Über den Straßen baumeln die Lichtgirlanden. An Plätzen wehen die Tannenwedel. Im Kaufhaus drängen sich tütenschwenkende Massen. Zwischendrin sind auch wir eingekeilt und schnappen nach preisgünstigem Gruscht. Die Zeit im Advent verrinnt. Die Spannung vor dem Fest wächst. Die Ungeduld mit den Zeitgenossen macht sich breit. Endlich kommt Weihnachten: Das wird es sein! Das muss es sein! Jetzt kommt es echt! Aber außer echtem Firlefanz kommt echt nichts. Enttäuscht pusten wir die Kerzen aus. Soll sich ärgern, wer will. Das war wieder ein Schlag ins Wasser.
Wer an der falschen Straße steht, blickt nichts. Diese Erfahrung müssen wir nicht immer machen. Deshalb gibt die Bibel bekannt: Sie stehen am falschen Platz, wenn Sie sich nur irgendwo plazieren. Der Gast nimmt einen andern Weg, weil er sich die Route nicht vorschreiben lässt. Gehen Sie an die richtige Straße! Genau die aber ist näher bezeichnet, nämlich die B1 nach Bethphage, dann die B2 nach Jerusalem und schließlich die B3 zum Ölberg; sicher keine Fahrspur für Vierzylinder mit 200 PS, sondern mehr Kriechspur für Vierhaxer mit 1 Ps, aber eben doch die Laufspur unseres ankommenden Herrn. Wer dort steht, blickt's, wenn auch mit einigen faustdicken Überraschungen.
An der B1 nach Bethphage gibt's nämlich herben Schmerz. Jüdische Bauersleut wohnen dort, die mit nordamerikanischen Großfarmern oder südafrikanischen Plantagenbesitzern so wenig zu tun haben wie der Adventskranz mit Sommerferien.
Ihr Hof ist ein Einzimmerappartement in Lehmbauweise, wo der einzige Raum als Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Stall zugleich dient, also eine Wohnwaschküche mit Tierzuchthaltung. In Bethphage, zu deutsch: Feigenhausen, blitzt die Armut aus allen Fugen. Deshalb sind die Leutchen auch so mächtig stolz auf ihren reitbaren Untersatz. Sie haben es bis zum Esel gebracht. Morgens ist er Schlepper und trabt auf das Feld, mittags ist er Lkw und trottet zum Basar hinüber, und abends ist er Omnibus und schaukelt die Familie durch die Gegend. Dieses Allzweckvehikel ist ein unersetzliches Wertobjekt für diese Bauersleute.
Was Wunder, dass sie aus dem Lehmhäuschen kommen, als zwei unbekannte Typen sich am Halfter des Tieres zu schaffen machen: Warum bindet ihr das Füllen los, obwohl es noch gar nicht ausgewachsen ist? Warum bindet ihr das Füllen los, obwohl wir nur dieses einzige besitzen? Warum bindet ihr das Füllen los, obwohl dort drüben an Nachbars Feigenbaum auch eines grast? Warum bindet ihr ausgerechnet das Füllen los? Aber die Männer sagen nur: Der Herr bedarf's -und damit ist die Sache gelaufen, bzw., das Füllen weggelaufen. Den Leutchen schmerzt das Herz, aber der Schmerz kann ihren Glauben nicht kratzen: Sein Bedarf geht über unser Bedürfnis.
Nun weiß ich auch, dass bei uns keine Essfeigen gesammelt, sondern nur Ohrfeigen
verteilt werden. Feigenhausen und Zuffenhausen liegen meilenweit auseinander. Trotzdem führt diese B1 auch durch unsere Landschaft. Eltern beispielsweise sind mächtig stolz auf ihr Söhnchen oder ihr Töchterlein. Sie haben es bis zu diesem Esel gebracht. Morgens ist er Schüler trabt in die Penne, mittags ist er Handlager und trottet zum Einkaufen, und abends ist er Chaffeur und schaukelt die Familie zur Oma. Der Allzwecksprössling ist ein unersetzliches Wertobjekt für diese Eheleute. Was Wunder, dass sie an die Decke gehen, wenn jemand diese Jugend für den nebenamtlichen oder hauptamtlichen Dienst Jesu einspannen will. Warum bindet ihr den Jungen, obwohl er noch gar nicht ganz ausgewach-sen ist? Warum bindet ihr das Mädchen, obwohl wir nur dieses einzige besitzen? Warum bindet ihr den Studenten, obwohl die Uni mit anderen überfüllt ist? Warum bindet ihr ausgerechnet den?
