Predigt im Volkshaus

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Jesus flieht vor dem sicheren Tod (Matthäus-Evangelium 2,13-18)

Einleitende Gedanken

Wir befinden uns in einer Serie über die Jugendjahre von Jesus. Beim ersten Teil beschäftigten wir uns mit dem ersten Besuch von Jesus im Tempel in Jerusalem. Jesus war damals einen Monat alt, also immer noch ein Säugling. Über diesen Besuch im Tempel berichtet uns das Lukasevangelium und schliesst mit der Bemerkung ab: „Als Josef und Maria alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn verlangte, kehrten sie nach Galiläa in ihre Heimatstadt Nazaret zurück.“ Lk.2,39. Diese Aussage erweckt den Eindruck, dass Maria und Joseph kurz nach dem Besuch im Tempel die Koffer packten, ihren Esel beluden und nach Nazaret zurückreisten. Aber so war das nicht, denn der Abschnitt, den wir heute betrachten werden, berichtet, dass Josef mit seiner Familie nach Ägypten fliehen musste und sie erst viel später nach Nazaret zurückkehrten. Zuerst, wie wir nächsten Sonntag sehen werden, wollten sie dann zurück nach Betlehem, entschieden sich jedoch aus Sicherheitsgründen nach Nazaret zu ziehen. Also – nun stellt sich für manche die Frage, ob wir zwischen den Berichten von Matthäus und Lukas einen der vielbeschworenen Widersprüche in der Bibel vorliegen haben. Natürlich könnte man diese Unterschiede als einen Widerspruch deuten. Ernsthaft möglich ist diese Deutung nur, wenn jemand mit der Struktur, Gestalt und Besonderheit der Bibel nicht vertraut ist. In der Bibel wird uns keine fortlaufende Geschichte erzählt, die auf der ersten Seite beginnt und auf der letzten Seite zum Höhepunkt kommt. Die Bibel ist weder ein Roman noch ein Krimi. Sie ist auch kein Buch mit unzähligen Lehrsätzen, Weisheiten und religiösen Vorschriften. Die Bibel ist eine Sammlung von 66 unterschiedlichen Büchern, die alle in besonderer Weise innerlich miteinander verbunden sind. 39 Bücher gehören zum Alten Testament und 27 Bücher zum Neuen Testament. Die Bücher wurden von ca. 40 Autoren verfasst, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Ländern geschrieben. Sie beinhalten Erzählungen, Augenzeugenberichte, Gedichte, Weisheitssprüche, Gebete, Briefe usw. Die meisten von uns wissen, dass es vier Evangelien gibt: Matthäus-, Markus-, Lukas- und das Johannesevangelium, das sich von den ersten drei stark unterscheidet. Jedes dieser Evangelien berichtet über die Zeit, als Jesus auf dieser Erde war bis zu seiner Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt. Jeder Autor hatte eine bestimmte Absicht, mit der er diese Ereignisse niederschrieb. Jeder Autor schrieb das Evangelium nicht einfach so, dass es einfach niedergeschrieben ist, sondern er schrieb es für irgendjemanden, der ihm bekannt war. Es gäbe viel über das Leben von Jesus zu berichten. Darauf weist uns Johannes zum Schluss seines Evangeliums hin. Er schreibt: „Es gäbe noch vieles andere zu berichten, was Jesus getan hat. Wenn alles einzeln aufgeschrieben würde – ich glaube, die Welt wäre zu klein, um all die Bücher zu fassen, die man dann schreiben müsste.