" meldet der epd am 9.6.94: „Vor allem im östlichen Teil der Bundesrepublik ist die Nachfrage nach Bibeln gefallen. Wie die Deutsche Bibelgesellschaft, größter europäischer Bibelverlag, gestern in Stuttgart mitteilte, wurden im vergangenen Jahr bundesweit 482.000 Vollbibeln und 57.000 Exemplare des Neuen Testaments verbreitet. 1991 waren es 593.000 Bibeln und 173.000 Neue Testamente. In den Neuen Bundesländern, wo von Kirchengemeinden und Bibelgesellschaften bis vor der 'Wende' jährlich insgesamt etwa 80.000 biblische Bücher verbreitet wurden, sank der Absatz 1993 auf 30.000 Exemplare." Der harte Kern der zweckorientierten rituellen Leser solcher Gebrauchsliteratur ist zwar ein wichtiges Segment des religiösen Buchmarktes, aber selbst repräsentieren sie nicht die „lesende Kirche". Leser, die sich privat zumindest einmal monatlich mit religiösen Titeln beschäftigen, rechnet die Infratestuntersuchung mit 15 Prozent der Bevölkerung. Damit ist die Größenordnung des von uns zu behandelnden Marktes in seinem Kern mit 4,5 bis sechs Millionen Bundesbürgern über 16 Jahren abgesteckt, mit denen der produzierende und verbreitende Buchhandel bzw. die Autoren rechnen können. Eine neue Untersuchung, die das allgemeine Leseverhalten in den neuen Bundesländern mit einbezieht, dürfte den Negativtrend verstärken. Blühende Leselandschaften wird es dort in absehbarer Zeit nicht geben, entgegen des damals ausgemachten Bedarfs an christlicher Literatur, den die Ost-Hilfe der inzwischen fast zum Erliegen gekommenen Evangelischen Buchhilfe in vielerlei Weise konspirativ-klug zu decken verstand. Insgesamt gilt: Wo sich die lesende Kirche angesichts der mediengeilen Totalverkabelung unserer Gesellschaft in eine sehende Kirche zu denaturieren scheint und die Verkündigung des Predigers nicht über Fünfzehn-Minuten-Häppchen hinausreicht, hat das Wort des die Botschaft Jesu erzählenden und aktualisierenden Autors seine bleibende große Chance. Der Heilige Geist und die Preisbindung Wenden wir uns exemplarisch dem speziellen Markt gemeindeorientierter Literatur zu. Von evangelikalen Branchenkennern, aus welchen Gründen auch immer, wird er selbstbewußt mit einem Marktanteil von über 50 Prozent für sich reklamiert. Dieses Marktsegment zeigt ähnliche Tendenzen, wie sie in anderen Bereichen zu erkennen sind: etwa der Prozeß der Eigentümerwechsel, für den die Odyssee des renommierten Chr. Kaiser Verlags steht, der seine Gründung und wachsende Bedeutung dem theologiegeschichtlichen Ereignis der Römerbrief-Veröffentlichung von Karl Barth verdankt und durch beachtliche Editionen der Werke von Dietrich Bonhoeffer, Helmut Gollwitzer, Jürgen Moltmann und Eberhard Jüngel seine marktführende Position in der fachtheologischen Literatur erhielt. Der Verkauf an den vor einigen Jahren expandierenden Quell Verlag, der sich gegenwärtig durch Rückzugsmanöver ins Gerede bringt-auch durch Aufgabe seines Engagements in den neuen Bundesländern (Evangelische Verlagsanstalt) -, hat diesen renommierten Fachverlag schlußendlich zu einem Programmteil des Verlagshauses Gütersloh (Bertelsmann) verkümmern lassen. Immerhin eine befriedigendere Lösung als die 1986 erfolgte Programmbeendigung des Bundes Verlages, der 99 Jahre (!) mit dem Bund Freier evangeli- scher Gemeinden engstens verbunden war. Anfang der 70er Jahre, als ein eiskalter theologischer Wind den gemeinde- und bibelorientierten Verlagen ins Gesicht wehte und die Wetterfrosch-Prognosen der kirchlichen Zukunftsdeuter dieser Art von Tendenzliteratur das Totenglöckchen einläuten wollten, formierten sich mit dem Ziel der praktischen Zusammenarbeit 15 Verlage dieser Couleur zu den beiden Kooperationen ABCteam und TELOS. Der Chronist weiß sich zu erinnern, daß angesichts der kirchlichen Dürrezeit Resignation nicht angesagt war und er mit seinen Kollegen Wilfried Jerke und Heinz Schäfer im Frühjahr 1971 für die damalige Branchensituation einen zwar kleinen, aber unüblichen Kooperationsschritt initiierte. Ein mit „ABC" getitelter mehrfarbiger Gemeinschaftsprospekt sollte nicht nur für das gemeinsame Anliegen christlicher Leseförderung werben, sondern sogleich auf aktuelle Buchprodukte dreier gleichgesinnter Verlage (A=Aussaat, B=Brunnen und C=Christ-liches Verlagshaus) hinweisen. Ein Signal war gegeben, das in konsequenter Weiterführung solcher Gemeinsamkeit am 16./17. März 1971 zum „Ersten Espenschieder Protokoll" und damit - parallel zur TELOS-Gruppe - zur Gründung der ABC-team-Verlagsgemeinschaft führte. Es wurde eine „Produktions-, Vertriebs- und Werbegemeinschaft für christliches Schrifttum" für seine fünf Mitglieder beschlossen. Anläßlich der Amsterdamer Weltkonferenz für evangelika-le Kommunikationsstrategie im Oktober 1980 berichtete ein deutscher Verleger über die TELOS-Kooperation, daß im ersten Jahr ihrer Zusammenarbeit bereits Auflagen bis zu 10.000 Exemplaren möglich waren, nach sechs Jahren hatten die Spitzenauflagen bereits die Zahl 250.000 erreicht. Inzwischen seien etwa acht Titel der beteiligten Verlage über 500.000mal aufgelegt worden. Allein die TELOS-Gruppe (Stand September 1981) zählte 1.238 greifbare Titel bei einer Gesamtauflage von 15 Millionen Exemplaren. Nimmt man die ebenfalls beachtliche ABC-team-Produktion hinzu, dann sind etwa über 2.500 Titel bei der Gesamtauflage von 30 Millionen Exemplaren zugrunde zu legen. An einsamer Spitze mit einer Million Auflage, unbemerkt von sogenannten Bestseller-Listen, stand u.a. ein Taschenbuch des dynamischen Autors und Predigers Anton Schulte. Über 30 Millionen Leseimpulse für das Reich Gottes, unterteilt in die Bereiche Abwehr und Apologetik, Bibel und Belletristik, Evangelium und Endzeit, Lebensfragen und Lieder, Zeugnis und Zielpunkt des Menschen. In Fortsetzung dieser bibelmissionarischen Aktivitäten sind in dem Zeitalter der protestantischen Erweckungsbewegungen die großen evangelischen Verlage als Instrumente ihrer geistlichen Kirchen- und Gemeindeverbände sowie Missionswerke zu sehen. So ist der 1853 gegründete Wuppertaler Verlag R. Brockhaus von Anfang an unlösbar mit der gemeindegründenden Elberfelder Bibelübersetzung von Carl Brockhaus verbunden. In dieser Kontinuität wird bis heute ein Verlagsprogramm geführt, das sich besonders durch Standardwerke wie Kommentar-Reihen und Bibel-Lexika des immer aktuellen und unerschöpflichen Gesamtthemas „Bibel" annimmt.-Ähnliches ist vom Gießener Brunnen-Verlag zu sagen, der als Instrument seines geistlichen Urahns und Missionspioniers Christian Friedrich Spittler (1782-1867) in diesem Jahr an sein 75jähriges Bestehen erinnert und besonders durch die anspruchsvolle Theologie-Reihe TVG (mit R. Brockhaus), dem Bibel-Bestseller „Hoffnung für alle" (Gesamtauflage über 700.000!) und ein sehr stark im säkularen Buchhandel aufgenommenes Kinderbuch-Programm in Erscheinung tritt. -Während der Verlag der Liebenzeller Mission - er wird inzwischen kaufmännisch von dem Johannis Verlag geführt, der sich auch als solider Drucker dieser Sparte Literatur hervortat -schon in seinem Verlagsnamen sein spezielles Buchprogramm in Verbindung mit seinem Gesellschafter zum Ausdruck bringt, hat der Blaukreuz-Verlag in Wuppertal durch eine beachtliche Suchtliteratur, besonders auch in der Fachwelt, auf sich aufmerksam gemacht. - Der Hänssler-Verlag, inzwischen auch 75 Jahre ait und in Anlehnung an den Württembergischen Brüderbund, galt und gilt als ein profilierter Verlag für beachtliche Musikeditionen, von denen das Gesamt-Bach-Werk von Helmuth Rilling als Jahrhundertereignis internationale Beachtung gefunden hat. - Auch der kooperationsfreie Verlag Schulte & Gerth ist in dem Bereich der Tonmedien führend. -Bekannt geworden durch seine Nacherzählungen von George MacDonald ist der Verlag der Francke-Buchhandlung. - Ziemlich neu in dieser Runde, sozusagen als Beispiel jüngerer literaturmissionarischer Aktivitäten, ist der vor vier Jahrzehnten durch das christliche Engagement einer Unternehmerin, Helene Wiefelspütz, aus einem grafischen Großbetrieb entwickelte Brendow Verlag, der inzwischen grenzüberschreitend die gesamte Palette christlicher Literatur, vor allem Belletristik (C.S. Lewis, Lawhead) und perspektivische Theologie (Eugen Rosenstock-Huessy, Paul Schütz, Karl Heim) anbietet. Inzwischen ist der religiöse Buchmarkt differenzierter geworden, um entsprechend den wachsenden Anforderungen mit den traditionellen Kooperationsgebilden angemessen und schnell auf seine vielfältigen Veränderungen reagieren zu können. Die Verlage haben Kompetenz und Professionalität in den Bereichen Konzeption, Lektorat, Herstellung und Vertrieb gewonnen und sind mehr denn je auf Eigenprofilierung zum Nutzen ihrer jeweiligen besonderen Programme angewiesen, um solche Verlagzusammenschlüsse noch als schützenden Mantel verstehen zu können. Es geht zunehmend um einen reibungslosen, vertrauensvollen Kontakt zwischen Verlag und Buchhandel, der nicht durch anonyme Strukturen belastet werden darf. Zu diesem partnerschaftlichen Verhältnis gehört die absolute Beachtung der sensiblen gesetzlichen Preisbindung, die den Verlagen selbst einen kalkulatorischen Rahmen für die verlegerische Tagesarbeit und dem Buchhandel den betriebswirtschaftlich notwendigen Spielraum zur Durchführung seiner wichtigen Aufgabe im direkten Markt garantiert. Die Welt erfahren mit 26 Zeichen Im Blick auf den wachsenden neuen Analphabetismus in der westlichen Welt ist eine durchgreifende Leseförderung angesagt. Hilmar Hoffmann, Bevollmächtigter der Stiftung Lesen und Präsident der Goethe-Institute, zitiert in seinem Plädoyer „Lesen setzt Orientierungen" (Akzente Almanach Lesen 1994, Brendow Verlag Moers, 1993)9 den langjährigen Direktorder Kongreßbibliothek in Washington, der den Anteil von Nicht-Lesern in der amerikanischen Gesellschaft mit zehn Prozent beziffert: „Mindestens 23 Millionen Erwachsene (sind) entsprechend den einfachsten Tests des alltäglichen Lese-, Schreib- und Auffassungsvermögens funktionell Analphabeten", heißt es in seinem 1984 erstatteten Bericht an den amerikanischen Kongreß „Books In Our Future". „Und die Zahl der erwachsenen Analphabeten wächst jedes Jahr um rund 2,3 Millionen (eingeschlossen vorzeitige Schulabgänger, Einwanderer und Flüchtlinge)." Zu den genannten funktionalen Analphabeten gehört auch die unter uns wachsende Masse von Nicht-Lesern, die zwar schreiben und lesen gelernt haben und in ihrem Verhalten wohl zu den täglichen Schlagzeilen-Konsumenten der Asphaltpresse gehören, jedoch in ihrem Leben selbst nie nach einem Buch greifen werden. Hilmar Hoffmann dazu: „Längere Wortbeiträge in den elektronischen Medien, behaupten manche Mediengewaltige, seien beim 'Medienkonsumenten'wenig populär. Deshalb werden Informationen in kleine, leicht verdauliche Häppchen zerlegt, bei denen es eher auf den 'Geschmack' ankommt als auf den 'Gehalt'. Hier wird geistige Konzentration kaum mehr gefordert; ja, die Konzentrationsfähigkeit für größere Zusammenhänge wird sogar immer mehr verbildet." Spätestens hier ist die Frage erlaubt, welche Konsequenz sich aus solch einem geistigen Horror-Gemälde für eine prophe-tisch-evangelistische Verkündigung in unserer Generation ergibt, „wenn man nicht vorschnell die Missionierung auf die allein lesefähigen Mittel- und Oberschichten beschränkt, die wegen ihrer privilegierten Zugänge zur Bildung allein noch in der Lage sind, sich der Lektüre anspruchsvollerTexte, wie etwa des Hebräerbriefes oder der Offenbarung des Johannes, auszusetzen. Der Zusammenhang zwischen Jüngerschaft und Lesefähigkeit ist nicht ohne Bedeutung für diejenigen, die auf Kongressen und Seminaren über nachhaltige Evangelisation in unserer Zeit nachdenken."7 Diese Überlegung ist unausweichlich mit der Bedeutung des Bücherlesens als Voraussetzung für eine kommunikative soziale Interaktion verbunden, die von den isolierenden Ego-Trips wegführt und zu einem einfühlsamen und lebendigen Miteinander von Menschen, dem wieder Mitteilen als normale all- tägliche Äußerung und Lebensgestaltung von Gemeinschaft, ermutigt. Dasaite, verstaubte Bild vom kauzigen Bücherwurm, der sich weltfremd durch die Kapitel seines verstaubten Folianten quält, ist nicht die Alternative zum munter-modernen Analphabeten, der sich in technischem Idiotentum zwar ohne die mühselige Lektüre von Betriebsanleitungen den Zugriff zu technischen Geräten erfummeln mag, aber doch in die Gefahr gerät, am eigentlichen Leben vorbeizuexistieren. Gerhard Schmidchen, der die Allensbacher Buchmarktforschung jahrelang leitete, hatte schon früh bemerkt, daß solch karikierende Zerrbilder den Buchleser in die Bredouille des gesellschaftlichen Eigenbrötlers geraten ließen. Indem er das gesellschaftlich schlechte Klima beschreibt, das den Buchleser zum Untertauchen zwingt, weist Schmidchen zugleich überzeugend nach, in welchem Maß unsere komplexe, sich ständig wandelnde Gesellschaft auf das geistige Bewußtsein der Buchleser angewiesen ist: „Wenn wir Bücher keinen bedeutenden Platz mehr zuweisen, werden wir keine Fortschrittsgesellschaft haben."2 Auch Renate Köcher, die Mitte der 80er Jahre die familiären und schulischen Sozialisationsvoraussetzungen der Lese-Erziehung und die Bedeutung des Lesens im Lebenszyklus erforscht hat, kommt zu dem Schluß, daß das „Lesen weitaus mehr als allgemein bewußt das Ergebnis sozialer Interaktion" ist: „Die Beziehung zu Büchern entwickelt sich um so besser und dauerhafter, je mehr dieses Interesse des einzelnen durch die Anteilnahme und Übereinstimmung mit den Interessen anderer Familienmitglieder immer neue Impulse erfährt.... Die Ausgrenzung der Lektüre aus der Kommunikation und generell dem Bereich gemeinsamer Erfahrung wird um so schädlicher, je höher Kommunikation und gemeinsame Interessen gesellschaftlich bewertet werden. In der Bevölkerung und speziell in der jungen Generation werden soziale Kontakte zunehmend wichtiger; damit werden Bücher und Medien zwangsläufig zunehmend auch nach ihrem Beitrag zu sozialen Kontakten und privater Kommunikation beurteilt." Ein solches Leseverhalten hat damit neben der evangelisatorischen Komponente auch ein dem geistlichen Austausch bzw. dem Gemeindeaufbau generell dienendes Element, das nicht nur für den religiösen Buchmarkt von wachsender Bedeutung ist. Der unvergeßliche christliche Verleger Jakob Hegner bekannte einmal: „Wenn ich kurz sagen soll, was mich vom Verlag aus bewegt: metaphysische Unruhezu bereiten. Ich ziehe diese Unruhe allen anderen Betriebsamkeiten vor und freue mich, daß es so zahlreiche Menschen gibt, die dieser höheren Art von Unruhe zugänglich sind." Zum Trost und zur Freude aller, die in dem religiösen Buchmarkt nicht nur eine Nebenveranstaltung der „holzverarbeitenden Industrie" sehen, sondern eine existentielle Lebensäußerung - also Autoren, Verleger, Buchhändler und Leser -, sei zum Schluß auf eine im Mai 1994 veröffentlichte Pressemeldung hingewiesen, die die Überschrift „Studie: Deutsche investieren mehr Zeit in Bücher" trug, um dann fortzufahren: „dpa-Frankfurt - Der Anteil der regelmäßigen Leser in der deutschen Bevölkerung hat in den vergangenen Jahren leicht zugenommen. Dies zeigt eine Studie des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel, der Stiftung Lesen und der Bertelsmann-Stiftung. Zwei Drittel der Erwachsenen nutzen das Medium Buch regelmäßig oder gelegentlich. Frauen lesen mehr als Männer. Insgesamt 40 Minuten täglich widmet der Bundesbürger durchschnittlich dem Buch." Immerhin! (Die Literaturangaben sind fortlaufend durch hochgestellte Ziffern gekennzeichnet; bei wiederholten Hinweisen wurden lediglich die entsprechenden Ziffern angegeben.) Viel Wind um wenig Blätter? Der evangelikale Blätterwald Stephan Volke Wer einmal in einer Bahnhofsbuchhandlung oder in den verwinkelten Buchläden eines Flughafens nach der geeigneten Lektüre für die Reise Ausschau gehalten hat, kennt das Problem. Wie soll ich denn hier noch durchblicken? Erschlagen von der Fülle von Blättern fällt die Auswahl sehr schwer. Ein kurzer Blick über die prallen Regale läßt es erahnen: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Computerzeitschriften für jedes erdenkliche Programm und Problem, Nachrichtenmagazine aus aller Herren Länder, Fachmagazine für bestimmte Zielgruppen, Klatsch und Tratsch für jedermann, Wochen-, Monats-, Vierteljahresmagazine, das Journal für den Kleintierzüchter neben den Kochrezepten für die gestreßte Hausfrau, Hochglanzmagazine mit gut an- oder ausgezogenen Menschen, das Witzblatt neben dem seriösen Wirtschaftsmagazin, die Programmzeitschrift über dem Fußballheft, die Psy-chozeitschrift unter dem Rätselheft, und es wird an alle Altersgruppen gedacht. Erstaunt und fassungslos kann man nur fragen: Wer liest das alles eigentlich? Anscheinend sehr viele, denn der Zeitschriftenmarkt boomt. Es vergehen keine zwei Wochen, ohne daß nicht irgendwo wieder ein neues Blatt entsteht, das dann endlich alles schreibt, was die anderen 999 sich bisher nicht zu schreiben wagten ... Es ist schon eigenartig, was Zeitschriften so alles thematisieren. Gibt es wirklich alles? Ja, aber nicht dort, wo es seinen Platz haben könnte. Denn wer an den genannten Orten nach Zeitschriften mit christlichen Inhalten sucht, wird enttäuscht. Die christliche (evangelikale) Presse führt ein Schattendasein und bedient im Grunde eine Insider-Klientel. Also schenken wir uns den Vergleich mit der sogenannten säkularen Presse, denn weder vom Verbreitungsgrad noch von den finanziellen Möglichkeiten gibt es christliche Zeitschriften, die in diesem Wettrennen um die Gunst der Leser eine ernsthafte Chance hätten. Und gibt es dann mal ein Beispiel, das sowohl vom Inhalt als auch von der Aufmachung her das sogenannte „Crossover" (das Überspringen der eigenen Grenzen in einen anderen, „säkularen" Bereich hinein) schaffen könnte, dann scheitert es an den Finanzen. (Eine christlich orientierte Kinderzeitung hat exemplarisch für andere vor einigen Jahren am Kiosk genau aus diesen Gründen Schiffbruch erlitten.) Denn das hat sich in den vielen Jahren auch unter Christen herumgesprochen: Mit viel gutem Willen und Leidenschaft wird zwar manche Idee geboren, aber nach einer Geburt fängt's ja bekanntlich erst richtig an. Dazu fehlt vielen das (finanzielle) Durchhaltevermögen. Aber die Tatsache, ein Schattendasein zu fristen, sollte keine depressive Stimmung verbreiten, denn es gibt bekanntlich einige Pflanzen, die nur im Schatten wachsen, gedeihen und ihre Blüten treiben. Auch wenn sich manches im evangelika-len Blätterwald im Vergleich mit dem üppigen säkularen Forst eher wie eine Baumschule ausnimmt, so gibt es keinen Grund zu klagen. Eine jährliche Gesamtauflage von 33 Millionen Exemplaren errechnete der Bonner Journalist K. Rüdiger Durth im September 1981 anläßlich seiner Untersuchung der evan-gelikalen Presselandschaft, die unter dem Titel „Die missionarische Stimme" als Buch veröffentlicht wurde. Auf ganz andere Zahlen kam zehn Jahre später der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Nach deren Angaben gab es 1991 750 konfessionell ausgerichtete Publikationen mit einer Gesamtauflage von 19 Millionen. Diese Zahlenspiele sollten aber keine Panik auslösen, denn es ist die Frage, was man unter einer christlichen oder sogar „evangelikalen" Zeitschrift versteht. „Christlich", dieser Begriff liegt mir näher als „evangelikal", denn wer entscheidet darüber, welche Zeitschrift „evangelikal" ist und welche nicht? Es gibt keine Richtlinien, die diese Begriffszuordnung näher bestimmen könnten. Ist zum Beispiel eine Zeitschrift, die über die Evangelikalen berichtet, deshalb schon selbst evangelikal? Müssen alle Mitarbeiter einer Zeitschrift evangelikal sein, damit sich auch das Blatt mit diesem Begriff schmücken darf? Ist das Blatt schon nicht mehr evangelikal, das einige kritische Fragen an „die eigenen Leute" stellt? Es würde zu Problemen führen, wenn wir hier die Leitplanken dafür festlegen wollten. Sicherlich gibt es einige Schlüsselzeitschriften, die das Bild der Evangelikalen prägen, aber es gibt auch Zeitschriften, die evangelikal sind, ohne daß die Redakteure es beabsichtigen oder es als Bekenntnis vor sich hertragen. Verwenden wir also hier den Begriff „christlich", und meinen damit Zeitschriften, die von engagierten Christen mit evangelikalem Bibelverständnis publiziert werden, ob sie dieses Etikett nun tragen wollen oder nicht. Was die Leser angeht, so gibt es einige Merkmale, die charakteristisch sind: Die Leser dieser Zeitungen und Zeitschriften suchen häufig ihnen gut bekannte Inhalte, brauchen anscheinend mehr Bestätigung als Veränderung, mehr bekanntes Gedankengut als neue Ideen, und daher bringen viele Redakteure (oder Schriftleiter, wie sie in diesen Kreisen häufig genannt werden) eher theologische Richtigkeiten als weiterführende und manchmal auch provozierende Meinungen. Die meisten evangelikalen Blätter hätten am Kiosk allein deshalb keine Chance, weil sie entweder mit Fachchinesisch für fromme Leute aufwarten oder Themen behandeln, die eher in den Bibelkreis als in die Öffentlichkeit gehören. Und bei manchen Zeitschriften muß man leider bemerken, daß nicht einmal die einfachsten journalistischen Grundregeln beachtet werden. Will man über diesen Tatbestand diskutieren, schallt einem oft ein Argument entgegen, das einem die Sprache verschlägt: „Ich will doch gar keine journalistisch hochwertige Zeitschrift machen, sondern ich will die Botschaft verkündigen." Der Zweck scheint hier oft die unzulänglichen Mittel zu heiligen, und die Boschaft lautet dann: „Gut gemeint, aber schlecht gemacht", Gleichzeitig jammern diese Self-made-Redakteure dann aberüber sinkende Auflagezahlen oder darüber, daß ihre Artikel die Leser nicht erreichen. Manche entwickeln sogar eine Form von „modernem Märtyrium" und lamentieren, daß die christliche Botschaft immer weniger Leser finde. Irrtum, denn interessante und gut geschriebene Artikel erreichen auch ihr Ziel. Bei manchen Blättern (vor allem im Verbands-und Gemein- debereich) kann ich nur auf die Verantwortung der Schöpfung gegenüber hinweisen: ein Wald ist erfrischender und lebensnotwendiger als das auf solche Weise bedruckte Papier. Durch die Arbeit der Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep) und ihrer Christlichen Medien-Akademie (cma) hat sich schon vieles gebessert. Auch haben positive Beispiele aus dem christlichen Blätterwald gezeigt, wie es anders geht. Es ist nämlich in den meisten Fällen gerade nicht die christliche Botschaft, die auf Ablehnung stößt, sondern nur die Form, wie sie vermittelt wird. Vor allem auch im äußeren Erscheinungsbild hat sich in den letzten zehn Jahren einiges getan. „Nicht nur der Inhalt ist wichtig, sondern auch die äußere Form entscheidet darüber, ob ein Text seinen Leser trifft", diese Erkenntnis führte einige Werke und Verlage dazu, das Layout zu litten. Man hatte