“ Joh.21,25. Es blieb den Autoren gar nichts anders übrig, als eine Auswahl zu treffen. So berichtet weder das Markus- noch das Johannesevangelium über die Ereignisse um die Geburt von Jesus. Und bei Matthäus und Lukas unterscheiden sich die Berichte über die Geburt von Jesus enorm. Nicht so, dass sie sich widersprechen würden, aber so, dass sie nicht dieselben Ereignisse beschreiben. Von Matthäus erfahren wir nichts über die Volkszählung und die Reise von Josef und Maria nach Betlehem. Auch die Engel, die den Hirten auf dem Feld erschienen waren, werden von ihm nicht erwähnt. Matthäus berichtet kurz und knapp, nachdem der Engel Joseph im Traum erschienen war und ihm mitteilte, dass das Kind von Maria vom Heiligen Geist empfangen sei und er Maria nicht verlassen solle, folgendes: „Als Josef aufwachte, folgte er der Weisung, die ihm der Engel des Herrn gegeben hatte, und nahm Maria als seine Frau zu sich. Er hatte jedoch keinen Verkehr mit ihr, bis sie einen Sohn geboren hatte. Josef gab ihm den Namen Jesus.“ Mt.1,24–25. Auch der erste Besuch von Jesus im Tempel ist bei Matthäus kein Thema. Seine Erzählung fährt mit der Geschichte der Weisen aus dem Morgenland weiter, die sich erst einige Monate nach der Geburt von Jesus ereignete. Nun, wenn Lukas seine Erzählungen über die Berichte der Geburt von Jesus mit der Reise nach Nazaret abschliesst, bedeutet das nicht, dass er keine Kenntnis über die Flucht nach Ägypten hatte. Er hatte sich einfach dafür entschieden, diesen Teil der Geschichte wegzulassen, d.h. über den Umweg nach Nazaret nichts zu sagen. Solche Entscheidungen treffen wir immer, wenn wir Geschichten erzählen. Wenn ich über meine theologische Ausbildung spreche, sage ich meistens, dass ich in Giessen an der Freien theologischen Akademie studiert hätte. In Wirklichkeit habe ich zuvor noch zwei Jahre an einer anderen Ausbildungsstätte, in Seeheim, studiert. Wenn ich meine Zeit in Seeheim nicht erwähne, dann ist das, was ich sage nicht unwahr und auch nicht irreführend. Es ist oft überflüssig, das zu erwähnen. Erzähle ich hingegen die Geschichte meiner Familie, dann wäre die Zeit in Seeheim sehr wichtig, denn dort wurde unsere zweite Tochter Sara geboren. Hingegen wäre es für meine Familiengeschichte nicht wichtig, dass wir noch vier Jahre in Giessen lebten. Das nächste grosse Familienereignis war unser Sohn, der dann aber in der Schweiz zur Welt kam. Ich würde dann erzählen: «Wir zogen nach Seeheim in Deutschland, bekamen dort unsere zweite Tochter und als wir in die Schweiz zurückkehrten, wurde unser Sohn geboren.» Die vier Jahre in Giessen sind bei dem, was ich über meine Familie erzählen möchte völlig irrelevant. Je nachdem, was ich berichten will, entscheide ich mich, welche Ereignisse dafür relevant sind. Das machen alle Geschichtenerzähler und so machen es auch die Verfasser der 66 biblischen Bücher. So, jetzt haben wir ein bisschen Bibelkunde gemacht. Zusammenfassend will ich sagen: Matthäus und Lukas widersprechen sich nicht. Sie betonen einfach andere Ereignisse und das hat damit zu tun, dass sie ihre Berichte für unterschiedliche Leute aufgeschrieben hatten. Nun wenden wir uns dem zweiten Teil unserer Serie zu und ich lese zuerst den Abschnitt aus dem Matthäusevangelium Kapitel 2, die Verse 13-18:

Als die Sterndeuter abgereist waren, erschien Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten! Bleib dort, bis ich dir neue Anweisungen gebe. Denn Herodes wird das Kind suchen lassen, weil er es umbringen will.“ Da stand Josef mitten in der Nacht auf und machte sich mit dem Kind und dessen Mutter auf den Weg nach Ägypten. Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. So erfüllte sich, was der Herr durch den Propheten vorausgesagt hatte: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ Als Herodes merkte, dass die Sterndeuter ihn getäuscht hatten, war er ausser sich vor Zorn. Er schickte seine Leute nach Betlehem und liess in den Familien der Stadt und der ganzen Umgebung alle Söhne im Alter von zwei Jahren und darunter töten. Das entsprach dem Zeitpunkt, den er von den Sterndeutern in Erfahrung gebracht hatte. Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia vorausgesagt worden war: „Ein Geschrei ist in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr da.“ Mat.2,13-18.

I.                   Asyl in Ägypten

Als die Weisen aus dem Morgenland in Jerusalem erfahren hatten, wo sie den König der Juden finden können, forderte Herodes sie auf, ihm zu berichten, wo genau sich dieser König aufhält. Er wolle ihm dann seine Ehre erweisen. Aber Gott befahl den Weisen in einem Traum, nicht zu Herodes zurückzukehren. So reisten sie auf direktem Weg zurück in ihre Heimat. Kaum hatten die Weisen das Land verlassen, erschien Josef im Traum der Engel Gottes und sagte ihm: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten! Bleib dort, bis ich dir neue Anweisungen gebe. Denn Herodes wird das Kind suchen lassen, weil er es umbringen will.“ Mt.2,13. Dieses Vorhaben, Jesus zu töten, entbehrt nüchtern betrachtet jeder Vernunft. Wie sollte dieses Kind das Königreich des Herodes in Gefahr bringen? Herodes wurde vom römischen Kaiser zum König der Juden ernannt und eingesetzt. Diese Stellung konnte man ihm nicht einfach wegnehmen. Der römische Kaiser hätte keinen selbsternannten König akzeptiert. Er hätte sofort seine Armee in Israel verstärkt und den Aufstand niedergeschlagen. Aber Herodes lebte in ständiger Angst, jemand könnte ihm den Thron streitig machen, deshalb liess er immer wieder Menschen töten, selbst seine eigenen Söhne. Er muss wie einer in Art Verfolgungswahn gewesen sein. Jedenfalls trifft das Sprichwort «Der wird vom Teufel geritten» 100%ig auf ihn zu. Der Teufel, der Widersacher Gottes unternahm alles, um Jesus zu beseitigen. Er wollte die Rettungsaktion Gottes mit allen Mitteln verhindern. Herodes in seiner blindwütigen Herrschsucht und seinem Verfolgungswahn war für den Teufel ein hervorragendes Instrument, um seinem Ziel näher zu kommen. Aber Gott war fest entschlossen die begonnene Rettungsaktion zu Ende zu bringen. Deshalb musste Jesus in Sicherheit gebracht werden, denn nur sein Sohn, der sündlos war, konnte das Problem unserer Schuld lösen. Wäre Jesus getötet worden, hätte Gott ihn nicht einfach durch einen anderen Menschen ersetzen können. Nur Jesus, der Sohn Gottes, kann uns retten. Nur der Sündlose konnte stellvertretend für unsere Sünden sterben. Nun - Josef reagierte sofort auf die Anweisung des Engels. „Josef stand mitten in der Nacht auf und machte sich mit dem Kind und dessen Mutter auf den Weg nach Ägypten.“ Mt.2,14. Übrigens wurde damals Ägypten, wie Israel, vom römischen Reich verwaltet und beherrscht. Wir sehen hier auf dieser Karte wie gross und einflussreich das mächtige Rom zu jener Zeit war. So floh Josef mit seiner Familie nach Ägypten, in das Land, in dem sich die Israeliten einst vor dem drohenden Hungertod in Sicherheit bringen mussten. In Ägypten fand diese kleine Familie Schutz. Sie blieben dort, bis Herodes starb. Matthäus sah in diesem Ereignis die Erfüllung einer prophetischen Aussage: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ Mt.2,15. Das schrieb der Prophet Hosea: „Als Israel jung war, hatte ich ihn lieb und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten.“ Hos.11,1. Hosea bezeichnete hier das Volk Israel als Gottes Sohn. Mit dem Hinweis auf diese Aussage will Matthäus sagen, dass Jesus auf eine einzigartige Art und Weise Gottes Sohn ist und sich in ihm das Volk Gottes vollständig verkörpert. Oder anders gesagt: Alles, was Gott seinem Volk Israel versprochen hatte, findet jetzt in Jesus seine 100%ige Erfüllung. Und noch etwas sollte uns zu denken geben. Jesus war ein Flüchtling. Er wurde verfolgt und deshalb aus seiner Heimat vertrieben. Das Schicksal vieler Menschen heute und ein Schicksal vieler Christen, die wegen ihrem Glauben an Jesus vertrieben werden. Für uns ist das auch ein Hinweis, dass wir als Christen die heutige Flüchtlingsproblematik sorgfältig beurteilen sollten und wir sollten uns bestimmt nicht in blindem Fanatismus gegen alle Flüchtlinge stellen. Auch wenn wir uns das jetzt nicht vorstellen können, könnten wir auch einmal zu den Flüchtlingen gehören.