endlich begriffen, daß christliche Publikationen sich zwar an eine bestimmte Zielgruppe wenden, aber nicht im luftleeren Raum schweben. Die Lesegewohnheiten werden nämlich nicht von christlichen Zeitschriften bestimmt, sondern von säkularen. Hier galt es vor allem, an der Form zu arbeiten. Im Bereich der Kirchengebietsblätter und der Gemeindezeitschriften bzw. Verbandsblätter besteht auf diesem Gebiet aber noch viel Nachholbedarf. Leider wird viel zu oft eine „Insidersprache" gebraucht, die nicht interessiert, sondern abstößt, die nicht integriert, sondern ausschließt. Doch wenn christliche Publikationen auch eine missionarische Berechtigung haben sollen, dann müssen sie Brücken schlagen und keine sprachlichen Barrieren aufbauen. Einheit in der Vielfalt Doch auch das stimmt: Ohne die christliche Presse sähe es in der Welt düsterer, trostloser und hoffnungsloser aus. Wo säkulare Blätter immer auf der Suche nach sensationellen Nachrichten und Stories sind, können Christen über die sensationellste Nachricht aller Zeiten berichten: Gott liebt die Menschen, und er wurde selbst Mensch. Diese gute alte Nachricht in immer wieder neue Formen zu gießen, ist die Hauptaufgabe christlicher Publizistik. Dabei gilt es, ein weites Feld zu beackern, geht es doch nicht nur darum, Anspruch und Zuspruch Gottes in Worte zu fassen, sondern auch darum, zu berichten, wie Menschen mit oder ohne Gott leben. Das, was ist, daran zu messen, wie es sein könnte, sollte und müßte, gehört ebenso zu den Aufgaben eines christlichen Journalisten wie Lebens- und Glaubenshilfe zu vermitteln. Ohne die einzelnen Zeitschriften über einen Kamm zu scheren, kann man feststellen, daß alle ein Ziel haben: den christlichen Glauben im Gespräch zu halten. Einige verstärken das durch den Wunsch, Menschen mit dem Evangelium in Verbindung zu bringen und Impulse für den Weg zu Jesus zu geben. Andere haben als Aufgabe, Christen Lebenshilfe zu geben. Wieder andere haben einen theologischen Schwerpunkt und werden von Lesern bezogen, die in den Artikeln das finden, was ihr Pfarrer sonntags nicht von der Kanzel zu predigen bereit ist. Wieder andere beziehen sich auf bestimmte Zielgruppen, wie zum Beispiel die Familie, die Frauen, die Mitarbeiter usw. Will man den christlichen Blätterwald in eine Struktur bringen, so eignen sich meiner Meinung nach folgende grobe Oberbegriffe: 1. Nachrichtenmagazine 2. Kirchengebietsblätter 3. Zielgruppen-Zeitschriften (Familie, Jugend, Studenten, Mitarbeiter, usw.) 4. Gemeinde-Zeitschriften und Verbandszeitschriften 5. Verteilblätter Alternative oder Ergänzung? Parallelstrukturen entwickeln sich dort, wo vorhandene Strukturen nicht ausreichen, um der Vielfalt gerecht zu werden. Im Bereich der kirchlichen Nachrichtenmagazine konnte man ein echtes Paradoxon feststellen. Gerade das Magazin, das immer die Flagge des Pluralismus hochhielt, wurde dem eigenen Anspruch nicht gerecht. In den „Evangelischen Informationen - Nachrichtenspiegel" (epd) wurden Evangelikale über Jahre hinweg entweder nicht wahrgenommen oder bewußttotgeschwiegen. Die Folge war Endedersiebziger Jahre die Gründung von „idea-spektrum". Vergleicht man die beiden Publikationen heute miteinander, so muß man sagen, daß die Evangelikalen nicht nur effektiver arbeiten, sondern auch erfolgreicher. Während die „Evangelischen Informationen" sich mit einer Auflage von unter 5000 zufrieden geben müssen, publiziert „idea" ein wöchentliches Magazin mit einer Auflage von über 20.000. Man mag über Inhalte und Stil, über die Auswahl von Nachrichten und deren Vermittlung denken, was man will, aber idea hat dem epd den Rang abgelaufen. Seit 1980 konnte die Auflage der hauseigenen Zeitschrift „idea Spektrum" verfünffacht werden. Und das in einer Zeit, in der die Auflagen kirchlicher Zeitungen und Zeitschriften teils dramatisch in den Keller gingen. Der große Katzenjammer wurde bei der Kirchengebietspresse angestimmt. Seit 1970 haben die Kirchenblätter rund die Hälfte ihrer Leser verloren. Das säkulare Fachjournal „Journalist" sah sich sogar genötigt, diesen Akzeptanzverlust in einer Ausgabe unter der Überschrift „Verpaßte Neuordnung" zu thematisieren. Der Autor kam zu folgender Erklärung: „Zu wenig bedenken die Verantwortlichen, daß Leserinnen und Leser einer Kirchenzeitung nicht in einem frommen medialen Ghetto leben, sondern selbstverständlich auch andere Medien nutzen. Vergleiche mit Form und Inhalt bleiben nicht aus, formen auch Ansprüche und Erwartungen an die Kirchengebietsblätter. Die evangelische Kirchengebietspresse muß endgültig Abschied nehmen von ihrem traditionellen Image des frommen Blättchens', das eher auf amtskirchliche Interessen und binnenkirchliche Lobbyisten ausgerichtet ist als auf die Leserbedürfnisse. Die Kirchengebietspresse darf keine Sonderrolle beanspruchen." Diese scheint ihr aber zumindest von den Schutzpatronen aus der Kirche zugebilligt zu werden. Über die finanzielle Mund-zu-Mund-Beatmung in Millionenhöhe für das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt", dem man quasi als „letzte Salbung" den Tresor noch einmal füllte, zu lamentieren, erscheint mir nicht sinnvoll. Gibt es doch auf katholischer Sei- te mit dem „Rheinischen Merkur" auch eine Wochenzeitung, die mit Millionenbeträgen durch die katholische Kirche gesponsert werden muß. Offensichtlich haben es konfessionelle Wochenzeitungen grundsätzlich schwer. Aber festzustellen ist doch, daß es bestimmte Publikationen gibt, die sich überhaupt nicht auf dem Markt behaupten müssen, weil sie subventioniert werden. Der Verteilschlüssel dabei trägt schon abenteuerliche Züge. Viele Zeitschriften aus dem evangelikalen Bereich sind allein auf die Zahl der Abonnenten bzw. die Anzeigeneinnahmen angewiesen. Was könnte dort geschehen, wenn zum Know-How und Engagement auch noch Finanzspritzen aus den Kirchen hinzukämen? Ist der Kuchen aufgeteilt? Wer sich an alle richtet, steht in der Gefahr, von allen übersehen zu werden. Daher überleben nur die Zeitschriften im christlichen Bereich, die eine klar definierte Zielgruppe haben, bzw. eine inhaltliche Struktur, die sich an ein bestimmtes Segment im evangelikalen Bereich richtet. Das allumfassende Magazin, das alle integriert und erreicht, kann es nicht geben. Zu unterschiedlich sind die Einstellungen und theologischen Nuancen innerhalb der Evangelikalen. Auch ist die Art und Weise, wie aktuelle Themen behandelt werden, so unterschiedlich, daß es schwer wäre, alle unter einen Hut zu bringen. Weil das so ist, kommt es aber auch im christlichen Bereich zu einem gewissen Wettbewerb. Was die Einnahmen durch Anzeigen angeht, darf man sich nicht der Illusion hingeben, daß christliche Unternehmer oder Verlage ein so großes Herz haben, alle Zeitschriften gleich zu behandeln. Warum sollten sie auch, gilt es doch auch für sie, gute Haushalter zu sein und ihr Werbebudget möglichst effektiv einzusetzen. Gerade in diesem Bereich hat sich der „Kampf um die Torte" in den letzten Jahren enorm verschärft. Anzeigen (und damit verbunden die lebenswichtigen Einnahmen) bekommt man nicht geschenkt. Es ist wichtig, wie sich eine christliche Zeitschrift darstellt, wie hoch die Auflage ist und welche Ziel- gruppe sie erreicht. „Konkurrenz belebt das Geschäft" heißt es auch hier, und das ist gut so. Die Kirchengebietsblätter haben gezeigt, wie ruhig man vor sich hindämmern kann, wenn die Sorge um die Kasse keine Rolle spielt. Ganz anders ist das bei den Zeitschriften. Marketing und Werbung, Auflagensteigerung durch allgemein gültige Regeln und Prozesse spielen im evangelikalen Raum eine immer größere Rolle. Von der Akzeptanz der Leser, bzw. dem Verbreitungsgrad der einzelnen Zeitschriften her gesehen, kann man eigentlich nur staunen, wieviele Zeitschriften nebeneinander existieren können. Offensichtlich fächern sich die Evangelikalen soweit auf, daß die einzelnen Publikationen in unterschiedliche Kreise gehen und sich im großen und ganzen nicht gegenseitig in die Quere kommen. Bei den Mitarbeiterzeitschriften ist das kein Problem, weil die Treue für die eigene Gemeindeform dabei ins Gewicht fällt. Ob SMD, „Campus für Christus" oder andere Studentenverbände, ob EC oder AGEJ, ob Baptisten oder Methodisten, wo Hilfe für die Jugendarbeit gegeben wird, greifen die Leser zunächst auf das Blatt ihrer eigenen Coleur zurück. Schwierig wird es in diesem Bereich nur für die Zeitschriften, deren Profil nicht klar genug zu erkennen ist. Wer zum Beispiel meint, daß seine Mitarbeiterzeitschrift mit ihren vielen internen Meldungen und erbaulichen Artikeln auch gleichzeitig missionarisch eingesetzt werden kann, befindet sich auf dem Holzweg. Was für Insider geschrieben wurde, gehört auch in deren Kreise. Blätter mit Charakter Sehr kreativ und gut bestückt ist der Jugendsektor. Hier scheint es für jeden Geschmack eine Zeitschrift zu geben. Zwar überschneiden sich teilweise die Themen, und kein Blatt scheint ohne Musikteil auszukommen, aber von der Vielfalt her gesehen sind die christlichen Jugendzeitschriften ein interessanter, wenn auch kein leichter Bereich. Sowohl die Problematik des eigenen Profils als auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit gehören zu den großen Fragen. Ein gutes Beispiel, EVANGELISCHE ZEITSCHRIFTEN (IN AUSWAHL) (verkaufte Auflage im Juni 1994) Erscheinungsweise wöchentlich: idea-spektrum (Magazin für Christen) 20.380 Der Kriegsruf (Heilsarmee) 14.500 Die Gemeinde (Baptisten- und Brüdergemeinden) 12.250 Wort und Weg (Ev.-methodistisch) 12.100 Christsein heute (Freie ev. Gemeinden) 7.800 Evangelische Information (epd) 4.200 monatlich: aufwärts (evangelistisch) 82.000 die junge schar (CVJM-Westbund, EC und Freikirchen) 21.000 Neues Leben (Familienzeitschrift) 20.000 Die Glocke (Christliches Jugenddorfwerk) 20.000 anruf (Deutscher EC-Verband) 15.000 Gnadauer Gemeinschaftsblatt (pietistisch) 12.500 Chrischona-Magazin (pietistisch, deutsche Auflage:) 10.500 Baustein (CVJM-Westbund) 8.500 Licht und Leben (mit 'Der Feste Grund') (pietistisch) 8.100 Ev. Kommentare (landeskirchlich) 7.920 Lutherische Monatshefte (landeskirchlich) 6.280 exact (Musikzeitschrift) 6.000 Die Botschaft (Brüdergemeinden) 3.000 vierteljährlich: Lydia (Frauenzeitschrift) 52.000 Family (Familienzeitschrift) 48.000 Der Auftrag (Jugend mit einer Mission) 20.000 Gemeinde-Erneuerung (charismatisch, kostenlos) 9.300 Champ (Jugendzeitschrift) 8.000 Charisma (charismatisch) 7.000 Gemeindewachstum 5.300 mehrmals jährlich: Entscheidung (evangelistisch, 6x) 32.000 Pro (evangelikale Publizisten, 6x, kostenlos) 21.000 dran (Jugendzeitschrift, 9x) 16.000 Arbeitskreis Christlicher Publizisten (6x) 10.000 contrapunkt (Jugendzeitschrift, 6x) 7.000 Schritte (Magazin für Christen, 6x) 3.000 da vor allem sehr öffentlichkeitswirksam, sind hier die Musik-und Kulturzeitschriften. Für sie gibt es einen Fankreis, der sich je nach Qualität des Blattes vergrößern läßt. Aber die Erfahrungen haben gezeigt, daß die echte Abonnentenzahl (also die wirklich verkauften Hefte und nicht die Zahlen, mit denen Herausgeber gerne hausieren gehen) kaum die 5000-Marke wesentlich überschreiten kann. Da können sich die Redakteure auf den Kopf stellen und die tollsten Interviews und Berichte schreiben; alles, was in irgendeiner Weise der Mode unterliegt (und Musik gehört dazu), ist nur für Leute in einem bestimmten Alter und zu einer bestimmten Zeit wichtig - und damit starken Schwankungen unterworfen. Meistens scheiterten in der Vergangenheit derart gestaltete Blätter an der wirtschaftlichen Hürde. Die Redakteure arbeiteten nebenberuflich, was mehr oder weniger auch Auswirkungen auf die Qualität der Artikel hatte. Manchmal konnte die Kontinuität nicht gewahrt bleiben, weil (nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen) der Redaktionsstamm ständig wechselte. Ohnehin ist das neben dem mangelnden Profil das größte Problem christlicher Zeitschriften. Nur wenige Verlage oder Werke können sich festangestellte Redakteure leisten. Vieles wird nebenberuflichodersogaralsHobby publiziert. Man muß die Autoren zwar loben, daß sie überhaupt diese Arbeit tun, aber die Qualität vieler Zeitschriften könnte wesentlich gesteigert werden, wenn Fachleute (sprich: ausgebildete Journalisten) für sie schreiben würden. Wenn es einen festangestellten Redakteur gibt, dann ist er gleichzeitig auch noch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, was ihn daran hindert, zeitlich aufwendige Reportagen oder Interviews zu führen. Das Problem mit dem Profil besteht aber auch auf inhaltlicher Seite: Was macht zum Beispiel eine Serie mit Artikeln für Mitarbeiter in einer Zeitschrift, die sich als evangelistisches Blatt versteht? Hier muß der eingeschlagene Weg konsequenter eingehalten werden, sonst besteht die Gefahr, bald keinen mehr auf die richtige Art zu erreichen. Natürlich gibt es Bereiche, die - um beim Beispiel einer evangelistischen Zeitschrift zu bleiben - sowohl für Christen als auch für Nirhtchristen interessant sind, aber sowohl die sprachliche Form als auch die inhaltliche Herangehensweise unterscheiden sich so stark, daß man beide Gruppen nicht mit ein und derselben Zeitschrift erreichen kann. Wer in einer evangelistischen Zeitschrift z.B. von „unserem Herrn Jesus" oder „meinem geliebten Vater im Himmel" schreibt, der deklassiert sich nicht nur selbst als unfähig, die Sprache der Menschen auf der Straße zu sprechen, sondern schließt seine säkularen Leser automatisch aus. Ein zweites Problemfeld christlicher Zeitschriften liegt im Marketing. Das heißt, wie für eine Zeitschrift geworben wird, wie ihr Bekanntheitsgrad gesteigert wird, und wiesiesich nach außen darstellt. Das fängt schon beim Briefpapier an und hört bei Aktionen zur Abonnentengewinnung noch lange nicht auf. Dieser Bereich liegt bei den meisten völlig im Argen. Bei säkularen Blättern spielt er aber mindestens die gleiche Rolle wie der redaktionelle Teil. Um es noch einmal klar zu machen: Daß christliche Zeitschriften der große Sprung über die eigenen Grenzen nicht gelingen mag, liegt meiner Meinung nach nicht in erster Linie am Inhalt (der Botschaft), sondern an Gründen, die im redaktionellen Aufbau, im fehlenden Profil, an mangelnder Ausbildung der Mitarbeiter und an nicht vorhandener wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu suchen sind. Hier muß vieles geschehen, denn die Medienlandschaft hat sich auch auf dem Zeitungs-/Zeitschriftensektor in den letzten fünf Jahren so rapide verändert, daß es für die einzelnen Blätter immer schwieriger wird. Aber der Ausweg liegt nicht in der Konzentration und einer damit einhergehenden Gleichmacherei christlicher Zeitschriften, sondern aus meiner Sicht in der Qualität der einzelnen Produkte. Den eigenen Weg gehen Viele christliche Zeitschriften bestehen seit über 30 Jahren und beweisen damit, daß evangelikale Leser ein Garant für Kontinuität sind. Aber gerade diese Blätter scheinen Mitte der neunziger Jahre einem besonders starken Wind ausgesetzt. Die Klage lautet: „Uns sterben die Leser weg, weil wir eine völlig überalterte Struktur haben." Neidisch wird auf die jungen Blätter geschaut, die grünen und blühen. Aus deren Fundus Lebenssaft ziehen zu wollen, scheint der naheliegendste Gedanke, aber gleichzeitig ist dieser Weg gefährlich. Zum einen stünde den erfahrenen Blättern sicher etwas mehr Selbstbewußtsein gut an, zum anderen müssen diese neuen Blätter erstmal den Beweis antreten, daß sie auch über 30 Jahre existieren können. Schwierig wird es für die Zeitschriften, die ihr eigenes Konzept nur deshalb aufgeben, weil ein anderes erfolgreicher zu sein scheint. Sie stehen in der Gefahr, ihre treuen Leser zu verlieren, ohne eine wesentliche Menge neuer Leser hinzuzugewinnen. Außerdem ist es nicht leicht, eingefahrene Schienen zu verlassen, ohne daß es Reibungsverluste gibt. Wie gesagt, hinter manchen christlichen Zeitschriften steckt gar kein Konzept, sondern „nur" der ausdrückliche Wunsch, „die Botschaft zu vermitteln". Bei einigen Blättern (vor allem Gemeinde-, Kirchen- und Verbandszeitschriften) scheinen ohnehin andere Kriterien über den Fortbestand zu entscheiden als nur die Leserakzeptanz. Und sicher gibt es triftige Gründe, nicht nur auf den „Markt" zu schielen. Aber gäbe es nicht die christlichen Zeitschriften, die aktuell, interessant aufgemacht und journalistisch gut genug sind, um sich auf dem „freien Markt" behaupten zu können, würde den Evangelikalen etwas fehlen. Allein aus dieser Tatsache heraus, können sich die Leser freuen, wenn es dann mal tatsächlich wieder einer wagt und mit einem neuen Projekt frischen Wind in den Blätterwald bringt. Auch wenn in der Vergangenheit manche von diesen jungen Pflänzchen nicht lange lebten, so hatten sie bisher doch einen positiven Effekt auf die gesamte Landschaft. Auftrag und Ziel Wenn es zu den Aufgaben der Christen gehört, Salz und Licht zu sein und dadurch in einer von Gott entfremdeten Welt Zeichen der Liebe Gottes zu errichten, dann wird das vor allem auch in ihren Publikationen deutlich. Egal ob schwarz-weiß, zwei- oder vierfarbig, egal ob mit vielen Fotos versetzt oder als Buch in Zeitschriftenform, Christen haben besonders über Zeitungen und Zeitschriften die Chance, ins Leben anderer Menschen hineinzuwirken. Zu den erfreulichsten Momenten meiner eigenen Redakteurslaufbahn gehörte das Lesen der Brie- fe, in denen sich irgendwelche - mir völlig fremde - Menschen dafür bedankten, daß ein Artikel ihnen weitergeholfen oder ein Kommentar sie ins Nachdenken gebracht hat. So etwas kam viel zu selten vor, und die kritischen Briefe, in denen Lesertheo-logische Spitzfindigkeiten diskutieren wollten, waren in der Überzahl. Aber sie beeindruckten mich nicht halb so sehr wie der Brief einer Mutter, die schrieb, daß ihre erwachsenen Kinder durch das Lesen der Beiträge wieder den Weg in eine Gemeinde gefunden haben. Journalist zu sein heißt in jedem Falle Vermittler von Information, Vermittler von öffentlichem Gespräch zu sein. Den Glauben auf diese Weise ins Gespräch zu bringen, gehört zu den schönsten Dingen, die ich mir vorstellen kann. Dabei verblüfft nichts mehr als die einfache Wahrheit. Ehrliche Artikel, in denen Christen nicht nur irgendwelche „frommen Allgemeinplätze" niederschreiben, sondern mit Herz und Verstand über das berichten, was ihnen oder anderen im Leben mit Gott begegnet, haben immer ihre Leser gefunden. Daß Christen darüber hinaus auch einen eigenen Standpunkt haben, den sie dem Zeitgeist entgegensetzen, muß auch einen Platz in den Zeitschriften haben. Bei aller angebrachten Kritik an derfachlichen (journalistischen) Kompetenz muß man doch feststellen, daß die christlichen Blätter bis heute diese Aufgabe gut erfüllt haben. „Einheit in der Vielfalt" lautete eine der Zwischenüberschriften, und das erscheint mir die richtige Definition für die verschiedenen christlichen Zeitschriften zu sein. MagdieQualitätauch unterschiedlich sein, magdieäuße-re Form manchmal auch einiges zu wünschen übrig lassen, in Gottes buntem Blätterwald findet vieles seinen Platz. Ethik im Journalismus Theologische Thesen aus evangelikaler Sicht Rolf Hille 1. Heilsgeschichtliche Beobachtungen zu den Grundlagen publizistischer Ethik 1.1 Die Fähigkeitzur Kommunikation bestimmt wesentlich die Würde und Stellung des Menschen im Ganzen der Schöpfung. Der Mensch ist vorrangig darin „Bild Gottes", daß er des Wortes verständig und mächtig und so zum Gespräch mit Gott und seinem Mitmenschen berufen ist (vgl. 1. Mose 1,27 und 2,19). Die kommunikative Begabung des Menschen ist gleichzeitig eine ethische Aufgabe zur Bewährung der Gottesgemeinschaft und der Nächstenliebe. 1.2 Der biblische Bericht über den Sündenfall des Menschen in Genesis 3 schildert drei elementare Versuchungen des Menschen im Kommunikationsbereich, an denen der Mensch grundlegend gescheitert ist. 1.2.1 Am Anfang steht die „Curiositas" als Gier nach Neuem, die den Reiz intellektueller Verlockung in sich birgt. Der Dialog zwischen Versucher und verführtem Menschen setzt beim Reiz des Neuen und Andersartigen ein: „Sollte Gott gesagt haben ..." (V. 1-3); durch eine fingierte Nachricht wird das Interesse, der Wunsch nach Teilhabe geweckt. Die biblischen Folgegeschichten geben vielfältig Hinweise auf das Problem der Neugier bis hin zur weitgehenden Immunisierung gegenüber dem Anspruch des Evangeliums. „Denn du bringst etwas Neues vor unsere Ohren; nun wollen wir gerne wissen, was das ist. Alle Athener nämlich, auch die Fremden, die bei ihnen wohnten, hatten nichts anderes im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören" (Apg. 17,20+21). 1.2.2 Zentrum der ethischen Kommunikationsstörung bildet jedoch die bewußte Täuschung, die zur massiven Lüge wird. Desinformation durch gezielte Halbwahrheit: „Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten ..." (1. Mose 3,1) führt zum grundlegenden Betrug am Menschen und an dessen paradiesischem Glück. Der Teufel wird nunmehr als „Vater der Lüge" (Joh. 8,44) zum Inspirator jedweder Verdrehung der Wahrheit in Lüge. 1.2.3 Der durch scheinbar naive Neugier angestoßene und zur Lüge gewordene Wortbruch endet in der anklagenden Beschuldigung des Nächsten. Das eigene Fehlverhalten führt zum irreführenden Versuch der Entschuldigung, durch die moralische Entlastung gesucht wird. Indem sich das Ent-schul-digungs-wort als Waffe gegen den Nächsten richtet, wird seine kommunikative Kraft endgültig pervertiert: „Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. Da sprach Gott der Herr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß." (1. Mose 3,12+13). 1.3 Angesichts sündhafter Selbstzerstörung menschlicher Kommunikation ist das Evangelium erlösendes Wort, weil es seine Kraft und Wahrheit in dem persongewordenen Wort Gottes, d.h. in Jesus Christus, hat. „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme" (Joh. 18,37). 2. Grundlegende „technische" Rahmenbedingungen publizistischer Ethik 2.1 Kommunikation beruht im elementarsten Sinne auf der direkten Vermittlung einer Botschaft von einem Sendenden an einen Empfangenden. Das Besondere publizistischer Medien besteht in der technischen Vermittlung der Botschaft. Zwischen Sender und Empfänger steht ein technisches Instrumentarium, das aufgrund seiner spezifischen Möglichkeiten die zu übertragende Botschaft in ihrer Aussage formt, in ihrer Reichweite vervielfältigt und somit in ihrer Wirkung verstärkt. Aus der verdichteten, medial vermittelten Sekundärwelt wird im Bewußtsein eine bestimmende Primärwelt, die zur eigentlichen Wirklichkeit bestenfalls in Konkurrenz steht, schlimm- stenfalls jedoch zunehmend an deren Stelle tritt. Der Medienkonsument lebt je länger je mehr aus zweiter Hand. 2.2. Das Kommunikationsgefälle ist als solches aber eindeutig vorbestimmt als indirekte und einseitige Vermittlung vom Sender an den Empfänger. Dieses Kommunikationsgefälle impliziert eine Vormachtstellung des Sendenden gegenüber dem Empfangenden. Da jedes Machtpotential mißbraucht werden kann, stellt sich die ethische Aufgabe des legitimen Machtgebrauchs von Medienveranstaltern. 2.3 Nicht zuletzt wirkt sich die Technisierung des Kommunikationsvorgangs in einer immensen Steigerung der Zahl möglicher Rezipienten aus; weshalb man auch von Massenkommunikationsmitteln spricht. Diese Entwicklung setzte zivilisationsgeschichtlich mit der Erfindung des Buchdrucks ein und hat durch die Vielzahl elektronischer Medien eine ungeheure Intensivierung erfahren. Mit dem technischen Machtzuwachs für den einzelnen bzw. für kleine Eliten, die über die jeweilige Technik verfügen, ergeben sich mit den neuen Quantitäten ganz neue qualitative ethische Probleme. Die Möglichkeit, das Bewußtsein der Massen formen und lenken zu können, eventuell sogar ein Informations- und Meinungsmonopol zu besitzen, stellt einen Machtfaktor unab-schätzbaren Ausmaßes dar. 3. Das Presse- und Rundfunkrecht als juristische Basis publizistischer Ethik 3.1 „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindertzu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt" (Grundgesetz, Artikel 5). Den hierangeführten Rechten des Pressegesetzes stehen entsprechende spezifische Pflichten gegenüber: wie z.B. die allgemeine journalistische Sorgfaltspflicht, die Pflicht zur Berichtigung oder Gegendarstellung sowie die Vorschrift zur Offenlegung und zur Veröffentlichung eines Impressums. Hinzu kommt die inne- re Pressefreiheit durch Redaktionsstatuten, Redaktionsbeiräte etc. 3.2 Da die Verkündigung des Evangeliums auf freie Zustimmung des Menschen zielt und nach biblischem Verständnis niemand gegen sein Gewissen zu weltanschaulichen Überzeugungen genötigt werden darf, sind Meinungs- und Pressefreiheit grundlegende Werte christlicher Ethik. Die Kirchen sollen von ihrem Selbstverständnis her für diese Grundrechte eintreten und sie schützen. 4. Sozialethische Aspekte der Medienkonzentration und Medienvervielfältigung 4.1 Pressekonzentration und publizistische Monopole stellen hinsichtlich der Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit ein erhebliches Konfliktpotential dar. Mit der technischen Erweiterung des Programmangebots durch die sogenannten neuen Medien verschränkt sich das Problem publizistischer Monopolbildungen mit der Frage nach einem wirklichen Zugewinn an Programmvielfalt durch die rein quantitative Ausdehnung von Presseerzeugnissen und vor allem Programmveranstaltungen auf dem elektronischen Medienmarkt. Die bloße Vervielfältigung publizistischer Medienangebote hat häufig zur Nivellierung und Verödung des Programms durch einen oberflächlichen Journalismus geführt. Theologisch ist unter dem Aspekt der Neugier und ihrer medialen Befriedigung durch die Unterhaltungsindustrie die zunehmende Unfähigkeit zur Besinnung, zu unmittelbar zwischenmenschlicher Kommunikation und zur geistigen Konzentration zu erörtern. Einejedes menschliche Maß überschreitende Inflation von Wörtern und Bildern hat im Unterschied zu Meinungsfreiheit und Programmvielfalt jedenfalls kontraproduktive Wirkung. Statt zu orientieren, wirkt sie desorientierend, statt Kommunikation zu bereichern, zerstört sie diese. 4.2 Viel gravierender als in den Industrieländern stellt sich jedoch das Problem der Chancengleichheit bzw. des freien Zugangs zu Informationen und der aktiven Mitwirkung an deren Verbreitung im Verhältnis von Erster und Dritter Welt dar. So werden beispielsweise Filme und Serienproduktionen, deren Kosten bereits auf dem US-Markt hereingespielt wurden, zu konkurrenzlosen Dumpingpreisen weltweit angebo-ten. Auf diese Weise entsteht eine Art Medienkolonialismus, der den „American way of life" ungeachtet kultureller und sozialer Identitäten verbreitet. 5. Individualethische Aspekte in der Publizistik 5.1 Das Elementargebot der Wahrhaftigkeit Grundlegend für die prinzipielle ethische Forderung nach Wahrhaftigkeit ist das Gebot 2. Mose 20,16: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten." Die Intention des sogenannten achten Gebotes richtet sich auf die Wiederherstellung von Wahrhaftigkeit in einer Welt, die unter dem Diktat der Lüge steht. Das Gebot eröffnet, indem es Wahrhaftigkeit fordert, die Freiheit zu gelingender sozialer Kommunikation und bildet damit eine unabdingbare Voraussetzung zum Zusammenleben in jeder Gesellschaft. 5.2 Verzicht auf Manipulation Dies bedeutet publizistisch die Bereitschaft, auf jede Desinformation und Manipulation zu verzichten, um Menschen, über die berichtet wird, in ihrer Personenwürde vor Rufmord zu schützen. Es geht zunächst darum, die Akteure und Konfliktpartner, die in den Medien dargestellt werden, ereignisadäquat - und entsprechend ihrem eigenen Selbstverständnis - zu präsentieren, bevor die Sachverhalte von außen kritisch kommentiert werden. Dazu gehört im Sinne der journalistischen Sorgfaltspflicht die gründliche Prüfung von Informationsquellen. 5.3 Gerade weil der persönliche Einfluß des Medienschaffenden in jedem Falle bedeutsam ist, gehört es zur Wahrhaftigkeit im journalistischen Bereich, keine Pseudoobjektivität vorzuspiegeln, sondern den erheblichen Einfluß dereigenen Subjektivität im Kommunikationsgeschehen offen einzugestehen. 5.4 Schutz der Person- und Menschenwürde Publizistische Ethik muß nach der Grenze medialer Kommunikation fragen. Dabei gilt es, abzuwägen zwischen der Beein- trächtigung des Gemeinwohls durch private Handlungen einer Persönlichkeit in verantwortlicher Position und deren individuellem Personenschutz. Sowohl Sexualität als auch persönliches Leid von Opfern bei Krieg, Unfällen oder Verbrechen sind zu jenen persönlichen Bereichen einzuordnen, die nicht der Sensationslust der Massen preisgegeben werden dürfen. In einem erweiterten Sinne des Personen- und insbesondere des Jugendschutzes ist in diesem Zusammenhang die Darstellung von Gewalt und Pornographie zu nennen. Die Versuchung liegt nahe, die „Curiositas" des Menschen so aufzureizen, daß elementare niedere Instinkte der Aggression und Perversion geweckt und durch entsprechend verantwortungslose Programme befriedigt werden. Gerade im Bereich der Bildmedien wirkt Gewaltverherrlichung und harte Pornographie besonders destruktiv. Ein Kirchenjournalist will nach Wittenberg Kirchliche Journalisten und das SED-Regime Seit der Wende 1989 wird es von Jahr zu Jahr mehr offenbar: Nicht wenige evangelische Journalisten im kirchlichen Dienst arbeiteten für die Stasi oder mit Repräsentanten des DDR-Regi-mes zusammen. Im Westen wurden bislang zwei hochrangige Fälle bekannt; in der ehemaligen DDR sind Chefredakteure von Kirchenzeitungen, ja selbst der langjährige Pressesprecher des Bundes der evangelischen Kirchen „enttarnt" worden. Im folgenden schreibt exklusiv für dieses Buch der Heidelberger Kirchenhistoriker und Berater der Enguete-Kommission des Deutschen Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", Prof. Gerhard Besier, über das Verhalten eines der einflußreichsten Journalisten in der EKD von 1964 bis 1983. Gerhard Besier Journalisten leben nicht selten von den Indiskretionen führender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Andererseits sind sie auch auf gezielte Informationen und auf Unterstützung anderer angewiesen und müssen ihrerseits dafür etwas geben. Nach dem Mauerbau im August 1961 wurde es für westliche Journalisten immer schwieriger, authentische Informationen aus der DDR zu bekommen und zwecks Berichterstattung eine Einreisegenehmigung zu erhalten. So entwickelte sich 1967 eine Art Symbiose zwischen dem Dozenten für Marxismus/Leninismus (M/L) an der Ost-Berliner Theologischen Fakultät, Helmut Dressier (geb. 1931), unddemJour-nalisten Sepp Schelz (1917-1986), von 1964 bis 1971 Leiter der Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Publizistik in West-Berlin (in der alle publizistischen Aktivitäten der evangelischen Kir- che zusammengefaßt waren), und danach zwölf Jahre lang, bis Ende 1983, Verlagsdirektor der Wochenzeitung der EKD, des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes. Dressier verfügte augenscheinlich über gute Verbindungen und Informationsquellen in der DDR. Schelz kannte im Westen Berlins alle Persönlichkeiten von Rang und Namen, hatte also auch guten Zugang zu kleinen politischen Zirkeln und synodalen Leitungsgremien. Egon Bahr bezeichneteerals „meinen Freund". Was Schelz nicht wissen konnte: Dressier - geführt als IM „Harry" - arbeitete seit 1950 auch für das Ministerium für Staatssicherheit und traf sich mit Schelz im Auftrag des DDR-Geheimdienstes. Am 15. Juni 1968 fertigte „Harrys" Führungsoffizier folgende Einschätzung an: „Zu dieser Person (Schelz) baute er systematisch den Kontakt aus, so daß sich ein immer stärkeres Konsultationsverhältnis zwischen beiden Personen entwickelte. Im Ergebnis der systematischen Trefftätigkeit, die teils in Westberlin und zum Teil in der Hauptstadt der DDR abgewickelt wird, konnten laut vorliegender Berichte des IM Hinweise und Informationen zu folgenden Problemen erarbeitet werden: • Kirchenpolitische und interne Probleme, die in den leitenden Gremien und Zentren der 'EKiD' geplant werden. • Reaktionen kirchlicher und z.T. staatlicher Stellen in Westberlin und Westdeutschland auf kirchenpolitische u.a. Maßnahmen der Regierung der DDR (Verfassung, Paß- und Visabestimmungen u.a.)." Mitte Dezember 1966 nahm Dressier auftragsgemäß den persönlichen Kontakt zu Schelz auf. Als Anknüpfungspunkt diente ihm ein gemeinsamer Bekannter: Jackowski von der Polnischen Presseagentur. Über den „Wert dieser Kontaktaufnahme" zu Schelz heißt es, daß der Kirchenjournalist „über internstes Kirchenmaterial verfügt und mit den höchsten kirchlichen Zentralen Westdeutschlands und deren leitenden Personen ständig in Verbindung steht ..., eine der wichtigsten Personen ist, die die persönliche Verbindung zwischen den Kirchenleitungen in der Bundesrepublik und Westberlin einerseits und den Berliner Kirchenstellen in der DDR andererseits aufrechterhalten ..., von Westberlin aus versucht, Kontakte in die DDR, VR Polen, die CSSR und die SU zu schaffen". Hervorgehoben wurde ferner, daß Schelz enge Verbindungen zu Hans-Jacob Stehle unterhielt, einem weitläufigen Journalisten und Spezialisten für katholische Kirchenfragen. Interessant ist, wie es Dressier in der Folgezeit verstand, die zunächst eher kühl-geschäftsmäßige Beziehung zu einem engen freundschaftlichen Verhältnis auszubauen. Traf man sich zunächst im Operncafe, so war wenige Monate später der M/L-Lehrer häufiger Gast in der Privatwohnung des Kirchenjournalisten. Schon nach der ersten Begegnung schrieb Dressier: „Die Möglichkeit eines sehr persönlichen und herzlichen Kontaktes hat sich ... vor allem deshalb leicht angebahnt, weil wir beide Landsleute, d.h. Sudetendeutsche sind." Das MfS leitete eine Reihe von Maßnahmen zur „operativen Bearbeitung" des Journalisten ein. Man fertigte einen biographischen Auskunftsbericht über ihn an und ließ ihn bei seinen Besuchen in Ost-Berlin beobachten. Auf die „Sperrliste" wurde er aus naheliegenden Gründen nicht gesetzt. Man wollte aber überprüfen, „inwiefern Sepp Schelz nicht evtl, auch direkt geheimdienstlich verpflichtet sein könnte". Derweil gab sich Dressier alle Mühe, Schelz für sich einzunehmen. Er lud ihn mit Frau und Sohn zu sich nach Hause und in die Komische Oper ein und bekundete durch allerlei Schmeicheleien höchstes Interesse für den Journalisten. Doch zunächst verhielt sich Schelz eher zurückhaltend, offerierte seinem Bewunderer aber immerhin eine Bescheinigung, daß er für seine Habilitation stets im Archiv des Evangelischen Publizistischen Zentrums arbeiten könne. Als „Legende" zur Erklärung für seine häufigen Tages-Passierschein-Besuche nach West-Berlin hatte Dressier dem Journalisten und seiner Mitarbeiterin Ursula Schlappkohl berichtet, er müsse für seine Habilitationsschrift im Archiv der Evangelischen Kirche der Union (EKU) arbeiten. Schelz' Einsatz in Berlin erfolgte nach Dresslers Meinung vor allem „unter dem Gesichtspunkt der Verstärkung der Ostkontakte", was ihn für den IM natürlich noch interessanter machte. Auch Schelz' Beziehungen zu Heinrich Albertz, Willy Brandt und dann Klaus Schütz waren für Dressier von hohem Interesse. Schelz wußte, daß sein neuer Bekannter über beson- dere Drähte verfügte. Aus einer Sitzung in der Kirchenkanzlei (jetzt Kirchenamt) der EKD in Hannover rief er am Abend des 21. März 1967 bei Dressier in Ost-Berlin an und „ersuchte" Dressier, „bei den staatlichen Organen der DDR vorzufühlen, ob er nicht eine Genehmigung zum Besuch der (EKD)-Synodaltagung in Fürstenwalde/Spree, DDR, bekommen könnte". Am 23. März berichtete er Dressier ausführlich, aber oberflächlich über die interne Beratung in der EKD-Kirchen-kanzlei mit fünfunddreißig Chefredakteuren, denen der nachgiebige Kurs der EKD bei der Verlegung ihrer Regionalsynode-Ost nach Fürstenwalde erläutert werden mußte. Während Schelz' Abwesenheit durchsuchte das MfS seine Privatwohnung und fand einige handschriftliche Notizen, die Synode in Fürstenwalde betreffend. Am 28. März legte Dresslers Führungsoffizier mit seinem IM die weitere „Linie" im Vorgehen fest. Schelz wurde in dem Treffbericht nur als „Sepp" bezeichnet. Neben einer Festigung von „ersten Anfängen des Vertrauens" sollte eine „Profilierung" des IM als „Sachkenner auf kirchenpolitischem Gebiet" erfolgen; außerdem sollte er durchblicken lassen, daß er über gute Beziehungen zu einflußreichen Persönlichkeiten in der DDR verfüge. Schließlich sollte Dressier bei den Treffs mit Schelz künftig darauf bestehen, daß kein Dritter dabei sei, da er bei Bekanntwerden seiner Kontakte mit dem Westjournalisten seine Stellung gefährde. Dieser Einstieg in konspirative Bedingungen war wichtig, wie sich tags zuvor erst wieder herausgestellt hatte. An diesem Ostermontag, dem 27. März 1967, waren Schelz und Frau mit dem Ehepaar Dressier zu einem Besuch des Berliner Ensembles mit anschließendem Essen im Restaurant Ganymed verabredet. Überraschend erschien Schelz dann zuvor in der Wohnung Dresslers, um diesem mitzuteilen, er habe für den Restaurantbesuch ein weiteres Ehepaar hinzugeladen. Damit hatte er Dresslers „Taktik bei der Ausführung des Auftrages, mit Schelz in bestimmter Weise in Kontakt zu kommen und ihn auszubauen", durchkreuzt. Wegen der ungebetenen Gäste konnte Dressier auch das Angebot des Staates an Schelz nicht recht interpretieren: Während der Synode in Fürstenwalde sollte Schelz zwar nicht dorthin rei- sen dürfen, wohl aber nach Ost-Berlin - vorausgesetzt, er erkläre sich damit einverstanden, mit Dressier zusammenzutreffen und diesem interne Informationen über den Ablauf der Synode mitzuteilen. Schelz lehnte ab. Dressier führte diesen Mißerfolg auf die Anwesenheit Dritter zurück, und auch darauf, daß „Schelz offenbar auch noch nicht genügend Kontakt und Vertrauen zu mir (Dressier) gefaßt hatte". Andererseits stellte Schelz seinem neuen Bekannten in Aussicht, ihn mit dem Leiter der Abteilung Kirchen im West- Berliner Senat bekanntzumachen, was den Kundschafter aus dem Osten wieder einigermaßen versöhnte. Am Abend des 7. April plauderten dann Oberkirchenrat Erwin Wilkens (Hannover), Senatsrat Helmuth Sieglerschmidt, Dressier und Sepp Schelz in dessen Wohnung über den Verlauf der EKD-Synode, wobei anläßlich dieses „gemütlichen Beisammenseins zum Ausklang der Synode" keiner ein Blatt vor den Mund nahm. Nach zahlreichen Gesprächen in Ost- und West-Berlin, in denen Schelz unter anderem über die Gründung der „Come-nius-Gesellschaft für deutsch-osteuropäische Verständigung" sowie über manches andere berichtet, aber auch höchst kontrovers mit dem M/L-Dozenten über die Anerkennung der DDR diskutiert hatte, kam es Ende September 1967 zu einem gewissen Durchbruch. Den eigentlichen Grund für Schelz' „größere Aufgeschlossenheit", für sein „Angebot", über Gespräche mit Egon Bahr und anderen zu berichten sowie den noch unveröffentlichten Entwurf einer EKD-Denkschrift weiterzugeben, meinte Dressier erkannt zu haben: Schelz wollte zu den Reformationsfeierlichkeiten nach Wittenberg. Obwohl der Journalist trotz aller Bemühungen schließlich doch keine Genehmigung erhielt, war das Eis gebrochen. Am 23. Oktober 1967 hatte er noch gelockt, „wenn die Reise nach Wittenberg klappt", werde „er mir (Dressier) noch mehr erzählen ..., da er ja dann in meiner Schuld stünde". Es klappte also nicht, aber der Kontakt intensivierte sich dennoch. Dabei bewegte sich Schelz auf einem sehr schmalen Grat. Den Berichten Dresslers zufolge versprach er dem M/L-Mann die umgehende Zustellung von schriftlichen EKD-Materialien und gab Informationen weiter, die Dressier und seine Hinter- männer offenbar für so wichtig hielten, daß sie den Kontakt eifrig bemüht aufrecht erhielten. Umgekehrt versprach sich Schelz - obwohl er eigentlich ahnen mußte, mit wem er da sprach - von Dressier wohl ebenfalls Informationen und Kontakte, an die er auf anderem Wege möglicherweise nicht gelangen konnte. Was der geschulte Stasimann dem Kirchenjournalisten im einzelnen verriet, wissen wir nicht. Ob jeder auf seine Kosten kam oder nur einer von beiden, wird sich kaum mehr feststellen lassen. Unbescheidenheit, verbunden mit Machtphantasien und dem Bedürfnis nach einer exklusiven Verfügungsgewalt über interne (kirchliche) Informationen mögen bei Schelz' Verhalten eine gewisse Rolle gespielt haben. Am 19. September 1968 erzählte der Journalist mit deutlichem Stolz seinem vermeintlichen oder wirklichen Informanten, was er alles angestellt habe, um die Westpresse über ein halbes Jahr hinweg an der Veröffentlichung der von den Kirchen in der DDR verantworteten Handreichung „zum Friedensdienst der Christen" von 1965 zu hindern. Die staatlichen Stellen hatten das Papier natürlich längst. „Probleme? - Wir haben Bücher zur Lösung" Der evangelische Buchhandel in der Krise Klaus Röster Sie haben ein Problem? - Wir haben Bücher zur Lösung." Mit diesem Slogan will Herbert Nolte (Gießen), Geschäftsführer der ALPHA-Buchhandlungen, besonders den Dienstleistungscharakter seines Unternehmens für Christen und Gemeinden heraussteilen. Die evangelische ALPHA-Gruppe, ein Zweig der Pilgermission St. Chrischona, gehört mit 16 Filialen zu den 100 größten Buchhandelsunternehmen im deutschsprachigen Raum. Obwohl der Spruch etwas anmaßend klingt, hält Nolte voller Überzeugung daran fest. Bücher, von Fachleuten geschrieben, könnten tatsächlich helfen - wenn sie denn gekauft und gelesen werden. Doch in Zeiten der Rezession sitzt bei vielen Christen die Mark nicht mehr so locker. Auch beim Kauf von Büchern wird gespart. Die Folgen: Buchhandlungen müssen schließen oder werden von größeren Unternehmen „geschluckt". Durchschnittlich melden jedes Jahr zehn Firmen Konkurs an, so ein Sprecher des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel. Dies seien zwar erheblich weniger als in anderen Branchen. Doch bedeute diese Zahl nicht, daß es den 4.236 Buchhandelsunternehmen in Deutschland wirtschaftlich auch gut gehe. Im Gegenteil. Manch ein Inhaber gäbe nur deshalb nicht auf, weil er eine gehörige Portion Idealismus mitbringe, heißt es in der Zentrale des Börsenvereins in Frankfurt am Main. Dies gelte vor allem für die konfessionellen Buchhandlungen. Begeisterung für das Medium Buch bzw. für die dort veröffentlichten Anliegen sei auch die Motivation für jene Buchhändler, die neu in das Gewerbe einstiegen. So sei seit 1991 die Zahl der Buchhandlungen in Deutschland um 194 angewachsen. Auch ALPHA spürt die Wirtschaftskrise. Nolte verweist auf die repräsentative Erfahrung einer Filiale: Dort sei die Zahl der Kunden zwar nicht gesunken, doch sie gäben pro Besuch durchschnittlich fünf Mark weniger aus als vor zwei Jahren. Trotzdem sehen die rund 70 ALPHA-Mitarbeiter keinen Grund zum „Jammern und Klagen". Denn dadurch ändere sich ihre Lage nicht. Man müsse die Kosten senken. Deshalb setzt ALPHA zum Beispiel auch auf die neueste Computertechnik. Und die Gruppe will noch stärker auf die Wünsche der Kunden reagieren, im Sortiment wie im Service. So hat ALPHA eine eigene Kundenkarte für das bargeldlose Bezahlen eingeführt. Die herkömmlichen Kreditkarten akzeptiere man nicht, da die Gesellschaften für ihren Service drei bis vier Prozent des Umsatzes verlangten. „Das können wir nicht aufbringen", so Nolte. Seinen Angaben zufolge bietet jede evangelische Buchhandlung einen umfassenden Service an: Jedes in Deutschland lieferbare Buch kann besorgt werden, auch Schulbücher. Das Buchsortiment ist bei ALPHA besonders auf die pietisti-sche Gemeindearbeit zugeschnitten: Glaubensvertiefung, Seelsorge, Lebenshilfe, Evangelisation, Mission, Gemeindeaufbau, aber auch Unterhaltung. Die nicht ganz einfache Aufgabe des Buchhändlers sei es, das für die Kundenbedürfnisse richtige Buch zu empfehlen. Dafür sei eine gute Ausbildung und ständige Aktualisierung des Fachwissens nötig. Nolte: „Wir erwarten, daß unsere Mitarbeiter auch viel von dem gelesen haben, was sie verkaufen." Eine große Herausforderung bei rund 8.000 ständig verfügbaren Titeln. Insgesamt sind auf dem deutschen Buchmarkt rund 620.000 Titel erhältlich. Trotz allem: Das Buch hat Zukunft Bücherfachmann Nolte rechnet fest damit, daß das Buch im Wettbewerb mit den elektronischen Medien eine Zukunft haben wird, vor allem unter Christen. Sie hätten - quer durch alle gesellschaftlichen Schichten - durch ihr besonderes Verhältnis zur Bibel ein überdurchschnittlich großes Interesse am gedruckten Wort. Der Buchexperte wird nicht müde, die Vorzüge des Buches zu preisen, etwa im Vergleich mit Predigten oder Vorträgen. Ein Buch könne überall gelesen werden. Die Zeit dazu könne man selber festlegen und dabei jede Minute auskosten, selbst etwa bei einer kurzen Bahn- oder Busfahrt. Es gäbe die freie Themen- und Autorenauswahl. Gedrucktes eigne sich auch gut zum Lernen. Nolte: „Wichtige Stellen kann man unterstreichen, sich Randnotizen machen, manche Passagen nachlesen." Sauer stößt es Nolte auf, daß es neben dem konjunkturellen Einbruch auch „hausgemachten Ärger" gibt. Denn für wirtschaftlichen Druck sorgen nach seinen Angaben auch manche Verlage, die dazu übergingen, unter Ausschaltung des Buchhandels Großkunden wie Pfarrer oder Büchertische in den Gemeinden direkt zu beliefern. Eine auch für die Verlage nicht ungefährliche Entwicklung, meint Nolte. Denn wenn eine christliche Buchhandlung wegen mangelnder Rentabilität schließen müsse, entstehe in der betreffenden Region für christliche Bücher ein „weißer Fleck". Dadurch sei der Verlust auch für die Verlage häufig größer als der Gewinn durch die Direktvermarktung der Bücher. Wenn das Gehalt zu niedrig ist Nach zehn Jahren als Buchhändler kehrt Matthias Bruchhäuser (Nürnberg) der Branche den Rücken. Er wird für einen Verlag tätig. Ihm bleibt keine andere Wahl. Als Filialleiter in einem evangelikalen Buchhandelsunternehmen verdiente er zuletzt 3.600 Mark brutto. Mehr war nicht drin. Ausgelernte Buchhändler fingen nach der Lehre mit rund 2.000 Mark an. Mit seinem Gehalt konnte er seine vierköpfige Familie am Rand einer Großstadt kaum ernähren. Nach seiner Einschätzung gäbe es nur deshalb einige offene Stellen im frommen Buchhandel, weil sich keine Interessenten für solche schlecht bezahlten Posten fänden. Dabei sei die Arbeit jedoch „überaus wichtig". Christliche Buchhandlungen seien Missionsstationen in einer säkularen Welt. Von ihrer Tätigkeit profitierten auch die Gemeinden. Manch einen rat- und hilfesuchenden Kunden habe er an Gemeinden vermittelt, anderen selbst seelsorgerlich geholfen. Der 36jährige sieht nur einen Ausweg ausderwirtschaftlirhen Misere vieler „frommer" Läden: „Christen sollten alle ihre Bücher - auch für die Schule - gezielt nur in christlichen Buchhandlungen kaufen." Dazu gehöre es auch, daßdie Mitarbeiter von Gemeindebüchertischen ihrSor-timent ausschließlich über eine lokale christliche Buchhandlung bezögen. Sie könne dieselben Konditionen bieten wie eine von den Kirchen unterhaltene Versandbuchhandlung, ohne daß jedoch zusätzlich Kosten für Porto und Verpackung anfielen. Während es in den meisten Buchhandlungen für Kunden ruhig und beschaulich zugeht, herrscht hinter den Kulissen ein ungeheurer Termindruck, weiß Buchhändler Wolfgang Schmidt, Inhaber der evangelischen Buchhandlung „Christian Haupt" in Waldbröl (bei Gummersbach), zu berichten. Der 61jährige ist ehrenamtlich als Vorsitzender der Vereinigung Evangelischer Buchhändler (VEB) tätig. Selbst für unangemeldete Gespräche mit Verlagsvertretern bleibe kaum Zeit, so Schmidt. Wenn er die Vertreter nicht wegschicke, müsse er die Zeit abends nacharbeiten. In der VEB sind rund 200 Sortimentsbuchhandlungen, 100 Verlage und 100 Einzelmitglieder (pensionierte und leitende Angestellte) zusammengeschlossen. Der Umsatz der Buchhandlungen, die insgesamt etwa 1.000 Mitarbeiter beschäftigten, schwankt laut Schmidt zwischen 300.000 Mark in Ein-Mann-Betrieben und rund zwei Millionen Mark. Der Fachverband, Mitglied im Diakonischen Werk der EKD, wurde 1925 mit einem missionarischen Ziel gegründet: Die Mitglieder haben sich verpflichtet, durch ihren Beruf das Evangelium von Jesus Christus zu verbreiten; wobei die theologische Ausrichtung heute durchaus nicht einheitlich ist: Sie reicht von evangelikal bis liberal oder feministisch. Schmidt hält seine Mitarbeiter an, sich viel Zeit für Kundengespräche zu nehmen. Da geht es dann nicht nur um eine Empfehlung für ein Buchgeschenk anläßlich eines Krankenbesuchs oder einer Konfirmation, da kommen auch persönliche Fragen des christlichen Glaubens zur Sprache: „Oft haben solche Gespräche seelsorgerlichen Charakter", so der Firmenchef, der der Freien evangelischen Gemeinde in Waldbröl angehört. Mit dem Sortiment der Verlage ist Schmidt nur zum Teil zufrieden. „Nicht alle Bücher, bei denen das Wort 'Gott' im Titel erscheint, laden auch tatsächlich zum christlichen Glauben ein und sind für Christen interessant", sagt er. Auf Wunsch besorgt Schmidt auch Bücher, die nach seiner Einschätzung klar im Widerspruch zum christlichen Glauben stehen, etwa die Werke des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner. Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter müßten sich darüber informieren können, was die Gegenseite denkt, begründet er sein Tun. Allein vom Verkauf christlicher Bücher könnte Martin Holtermann, Inhaber der 1902 gegründeten evangelischen Buchhandlung „Ernst Holtermann" in Magdeburg, wirtschaftlich nicht überleben. Nur noch ein Viertel des Umsatzes mache die konfessionelle Literatur aus. Das VEB-Mitglied hofft, diesen Anteil bald vergrößern zu können. Grund für seinen Optimismus ist das neue Evangelische Gesangbuch, das spätestens 1998 in allen EKD-Gliedkirchen eingeführt sein soll. Holtermann: „Eine sichere Umsatzquelle, denn jeder evangelische Christ braucht dieses Buch." Nach Angaben von Holtermann hat der wirtschaftliche Druck auf den Buchhandel in den neuen Bundesländern stark zugenommen. So habe er zu DDR-Zei-ten in seinem Laden 15 Mitarbeiter beschäftigt, heute könne er nur noch fünf bezahlen. Dabei sei die Arbeit eher mehr als weniger geworden. Buchladen als Seelsorgestation Brigitte Schubert aus Erfurt kommt finanziell „so gerade über die Runden". Die Inhaberin der evangelischen „Luther-Buchhandlung" bietet in ihrem Laden in der Innenstadt vor allem theologische Bücher an. Sie macht keinen Hehl daraus, daß ihr Herz besonders für die Feministische Theologie schlägt. Auf diesem Gebiet sei sie gut sortiert. Ihr Geschäft habe fast nur Stammkunden. Laufkundschaft gäbe es kaum. Leicht wehmütig erinnert sie sich an die DDR-Vergangenheit. Damals habe sie viel mehr Bücher verkauft, gab es doch kaum Konkurrenz. Ihr Buchladen sei so etwas wie eine Nische der Freiheit gewesen. Vor allem eine missionarische Zielsetzung hat die christliche Buchhandlung „Atempause" in Münster in der Nähe des Hauptbahnhofes. Betreiber ist das evangelikale Pioteam (Borken), eine Initiative der Mennoniten-Brüdergemeinden, die im Münsterland bereits vier freikirchliche Gemeinden gegründet hat. Für Team-Chef John Klassen ist es bereits der zweite Buchladen, den er eröffnet hat. Ein über fünf Jahre betriebenes Geschäft im westfälischen Bocholt habe geschlossen werden müssen, weil das Gebäude verkauft und abgerissen wurde. Die Eröffnung eines Buchladens hält Klassen für eine „sehr einfache Angelegenheit": Man mietet Geschäftsräume an, besorgt sich bei der zuständigen Behörde einen Gewerbeschein - Voraussetzung fürdie Verlage, einen Händlerrabatt gewähren zu können - und legt los. Dabei müsse man darauf achten, daß die Buchführung den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Klassen hofft, daß der neue, im Herbst vergangenen Jahres eröffnete Laden langfristig einen Mitarbeiter finanziere. Bisher sei das nicht der Fall. Die Arbeit werde durch Spenden getragen. Besonders lebhafter Nachfrage erfreuten sich in der „Atempause" CDs christlicher Interpreten sowie Sonderangebote - Bücher, die die Verlage aus der Preisbindung herausgenommen haben. Immer wieder kämen Passanten herein, die sich verwundert zeigten, daß es überhaupt einen Laden mit ausschließlich frommen Büchern gäbe, so Klassen. Sie würden zu einer Tasse Kaffee oder Tee eingeladen, und er spreche mit ihnen dann über den christlichen Glauben. Auch solche eher informativen Kontakte hält der Missionar für wertvoll: Denn neben dem Verkauf der Bücher sei es auch ein Ziel des Ladens, durch freundschaftliche Kontakte in einem Stadtteil von Münster, in dem bisher keine Freikirche ansässig ist, eine neue Gemeinde zu gründen. Wider das Wehklagen Journalisten als Propheten? Peter Hahne Bei uns gibt es zu viele Propheten des Pessimismus. Was wir brauchen, sind Propheten des Optimismus", so Helmut Schmidt im Blick auf die Medien. Daß der Grauschleier über unserer Gesellschaft endlich gelüftet und „Familie Düstermann" (Financial Times) ins (nicht: hinters!) Licht geführt werden muß, ist dringend nötig. Das stimmt. Aber sind wir Journalisten von heute wirklich die Propheten von gestern? Ein interessanter Gedanke. Er ist nicht neu. Schriftsteller als Propheten, so sieht P.K. Kurz „Heinrich Heines Auffassung vom Dichterberuf" (München 1967). Heute hielten die Informationsmedien „die mögliche Stelle des Propheten besetzt". Was ist ein Prophet? Im Alten Testament begegnet er uns als auserwählte, berufene Person, die als Sprachrohr Gottes fungiert. Er hat Gottes Botschaft unbeirrt weiterzugeben. Ganz gleich, ob seine Hörer sie annehmen oder nicht. Konfrontation mit der Waffe des Wortes. Die Gerichtspredigt traf damals alle Stände und Schichten. Sie geißelte Korruption, Machtmißbrauch, Ungerechtigkeit, Gleichgültigkeit und Götzendienst. Sie deckte aber auch die Hintergründe des politischen Zeitgeschehens auf: Warum straft Gott - und was ist zur Rettung zu tun? Beides gehörte zusammen. So ist Prophetie keine mitleidlose Gardinenpredigt oder herzlose Besserwisserei, sondern Ruf zur Umkehr zu Gott und seinen Geboten. Sie ist nicht nur Vorhersage zukünftiger Ereignisse, sondern Aktualisierung der Botschaft Gottes in konkreter politischer Situation. Was erwartet Gott jetzt von uns? Was lehrt uns die Geschichte? Durch ihren Ausblick in die Zukunft und ihren Rückblick in die Vergangenheit erschließt sich den Propheten der Einblick in die Gegenwart. Diese neue Sicht der Realität erklärt auch, warum Propheten so unbequem und umstritten sind. Wie sich doch die Zeiten gleichen! Wenn Politiker ins Gerede kommen, Affären ruchbar und Mißstände aufgedeckt werden, sind selbstverständlich die Journalisten schuld. Das alte Lied: Schlimm ist nicht der Inhalt der Nachricht, sondern ihr Überbringer. Nur, daß man heute dafür nicht mehr gerädert oder gevierteilt wird ... Und doch gibt es auch heute noch genug selbsternannte Propheten, die in missionarischem Eifer von Kanzeln und Kathedern, vor Mikrophonen und Kameras Letztgültiges zu sagen wissen. Dilettantismus als Berufsideal, wo Anmaßung mit Vollmacht verwechselt wird. Nicht jeder, der in Eilat nach Korallen getaucht hat, ist auch gleich ein Nahostexperte! Unendliche Zuständigkeitsgefühle machen sich breit. Jeder will mitreden, obwohl er nichts zu sagen hat. Blinde Blindenleiter auf dem Weg nach Nirgendwo. Was wäre, wenn mancher vollmundige „prophetische" Kommentar praktische Politik geworden wäre?! Die Blöcke der Welt stünden sich weiter starr gegenüber. Wer von Wiedervereinigung redete, war ein Feind der Entspannung. Und als Befürworter der Nachrüstung hatte man die kommende große Eiszeit zu verantworten. Da ist es schon gut, daß die parlamentarische Demokratie die Funktionen verteilt: handelnde Politik und meinungsfreie Kritik. Es gibt sie auch heute noch, die falschen Propheten, die trügerische Sicherheit verbreiten und reden, was andere gern hören wollen. Der Zeitgeist als Wunderwaffe. „Man muß gestreßt und tief gebeugt sein und auf hohem Niveau jammern. Dann ist man 'in' in Deutschland" (Helmut Kohl). Wir sind Weltmeister im Wehklagen. Ein Volk in Moll. So kündigte Roman Herzog nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 23. Mai 1994 im Berliner Reichstag in einer vielbeachteten spontanen Rede an, er wolle Deutschland so repräsentieren, „wie dieses Deutschland wirklich ist: friedliebend, freiheitsliebend, leistungsstark, um Gerechtigkeit zumindest bemüht, zur Solidarität bereit, tolerant, weltoffen und - was mir fast das Wichtigste erscheint - unverkrampft". Echte Prophetie ist kein Selbstzweck. Sie will aufbauen, nicht zerstören. Aufdecken, nicht mit Vorwürfen zuschütten. Auf- rütteln und zu neuer Tat befreien. Konstruktive Kritik, keine hemmende Häme. Das Neue Testament beschreibt Prophetie als Ermahnung, Erbauung und Tröstung. Angstmacherei, die zur Resignation führt, ist ein schlechter Ratgeber. Der Horizont der Hoffnung muß sichtbar bleiben. Wider alle Hofberichterstattung den Mächtigen die Meinung sagen und sie zu neuem Handeln ermutigen, nicht niedermachen, sondern aufbauen - das ist Prophetie. Verantwortlicher Journalismus blickt über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus und bedenkt, was er „anrichtet". Die Sensationsbilder von Magdeburg durften genauso wenig zur Nachahmung reizen wie die Schreckensbilder von Srebrenica zur Resignation. Vor lauter Fernsehen dürfen wir die Nahsicht nicht verlieren. Es gilt, den Ruf zur Umkehr mit dem Aufruf zum Mittun zu verbinden - in einer Zeit, wo grundsätzliche ethische und politische Standorte leichtfertig und geldgierig verloren zu gehen drohen. Wir sind ständig informiert, aber wir sind ohne Orientierung. Alte Lexika definieren Information noch als „Unterweisung". Sie hat also einen Zweck: Ein In-Form-Bringen, eine Ausrüstung des Menschen für die vielen Pflichten des Lebens. Information gehört in den Dreiklang von Vertrauen und Erfahrung. Sie soll uns fähig machen, scharf zu beobachten, nüchtern zu urteilen und entschlossen zu handeln. Sie soll uns helfen, Gutes von Bösem zu unterscheiden und das Gute nachahmenswert erscheinen lassen. Zur Frankfurter Buchmesse 1992 warnte der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Neil Postman unter der These „Wir informieren uns zu Tode" vor „kulturellem Aids". Unser Immunsystem werde mit der Flut der hereinbrechenden Informationen nicht mehr fertig, so Postmans Diagnose. Während der Mensch des Mittelalters ein festes Weltbild hatte, das sein Leben ordnete, haben wir „keine kohärente Vorstellung von uns selbst, von unserem Universum und von unserer Beziehung zueinander und zu unserer Welt" mehr. „Wir wissen nicht mehr, woher wir kommen und wohin wir gehen und warum." Wir heutigen seien ängstlicher als die früheren Generationen, weil wir die vielen Informationen nicht mehr ordnen können. Wir können, so Postman, nicht mehr beurteilen, ob eine Nachricht gut oder schlecht, wichtig oder nebensächlich, nützlich oder schädlich ist. Die Folge: Hilflos halten wir fast alles für möglich, was eine geradezu krankhafte Leichtgläubigkeit bedingt. Die Flut der Katastrophenmeldungen erzeugt das Gefühl totaler Ohnmacht, so daß man sich umso mehr der Pflege seines Selbst zuwendet. Kein Wunder, daß in unserer überinformierten Gesellschaft ein eigenartiger Egoismus herrscht. Postman plädiert für mehr „Erzählungen" statt noch mehr Informationen: „Unter 'Erzählung'verstehe ich eine Geschichte der Menschheit, die der Vergangenheit Bedeutung zuschreibt, die Gegenwart erklärt und für die Zukunft Orientierung liefert." Und genau dies sei früher eben aus dem Glauben hervorgegangen, der uns als Verstehensrahmen für Leben und Welt heute weithin verlorengegangen sei. Wir müssen also zu Gott umkehren, wenn wir weiterkommen wollen! Seine Gebote sind der Rahmen für seine Ebenbilder. Journalismus und Prophetie? Auch heute brauchen wir Hoffnungsträger, keine Bedenkenträger. Mutmacher, keine Panikmacher. Freudenboten, keine Angsthasen. Positionslampen, keine Irrlichter. Im letzten Ernst Diener der Aufklärung zu sein heißt, als Frühwarnsystem die Spätfolgen falscher Wege erkennen und zu neuen Weichenstellungen ermutigen. Denn wer aus der Geschichte nichts lernt, ist verdammt, sie noch einmal zu wiederholen. Ein Wunder Gottes Wie christlicher Privatfunk begann Hanrti Lützenbürger „ Wer immer den Tag des geringsten Anfangs verachtet hat, wird doch mit Freuden sehen den Schlußstein" (Sacharja 4,10). Noch ist der Schlußstein nicht gesetzt. Noch geht der Bau weiter. Aber die vielen Steine sind zu sehen, aus denen der Bau des Evangeliums-Rundfunks gewachsen ist, und sie bedeuten nicht nur Freude, sondern vor allem Lob und Dank. Und Staunen. Staunen darüber, was Gott aus den Tagen des geringen Anfangs gemacht und wie er Menschen und Medien zur Ausstrahlung seines Wortes gebraucht hat. Und es ist gut, sich darauf zu besinnen. Wie klein der Evangeliums-Rundfunk (ERF) begonnen hat, zeigt ein Artikel vom 26.8.1960 in der „Frankfurter Rundschau". Zwei Reporter berichten über ihren Besuch beim ERF unter anderem folgendes: „Nur ein kleines Schild an der Türklingel hat den Weg gewiesen. Selbst im Telefonbuch ist der Evangeliums-Rundfunk nicht verzeichnet. Man erreicht ihn nur unter der Nummer des Verlages Hermann Schulte, dessen Inhaber Vorsitzender des Evangeliums-Rundfunks e.V. in Deutschland ist." Zu dieser Zeit war der Evangeliums-Rundfunk acht Monate alt. Der eigentliche Ursprung aber reicht weiter zurück. 1948, drei Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, fand in Beatenberg in der Schweiz eine Internationale Konferenz der „Jugend für Christus"-Bewegung statt. Es ging um die Frage, wie man die damals 600 Millionen Menschen in Europa mit dem Evangelium erreichen könne. Der Start mit der „Stimme von Tanger" Der Amerikaner Paul E. Freed sah nur eine Lösung des Problems: die Verkündigung über das Radio. Für sein Anliegen fand er in Amerika zunächst nur wenig Verständnis. Doch allmählich bildete sich ein kleiner Freundeskreis, mit dem am 11. Februar 1952 die Gründung der „Internationalen Evangelisationsgesellschaft'', heute „Trans World Radio", stattfand. Zwei Jahre später, am 22. Februar 1954, wurde zum ersten Mal über einen kleinen, aus dem Zweiten Weltkrieg übriggebliebenen 2.500-Kilowatt-Sender von Tanger aus das Evangelium ausgestrahlt. Unter der Bezeichnung „Stimme von Tanger" konnte man die Sendungen in englischer und spanischer Sprache empfangen. 1956 wurde die Arbeit durch einen neuen 10.000-KW-Sen-der erweitert. In mehreren Sprachen wurden Programme ausgestrahlt, unter anderem auch in Deutsch. Für die deutschen Programme war der bisher in Spanien tätige und in Tanger wohnende Missionar Helmut Gaertner verantwortlich, der vor allem darin seine Aufgabe sah, in Deutschland Freunde und Verkündiger für die „Stimme von Tanger" zu gewinnen. Einer von ihnen war der Schallplattenverleger Hermann Schulte aus Wetzlar, der ebenso wie Paul E. Freed die Bedeutung der Radiomission schon früh erkannt hatte und bereit war, bei der „Stimme von Tanger" mit seiner Sendung „Frohe Botschaft im Lied" mitzuarbeiten. Während die junge Radiomission ein ständiges Weiterwachsen verzeichnete, vollzog sich im Land ein einschneidender Wandel. Im Rahmen gegenseitiger freiwilliger Abhängigkeit von Frankreich bzw. freiwilliger Zusammenarbeit mit Spanien erhielt Marokko 1956 seine Unabhängigkeit. Schon bald zeigte sich, daß Marokko auch Anspruch auf die bisher internationale Zone von Tanger erhob. Starke Bedenken, wie sich die neue Regierung zu der Missionstätigkeit der Christen verhalten würde, aber auch andere Gründe führten bei Paul E. Freed zu der Überlegung, die Radiomission auf das europäische Festland zu verlegen. Er glaubte sich von Gott so geführt, Kontakt mit Radio Monte Carlo aufzunehmen. Monte Carlo zeigte sich nicht abgeneigt, für die „Internationale Evangelisationsgesellschaft" einen Extra-Sender für christliche Ganztagssendungen zu errichten. Ein festes Angebot kam aber nicht zustande, nähere Bedingungen wurden nicht geklärt. Bis 1959 ging die Arbeit in Tanger ungestört weiter, es wur- de jetzt in 24 Sprachen gesendet. Als dann an einem Morgen im April die marokkanische Regierung bekanntgab, daß bis zum Jahresende alle Radiostationen verstaatlicht werden sollten, kam es innerhalb von 24 Stunden nach Bekanntgabe der Verlautbarung in Monte Carlo zu konkreten Verhandlungen. Erst jetzt, als die Ereignisse zu einer Entscheidung drängten, erfuhr man die Bedingungen für den Bau des 100.000-KW-Senders. Monte Carlo verlangte eine Vorauszahlung von 2,5 Millionen D-Mark, innerhalb eines Jahres in drei Raten zahlbar. Diese Summe sollte in Form von Sendezeit in einem Zeitraum von zehn Jahren verrechnet werden. Wurden die einzelnen Raten zum jeweils festgesetzten Stichtag nicht verrechnet, dann war alles bis dahin eingezahlte Geld verloren. Ein „unheimlicher" Vertrag Hermann Schulte, der schon vor einiger Zeit Paul E. Freed die Zusage gegeben hatte, bei Zustandekommen eines Vertrags mit Monte Carlo in Deutschland eine Zentralstelle für deutsche Sendungen zu gründen, bekannte später: „Das war ein so unmöglicher, unheimlicher Vertrag, den wir abschließen sollten, daß kein vernünftiger Mensch seine Zustimmung geben konnte. Menschlich gesehen war das, wofür wir uns einsetzten und unseren Namen abgeben sollten, ein Unding." Obwohl es ein Unding und ein unmöglicher Vertrag war und obwohl es unmöglich erschien, daß von der Handvoll Menschen, die sich die Verkündigung des Evangeliums über den Rundfunk zur Aufgabe gemacht hatten, in kurzer Zeit 2,5 Millionen D-Mark aufgebracht werden konnten, wurde der Vertrag abgeschlossen. Im Vertrauen auf Gottes Zusage, daß bei ihm kein Ding unmöglich ist, und in der Gewißheit, nach seinem Willen zu handeln, ging man nach vielen Überlegungen und Gebeten das Wagnis ein. Ein anderer Weg, die Radiomissionsarbeit weiter fortzuführen, hatte sich nicht gezeigt. Am 19. September 1959 fand in Monte Carlo unter dem neuen Namen „Trans World Radio" die Vertragsunterzeichnung statt. Zwei Tage später begannen in Wetzlar in den Räumen des Schallplattenverlags „Frohe Botschaft im Lied" Hermann Schulte und Helmut Gaertner mit dem Aufbau des Evangeliums-Rundfunks, dem deutschen Zweig von „Trans World Radio". Die offizielle Gründung erfolgte am 19. Oktober 1959 im Hotel Eulerhaus in Wetzlar. Sieben Männer und eine Frau gaben ihren Namen und ihre Unterschrift für eine Sache, die noch völlig in der Luft hing und mit diesem unmöglichen Vertrag behaftet war. Nun aber konnte die Radiomissionsarbeit im deutschsprachigen Raum bekanntgemacht werden. In diesen Wochen war Helmut Gaertner ständig unterwegs und suchte offene Herzen und Hände. Wieviel Glauben und Überzeugung dazugehörten, Freunde für eine Missionsarbeit zu gewinnen, die bisher nur auf dem Papier existierte, wieviel Enttäuschungen, Warnungen und Vorwürfe verkraftet werden mußten, läßt sich kaum nachempfinden. Besonders niederschmetternd war es, daß sich die Deutsche Evangelische Allianz nicht bereiterklären konnte, für den Evangeliums-Rundfunk einzutreten. Auf der erstmals nach dem Krieg in Siegen stattfindenden Allianzkonferenz war der Beschluß gefaßt worden, einen in der Schweiz geplanten protestantischen internationalen Radiosender-EPI-zu unterstützen, derchrist-liche Ganztagssendungen für den europäischen Raum ausstrahlen sollte. „Nur nicht wieder ein neues Missionswerk" Auch stand man in weiten Kreisen der Evangelischen Allianz den Bemühungen des ERF skeptisch gegenüber. „Nur nicht wieder ein neues Missionswerk", hieß es, „nur nicht noch eine Zahlkartengemeinde." Davon hatte man übergenug. Auch wollte man Sicherheiten, ehe man Gemeinden, Gemeinschaften und Kirchen aktivierte, Geld in eine Sache zu stecken, die das Werk nur weniger Männer und Frauen zu sein schien. In dieser Zeit des Kämpfens und Ringens, der tausend Überlegungen und unzähligen Besuche und Gespräche, des Wer-bens um Vertrauen und Mitarbeit reifte bei Helmut Gaertner eine Konzeption, die zunächst alles andere als eine Lösung des Finanzproblems mit sich brachte. Nach dieser Konzeption sollte der Evangeliums-Rundfunk keine Sendezeit verkaufen-wie es bei der „Stimme von Tanger" üblich gewesen war -, son- dem sie sollte Verkündigern und Missionswerken unentgeltlich zur Verfügung stehen. Das bedeutete einerseits, daß der Raum für viele offen war, die die Verkündigung des Evangeliums über den Rundfunk aus finanziellen Gründen nicht hatten nutzen können, andererseits bedeutete es aber auch: keine Sendung mehr in eigener Regie, in eigenem Interesse, in eigener Werbung, sondern reine Evangeliums-Verkündigung. Der Evangeliums-Rundfunk sollte nicht Stimme der einzelnen, sondern Stimme der Gemeinde