II.                Lautes Weinen in Betlehem

Während Jesus mit seinen Eltern nach Ägypten floh, ereignete sich Abscheuliches in Betlehem und den umliegenden Orten. Als Herodes merkte, dass er von den Weisen getäuscht worden war und sie ohne ihm Bericht zu erstatten, abgereist waren, glühte er vor Wut! Erstaunlich ist, dass er die Weisen allein nach Betlehem reisen liess. Er hätte einige Soldaten unter dem Vorwand des Begleitschutzes mitschicken können. Aber Gott hielt mit Sicherheit seine schützende Hand über seinem Sohn. Blind vor Wut veranlasste Herodes schreckliches. „Er schickte seine Leute nach Betlehem und liess in den Familien der Stadt und der ganzen Umgebung alle Söhne im Alter von zwei Jahren und darunter töten.“ Mt.2,16. Übrigens ein Vorgehen, das im römischen Reich bereits ein Vorbild hatte. Bevor Octavian, der spätere grosse und mächtige Kaiser Augustus, geboren wurde, also ca. 60 v.Chr., machte in Rom das Gerücht die Runde, die Natur sei im Begriff, dem römischen Volk einen König zu gebären. Der Senat in Rom erschrak über dieses Gerücht und beschloss, dass in diesem Jahr kein geborenes Kind lebend aufgezogen werden dürfe. Mit anderen Worten: Jedes Kind musste in diesem Jahr nach der Geburt getötet werden. Dieser Senatsbeschluss wurde jedoch nicht ausgeführt, weil die Männer, deren Frauen schwanger waren, diese in der Hoffnung beschützten, dass ihre Frau den zukünftigen König in sich tragen könnte.[1] Das berichtet der römische Schriftsteller Sueton. Leider wurde der Befehl des Herodes ausgeführt. Das war eine weitere seiner unzähligen Gräueltaten, die er während seiner Regierungszeit veranlasste.  Die Bevölkerung von Betlehem und der Umgegend war damals klein, deshalb geht man davon aus, dass ungefähr 10 bis 20 Kinder getötet wurden. Für die betroffenen Familien ein unbeschreiblicher Schmerz, dem Matthäus mit Bezug auf ein prophetisches Wort Ausdruck gibt: „Ein Geschrei ist in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr da.“ Mt.2,18. Rahel, die Lieblingsfrau von Jakob, galt als Muttergestalt des Volkes Israels. Als Jeremia das aufgeschrieben hatte, war Rahel bereits gestorben. So erzählte Jakob: „Als ich aus Mesopotamien kam, starb mir Rahel im Land Kanaan auf der Reise, als noch eine Strecke Weges war nach Efrata, und ich begrub sie dort an dem Wege nach Efrata, das nun Betlehem heisst.“ Gen.48,7. Diese Grabstätte lag ca. 8 km nördlich von Jerusalem. Jeremia verwendet hier eine bildliche Sprache, denn Rahel beweint ihre Kinder, das Volk Israel, als diese an ihrem Grab vorbei in die Gefangenschaft geführt wurden. Es ist so, wie wenn wir heute sagen, dass sich noch jemand im Grab umdrehen würde. Jeremia sagt, dass Rahel weinen würde, würde sie sehen, wie ihr Volk in die Gefangenschaft geführt wird. Doch ihre Tränen werden sich in Freude verwandeln, denn Jeremia schreibt weiter: „So spricht der Herr: Lass dein Schreien und Weinen und die Tränen deiner Augen; denn deine Mühe wird noch belohnt werden, spricht der Herr. Sie sollen wiederkommen aus dem Lande des Feindes und deine Nachkommen haben viel Gutes zu erwarten, spricht der Herr, denn deine Söhne sollen wieder in ihre Heimat kommen.“ Jer.31,16-17. Matthäus wollte also nicht sagen, dass Gott diese Kindermorde geplant und veranlasst hatte. Er hatte das nicht vorherbestimmt. Die Tötung der Kinder ist das Werk des Widersachers Gottes. Mit dem Hinweis auf das prophetische Wort aus Jeremia will Matthäus auf die höhere Dimension dieses Ereignisses hinweisen. Er will die betroffenen Familien trösten und uns sagen, dass alles gut kommen wird. Ein Kommentator schreibt das so: «Dieses Wort will den Müttern in Betlehem sagen, dass auch ihre Kinder, die um des Messias willen ihr Leben lassen mussten, wiederkommen werden und zwar in der himmlischen Welt.»[2] Weinen und Klagen wird sich in Freude verwandeln. Nicht, dass wir nicht weinen sollen, aber es wird der Tag kommen, an dem wir sehen werden, dass diese Schmerzen ein unumgängliches Übel dieser Zeit waren. Es wird der Tag kommen, an dem sich alles zum Guten wenden wird, wie wir das in der Offenbarung lesen: „Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen! Gott wird in ihrer Mitte wohnen. Er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein. Denn was früher war, ist vergangen.“ Offb.21,3-4. Die betroffenen Familien können in ihrem fürchterlichen Schmerz über dem brutalen Verlust ihrer Kinder ein Licht der Hoffnung erblicken. Sie wissen aus der Geschichte Israels, dass der Weg in die Herrlichkeit oft durch Leid und Schmerz hindurchgeht.