werden - ein Modell, das sich bis zum heutigen Tag bestätigt und bewährt hat. Ablehnung, Unsicherheiten und Fragwürdigkeiten nach jeder Seite hin - so sahen die Tage des „geringen Anfangs" aus, als Horst Marquardt, dreißigjährig, zum Evangeliums-Rundfunk kam. Nach seiner Bekehrung glaubte der Rundfunkjournalist Horst Marquardt einen Auftrag Gottes darin zu sehen, sich der Verkündigung des Evangeliums zuzuwenden. Er war Pastor der methodistischen Kirche und arbeitete in Wien, als er Anfang 1960 von der Gründung des Evangeliums-Rundfunks erfuhr und hörte, daß viele Fachkräfte nötig sein würden, um die Arbeit zu tun; daß vor allem ein Programmleiter gesucht werde. Auch in Wetzlar hörte man von Horst Marquardt. Es kam zu einer Begegnung, und dann ging alles sehr rasch. Am 1. April 1960 saß er in einem kleinen Zimmer in der Wetzlarer Sophienstraße und begann seine Tätigkeit beim Evangeliums-Rundfunk. Das von Helmut Gaertner oft zitierte Wort: „Wir hatten nur einen Schreibtisch, einen Bleistift und ein leeres Blatt Papier", traf nun auch auf ihn zu. Es ging jetzt darum, gute Sendungen vorzubereiten und zur Verfügung zu haben, wenn mit den Ausstrahlungen begonnen werden konnte. Und das war alles andere als einfach. Horst Marquardt erinnert sich: „Obwohl ich ja nun vom Funk herkam und gewisse Erfahrungen an funkischer Arbeit mitbrachte, flog vieles an Entwürfen in den Papierkorb. Wir konnten ja nur theoretisch erörtern, wie die Sendungen gestaltet werden sollten, wir konnten ja nicht im voraus erfahren, wie die Hörer darauf reagieren würden. Aber wir haben unser Bestes getan, wir haben uns wie die Wilden in die Arbeit gestürzt, weil es damals so aussah, als sollten zu Pfingsten 1960 die ersten Sendungen beginnen." Mit kleinen, einfachen oder geliehenen Geräten versuchte man, auch Reportagen aufzunehmen. „Obwohl damals noch keine Sendungen ausgestrahlt wurden, gingen wir zu den 1960 in Deutschland stattfindenden Großveranstaltungen von Billy Graham und legten die Aufnahmen in einem Archiv an, um sie zu gegebener Zeit für Sendungen zur Hand zu haben. Bei all diesen Versuchen waren wir selbst unsere kritischsten Hörer, und viele Sendungen, die uns in der Vorbereitung Stunden, ja Tage gekostet hatten, wurden wieder verworfen, weil wir meinten, so ginge es nicht." Die Enttäuschung war groß, als es plötzlich hieß, daß der Sendebeginn nicht zu Pfingsten, sondern wahrscheinlich erst am 2. Oktober 1960 stattfinden würde. „Diese Nervosität und Unsicherheit machten die Vorbereitungszeit zu einer sehr schweren und anfechtungsreichen Phase. Wir kamen uns manchmal vor wie Hochstapler." Zu Beginn blieb das Radio stumm Am schlimmsten war es, als auch am 2. Oktober das Radio stumm blieb. Eine Programmvorschau für die Zeit vom 2. bis 15. Oktober war gedruckt und versandt worden, die Leute waren über den Sendebeginn informiert. Am 2. Oktober von 21.00 bis 21.30 Uhr sollte die Eröffnungsfeier ausgestrahlt werden. Der Rundfunk war eingeschaltet. Aber es kam nichts. Technische Schwierigkeiten in Monte Carlo, die dem Evangeliums-Rundfunk nicht mitgeteilt worden waren, hatten die Ausstrahlung verhindert. Erst vier Monate später, am 5. Februar 1961, kam es dann tatsächlich zur ersten Sendung. „Als es hieß: 'This is Monte Carlo', da konnten wir es nicht fassen. Wir saßen da und hatten Tränen in den Augen. Wir haben gesungen vor Freude." „Wir", das war die kleine festangestellte Gruppe von fünf bis sechs Personen, die beim Schreiben, in der Buchhaltung und beim Versand des Mitteilungsblattes mithalfen. „Ich selbst", sagt Horst Marquardt, „war damals Programmplaner, Redakteur, Archivar, Sprecher, Seelsorgehelfer in einer Person." Die wichtigsten Stationen, über die die ERF-Partnerorganisation TWR heute sendet: 80 % der Weltbevölkerung können zuhören. Nach Beginn der Sendungen - anfangs nur einmal täglich -breitete sich die Arbeit merklich aus. Der Evangeliums-Rundfunk gewann mehr und mehr Hörer, Freunde und Verkündiger in allen Teilen Deutschlands und weit über die Grenzen hinaus. Am 30. April 1961 konnte die letzte Rate nach Monte Carlo überwiesen werden (die Ratenzahlungen waren verlängert worden), und damit waren insgesamt 2,5 Millionen Mark für den Bau des Senders gezahlt worden, davon 1,2 Millionen allein durch den Evangeliums-Rundfunk. Jede Mark, jede Zahlung und jede Ratenverlängerung ein unbeschreibliches Wunder Gottes! So dankbar man dafür war, Verkündiger zu haben, die das Wort Gottes unmißverständlich der Welt weitergeben konnten, so hatte doch bald die Erfahrung gezeigt, daß viele Ansprachen, auch wenn sie theologisch eine klare Linie hatten, für die Verkündigung über den Rundfunk nicht geeignet waren. Um den Verkündigern zu helfen, rundfunkgerechte Ansprachen zu formulieren, entstand die Einrichtung der Funkseminare oder, wie es später hieß, der rundfunkhomiletischen Arbeitsgemeinschaften. Horst Marquardt ging es vor allem darum, von Klischees wegzukommen. Daher versuchte er immer wieder deutlich zu machen: „Es ist unbarmherzig, dem Hörer nur Denkanstöße zu geben und zu meinen, er werde schon zu den richtigen Schlußfolgerungen kommen. Die Auswertung unserer Briefseelsorge zeigt, daß das nicht der Fall ist. Zum Beispiel der Satz: Komm zu Jesus!' sagt gar nichts, wenn nicht zugleich gesagt wird, warum man zu Jesus kommen soll, wie man kommen kann und was einem passiert, wenn man gekommen ist." Eine weitere Bedeutung wurde auch dem Liedgut zugewiesen. Obwohl Hermann Schulte die Lieder seiner Produktion „Frohe Botschaft im Lied" unentgeltlich dem Evangeliums-Rundfunk zur Verfügung gestellt hatte, waren die Lieder nicht für alle Sendungen geeignet. Doch sowohl bewährte alte Lieder als auch neue moderne Lieder verursachten einen ständigen Kampf mit den Hörern. Horst Marquardt hat immer wieder neu um Verständnis bitten müssen bei denen, die mit Zorn, Verachtung, Mahnungen und Warnungen das verwendete Liedgut kritisierten. Wilfried Mann, der am 1. Januar 1963 als Verwaltungsleiter beim Evangeliums-Rundfunk eintrat und für die Durchführung der wirtschaftlichen und finanziellen Aufgaben und den Ausbau der Organisation verantwortlich war, hat dann wesentlich dazu beigetragen, daß nach und nach das Musikarchiv erweitert wurde. Er selbst hat mit seiner geschulten Stimme viele Lieder-auch die sogenannten Heilslieder - gesungen, die gern gehört wurden. Die „Sternstunde" des Evangeliums-Rundfunks Und das Geld? Immer blieb es ein Warten und Hoffen. Oft gab es Engpässe, Einschränkungen, Sorgen, Befürchtungen. Fünf Jahre nach Beginn des Evangeliums-Rundfunks sah es so aus, als wenn die Arbeit zu Ende sei. Wilfried Mann hatte den Vorstand über die finanzielle Lage informiert, die einem Bankrott gleichkam. In dieser entscheidenden Sitzung gab es nur noch ein Entweder-Oder. Entweder aufgeben oder im Vertrauen auf Gottes Hilfe weitermachen. Es war wohl eine der schwersten und schmerzlichsten Überlegungen. Aber dann kam es zu der einmütigen Entscheidung: Wir sehen den Auftrag Gottes. Wir wollen damit rechnen, daß Gott das, was er in der Vergangenheit getan hat, auch heute tun und uns in kürzester Zeit die nötigen Mittel geben wird. „Ich werde diese ergreifenden Augenblicke nie vergessen", erinnert sich Horst Marquardt, „wir sind spontan niedergekniet und haben Gott um Vergebung gebeten, wenn wir in den vergangenen Monaten falsch gehandelt haben. Wir haben ihn angefleht, er möge sich in irgendeiner Weise kundtun, damit wir wüßten, wie es weitergehen solle. Nach der Gebetsgemeinschaft war ein Augenblick Schweigen. Dann stand einer unter uns auf und sagte: 'Brüder, wir können nicht vom Herrn etwas erwarten, wenn wir nicht selbst etwas tun. Ich habe in den letzten Jahren gespart, um mir einen Wunsch zu erfüllen, den ich seit meiner Kindheit habe. Ich wollte mir ein Motorboot kaufen. Das Geld, das ich dafür gespart habe, will ich jetzt für den Evangeliums-Rundfunk geben.' Und so machte uns Gott willig zu opfern in dem Wissen: Wir können nicht damit rechnen, daß die anderen ihre Gaben zur Verfügung stellen, wenn wir nicht selbst auch dazu bereit sind." Wilfried Mann hat diese Sitzung als eine „Sternstunde" des Evangeliums-Rundfunks bezeichnet. Jemand hat einmal gesagt, daß es in der Reichsgottesarbeit zwei Arten von Mitarbeitern gibt: Beweger und Bewahrer. Horst Marquardt war - und ist-ein Beweger. Er ist nie müde geworden, durch eigene Ideen und die Ideen seiner Mitarbeiter die Arbeit des Evangeliums-Rundfunks zu fördern. Er hat immer wieder neue Impulse für noch bessere und umfangreichere Verkündigungsmöglichkeiten gegeben. Alle Sendungen aber, die gestaltet wurden, jede Sendereihe, die neu hinzukam, jede Möglichkeit, das Programm unter die Leute zu bringen, hatten bei ihm den einen Beweggrund: „Den Namen Jesu in die Mitte unseres Denkens und Wirkens zu stellen. Das war mein Ziel. Jeden Tag." Nun liegen die Tage des „geringen Anfangs" schon weit zurück. Ihr Ende hat sich abgezeichnet, als der Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz nach eingehender Prüfung zu dem Entschluß gekommen war, sich aus theologischen Gründen von dem geplanten EPI-Sender in der Schweiz zu distanzieren (der nie gebaut worden ist), obwohl noch Anfang 1962 bekannte Persönlichkeiten aus den Allianzkreisen für diesen Sender geworben hatten. Statt dessen begann man nun, das Anliegen des Evangeliums-Rundfunks mehr und mehr zu verstehen und zu unterstützen. Ja, die Verbundenheit wurde so eng, daß Wilhelm Gilbert, der damalige Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, später die denkwürdigen Worte sagte: „Was gehört wohl näher zusammen als der Evangeliums-Rundfunk und die Evangelische Allianz? Was der Evangeliums-Rundfunk will, das will auch die Allianz. Und was die Allianz will, was die Gemeinde Jesu will, das will auch der Evangeliums-Rundfunk. Wirverstehen uns, wo immer wirsind, und auch besonders der Evangeliums-Rundfunk, als Knechte, als Mägde, als Diener unseres Gottes." Nun ist aus dem „geringen Anfang" ein großer Bau geworden. Unendlich viel ist geschehen und geschieht immer noch. Aber der Schlußstein ist noch nicht gesetzt. Diesen wird Gott selbst setzen, und dann, so hoffen und glauben wir, wird die Arbeit des Evangeliums-Rundfunks nicht beendet, sondern vollendet sein. Ein frommer Sender Der Evangeliums-Rundfunk heute Klaus Krämer Die 35jährige Geschichte des „frommsten Senders Deutschlands" ist gleichzeitig mehr als die halbe Lebensgeschichte des bis Ende 1993 amtierenden Direktors Horst Marquardt. Vor allem dessen Verdienst ist es, daß aus dem Pflänzchen Evangeliums-Rundfunk (ERF) inzwischen ein stattlicher Baum geworden ist. Ausschnitt einer Bilanz im Jahr eins nach Marquardt: Allein in der Wetzlarer Zentrale sind über 160 Mitarbeiter beschäftigt. Es gibt eigenständige ERF-Zweige in der Schweiz, Österreich und Südtirol. Etwa 1.200 freie Autoren verschiedener Denominationen liefern Beiträge. Das Angebot des Deutschen Programms, das überwiegend mittels der Sendeanlagen von Radio Monte Carlo ausgestrahlt wird, beläuft sich auf mehr als 31 Stunden pro Woche. Das sogenannte „Mon-te-Carlo-Programm" bildet seit Anbeginn den Schwerpunkt der Arbeit. Daneben gibt es Sendungen in etwa 20 weiteren Sprachen, von armenisch bis vietnamesisch, zusammen etwa 27 Stunden wöchentlich. Hier arbeitet der ERF eng mit seiner internationalen Schwesterorganisation Trans World Radio (TWR) zusammen. Der Slogan des ERF - „Wir sprechen von Gott" - ist Programm. Laut Satzung sollen das kulturelle und geistliche Leben vornehmlich in Europa gefördert werden, daneben sozial-diakonische Belange, „welche die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus durch Wort, Musik und Biid zum Inhalt haben". Grundlegende Neuerungen im Repertoire des Evangeliums-Rundfunks sind seit der Stabübergabe von Horst Marquardt an Jürgen Werth nicht erfolgt. An der theologischen und kirchenpolitischen Ausrichtung des Senders wird sich wohl auch nichts ändern. Und darin liegt nach wie vor die besondere Chance des ERF. Die Zahl der Hörer ist vermutlich auch deshalb kontinuierlich gestiegen, weil fundamentale christliche Aussagen in anderen elektronischen Medien immer seltener geworden sind, gleichzeitig aber die Nachfrage nach „geistlicher Vollwertkost" stieg. Einer repräsentativen Emnid-Umfra-ge zufolge holen sich in der Bundesrepublik mehr als 1,2 Millionen Menschen (davon etwa ein Drittel Katholiken!) regelmäßig oder ab und zu die „frommen Ätherwellen" des ERF vom Himmel. Die „zusätzliche ARD-Anstalt" In der Zeit vor der deutschen Einheit, als noch keine privaten Regional- und Lokal-Radiosender existierten, die Rundfunklandschaft in der Bundesrepublik also noch überschaubar war, wurde der Evangeliums-Rundfunk gerne als „zusätzliche ARD-Anstalt" bezeichnet. Dieses Kompliment von außen bezog sich nicht nur auf die Organisation des Senders und den technischen Standard der hörbaren Produkte, der tatsächlich der ARD-Norm entspricht, sondern auch auf die professionelle inhaltliche Gestaltung des Programms. Der Bereich Hörfunk bietet neben traditionellen Ansprachen und Gottesdiensten Magazine, Features, Studiogespräche und Hörspiele. Die gesamte Palette dessen, was das Medium Rundfunk ausmacht, ist im Angebot. Einen bedeutenden Unterschied zwischen den Rundfunkanstalten der ARD und dem ERF gibt es jedoch im Bereich der Empfangsqualität. Die weit überwiegende Zahl der Programme wird über Kurz- und Mittelwellensender ausgestrahlt, und da gehört das Knacken und Knistern zur negativen akustischen „Begleitmusik". Allein das optimale Einstellen der entsprechenden Frequenzen zu den einzelnen Sendezeiten kann sehr mühsam sein. Das ERF-Angebot ist zwar ein Einschaltprogramm, also gedacht für das gezielte Zuhören, dennoch könnte der zeitweilig empfindlich gestörte Empfang langfristig bei den qualitätsverwöhnten Ohren mitteleuropäischer Zuhörer dazu führen, daß der ERF eher zum Ausschaltradio wird. Dieses Problem haben die Verantwortlichen des Senders erkannt. Und mit der Behebung wurde Mitte der achtziger Jahre begonnen. „Neue Medien" war das Schlagwort. Zunächst stieg der ERF 1984 in verschiedene Kabelpilotprojekte ein. In Berlin ergab sich später sogar die Chance, beim Privatsender „Radio Hundert,6" mit einem eigenen und vom ERF bezahlten Redakteur einzusteigen. Dies ist bis heute ein Schwerpunkt des UKW-Engagements. Sonntags wird ein zweistündiges Magazin gestaltet und an den Werktagen je zweieinhalbminütige „Gedanken zum Feierabend". Nachteil: Der ERF darf sich nur hin und wieder als solcher zu erkennen geben. Präsent in mehr als 30 kleinen Sendern Darüber hinaus konnte der Sender jahrelang Beiträge in mehr als 30 Lokal- und Regionalsendern, überwiegend in Baden-Württemberg, plazieren. Diese Region stellte demnach den zweiten Schwerpunkt der UKW-Arbeit dar. Aus diesem Grund wurde in Tübingen ein Filialstudio eingerichtet. Meist handelt es sich bei den Produktionen um evangelistische Kurzprogramme, die normalerweise die Länge von zweieinhalb Minuten nicht überschreiten. Der Nachteil auch hier - eine ERF-Kennung ist nur bei rund der Hälfte aller Beiträge möglich. Was nach der Neustrukturierung der privaten Radiolandschaft im Südwesten für die kirchliche und christliche Rundfunkarbeit überhaupt möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Neben viel Lob für die fachgerechten Darbietungen gab es seitens der kommerziellen Programmanbieter hin und wieder auch Kritik. Die manifestierte sich in dem Argument, daß ein christliches Programm ein Fremdkörper im säkularen Programmumfeld sei. Die Absicht des Evangeliums-Rundfunks, an die „Hecken und Zäune" zu gehen oderauf den „Marktplatz", ist trotzdem richtig, denn das sind die Orte, an denen die Menschen zu treffen sind, die mit der biblischen Botschaft kaum mehr etwas anzufangen wissen und am kirchlichen Leben nicht teilnehmen. Für diese Zielgruppe ist ein Programm erforderlich, das eine Ergänzung darstellt zu dem überwiegend für christliche Insider konzipierten Hauptprogramm, das über die Kurz- und Mittelwellensender von Radio Monte Carlo verbreitet wird. Dennoch muß die Frage erlaubt sein, wie effektiv ein maximal 150 Sekunden dauerndes Kurzprogramm ist und wie es gegebenenfalls optimiert werden könnte. Die UKW-Statistik kann sich sehen lassen. 1993 wurden allein aus Wetzlar insgesamt 3.595 Sendungen an kommerzielle Anbieter verschickt. Das entspricht 34.920 Sendeminuten. Dazu kommen UKW-Programme für die Schweiz, für Österreich und für Südtirol. Finanzielle Vorteile bringt das UKW-Engagement nicht, weil der ERF seine Beiträge in der Regel nicht honoriert bekommt. Wege in die Zukunft Die Idealvoraussetzung wäre zweifellos ein ERF-Vollpro-gramm in UKW-Qualität, dessen inhaltliche Gestaltung nicht vom Wohlwollen privater Programmveranstalter abhängig ist. Zukunftsorientierte Schritte in diese Richtung geht der ERF seit Juli 1992 mit der zusätzlichen Ausstrahlung ausgewählter Sendungen via Satellit. Eine optimale Empfangsqualität ist hierbei gewährleistet. Morgens und abends gibt es je eine Schüssel voll flotter Sendungen verschiedener funkischer Formen, 90 Minuten täglich. Steht das Engagement im terrestrischen UKW-Bereich in erster Linie unter dem missionarischen Aspekt, so dienen die Sendungen, die über den ASTRA-Satelliten geschickt werden beidem, sowohl der Vermittlung christlicher Grundwerte für säkulare Zeitgenossen als auch der geistlichseelsorgerischen Zurüstung derer, die bereits Christen sind. Auf jeden Fall ist diese Form der knack- und knisterfreien Übertragung geeignet, jene neuen Hörer zu gewinnen, die sich möglicherweise auf Mittel- oder Kurzwelle nicht zuschalten würden. Die Nutzung von Tonunterträgern ist zudem aus finanzieller Sicht weitaus billiger. Von Nachteil ist dabei allerdings die wachsende Zahl anderer Anbieter. Die Chance für einen Zufallshörer, ausgerechnet auf den ERF zu stoßen, ist dementsprechend gering. Im Bereich Satellitentechnik gilt es für den ERF, einen ebenso verläßlichen Partner zu finden, wie das für den terrestrischen Rundfunk seit Jahrzehnten Radio Monte Carlo ist. Das erklärte Ziel, so schnell wie möglich einen eigenen Kanal zu mieten und zusammen mit anderen Trans-World-Radio-Part-nern in Europa 24 Stunden lang zu senden, scheint erreichbar zu sein. Eines ist jedoch unerläßlich: Neben aller Nutzung dieser modernen Übertragungstechniken muß der ERF auch weiterhin per Kurz- und Mittelwellenfrequenz von Gott sprechen. Nicht jeder Mitteleuropäer und kaum ein Osteuropäer verfügt über eine Satellitenschüssel. Und daß ein derartiger Standard in der sogenannten Dritten Welt je erreicht wird, ist nicht wahrscheinlich. „ERF - mehr als Worte" Steht der Slogan „Wir sprechen von Gott" in erster Linie für den Bereich Hörfunk, so repräsentiert seit geraumer Zeit ein zweites Motto, „ERF-mehr als Worte", wohl eher den Bereich Fernsehen. Lebens- und Glaubenshilfe geben, Menschen für Gott interessieren, christliche Werte in den Alltag der Menschen zu übertragen, das geschieht seit 1984 auch mittels bewegter Bilder. Aus bescheidenen Anfängen erwuchs die Fernseharbeit. Dabei begab sich der Evangeliums-Rundfunk auf unbekanntes Terrain. Zunächst stellte sich den Verantwortlichen die Frage, ob die Hörer und, wichtiger noch, die Spender, die den Aufbau des Hörfunks garantiert hatten, überhaupt das TV-Engage-ment akzeptieren würden. Und gerade in evangelikalen Kreisen herrscht teilweise bis heute ein gespaltenes Verhältnis zu diesem Medium. Die Bedenken der Kritiker derartiger Pläne gilt es durchaus ernstzunehmen. Zu viele Filme, besonders im Bereich des Privatfernsehens, aber auch Reportagen und Diskussionsrunden anderer Sender setzen sich über christliche Wertmaßstäbe hinweg. Abgesehen von der Sportberichterstattung bestimmt das Duett „Sex und Gewalt" die Quoten. Erst allmählich konnten die ERF-Verantwortlichen ihren Förderern die Erkenntnis vermitteln, daß es an der Zeit sei, hier den Kontrapunkt „Christliches Fernsehen" zu setzen. Einleuchtend darüber hinaus das Argument, daß die beste Nachricht der Welt auch und gerade über dieses populärste Medium unserer Tage transportiert werden muß, weil so theoretisch fast hundert Prozent der Bundesbürger erreicht werden können. Zum Vergleich: Nicht einmal fünf Prozent der evangelischen Landeskirchenmitglieder besuchen regelmäßig einen Gottesdienst. Zu sehen sind die ERF-Fernsehbeiträge in verschiedenen Kabelkanälen, so zum Beispiel im Berliner „Spreekanal". Die Zusammenarbeit in Sachen Satellitenübertragung mit dem britischen Veranstalter „Super Channel" mußte Ende 1993 eingestellt werden. Nach der Übernahme von „Super Channel" durch die amerikanische Fernsehgesellschaft NBC wurden sämtliche Verträge mit religiösen Anbietern gekündigt. Für die Dauer eines Dreivierteljahres hatte der ERF zuvor im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Christliches Fernsehen" (ACF) die Federführung und die redaktionelle Verantwortung für regelmäßige Sendungen und war einmal im Monat mit einem eigenen 30-Minuten-Programm beteiligt. Auch hier gilt das, was für die Satellitenausstrahlung der Hörfunkprogramme wünschenswert wäre - ein verläßlicher Partner in den Reihen der Sendeanstalten. Ständig wechselnde Freguenzen und zwischenzeitliche Sendepausen nutzen weder den Zuschauern, noch sind sie dazu geeignet, die TV-Mitarbeiter zu motivieren. Resümierend läßt sich sagen, daß es trotz etlicher Rückschläge viele positive Anfänge für Rundfunk in UKW-Qualität und fürs Fernsehen gibt. Entscheidende Weichen für die Zukunft sind richtig gestellt worden. Das vorrangige Anliegen des seit 1. Januar 1994 amtierenden ERF-Direktors Jürgen Werth ist es, daß „die Gute Nachricht von Jesus Christus auch künftig eindeutig weitergesagt wird". Voraussetzung dafür sei, daß die Programmacher selber die nötige Nähe zum Evangelium behielten. Wichtig sei jedoch auch die Nähe zu den Menschen in der Welt: „Wir müssen sie verstehen, ihre Fragen kennen und nicht auf Fragen antworten, die sie nicht gestellt haben. Und dann müssen wir beides, die Fragen der Menschen und die Antworten der Bibel auf diese Fragen, zueinander bringen." Auf in die Medien! kep - Konferenz Evangelikaler Publizisten Ulrich Eggers Satellitenschüsseln sind es, die neuen Insignien der Mediengesellschaft, die einige der Höhepunkte der Geschichte der Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep) symbolisieren. 1982 und 1985, bei den beiden - überraschend - großen Medienkongressen der kep in Böblingen, gehörte man zu den ersten, die jene neuen Möglichkeiten des Satellitenfernsehens praktisch ausprobierten. Zehn Jahre später war es kein neugierig bestauntes Einzelobjekt mehr, sondern gleich ein ganzer Wald von Satellitenschüsseln, der ein praktisches Tätigkeitsgebiet der kep markierte: Die Koordination und Leitung der umfangreichen Presse- und Medienarbeit für die Evangelisation „ProChrist'93" mit Billy Graham -ein Ereignis, das den Leitspruch und die Vision der kep in besonderer Weise erfüllte: „Mehr Evangelium in den Medien!" Unter der Leitung von kep-Geschäftsführer Wolfgang Baake wurde ein ganzes Heer von bundesweit arbeitenden Presseleuten betreut. Dabei nutzte man Verbindungen und Strukturen, die Frucht aus gut 15 Jahren kontinuierlicher Aufbauarbeit waren. „In einer Zeit der Massierung schlechter Nachrichten können wir gar nicht anders, als uns darum zu mühen, die eine Gute Nachricht auf allen nur möglichen Wegen an den Menschen heranzutragen. Wir sind zwar nicht medienversessen, doch läßt uns das Evangelium gar keine andere Wahl: Gott will sich den Menschen bekanntmachen.... Da immer weniger Menschen durch traditionelle Formen - wie den Gottesdienst - evangelistisch erreicht werden können, müssen Christen mehr denn je alle Massenmedien nutzen." Diese 1982 anläßlich des ersten Medienkongresses veröffentlichten programmatischen Worte des Mitbegründers, Mitvorsitzenden und eigentlichen Visionärs der kep, Horst Marquardt, kennzeich- nen den existentiellen Ernst hinter der zentralen Forderung der kep - zugleich aber auch das Dilemma, in dem sie lange Jahre ungewollt steckte. Denn „auf allen nur möglichen Wegen", das bedeutete Anfang der achtziger Jahre vor allem die Hoffnung auf die neuen Medien, bei deren Start man um des Evangeliums willen von Anfang an dabei sein wollte. Schon im März 1982 äußerte Horst Marquardt denn auch, man sei zwar nicht für „neue Sendemöglichkeiten um jeden Preis", betonte zugleich aber, wenn die neuen Medien kämen, „wollen wir nicht wieder draußen stehen". Eigene Organisation wurde nötig Draußen zu stehen, das war seit jeher das Gefühl, das evan-gelikale Publizistik mit ihrem ausgeprägten missionarischen Anspruch haben mußte. Daß die kep in der christlichen Landschaft denn auch niemals unumstritten war, hat unter anderem mit diesem besonderen Spannungsfeld zu tun, aus dem heraus die evangelikale Medienorganisation gegründet wurde. Der große Ernst und Nachdruck, mit dem man Evangelium verkünden wollte, traf zum einen auf das Monopol der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die es Evangelikalen weitgehend unmöglich machte, direkt mit eigenen Sendungen in der deutschen Medienlandschaft vertreten zu sein (der Evangeliums-Rundfunk etwa konnte bis Mitte der achtziger Jahre ausschließlich über Radio Monte Carlosenden). Entscheidend verschärft wurde diese Situation aber vor allem durch die quasi monopolisierte Vertretung der evangelischen Kirchen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten durch das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt. Im GEP spielten Evangelikale und ihr Anliegen selten mehr als eine belächelte und/oder mühsam erduldete Nebenrolle. „Missionierung via Rundfunk und Fernsehen geht nicht", das ist der ausgeprägte Lehrsatz jener Medienvertreter der evangelischen Kirche, die den Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland regeln und verwalten. Ob dabei das „geht nicht" wirklich ein medienfachliches oder theologisches Argument und nicht eher ein „wollen wir nicht", „ist uns peinlich" oder „paßt nicht mehr in die eigene Landschaft" bedeutet, darüber ist man bis heute im Streit. Wie auch immer: Tatsache blieb, daß die Forderung der kep, daß „in Rundfunk und Fernsehen mehr Beiträge ausgestrahlt werden, in denen exemplarisch vorgestellt wird, wie praktizierter christlicher Glaube in einer immer stärker säkularisierten Umwelt aussehen kann", im Sinne von „mehr Evangelium in den Medien" bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht erfüllbar schien. Der Zugang zu Rundfunk und Fernsehen blieb doppelt - direkt und indirekt - versperrt. Die Gründung der kep als einer jener vielbeschworenen evangelikalen Parallelstrukturen konnte denn von großen Teilen der kirchlichen Medienvertreter auch nur als Angriff auf die alte Vorherrschaft verstanden werden und erfährt aus dieser Spannungssituation bis heute einen Teil ihrer Nahrung. Blieben also nur die neuen Medien, von denen Marquardt 1982 erwartete, „daß auch die Evangelikalen angemessen daran beteiligt werden". Der Konflikt war vorprogrammiert: Um des evangelistischen Anliegens willen mußte man mit voller Kraft auf die einzig aussichtsreich erscheinende Alternative Privatfunk zusteuern, lief damit zugleich allerdings Gefahr, als pauschaler Lobbyist der Privatsender angesehen zu werden und am Ende für die nicht absehbaren Folgen einer Ausweitung des Medienangebots mit haftbar gemacht zu werden. Eine Doppelstrategie, wie sie kep-Geschäftsführer Wolfgang Baake 1984 in einem Interview des Jugendmagazins PUNKT vertrat, ließ sich nur schwer vermitteln: „Wir möchten die neuen Medien nutzen für die Verkündigung des Evangeliums, und wir weisen im gleichen Zusammenhang auch auf die Negativpunkte hin - daß viel Zeug angeboten wird, das Schmutz und Dreck bringt." Immerhin mahnte anläßlich des zweiten kep-Medienkon-gresses 1985 der damalige Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Dr. Fritz Laubach, ganz ausdrücklich „einen besonnenen Einsatz und Konsum der Massenmedien" an und betonte, daß der „schlechte Gebrauch der Massenmedien zu einer Gefahr für die Entwicklung der Gesellschaft" werde. Wirklich kritische Stimmen gegen die neuen Medien aber waren in dieser Zeit wenig gefragt, weil sie aus verständlichen Gründen nur als Schwächung der Hauptstoßrichtung empfunden werden konnten und damit unnütz hinderlich oder störend erschienen. Eine seltene Ausnahme unter den damaligen Entscheidungsträgern bildete der evangelikale Publizist Gerd Rumler (Wuppertal), der bei aller Zustimmung zum Grundanliegen auch kritische Töne fand: „In dem selben Ausmaß, in dem wir die Forderung nach 'mehr Evangelium' erheben, müssen wir uns selbst klarmachen, daß mehr Sendezeit noch nicht automatisch mehr Evangelium bedeutet", schrieb er schon im März 1982 in einem idea-Kommentar und sollte damit angesichts der heutigen leidvollen Wirklichkeit der privaten TV-Sender den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Enttäuschung über Privatfunk Die heute allseits spürbare Ernüchterung und Enttäuschung über die nicht in Erfüllung gegangenen Hoffnungen an die Öffnung der Medienlandschaft ist denn auch ein bitterer Wermutstropfen in der Bilanz der kep. Aber dieser - mittlerweile offen eingestandene - Mißerfolg ist dennoch kein Beweis dafür, daß das Grundanliegen der kep verkehrt oder die Organisation als solche nicht nötig gewesen wäre. Im Gegenteil. Die heutige Situation zeigt, daß noch intensiver, geschickter und härter daran gearbeitet werden muß, Platz für das Evangelium in den Medien zu schaffen. Dies von den bisherigen Strukturen oder ausschließlich durch neue kircheninterne Verhandlungen zu erwarten, wäre blauäugig gewesen. Eine Organisation wie die kep scheint daher unverzichtbar. Auch wenn es bisher sicher eines der öffentlichkeitswirksamsten Themen war, erschöpft sich die Arbeit der kep keinesfalls im Kampf um Sendeplätze in den Medien. Die Förderung der „klaren und überzeugenden Weitergabe der Botschaft von Jesus Christus in den Massenmedien", wie es in der Zielbeschreibung der 1975 in Stuttgart gegründeten Organisation heißt, hat viele Facetten. Dazu gehört auch die „konstruktiv-kritische Begleitung der Hörfunk- und Fernsehprogramme", die Vermittlung von Hilfen zum Umgang mit den Medien („Medienerziehung'') und die Ausbildung und Ver- mittlung junger Christen für publizistische Aufgaben. Auftraggeber und Orientierungsrahmen für diese Arbeit ist dabei immerdie Deutsche Evangelische Allianz, deren medienpolitische Interessen gegenüber Sendeanstalten, Parteien und Regierungen man dabei zugleich vertritt. Das kep-Anliegen ist damitalsozugleich auch Lobbyarbeit im besten SinnedesWor-tes: Wegkommen vom alten Bild der Pietisten als „der Stillen im Lande". Man hat gelernt, wie wichtig es ist, seine Stimme im demokratischen Konzert zu erheben und einzustehen für die geistlichen und ethischen Herzensanliegen der evangeli-kalen Bewegung. Die Medienbasis der Evangelikalen Die eigentliche Basis der kep besteht dabei neben dem globalen Hintergrund der Evangelischen Allianz aus 13 evangelischen Buchverlagen, die mehr als 50 Prozent des gesamten protestantischen Buchmarkts abdecken, mehr als 100 verschiedenen christlichen Zeitungen und Zeitschriften und etwa 250 Journalisten, Redakteuren und Publizisten, die diesem Umfeld zuzurechnen sind. Wesentliche Eckpfeiler bilden daneben der Evangeliums-Rundfunk (ERF) in Wetzlar, mit über 160 Mitarbeitern die größte evangelikale Sendeanstalt, und der Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea), der Deutschlands auflagenstärkstes evangelisches Wochenmagazin herausgibt. Die Erfolgsbilanz der kep nach knapp 20 Jahren Bestehen kann sich trotz der harten Fronten in den Massenmedien sehen lassen. Zu den besonderen Lichtblicken gehört in diesem Zusammenhang die Nachwuchsförderung. „Die Medien seien so gut und christlich wie die Menschen darin", hatte schon 1982 auf dem Medienkongreß der damalige Geschäftsführer des Ersten Privaten Fernsehens (EPF), Horst Jettenberger (Ludwigshafen), den Evangelikalen ins Stammbuch geschrieben. „Wo ist Ihr Nachwuchs im Fernsehen?" hatte er kritisch gefragt und zugleich angemerkt, daß „der Normalbürger oft eine Riesensehnsucht nach Gott" verspüre, „aber die Christen verstehen oft nicht, darauf zu antworten". Mit der Gründung der Christlichen Medien-Akademie (cma) im Jahre 1987 hat die kep mittlerweile zumindest eine Teilantwort auf diese Anfrage gegeben. Schon Horst Marquardt hatte seinerzeit selbstkritisch angemerkt: „Wir wissen zwar genau, was falsch ist, aber es fällt uns meist schwer darzustellen, wie es besser gemacht werden kann." Seither hat sich einiges getan. Über 3.000 Menschen hat die kep-Medienschule seit ihrem Bestehen bislang erreicht. Mit einem Jahresprogramm von rund 40 Seminaren bietet die cma ein umfassendes Angebot zur Aus-und Fortbildung von Profis und Laien. Hinzugekommen ist mittlerweile, daß die kep ein wichtiger Umschlagplatz für Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen und Stellen im Medienbereich geworden ist. Manche der ab und zu ja durchaus vorhandenen Lichtblicke in den säkularen Medien sind so indirekte Folge des Aufbaus eines Netzwerks evangelikal geprägter Journalisten. Ein Beziehungsgeflecht, das sich übrigens auch immer wieder hilfreich für die Ausrichtung von Pressekonferenzen oder Pressekampagnen auswirkt, die von der kep im Auftrag evangelikaler Unternehmungen organisiert werden. Zum Blick auf die Aktivposten der kep gehört aber auch die 1982 ins Leben gerufene Zeitschrift „PRO", deren besonderes Ziel die Medienerziehung und Begleitung ist und die sich mit ihrer Auflage von 21.000 vor allem an die Endverbraucher richtet. Gestartet als Organ für die Unterstützungs-Aktion „Mehr Evangelium in den Medien" ist sie mittlerweile zu einer echten Informationsquelle geworden, die durch einen jetzt eingestellten Redakteur noch intensiver gefördert werden soll. Ein neuer Medienpreis Korrigierend, fördernd und kritisch begleitend wirken will die kep auch mit dem 1988 ins Leben gerufenen Medienpreis, dem „Goldenen Kompaß", den sie für Beiträge vermittelt, die glaubhaft gelebtes Christsein vorbildlich darstellen. Zum Teil erstaunliches Gehör findet die evangelikale Medienorganisation auch mit Kritik oder Protest an moralisch-ethischen Fehlentwicklungen in Anzeigenkampagnen, einzelnen Sendungen oder Zeitschriften. Ein in der Öffentlichkeit bisher in seiner Bedeutung noch gar nicht voll erfaßter Arbeitszweig der kep hat sich durch die Zusammenarbeit mit dem Unternehmer Waldemar Murjahn in der Anzeigenmission in Osteuropa ergeben. Mittlerweile arbeiten rund 25 einheimische Mitarbeiter in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, um die Rückmeldungen auf großflächige Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften auszuwerten und zu beantworten. Bis zu 8.000 Reaktionen pro Tag wurden gezählt und Hunderttausende Exemplare von Bibelteilen und Literatur weitergegeben. Wenn auf diese Weise christliche Anzeigen sogar in der ehemaligen russischen Regierungszeitung „Prawda" („Die Wahrheit"!) erscheinen können, dann illustriert das den Anspruch auf „Mehr Evangelium in den Medien" auf ganz eigene und nachdrückliche Weise. Ein Schlüssel für die bisherige erfolgreiche Arbeit ist dabei mit Sicherheit auch der kep-Geschäftsführer Wolfgang Baake. Mit seiner Anstellung im Jahr 1982 gewann die Arbeit der kep an Tempo und Konturen. Mit seinem burschikos-jungenhaften Charme, seiner kontaktfreudigen Durchsetzungsfähigkeit und seiner sehr präsenten Erscheinung ist er mittlerweile zur Identifikationsfigur der kep geworden - mit allen Schwächen und Stärken, die solch eine Konzentration auf eine stark prägende Führungsperson mit sich bringt. Trotz aller Erfolge ... Trotz aller Erfolge der letzten Jahre ist die kep aber selbst unter evangelikalen Journalistenkollegen nie unumstritten gewesen. Kernpunkt der Kritik war dabei immer, ob die von allen gewollte Festlegung auf eine theologisch konservative, bibelgebundene Ausrichtung zugleich auch eine pragmatische Nähe zu politisch konservativen Kreisen beinhalten mußte. So sehr die Mehrzahl der Evangelikalen diese „Nähe zum kleineren Übel" widerspiegelt, hinnimmt oder gar begrüßt, so wenig mag sich manch einer aus dem kritischen Völkchen der Journalisten automatisch auf solch eine Verwandtschaft einlassen. Sowohl von politisch Andersdenkenden als auch von solchen, die bei der kep Glaube und Politik strikt(er) voneinander getrennt wissen wollen, gab es deswegen über die Jah- re immer wieder Kritik und Distanz. Daß die politische Nähe für eine freundschaftliche Beziehung manchmal entscheidender schien als die geistlich-theologische, gehört dabei allerdings mittlerweile zu den wohl endgültig überholten Fehlern der stark von Kampf und Polarisierung geprägten Anfangszeit. Mit dem geplanten Aufbau einer Journalistengruppe, die eine große Koalition all jener erreichen möchte, die sich hinter den missionarischen Auftrag der kep stellen können, versucht man Schritte in eine neue Offenheit zu gehen. Geistliche Nähe soll zum entscheidenden Kriterium werden, nicht eine politische Farbe oder die aktuelle Frömmigkeitsform, der man anhängt. Wünsche für die Zukunft Angesichts der Größe der Herausforderung in unserer immer stärker von Massenkommunikationsmitteln geprägten Welt ist dies sicher ein logischer und überfälliger Schritt. Denn trotz aller Erfolge wird ja doch immer wieder merkbar, daß auch die Möglichkeiten und Mittel der kep begrenzt sind. Ein Neuaufbruch und eine klare Konzentration auf die dringendsten Ziele scheint angebracht. Als Zukunftsprojektion wäre mir an dieser Stelle besonders wichtig: - Vor- und Zuarbeit beim Aufbau eines eigenen evangelika-len Ausbildungsganges, der eine Verbindung aus praktischjournalistischen Elementen und theologisch-geistlicher Ausbildung darstellen könnte. Ziel wären Journalisten, die sowohl fachlich als auch geistlich kompetent sind und unter Einbeziehung der christlichen Gemeindewirklichkeit einen freundlich-argumentativen Evangelikalismus repräsentieren können. Bibelschulen, theologische Seminare, Sender, Verlage und kep müßten dazu stärker Zusammenarbeiten. - Eine bewußt weiter vorangetriebene Öffnung für unterschiedliche Prägungen. Egal, ob Evangelikale charismatischer oder mehr pietistischer Prägung, egal, ob politisch neutral, wechselnd oder fester gebunden: Entscheidend für die Zusammenarbeit muß die gemeinsame Ausrichtung auf das Ziel der kep sein: Mehr Evangelium in die Medien zu bringen, die Gute Nachricht zu fördern und einander geistlich und menschlich aufzubauen, um dieses Ziel noch besser zu erreichen. - Kompetent-kritische Begleitung bestehender Medien in neutraler Distanz zu Medienschaffenden, Politikern und Verbänden. Dabei scheint mir auch die Anleitung der eigenen christlichen Basis zum Umgang mit dem Fernsehen ein noch nicht genug beachtetes Gebiet. Wichtiger als die Rolle des Wächters über Sitte und Moral wäre es mir hier, wenn auf die gefährliche, auch geistlich einlullende und angepaßt machende Wirkung übertriebenen TV-Genusses allgemein stärker hingewiesen und noch mehr Hilfen zum Umgang entwickelt und verbreitet werden würden. Alte Aufgaben kompetent weiterzuführen und sich für neue Aufgaben zu öffnen - das alles wird nur zu schaffen sein, wenn noch mehr Mut und Mittel aufgebracht und zusätzliche Mitmacher gefunden werden können. Die Grundlagen dafür scheinen gelegt. Letztlich wird man bei diesem komplexen Spiel um Medien, Einfluß und Öffentlichkeit aber nur dann einen guten Kurs fahren können, wenn man im Bewußtsein der eigenen Gefährdung auch selber immer wieder Maß nimmt am eigenen Anspruch: der Guten Nachricht. Nicht Erfolg oder Mißerfolg wird einmal Auskunft über die Existenzberechtigung der kep geben, sondern die Treue gegenüber den eigenen Maßstäben und dem, der sie uns gegeben hat. Ins Wasser geworfen Wie man heute Journalist wird Wolf gang Baake / Peter Fischer Mit Journalisten ist es wie mit Eltern: Plötzlich ist man es und hat nicht gelernt, wie es geht. Da findet man sich im kalten, tiefen Wasser wieder, hofft verzweifelt darauf, daß einer eine Rettungsleine wirft, aber es kommt niemand. Es hilft nichts: Nur eigene Schwimmbewegungen, und seien sie noch so unvollkommen, bringen ans Ufer. In sehr vielen Fällen geht das gut. Bei Eltern sowieso, aber auch bei Journalisten.Ein Horrorszenario? Leider oft nicht. Weder für Eltern noch für Journalisten. Und über die reden bzw. schreiben wir hier. Journalistenausbildung wird in Deutschland immer noch viel zu oft sträflich vernachlässigt. „Journalist" - das ist keine Berufsbezeichnung wie Bäcker oder Kraftfahrzeugmechaniker, die am Ende einer Lehre vergeben wird, obwohl ein Journalist auch viel handwerkliches Geschick braucht." Journalist" - das ist kein akademischer Titel wie Studienrat oder Diplom-Ingenieur, für den ein mehrsemestriges Fachstudium vorgeschrieben wäre, obwohl im Journalismus auch Fachwissen und analytisches Denken gefragt sind. Und „Journalist" ist auch kein Schulabschluß wie die Mittlere Reife oder das Abitur, obwohl ein Journalist auch nicht ohne weitgefächerte und gute Bildung auskommt. Und weil das so ist, darum ist auch Journalistenausbildung ein so schwieriges und unüberschaubares Feld, mit dem viele einfach dadurch fertig werden, daß sie davor kapituliert haben. Natürlich: Es gibt als klassische Ausbildung Volontariate (die vor allem das journalistische „Handwerk" vermitteln). Sie sind noch immer der Königsweg in den Journalismus. Rund 60 Prozent aller Journalisten haben volontiert, ergab eine repräsentative Umfrage unter Deutschlands Journalisten. Ausschließlich ein Volontariat haben 20 Prozent abgeschlossen, weitere 17,5 Prozent der Journalisten haben nach einem Fachstudium volontiert. Es gibt Journalistik-Studiengänge an deutschen Universitäten (die vor allem den theoretisch-wissenschaftlichen Aspekt des Berufs erhellen). In den neuen Bundesländern hat jeder zweite Journalist eine solche Hochschulausbildung, vor allem an der „Sektion Journalismus" in Leipzig, absolviert. Es gibt Journalisten-Schulen, die vor allem „Trockenübungen" für angehende Journalisten veranstalten. Ohne alle diese Angebote herabwürdigen zu wollen, die oft nur unter hohem persönlichen Einsatz möglich sind, steht fest: Echte Journalisten-Ausbildung geschieht in Deutschland zu wenig. Viel mehr müßte geschehen, um den Bedarf an guten Journalisten zu decken. Und wenn man sich die Angebote ansieht, die es gibt, stellt man fest, daß auch hier manches besser aussieht, als es wirklich ist. Denn manches Redaktionsvolontariat dient nur dazu, den Fachkräftemangel zu entschärfen und billige Arbeitskräfte zu haben, die wie ein Redakteur schaffen, aber nicht so viel kosten. Wirkliche Anleitung, wie es denn geht, das Nachrichtenschreiben, das Interviewen, das Reportageschreiben, findet oft nicht statt. Wer kein „Selfmademan" ist, geht unter. Ausbildung mit vielen Problemen Nicht anders sieht es, trotz vieler guter Ansätze, bei manchen Journalistik-Studiengängen aus. Da kommt ein frischgebackener Diplom-Journalist in die Redaktion, tritt seine erste Arbeitsstelle an mit einem Kopf voller Wissen, und dann stellt er fest, daß das überhaupt nicht gefragt ist, und daß das, was er als Redakteur eigentlich können müßte, nicht auf dem Lehrplan und in der Studienordnung gestanden hat. Und er merkt, daß die neuen Kollegen nicht immerfreundlich reagieren, wenn der diplomierte Journalist wissenschaftlich begründen kann, warum man „das alles ganz anders macht". Und Abgänger von Journalistenschulen? Die landen meistens in den Verlagshäusern, die diese Schulen unterhalten, stehen also für den freien Journalistenmarkt nur begrenzt zur Verfügung. Außerdem sind diese Ausbildungsplätze sehr begrenzt und unterliegen strengen Zulassungsvoraussetzungen. Alles in allem also: Es steht nicht gut um die Journalistenausbildung in Deutschland. Noch schwieriger wird es, wenn es um christliche Publizistik geht. Denn dabei sind nicht nur Professionalität, sondern auch klare Glaubensüberzeugungen gefragt. Menschen, die diese Voraussetzungen mitbringen, gibt es kaum auf dem „freien Markt". Mancher, der ein guter Journalist ist, bringt zu wenig theologische Kenntnisse mit, um leser-, hörer- oder zuschauerorientiert arbeiten zu können, und manchem, der theologisch gut ausgebildet ist, fehlt es für diese Arbeit am nötigen journalistischen Wissen. Es ist eines der großen Verdienste Horst Marquardts, dieses Dilemma früh erkannt zu haben. Und nicht nur das: Er hat sich intensiv um Lösungen bemüht. Nachwuchsschulung, das war ihmtrotzseinerzahlreichen anderen Aufgaben immerein wichtiges Anliegen, und er wurde nicht müde, auch bei seinen leitenden Mitarbeitern diesen Gedanken wachzuhalten. Sowohl bei idea als auch beim ERF förderte er die Überlegung, selbst Journalistenausbildung vor allem für die evangelikale Publizistik anzubieten. So kam es Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zu den idea- und ERF-Volontariaten, aus denen inzwischen mehrere Generationen von christlichen Journalisten hervorgegangen sind. Ziel dieser Ausbildungen: fundierte handwerkliche Fähigkeiten und gleichzeitig, soweit erforderlich, theologische Kenntnisse zu vermitteln. Das Ganze getreu dem Motto der Konferenz Evangelikaler Publizisten (kep), „Mehr Evangelium in den Medien", auf einem Niveau, das es den Volontären ermöglicht, ihr Wissen später als Redakteurinnen und Redakteure nicht nur im christlichen, sondern auch im säkularen Bereich anwenden zu können. Ein Konzept, das offensichtlich aufgeht: Die meisten, die ein solches Volontariat durchlaufen haben, arbeiten auch heute noch als Redakteurinnen und Redakteure dort; andere aber haben den „Sprung in die Welt" gewagt und sind inzwischen erfolgreich bei säkularen privaten oder öffentlich-rechtlichen Sendern tätig. Die Christliche Medien-Akademie Horst Marquardts Ziel, eines Tages eine Journalistenschule mit integrierter Volontärsausbildung unter evangelikaler Trägerschaft zu gründen, in der in Zusammenarbeit mit der kep, idea und ERF und interessierten Verlagen theoretisch und praktisch, also bedarfsorientiert ausgebildet wird, ist leider bisher noch unerfüllt geblieben. Aber die Vision ist nach wie vor lebendig. Als eine erfolgreiche Vorstufe dazu gründete die kep ihre Christliche Medien-Akademie (cma) in Wetzlar. Die cma erhielt bei ihrer Gründung im Jahre 1987 die Zielvorstellung, junge Christen, die als Berufsziel den Journalismus gewählt haben, für diesen Beruf vorzubereiten. Diese Vorbereitung erfolgte zuerst lediglich durch Wochenendseminare, in denen im journalistischen Grundkurs die vier journalistischen Stilformen Nachricht, Reportage, Kommentar und Interview vermittelt wurden. Von der Konzeption waren die Seminare so angelegt, daß sie studienbegleitenden Charakter hatten. Dieses Angebot konnte in erheblichem Umfang ausgebaut werden. Der Stoff wird vermittelt von anerkannten Medienprofis, die Christen sind. Unterstützend hinzu kam eine journalistische Nachwuchsförderung, die bei der Vermittlung von Praktikums-, Volontärs- und Redakteursstellen aktiv wurde. Mehr als 3.000 Teilnehmer haben bisher die Seminare der cma absolviert. Ein nicht geringer Teil dieser Teilnehmer kommt aus den neuen Bundesländern. 