Schlussgedanke

Pfarrer Jürg Birnstiel, 28. Januar 2018

 
Auf zwei Punkte möchte ich noch hinweisen. Als Jesus mit seiner Familie nach Ägypten floh, war er vermutlich zwischen ein und zwei Jahre alt. Er war kein Säugling mehr. Das kann man schon bei der Wortwahl im griechischen Text erkennen, denn bei den Berichten über die Geburt wird von einem Säugling gesprochen und im Bericht, den wir eben angeschaut haben, wird von einem kleinen Kind gesprochen. Wäre Jesus noch ein Säugling gewesen, dann hätte Herodes nicht alle Kinder bis zwei Jahre ermorden lassen. Er stützte sich auf die Informationen der Weisen, denn es wird uns berichtet: „Das entsprach dem Zeitpunkt, den er von den Sterndeutern in Erfahrung gebracht hatte.“ Mt.2,16. Und dann möchte ich euch noch darauf hinweisen, dass in den Berichten von Matthäus deutlich sichtbar ist, dass sich sein Evangelium an Menschen richtet, die mit dem Alten Testament vertaut waren, denn er weisst im Gegensatz zu Lukas oft darauf hin, dass sich erfüllt hätte, was geschrieben steht. Einmal im Vers 15: „So erfüllte sich, was der Herr durch den Propheten vorausgesagt hatte.“ Mt.2,15. Und auch im Vers 17: „Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia vorausgesagt worden war.“ Mt.2,17. Es ist schon sehr speziell, dass Jesus, der Sohn Gottes, fliehen musste. Wäre er in Betlehem geblieben, hätte man ihn getötet. Gott hätte doch Herodes töten können. Oder er hätte die Soldaten umkommen lassen können, als sie auf dem Weg nach Betlehem waren, um die Kinder zu töteten. Doch Gott befiehlt Josef, er soll mit seiner Familie fliegen. Hier öffnen sich viele Fragen, die wir jetzt natürlich nicht beantworten können. Doch eines wird uns dadurch deutlich gezeigt: Diese Welt ist nicht unsere Heimat. Was wir hier schon zu Beginn des Lebens von Jesus sehen, gilt auch für uns. Im Hebräer wird das so ausgedrückt: „Hier auf der Erde gibt es keinen Ort, der wirklich unsere Heimat wäre und wo wir für immer bleiben könnten. Unsere ganze Sehnsucht gilt jener zukünftigen Stadt, zu der wir unterwegs sind.“ Hebr.13,14. Sind wir uns dessen bewusst, dass wir in die zukünftige Stadt unterwegs sind? Sind wir uns bewusst, dass wir uns auf dieser Erde das Paradies nicht errichten können? Unsere Zukunft ist die zukünftige Stadt: die neue Erde, der neue Himmel, das neue Jerusalem. Glücklich zu schätzen ist jeder, der das nie aus den Augen verliert! Und diese Flucht nach Ägypten zeigt uns das in aller Deutlichkeit, denn wenn selbst der Sohn Gottes vertrieben werden kann, dann kann das auch uns unser Schicksal werden. Und auf dem Weg zu dieser Stadt gilt folgendes: „Durch Jesus wollen wir Gott ein immer währendes Dankopfer darbringen: Wir wollen ihn preisen und uns zu seinem Namen bekennen.“ Hebr.13,15.



[1] Sueton: Cäsarenleben, Augustus 94.

[2] Wuppertaler Studienbibel, Matthäus, S. 27.