40 Seminare werden im Jahr angeboten. Medien machen Meinung. Schon deshalb ist es wichtig, daß an den Schalthebeln „publizistischer Macht" Christen stehen. Aber viele Christen haben ein zwiespältiges Verhältnis zu den Medien. Sie kritisieren einerseits die enorme Zunahme an Gewalt und Pornographie in den Medien, sind aber andererseits nicht bereit, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen oder sich gar in den Medien zu engagieren. Dies ist bedauerlich, weil auch und gerade durch die Medien der biblische Missionsauftrag erfüllt werden kann. Auch haben Christen einen wichtigen Beitrag in der Diskussion um die ethischen Grenzen des Journalismus zu leisten. Gerade im Bereich der visuellen Gestaltung, etwa der Frage, wie weit man Fotos veröffentlichen sollte oder Bilder am Computer verfremden darf, was man Menschen damit antun kann und wie es mit der Wahrheit steht, ist die Meinung der Christen gefordert. Wir brauchen gute Journalisten, die Christen sind, in den Medien - ebenso wie engagierte Christen, die schreiben können, in der Gemeindearbeit. Gerade wenn wirchristliche Inhaltetransportieren wollen, müssen wir besser sein, als die anderen - auch und gerade im journalistisch-handwerklichen Bereich. Gegen den Strom „idea" - Zwei Jahrzehnte kirchliche Alternativpublizistik Wilhelm Emst Winterhager Als 1970 „idea", der Informationsdienst der Evangelischen Allianz, ins Leben gerufen wurde, war die Lage im deutschen Protestantismus schärfer denn je seit dem Ende des Kirchenkampfes im Dritten Reich geprägt von innerer Zerrissenheit. Das Hervortreten des neuen, im Laufe der Jahre so erfolgreichen christlichen Nachrichtendienstes als Gegenstück zum alteingeführten Evangelischen Pressedienst (epd) muß vor dem Hintergrund dieser kirchlichen Gesamtentwicklung gesehen und eingeordnet werden. Von Anfang an war idea mehr als nur eine Erscheinung auf publizistischer Ebene, die den lange festgefügten, gleichförmigen Bereich evangelischer Pressearbeit in Bewegung brachte. Als die zentrale Stimme zunächst nur der Evangelikalen und der ihnen nahestehenden Gruppen war und ist idea in seinem Werdegang zugleich ein Stück kirchlicher Zeitgeschichte, in dem sich wichtige Aufbrüche innerhalb des deutschen Protestantismus in den letzten Jahrzehnten widerspiegeln. Die sechziger Jahre brachten in den reformatorischen Kirchen theologisch-politische Strömungen zum Zuge, die dem tradierten Verständnis von Kirche und Evangelium radikal entgegenstanden. „Politische Diakonie" wurde zur Christenpflicht erklärt. Im Schutze des innerkirchlichen Pluralismus konnten die neuen Tendenzen sich weitgehend ungehindert entfalten, in manchen Landeskirchen erfuhren sie aktive Förderung. Der bayerische Landesbischof und EKD-Ratsvorsit-zende, Hermann Dietzfelbinger, sprach 1971 aus lutherischkonservativer Sicht von einem „Glaubenskampf", gegenüber dem - nach seinem Eindruck - „der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht" gewesen sei. Auf der anderen Seite des kirchlichen Spektrums waren es vor allem die pietistischen Gemeinschaften, die mit ihrem mis- sionarischen Anliegen verstärkt in die breite Öffentlichkeit drängten. Seit alters her bis in die Mitte unseres Jahrhunderts galten die Pietisten als die „Stillen im Lande", die in kleinen Gruppen effektiv wirkten, doch kirchenpolitisch kaum hervortraten. Gegen Ende der fünfziger und mehr noch in den sechziger Jahren trat hier allmählich ein Wandel ein: Immer häufigerfand man sich zu gemeinsamer Arbeit zusammen, und nicht zuletzt die großen Evangelisationen mit dem amerikanischen Baptistenprediger Billy Graham, die Hunderttausende anzogen, führten zu einem gestärkten Selbstbewußtsein und Zusammengehörigkeitsgefühl. Eindrücklich zeigte sich, daß auch die Pietisten, die nach angelsächsischem Vorbild jetzt zunehmend als Evangelikale bezeichnet wurden, mit ihren bescheidenen Mitteln - ohne Kirchensteuerzuschüsse und staatliche Gelder, allein auf der Basis von Spenden und ehrenamtlicher Hilfe - große, übergreifende Aktionen ins Werk zu setzen vermochten. Die Einsicht drang vor, daß für die Zukunft mehr denn je solch öffentliches, weithin sichtbares Engagement gefordert war, wollte man dem herrschenden Zeitgeist wirksam entgegentreten. Die Erfahrungen auf diesem Weg aber waren ernüchternd. Immer wieder mußte man feststellen, daß das Echo nicht nur in den säkularen Medien, sondern auch in der kirchlichen Presse ganz unzureichend war. Als Ursache dafür sah man in erster Linie die Tatsache, daß selbst im kirchenoffiziösen epd als dem damals für die Verbreitung evangelischer Nachrichten entscheidenden Organ die Evangelikalen kaum Beachtung fanden, während gleichzeitig hier einer Fülle anderer, gerade auch kirchenfremder Vorgänge und Meinungen breiter Raum gewährt wurde. Begründet wurde diese Praxis, die namentlich von der Zentralredaktion des epd in Frankfurt a.M. geübt wurde, mit dem Konzept einer „Publizistik der Stellvertretung": Vor allem diejenigen sollten hiernach in einem christlichen Pressedienst zu Wort kommen, die sonst in den Medien - wie man behauptete - keine Stimme hätten; gesellschaftliche Randgruppen etwa und Bewegungen der Dritten Welt. In den Augen der Kritiker jedoch ging es dem epd bei dieser Ausrichtung seiner Arbeit vorrangig um die Verbreitung von Informationen einer bestimmten politisch-theologischen Couleur in dem oben beschriebenen, „progressiven" Sinne. Wiederholt wurde in den späten sechziger Jahren versucht, über Kirchenleitungen und andere Verantwortliche auf den epd einzuwirken, wurden die Defizite seiner Berichterstattung aus evangelikaler Perspektive aufgezeigt, wurden prinzipielle Korrekturen gefordert. Doch alles Mahnen und Appellieren blieb ohne Erfolg. idea: Gründung und Ziele Aufgrund der geschilderten Erfahrungen brach der Gedanke sich Bahn, daß man einen eigenen Pressedienst brauchte, um endlich die Nachrichten aus dem evangelikalen Bereich angemessen in eine breitere Öffentlichkeit befördern zu können. Die konkrete Initiative dazu kam aus dem Umfeld der Evangelischen Allianz und ihr nahestehender Organisationen. Am 25. Mai 1970 fand man sich in Wetzlar zur ersten Sitzung des Gründungsausschusses zusammen, der die Weichen zur Errichtung des neuen Dienstes stellen sollte. Neun Männer waren hier anwesend, die ihrerseits vor allem drei Institutionen vertraten: den Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz, den Evangeliums-Rundfunk und die Konferenz (seit 1976: Arbeitsgemeinschaft) Evangelikaler Missionen. Als Bezeichnung der geplanten Publikation war von vornherein „idea: Informationsdienst der Evangelischen Allianz" vorgesehen. Wenn auch im Namen damit bereits die Nähe zur Allianz zum Ausdruck kam, war doch idea nicht als ein Verbandsorgan der Deutschen Evangelischen Allianz gedacht. Überhaupt sollten nichtdiedrei genannten Institutionen, sondern von der Gründung an Einzelpersönlichkeiten - zusammengeschlossen in einem eigens dazu gebildeten Verein - die verantwortlichen Träger des Informationsdienstes sein. Auf diese Weise wurde der neugeschaffene Informationsdienst dem direkten Anspruch und Zugriff von Institutionen enthoben und konnte unabhängig wirken. Die treibende Kraft, der Spiritus rector, bei der Gründung von idea war vor allem ein Mann: Horst Marquardt (Jahrgang 1929), Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche und seit 1960 Direktor des Evangeliums-Rundfunks in Wetzlar. Als ein im Medienbereich erfahrener, am amerikanischen Vorbild geschulter Mann wußte Marquardt wie kaum ein zweiter um die Bedeutung moderner Kommunikationsformen für den Erfolg missionarischer Arbeit und die Selbstdarstellung christlicher Gruppen in der heutigen Gesellschaft. Marquardt war es, der die Gründungsväter von idea zusammenrief, der die Konzeption für den neuen Pressedienst vorlegte und der auch der erste Vorsitzende des idea-Trägervereins werden sollte -bis heute. Ohne die Weitsicht und Willenskraft von Horst Marquardt darf man bezweifeln, ob idea durch alle Widrigkeiten der Anfangszeit hindurch zu dem geworden wäre, was es heute ist. Zum einen sollte der neue Informationsdienst durch seine Beiträge den säkularen und kirchlichen Bereich über die gesamte evangelikale Bewegung mit ihren Aktivitäten und Positionen unterrichten, sich also nach außen wenden im Sinne der klassischen Nachrichtenvermittlung an Presse-, Funk-und Fernsehredaktionen sowie weitere Multiplikatoren. Zum anderen aber war idea zugleich auch konzipiert als ein Bindeglied im evangelikalen Raum selbst, als ein „Medium inter-evangelikaler Kommunikation". Über die bloße Nachrichtensammlung hinaus sollte der neue Dienst dabei durch die Kommentierung der dargestellten Vorgänge aus biblischer Sicht ein Stück „geistlicher Orientierung" bieten, zur christlichen Meinungs- und Bewußtseinsbildung beitragen. Bescheidene Anfänge In den ersten Jahren, bis 1974, blieb die Arbeit von idea auf einen bescheidenen Umfang beschränkt. Nur auf Teilzeit-und Honorarbasis konnten die ersten Mitarbeiter für den Informationsdienst tätig werden. Dem Baptistenpastor Wolfgang Müller und später dem Publizisten Gerd Rumler oblag es damals, die jeweiligen Ausgaben von idea - anfangs in unregelmäßigem Abstand, bald in wöchentlicher Ausgabe -zusammenzustellen und in hektographierter Form zu versenden. Als 1970 die Pläne zur Gründung von idea bekanntwurden, gab es auf seiten des epd einige Aufregung. Tele- tonisch fragten die Verantwortlichen, der damalige epd-Chefredakteur Hans-Wolfgang Heßler und der zuständige Kirchenrat Robert Geisendörfer, bei Horst Marquardt an, ob es zutreffe, daß ein „Anti-epd" geplant sei. Auf diesen schroffen Gegensatz indes mochten sich die idea-lnitiatoren nicht einlassen: idea, so teilte man mit, sei als „Ergänzung zum epd von evangelikaler Seite" gedacht. Die Frage, ob darüber hinaus der Informationsdienst längerfristig ein „Gegenstück", eine Alternative zum epd werden könne, war vorderhand nur Gegenstand interner Beratungen. In den Kontakten mit dem epd wurde dabei schon 1970/71 klargemacht, daß das weitere Schicksal von idea wesentlich davon abhän-gen würde, wie der epd sich in seiner Berichterstattung entwickle: Sofern der epd bereit sei, Nachrichten aus dem evan-gelikalen Raum vorbehaltlos und „unzensiert" zu übernehmen, würde idea - so der Gründungsausschuß im Januar 1971 - „auf den Ausbau eines umfangreichen Apparates verzichten und lediglich als eine Art 'Zulieferer' fungieren" können. Nicht um jeden Preis also wollten die idea-Gründer einen voll ausgebauten, eigenständigen Pressedienst, sondern nur dann, wenn der epd auf seinem Weg beharrte und zu einer „ernstlichen Zusammenarbeit", wie die Evangelikalen sie verstanden, nicht bereit war. So hätten die Repräsentanten des epd in den ersten Jahren wohl noch mit relativ begrenzter Konzessions- und Korrekturbereitschaft das Aufkommen einer zweiten Nachrichtenagentur im deutschen Protestantismus abwenden können. Jedoch auf inhaltliche Zusagen, wie die Evangelikalen sie verlangten, mochte man hier sich nicht festlegen lassen. Angesichts der faktischen, nicht gerade imponierenden Entwicklung von idea konnte der neue evangelikale Informationsdienst lange Zeit ja auch kaum als ernstzunehmende, bedrohliche Konkurrenz erscheinen für den etablierten epd mit seinem viel größeren, schnelleren Apparat. Dessen Anspruch, die einzige echte Nachrichtenagentur im evangelischen Raum zu sein, schien durch idea nicht wirklich ange-fochten. Als 1973/74 im Rahmen der EKD unter Eingliederung des epd das „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik" (GEP) gegründet wurde, streckte dessen erster Direktor Robert Geisendörfer auch Fühler in Richtung Wetzlar aus, um idea für eine Angliederung zu gewinnen. Doch die idea-Träger sahen angesichts der Orientierung dieses Werkes für solche Kooperation keine Grundlage. Der Ausbau Mitte der siebziger Jahre Noch Ende 1973 und im Sommer 1974 fiel die selbstkritische Bestandsaufnahme im idea-Trägerverein recht ernüchternd aus. In der breiteren Öffentlichkeit, klagte man, sei der Informationsdienst weiterhin kaum bekannt, wie eh und je fänden hier evangelikale Anliegen kaum Berücksichtigung. Im September 1974 wurde der erste hauptamtliche Redakteur eingestellt: Rolf Hille (heute Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz). Er kam damals aus der Kirchenfunkredaktion des Saarländischen Rundfunks und nahm sich mit großem Engagement der neuen Aufgabe an. Im Herbst 1976 verließ Rolf Hille idea, um sein Vikariat in Württemberg zu absolvieren und zum Dr. theol. zu promovieren. Ein halbes Jahr zuvor war Ingrid Kastelan (vormals epd-Regionaldienst Kiel) zu idea gekommen, um zunächst neben Hille zu wirken und bei seinem Ausscheiden die Leitung zu übernehmen. Der begonnene Aufschwung setzte sich auch unter ihrer Ägide fort. Die neuerliche Suche nach einem zweiten Redakteur führte Anfang 1977 sodann zu der Anstellung von Helmut Matthies: eine für die Zukunft des jungen Nachrichtendienstes herausragende Weichenstellung. Als Matthies in die idea-Redaktion eintrat, war er trotz seines jungen Alters von knapp 27 Jahren kein unbeschriebenes Blatt. Aufsehen hatte er erregt durch die Mitherausgabe eines zum Bestseller gewordenen „Rotbuchs Kirche" 1976, in dem junge Theologen harte Kritik an ideologischer Einseitigkeit und Mißständen im deutschen Protestantismus geübt hatten. Die Berufung von Matthies galt von daher manchem als „Politikum", und aus epd-Kreisen wurde der idea-Vorstand vor diesem Schritt gewarnt. Tatsächlich war das Votum für Matthies in gewissem Maße auch eine Richtungsentscheidung: Der Gedanke, daß idea in seiner Berichterstattung sich auf bestimmte Spezialanliegen der evangelikalen Bewegung beschränken solle, wurde endgültig verdrängt durch ein weitergefaßtes publizistisches Selbstverständnis, dem zufolge der Auftrag einer biblisch-christlichen Bewußtseinsbildung unbeschränkt nach allen Seiten, auch in seinen gesellschaftspolitischen Konsequenzen, wahrzunehmen war. idea-spektrum: eine Erfolgsgeschichte Als im April 1978 Ingrid Kastelan ins evangelikale Verlagswesen überwechselte, ging die idea-Leitung an Matthies über. Trotz aller Anstrengungen hatte idea damals nicht viel mehr als 2.000 Bezieher, und die selbstgesteckten Ziele waren noch immer recht bescheiden. Von Anfang an war Matthies bemüht, ein Höchstmaß an journalistischer Professionalität bei der Gestaltung von idea zu erreichen. Mit dem Umsteigen auf die Fernschreibübermittlung stieg schlagartig auch die Abdruckquote in der Tagespresse an: große Blätter wie die Frankfurter Rundschau, Berliner Morgenpost und Hannoversche Allgemeine Zeitung wurden zu regelmäßigen Abnehmern von idea-Meldungen. Noch Ende 1978 wurde Wolfgang Thielmann, freikirchlicher Theologe (Jahrgang 1954, seit Ende 1992 Pressesprecher des Diakonischen Werkes der EKD) als zweiter Redakteur eingestellt, der das Gesicht und den Aufstieg von idea über zehn Jahre lang mitprägen sollte. Der entscheidende Durchbruch erfolgte im Sommer 1979 mit der von Matthies betriebenen Einführung einer neuen Ausgabe im Zeitschriftenformat: „idea-spektrum". Während die bisherige, vervielfältigte Form als „Basisausgabe" für die Medien (jetzt dreimal wöchentlich erscheinend) erhalten blieb, sollte idea-spektrum für die steigende Zahl von Einzelbeziehern bestimmt sein und ihnen die Nachrichten samt zusätzlichen Kommentaren und Hintergrundberichten in ansprechender, leserfreundlicher Aufbereitung darbieten. Die bislang miteinander verknüpften Funktionen von idea -die Aufgabe der Außenkommunikation als eigentlicher Pressedienst und die der Innenkommunikation in den kirchlich-evangelikalen Raum hinein-wurden damit getrennt, um beiden Zielgruppen und Bestimmungen fortan besser gerecht werden zu können. Die Schaffung des Wochenmagazins „spektrum" erwies sich dabei als ein Glücksgriff. Mit hohem graphischem Geschick, unter Heranziehung bester Fachleute, wurde ein Produkt gestaltet, um das man von den Konkurrenten bald beneidet wurde. Rapide zog nunmehr die Auflagenzahl an, wurde idea-spektrum mit jährlichen Steigerungsraten von 20 bis 30 Prozent zum größten christlichen Wocheninformationsdienst in Deutschland: 1986 überschritt man die Marke von 10.000 Abonnenten, 1990 die Zahl 20.000. Die Frankfurter epd-Macher blieben dahinter mit jetzt 4.200 Exemplaren weit zurück, obschon man in Wetzlar gegen Mitte der achtziger Jahre Grund hatte zu der Klage, daß der epd mit seiner vergleichbaren Wochenausgabe, der „evangelischen Information", idea-spektrum äußerlich nachzuahmen versuche. Getreu dem Untertitel „Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt" deckt die Zeitschrift ein breites Spektrum aktueller Kirchen- und Glaubensfragen ab, mit dem Schwerpunkt zwar auf dem evangelikalen Raum, doch in kritischer Begleitung auch der allgemeinen Entwicklungen in Kirche, Ökumene und Gesellschaft. Der Erfolg liegt dabei nicht zuletzt in der Exklusivität dessen begründet, was idea seinen Lesern zu bieten vermag: Bei einer repräsentativen Umfrage unter den spektrum-Abonnenten 1991 stimmten 93 Prozent der Aussage zu, daß „in idea Informationen stehen, die sonst nirgendwo zu lesen sind". Mit wachsenden Eigeneinnahmen konnte auch die Redaktion weiter ausgebaut werden. Ende 1981 wurde Wolfgang Polzer, der jetzige, die Arbeit engagiert mittragende Redaktionsleiter, gewonnen, Anfang 1984 kam Klaus Rösler, dann Christian Starke; inzwischen sind sieben Redakteure (außer den Genannten: Klaus-Peter Grasse (Büro Stuttgart), Jörg Pod-worny, Uwe Rauschelbach und Rainer Straub) und ein Fotograf (Harald Krille) für idea tätig. Bis Anfang der neunziger Jahre wurden die Dienste des Wetzlarer Hauses auf acht Arbeitszweige ausgeweitet (idea-Funkdienst / Pressedienst-Basisausgabe / idea-spektrum / Dokumentationen / idea-bild / idea-Bildschirmtext / idea-englische Ausgabe / Christlicher Anzeigen-Verlag (CAV)). Mittlerweile finanziert sich idea durch Verkauf seiner Produkte zu fast 80 Prozent selbst - eine in der christlichen Publizistik selten hohe Eigenleistung. Die Fortschritte der idea-Arbeit Ende der siebziger Jahre brachten von neuem die Stellung des damals noch nur evan-gelikalen Pressedienstes innerhalb der EKD und sein Verhältnis zum epd auf die Tagesordnung. Unter Matthies war man zielstrebig darum bemüht, in den Führungen der verschiedenen Kirchen für den besonderen Auftrag von idea Verständnis und Unterstützung zu gewinnen. Durch vermehrte Berücksichtigung landeskirchlicherThemen-u.a. durch Interviews mit den wichtigsten Bischöfen (herausgegeben als Bücher: 1. Zwischen Anpassung und Widerstand: Interviews mit Bischöfen und Kommentare zur Situation der evangelischen Kirchen in der DDR, Wiesbaden 1980; 2. Gespräche über Gott und die Welt, Wiesbaden 1980), die durch offenes Anpacken kontroverser Fragen Beachtung fanden - wurde idea bei den Kirchenleitungen als ernstzunehmender Faktor etabliert. Zunehmend wurde deutlich, daß das Wetzlarer Organ als eigenständige Stimme im deutschen Protestantismus nicht länger zu übergehen war. Seit Ende 1978 gab es wiederholt Verhandlungen zwischen den idea tragenden Organisationen und Vertretern der EKD (einschließlich der Leitung, des Rates der EKD). Nachdem zuvor schon die Mitglieder der württembergischen und der nordelbischen Landessynoden idea auf Amtskosten beziehen konnten, wurde die gleiche Regelung ab September 1979 auch für die Synodalen der EKD eingeführt. Mit dem „Publizistischen Gesamtplan", der im Auftrag des Rates der EKD Ende 1979 vorgelegt wurde, errangen vorerst wieder diejenigen die Oberhand, die von jeher das Aufkommen des zweiten evangelischen Nachrichtendienstes bekämpft hatten. Unter Berufung auf ein früheres Votum der EKD-Kirchenkonferenz wurde in der Planung jede finanzielle Förderung von idea abgelehnt und dagegen der Ausbau des epd mit weiteren Millionenbeträgen anempfohlen. „Aus publizistischen, kirchenpolitischen und finanziellen Gründen", hieß es, könne sich „der deutsche Protestantismus nur eine Nachrichtenagentur leisten". Allein dem epd wurde dabei das „Gesamtmandat" für die evangelische Welt zuerkannt, während idea der „gruppenspezifischen, richtungsori- entierten Information" zugeordnet wurde. Daß auch der epd nichts anderes als „richtungsorientierte" Publizistik betrieb, blieb ausgeblendet. Um den epd instand zu setzen, das für ihn beanspruchte Gesamtmandat zu erfüllen, sollte er nach dem Publizistik-Konzept der EKD in seiner Ausstattung sogar noch „wesentlich verbessert" werden, gegenüber der unliebsamen Konkurrenz aus Wetzlar künftig also noch höhere Zuschüsse aus Kirchensteuergeldern erhalten. In dieser Lage fand der von pietistischer Seite vorgebrachte Antrag, auch idea als einen wichtigen publizistischen Dienst der Kirche materiell zu fördern, kein Gehör. Bei der Debatte des Publizistik-Planes auf der EKD-Synode in Garmisch-Partenkirchen Anfang 1980 setzten im Gegenteil jene sich durch, die wie der GEP-Direktor Norbert Schneider vor einer „zweigleisigen", „gespaltenen evangelischen Publizistik" als vermeintlicher Gefahr und Schwächung des deutschen Protestantismus warnten. Ganz unverhüllt machte man damals gegen idea Front. Von verschiedenen landeskirchlichen Blättern wurden Werbeannoncen für idea-spektrum zurückgewiesen, und es wuchs offenkundig der Druck, statt idea nur den epd in kirchlichen Organen heranzuziehen. Teilweise, so stellte man in Wetzlar fest, werde idea von Publikationen und Pressestellen im EKD-Bereich bewußt boykottiert. Im evangelikalen Lager machte sich angesichts der Stellungnahme der EKD Enttäuschung und Bitterkeit breit. Die Haltung der EKD, meinte Horst Marquardt, diene nicht der Einheit der evangelischen Christen, sondern fördere die Polarisierung. Vor diesem Hintergrund war die EKD-Spitze bemüht, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. So wurde auch in dem Streit um idea bald ein gewisses Entgegenkommen signalisiert: Bereits im November 1980 ließ die Synode der EKD die Bereitschaft erkennen, unter bestimmten Voraussetzungen auch dem Allianz-Pressedienst finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Freilich, die Bedingungen, die man hieran knüpfen wollte, erwiesen sich für idea als unannehmbar. Was seitens der EKD und des GEP gefordert wurde, war eine Form der Anbindung von idea an den epd, durch die - aus Wetzlarer Sicht - der eigene Dienst zu einer „Zulieferabteilung für epd" degradiert worden wäre; idea hätte sich hiernach auf die Rolle eines „Rich- tungsorgans" für den evangelikalen Raum zu beschränken gehabt, während die Kernfunktion als selbständiger Nachrichtendienst, vor allem die Informationsvermittlung an säkulare Medien, an den epd abzutreten gewesen wäre. Trotz ausbleibender Einigung erklärte die Führung der EKD sich 1981 zur Zahlung eines gewissen Zuschusses bereit: 150.000 DM wurden vom Haushaltsjahr 1982 an als EKD-Beitrag für die publizistische Arbeit der Evangelischen Allianz festgeschrieben, mit der Begründung, daß diese einen „wesentlichen Teil" der evangelischen Christenheit abdecke. Bedingungen waren hieran nicht geknüpft, nur die „Erwartung" einer fortan engeren Kooperation zwischen idea und epd wurde ausgesprochen. Für idea bedeutete die Entscheidung der EKD zwar eine erweiterte Anerkennung durch die Amtskirche, doch die materielle Förderung blieb weit hinter dem zurück, was man den Kirchenpublikationen der liberal-progressiven Couleur gewährt. Bis heute kommt in dieser Ungleichbehandlung das zwiespältige, belastete Verhältnis der EKD-Mehrheit gegenüber den Evangelikalen als einer die Gesamtkirche wesentlich mittragenden Strömung zum Ausdruck. Wachsende Resonanz und Kontroversen Durch alle Konflikte hindurch fand das Wirken von idea in den geistlichen Führungskreisen der EKD, bei Bischöfen und Kirchenräten, seit Ende der siebziger Jahre zunehmend Achtung und Sympathie. Daß neben dem epd auch idea seinen Platz in der Kirche haben müsse, wurde von dem Hamburger Bischof Hans-Otto Wölber schon 1978 ausgesprochen. Und auch der seit 1979 amtierende EKD-Ratsvorsitzende, der hannoversche Landesbischof Eduard Lohse, fand im Laufe der Jahre zu einer positiven Würdigung von idea: Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, anläßlich des 15jährigen Bestehens von idea 1985, äußerte Lohse öffentlich Dank an den Informationsdienst für „viel erfahrene Hilfe". Karl-Alfred Odin von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die graue Eminenz der kirchlichen Publizistik, nannte bei der gleichen Gelegenheit idea einen Pressedienst, der „immer mehr alle Evangelischen betrifft, der notwendig und wesentlich" sei. „Jugendlicher 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982 1981 1980 1979 10000 15000 20000 25000 5000 Elan, harte Arbeit und Opfersinn" hätten idea zu einem professionellen Nachrichtendienst gemacht, der für die Medien nützlich und für die Kirche „unentbehrlich" geworden sei. Bei einer Umfrage unter bayerischen Synodalen 1986 erhielt idea-spektrum gleichauf mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt unter den evangelischen Wochenpublikationen die beste Bewertung. Seit 1981 wurden namhafte Vertreter der EKD, unter ihnen Oberlandeskirchenräte und das langjährige EKD-Ratsmitglied Prof. Erika Kimmich, im Trägerverein von idea aktiv. Wie stark es idea mittlerweile vermochte, im EKD-Bereich zentrale Debatten mit anzustoßen und zu prägen, war zum ersten Mal 1980 auf der schon erwähnten Synode in Garmisch-Partenkirchen deutlich geworden. Als damals der programmatische Bericht des Evangelischen Missionswerkes, in dem Mission primär als Mittel sozialer und politischer Umwälzung gedeutet wurde, nach heftigem Meinungsstreit die Zurückweisung der Synode erfuhr, hatte idea durch seine kritische Vorab- Berichterstattung wesentlich dazu beigetragen. Auch in den Folgejahren sollten die Diskussionen um das Missionsverständnis, um Brot für die Welt, um die Genfer Ökumene und ihr Antirassismus-Programm idea immer wieder in Gegensatz zum offiziellen Kurs der EKD-Instanzen bringen. Gerade aber die Rolle des mahnenden Widerspruchs trug idea letztlich Respekt und Beachtung ein, und in nicht wenigen Fragen gelang es längerfristig, ein Umdenken einzuleiten. So war idea die erste kirchliche Stimme, die überdie Folterungen und Morde in den Lagern der von EKD und Ökumene geförderten Widerstandsbewegungen im südlichen Afrika berichtete und das Schweigen der deutschen Kirchenführer, die hiervon wußten, brandmarkte. Später dann, Ende der achtziger Jahre, sollte die EKD ihren schweren Irrtum in dieser Sache selbst eingestehen. Es war dies nicht der einzige Punkt, in dem idea sich mit anfangs gegen alle Mehrheitsmeinung vertretenen Positionen innerhalb der Kirche schließlich durchsetzen sollte. Von seiten des epd und des GEP wurde noch einmal 1987 ein bisher letztes, offenes Gefecht gegen den Konkurrenten idea geschlagen. Nachdem die Wetzlarer damals im Zuge der Modernisierung ihrer Nachrichtenübermittlung auf die gleiche Funkübertragungswelle aufgenommen worden waren, auf der auch der epd operierte, machte das GEP von einer Vertragsklausel über Wettbewerbsausschluß Gebrauch und erzwang die fristlose Kündigung gegenüber idea, dem damit der Funkzugang zu den Medien versperrt wurde. Binnen kurzem löste dieses Vorgehen eine Lawine von Protesten aus. Mehr denn je fielen im Lager der Evangelikalen bittere Worte über die Behandlung durch die EKD und das GEP. Bis in die weltlichen Medien und die Politik hinein schlug die Affäre Wellen, und auch bei nichtevangelikalen Kirchenleuten fand idea eine breite Solidarität. In dieser Atmosphäre war der Ausgang des Konfliktes eindeutig: Nach wenigen Wochen veran-laßte der Rat der EKD das GEP, die gegen idea gerichtete Kündigung ohne Vorbedingung rückgängig zu machen. Der Wetzlarer Dienst hatte damit einen doppelten Erfolg errungen: Nicht nur, daß der Weg für die Funkübertragung frei war. -die öffentliche Auseinandersetzung und die unter ihrem Eindruck gefällte Entscheidung der EKD hatten vor allem end- gültig klargemacht, daß idea die Stellung als zweite evangelische Nachrichtenagentur nicht mehr streitig zu machen war. Der Monopolanspruch für den epd wurde seitens der EKD damit praktisch aufgegeben, und die zu seiner Begründung so oft vorgebrachte Anschauung, daß der Protestantismus nach außen „mit einer Stimme sprechen" müsse, um das „gemeinsame Zeugnis" nicht zu schwächen, ist seither vom Tisch. Statt dessen hat die Einsicht sich durchgesetzt, daß angesichts der inneren Verschiedenheit und Spannbreite des Protestantismus gerade auch in seinem Sprechen in die Öffentlichkeit hinein eine sich ergänzende Vielfalt das angemessenere Zeugnis darstellt. „In idea^iiMbiraim stehen Informationen, die sonst nirgendwo zu lesen sind.“ □ Starke Zustimmung | Unentschieden □ Zustimmung f~l Ablehnung Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter idea-Lesern 1991 Gesamtdeutsche Weitsicht Eine eigenständige Linie verfolgte idea stets auch in der Berichterstattung über den kommunistischen Machtbereich und das Schicksal der dort lebenden Christen. Während in Kirchenkreisen die „Versöhnung mit der Sowjetunion", die restlose Anerkennung der DDR und das Konzept der „Kirche im Sozialismus" propagiert wurden, schrieben die Wetzlarer von der Verfolgung der Christen in Osteuropa, von der Unmenschlichkeit des SED-Regimes und der Fragwürdigkeit kirchlicher Aufwertungsbemühungen für das niedergehende marxistische Imperium. Unter den kirchlichen Zeitschriften, so befand eine zeitgeschichtliche Studie 1992, sei in den Jahren vor der historischen Wende allein idea-spektrum „permanent und konsequent für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands eingetreten'' (so der Politikwissenschaftler Prof. Jens Hacker in seinem Buch: „Deutsche Irrtümer: Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen", Berlin 1992). Wie sehr aber wurde die idea-Redaktion gerade für ihren Kurs in dieser Frage als „ewiggestrig" und politisch einseitig gescholten! Indes, man ließ sich nicht beirren. Am 3. Oktober 1989 - genau ein Jahr vor der damals von kaum jemand in der Kirche erwarteten Wiedervereinigung - erschien idea-spektrum mit dem Aufmacher-Titel „Wiedervereinigung -was sonst?" zu einem Matthies-Kommentar. Doch bei den Kirchenleitungen erregte solches Reden von der Wiedervereinigung weithin Mißfallen: Es sei unrealistisch, treffe nicht die tatsächlichen Wünsche der DDR-Bürger, ja sei geradezu friedensgefährdend. Noch Anfang November 1989 hieß es von hohen und höchsten EKD-Repräsentanten während der Synode der EKD - drei Tage vor dem Fall der Mauer idea solle endlich aufhören, dies Thema anzuschneiden. Die Wiedervereinigung stehe nicht an. Ein Bischof fragte gar, ob Mat-thies überhaupt je in der DDR gewesen sei und die dortige Stimmung kenne. Die Geschichte hat gezeigt, wer sich hier irrte und wer nicht. Doch etwa das eigene, krasse Fehlurteil einzugestehen und die harsche Kritik an idea zurückzunehmen - zu solcher Größe hat sich bis heute keiner der beteiligten Kirchenoberen durchringen können. Schon vor der Wende hatte idea namentlich im „frommen Süden" der DDR nicht wenige Leser. Seit Ende der siebziger Jahre waren illegal durch mutige Christen wöchentlich bis zu 300 Exemplare von idea-spektrum in die DDR eingeschleust worden. Als die Grenzen fielen, konnte man sogleich hieran anknüpfen: Schon Anfang 1990 wurde ein idea-Büro Ost nahe Chemnitz eröffnet (die zweite idea-Außenstelle neben dem Württemberger Büro), der idea-Trägerverein wurde durch führende Persönlichkeiten aus evangelischen Kirchen der Ex-DDR erweitert, und bald erreichte man in den neuen Bundesländern eine marktführende Stellung im Bereich überregionaler kirchlicher Wochenblätter.Nicht immer Zustimmung fand idea seit 1990 mit seiner ungeschminkten Aufarbeitung der „Stasi"-Problematik, der Verstrickungen kirchlicher Stellen in Ost und West mit dem ehemaligen SED-Regime. Doch auch in dieser Beziehung blieben die Wetzlarer Journalisten ihrer Linie treu, wonach der offenen, wahrhaftigen Klärung solcher, an den Kern des kirchlichen Auftrages gehenden Streitfragen nicht auszuweichen ist. Durch zahlreiche Exklusivinformationen konnte idea gerade in der „Stasi"-Debatte sein publizistisches Gewicht in der Medienwelt noch erhöhen. Wiederholt wurde idea seiner Aufklärungsarbeit auf diesem Felde wegen mit dem „Spiegel" in einem Atemzug genannt, ja man sprach - so die EKD-Wochenzeitung (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt) - von einer „denkwürdigen Koalition" zwischen „Spiegel" und idea, die den Gang der Debatte um dies Thema in der evangelischen Kirche bestimmt habe. Das „Flaggschiff" (nicht nur) der Evangelikalen Aus kleinen Anfängen hat idea sich heute neben epd und KNA die Stellung als dritte konfessionelle Nachrichtenagentur in Deutschland gesichert und mit dem Wochenmagazin spektrum zugleich ein Organ geschaffen, das im Meinungsbildungsprozeß des deutschen Protestantismus eine nicht wegzudenkende Rolle spielt. Als das „Flaggschiff" längst nicht mehr nur der Evangelikalen, sondern weit darüber hinaus vieler Christen, bis in den katholischen Raum hinein, hat idea eine Meinungsführerschaft übernommen. Seit Anfang 1993 bezeichnet sich idea im Untertitel als evangelische Nachrichtenagentur. Erreicht wurde dieser Erfolg durch einen Journalismus, der klare Akzentsetzungen nicht scheut und bei aller Bindung an den biblischen Standpunkt sich den aktuellen Lebensfragen der Zeit stellt. Daß ein solcher Kurs auch Widerspruch hervorruft, ist klar: Hat man früher an den deutschen Pietisten bemängelt, daß die sozio-politischen Konsequenzen des Evangeliums bei ihnen zu wenig Raum gewön- nen, so ist es nunmehr die Art und Zielrichtung des gesellschaftspolitischen Einsatzes, die das Mißfallen der Kritiker erregt und sie den Vorwurf konservativer Einseitigkeit erheben läßt. In der Tat sehen die Evangelikalen sich in zentralen ethischen Fragen, wertkonservativen Positionen verpflichtet, und die jahrzehntelange Bekämpfung des atheistischen Marxismus hat bei der Mehrheit von ihnen zu einer prinzipiellen Distanz gegenüber sozialistischen Ideen geführt. Auch in idea ist diese Prägung unverkennbar, ohne daß dabei die Gefahr einer Gleichsetzung des christlichen Ansatzes mit konservativem Denken bestünde. Überdies haben in der Berichterstattung von idea auch die Vertreter des „linken", sozialrefor-merischen Flügels (nicht nur) der Evangelikalen ihren festen Platz, und in der Grundlinie von idea-spektrum tritt das Auseinanderklaffen zwischen den Realitäten der bürgerlichen Gesellschaft und den Forderungen des Evangeliums deutlich genug hervor. So wie idea als Klammer die ganze Bandbreite der evangelikalen Bewegung zu repräsentieren sucht, erfüllt man auch im gesamtkirchlichen Kontext, dem ersten Augenschein entgegen, eine nicht zu unterschätzende, integrative Funktion. Gewiß hat der Informationsdienst mit seinem Anprangern kirchlicher Fehlentwicklungen nicht selten zu kontroversen Debatten innerhalb der Kirche beigetragen. Tatsächlich aber werden auf diese Weise nur Spannungen zum Ausdruck gebracht, die ohnehin im deutschen Protestantismus vorhanden sind, und Klärungsprozesse herbeigeführt, ohne die das schwierige Miteinander der grundverschiedenen kirchlichen Strömungen kaum auf Dauer durchzuhalten wäre. Indem idea einem Großteil evangelischer Christen, die sich lange Zeit in der Kirche publizistisch kaum vertreten sahen, eine effektive Stimme verleiht, ist in weiten Kreisen die Entfremdung von der Kirche aufgehalten, sind neue Bindungen an sie geschaffen worden. Gerade die klare Pointierung der evangelikalen Position erweist sich damit alsein loyaler Dienst an der Kirche im ganzen, als Teil der missionarischen Grundausrichtung, mit der idea das geistliche und geistige Klima im deutschen Kirchenwesen in den letzten zwei Jahrzehnten ein Stück weit verändert hat. Was ist Wahrheit? Wie ein Medienmann Christ wurde Horst Marquardt Es war während des Zweiten Weltkriegs. Mein Vater meinte, der Krieg wäre nie zu gewinnen. Ich war anderer Meinung. Wurde nicht sogar sonntags im Gottesdienst gebetet für den Sieg des „Führers" und der „Truppen zu Lande, zu Wasser und in der Luft"? Welch eine Enttäuschung, als mir im Februar 1945 - während ich als 15jähriger Volkssturmmann in Breslau war - klar wurde: Der Krieg ist verloren. Nicht genug mit einer Fehleinschätzung. Ich ließ mich ein zweites Mal ideologisch verführen. Ich wohnte nach Kriegsschluß in jenem Teil Deutschlands, der von den sowjetischen Truppen besetzt wurde. Am Tage nach dem Einmarsch begann die KPD ihr Wirken. Das imponierte mir. Und wie sie argumentierte, das leuchtete ein. Später beschäftigte ich mich mit dem Marxismus-Leninismus. Was für ein Konzept zur Weltbeglückung, dachte ich. Doch bald - Gott sei Dank sehr bald -gingen mir die Augen auf. Ich war damals als Redakteur bei einer kommunistischen Rundfunkstation in Ost-Berlin tätig. Es irritierte und ärgerte mich, daß ich der „Parteilinie" mehr verpflichtet zu sein hatte als der Wahrheit. Das machte mir zu schaffen. Die Erkenntnis: Du hast dich ein zweites Mal verführen lassen, war schmerzlich. Ich fragte mich, wie es in meinem Leben weitergehen sollte. Eines Tages stand ich vor meinen Büchern. Hatte eines die Antwort auf meine Fragen? Wie beiläufig griff ich ein Neues Testament. Ich hatte es nie gelesen. Ich blätterte und hielt inne bei 2. Timotheus 3,14 ff: „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und daß du von Kind auf die Heilige Schrift kennst, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus..." Das schlug ein. Bis dahin hatte ich alles „Religiöse" weit von mir gewiesen. Darum wußte ich auch nicht, daß sich ein Mensch zu Jesus Christus bekehren kann. In jener Stunde erlebte ich jedoch meine Bekehrung. Blitzartig wurde mir bewußt: Durch dieses kleine Büchlein spricht Gott zu mir. Alle Diskussion und Argumentation über und gegen Gott waren wie ausgelöscht: Dieser Gott hat mir christusgläubige Eltern geschenkt. Sie hatten mir den Weg zu Christus gewiesen. Ich hatte ihn nicht gehen wollen. Jetzt erinnerte mich Gott: „... du weißt ja, von wem du gelernt hast..." Erschreckend bewußt wurde mir der Abstand zu Gott und die Macht der Gottlosigkeit (Sünde) in meinem Leben; aber auch der sehn liehe Wunsch, ungeschehen machen zu können, was bisher in meinem Leben falsch gelaufen war. In den Tagen danach las ich mit Heißhunger das Neue Testament. Eine neue Dimension eröffnete sich mir. Ich begriff, daß man Vergebung seiner Sünden erbitten und empfangen kann, weil Jesus Christus zur Vergebung der Schuld gestorben ist. Gott schenkte mir Glauben an ihn. Im Glauben wurde ich gewiß: Meine Sünde ist vergeben. So wurde ich Christ. Die Erfahrung war so umwerfend, daß ich sehr schnell den inneren Auftrag empfand, anderen zu sagen, was ich erlebt hatte. Wie bleibt man Christ? Indem man voller Dank bleibt für jene Stunde (bei anderen Menschen kann es eine längere Entwicklung sein), in der Gott den Glauben schenkt. Er ist es auch, der Wachstum im Glauben gibt, nicht automatisch, sondern gebunden an sein Wort. Dieses Wort hat absolute Autorität. Das las ich damals und lese es seither in eben jener Bibelstelle 2. Timotheus 3,16: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit ..." Im Glauben wachsen - dazu bedarf es ferner der Gemeinschaft mit anderen Christen und der Tat. Glaube ist ja keine Theorie oder Lebensphilosophie, sondern Basis für ein Tun, das Gott erwartet und das er fördert, wenn er meine Bereitschaft sieht. Der Mensch dreht sich dann nicht mehr um seine eigene Achse, sondern erdenkt daran, wie er anderen helfen kann. Zwecklos und zum Scheitern verurteilt ist allerdings alles, was ohne Jesus angepackt wird (siehe Johannes 15,5b). Die Autoren Wolfgang Baake, *1950, Wetzlar, Industriekaufmann, Theologische Ausbildung im Seminar für Innere und Äußere Mission (Marburg). Geschäftsführer der Konferenz Evangelikaler Publizisten und Leiter der Christlichen Medien-Akademie. Gerhard Besier, *1947, Heidelberg, Dr. theol., Dr. phil. und Dipl.-Psych., ordentlicher Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Letzte Buchveröffentlichung: „Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg - die Anpassung" (C. Bertelsmann, München 1993). Ulrich Eggers, *1955, Cuxhaven, Studium der Theologie und Geografie, Pastor im Bund Freier evangelischer Gemeinden, Redaktionsleiter der Zeitschriften „Family" und „dran". Peter Fischer, '1954, Wetzlar, abgeschlossenes Studium der Theologie und Musikwissenschaft, Chefredakteur Hörfunk beim Evangeliums-Rundfunk. Peter Hahne, *1952, Mainz, Studium der Theologie und Philosophie, Moderator und Redakteur der ZDF-Hauptnachrichtensendung „heute". Mitglied des Rates der EKD und des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz. Edgar Sebastian Hasse, *1960, Hamburg, Studium der Theologie in Leipzig. Bis Mitte 1994 Theologischer Redakteur beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt, jetzt Redakteur in der Heinrich-Bauer-Verlagsgruppe. Rolf Hille, *1947, Tübingen, Studium der Theologie, Dr. theol., Studienleiter am Albrecht-Bengel-Haus (Tübingen), Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und des Arbeitskreises für evange-likale Theologie. Peter Kollmar, *1946, Hannover, Studium der Theologie, Oberkirchenrat im Kirchenamt der EKD, Referent für Publizistik und Pressesprecher der EKD. Klaus Krämer, *1958, Wiehl, ausgebildeter Schreiner und Journalist. Beim Auslandssender Deutsche Welle in Köln Hörfunkredakteur für das Ressort „Religion und Ethik". Hanni Lützenbürger, *1924, Siegen, Schriftstellerin, von 1962 bis 1985 Redakteurin beim ERF. Autorin des ersten Buches über diese Radioarbeit: „... aber Gottes Wort ist nicht gebunden" (1977). Helmut Matthies, *1950, Siegen, Diakoniewissenschaftliches Diplom, Pfarrer, seit 1978 Leiter der Nachrichtenagentur idea und Geschäftsführer des Christlichen Anzeigen-Verlages (Wetzlar). Henning Röhl, *1943, Leipzig, Studium der Philosophie, Geschichte und Germanistik, Fernsehdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks, Koordinator für das ARD-Familienprogramm, 1988 bis 1991 Erster Chefredakteur ARD-Aktuell (Tagesschau/Tagesthemen). Klaus Rösler, *1957, Wetzlar, Redakteur bei der Tageszeitung „Neue Westfälische" in Minden, seit 1984 Redakteur bei idea. Uwe Siemon-Netto, *1936, Berlin/New York, Doktor der Theologie und Religionssoziologie. Ausländskorrespondent in England, Frankreich, den USA und Ostasien sowie Kriegsberichterstatter in Vietnam und Nahost, später Chefredakteur. Hans Steinacker, *1932, Witten, seit 1964 Verlagsleiter des Aussaat Verlages und von 1981 bis 1994 des Brendow Verlages, jetzt freier Publizist und Verlagsberater. Stephan Volke, *1961, Kamp-Lintfort, Journalist und Verlagsleiter des Brendow Verlages (Moers), zuvor Chefredakteur der Monatszeitschrift „Neues Leben" und der Musikzeitschrift IXX. Jürgen Werth, *1951, Wetzlar, Redakteur bei der Westfälischen Rundschau, seit 1973 beim Evangeliums-Rundfunk (Wetzlar), seit 1994 Direktor des ERF-International. Auch bekannt als Liedermacher. Wilhelm Ernst Winterhager, *1949, Berlin, Studium der Geschichte, Anglistik und Theologie, Promotion und Habilitation in Neuerer Geschichte, Privatdozent an der Freien Universität Berlin, Mitglied der berlin-brandenburgischen Synode. Noch nie haben so viele Menschen so viel zu lesen, zu hören und zu sehen bekommen wie heute. Noch nie gab es eine solche Fülle von Radio- und Fernsehprogrammen, Wochenzeitungen und Magazinen. Jeder Deutsche sieht beispielsweise im Durchschnitt 18 Stunden pro Woche „fern". Von all dem sind auch die Kirchen, ist jeder einzelne Christ betroffen. Doch wie soll er sich gegenüber den Massenmedien verhalten - resignierend, reagierend oder gar agierend? Gibt es so etwas wie eine christliche Medien-Ethik? Mit diesem Buch werden Medienangebote der evangelischen Kirchen und evangelikale Alternativen analysiert sowie Trends in Presse, Funk, Fernsehen und Verlagen hinter fragt. Eine Bilanz protestantischen Medien Schaffens in den 90er Jahren. ISBN 3-7655-5724-2