Die Bibel sagt: Der Herr bedarf's. Der Herr braucht's. Der Herr will mit euch in die Welt hinein. Ihn tragen, ihm dienen, ihm gehören, das ist keine Eselei, sondern Sinnerfüllung.
Manchen schmerzt dabei das Herz, wenn Abende im Bibelkreis, wenn Sonntage im Gottesdienst, wenn Ferien auf Freizeiten, oder wenn ein ganzes Leben auf Missionsstationen verbracht werden, aber dieser Schmerz darf doch den Glauben nicht kratzen: Sein Bedarf geht über unser Bedürfnis.
An der B2 nach Jerusalem gibt's bittere Enttäuschung. Jüdische Festpilger stehen dort, die aus dem Staunen nicht herauskommen. Eine Reisegruppe aus Kana weiß zu berichten, dass dieser kommende Jesus einer ganzen Hochzeitsgesellschaft aus der Patsche geholfen habe. Er könne pures Wasser in reinen Riesling oder besten Trollinger verwandeln.
Andere aus Tiberias erzählen immer wieder, dass dieser Wundermann 5000, jawohl, 5000 gestandene Leute vor dem Hungertod in der Wüste bewahrt habe. Er könne mit einer Sardinenbüchse und einem Ranken Brot leere Mägen randvoll füllen.
Und dann tauchen noch die Bethanier mit brandaktuellen News auf, dass dieser Superus das Grab eines Lazarus ausgeräumt habe.
Er könne einen Leichnam wieder auf die Beine stellen. Das ist der Hammer. Wenn einer nicht nur den Durst stillt, wenn einer sogar den Tod im Griff hat, dann ist er das As, dann gehört ihm alle Ehre, dann muss er wie ein König empfangen werden. Alte schnaufen Richtung Tor und winken mit den Händen. Junge rupfen Bäume und wedeln mit den Zweigen. Einer stimmt den alten Messiashymnus an, und die andern fallen mit ein: »Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.«
Und dann kommt er, aber nicht auf dem höchsten Kamel, nicht auf dem größten Streitwagen, nicht auf dem stärksten Araberpferd! Jesus kommt auf einem beschlagnahmten Esel. Das ist ungefähr so, wie wenn der amerikanische Präsident auf einem Mofa käme oder der Kanzler auf dem Fahrrad. Hätte er doch eine Karosse benutzt, hätte er doch ein Schlachtross bestiegen, hätte er doch wenigstens sich von einigen Anhängern auf die Schultern nehmen lassen - aber auf dem Rücken eines Esels - wie ein schäbiger Feigenhändler! Das darf doch nicht wahr sein. Das kann doch nicht wahr sein. Das ist ein peinliches Missverständnis.
Die Festpilger erinnern sich nicht: »Siehe, dein König kommt auf einem Eselsrücken.« Die Hosiannajubler verstehen nicht: »Selig sind die Sanftmütigen.« Und wir kapieren nicht, dass hier endlich einer ist, der nicht imponieren will, sondern helfen.
Sich oben hinsetzen, wollen viele. Sich aufs hohe Ross schwingen, tun viele. Sich gerne
beklatschen lassen, machen viele. Aber wir brauchen doch einen, der uns nicht als Stimmvieh verschleißt oder als Steigbügel verwendet oder gar als Kanonenfutter verbraucht. Wir brauchen doch einen, der uns wirklich sieht und der uns ehrlich liebt. Wir brauchen doch einen, der selbst dann noch zu uns steht, wenn es uns ganz dreckig geht. Deshalb kommt Jesus auf dem Armentier zu dir. Sicher kannst du dich dieses »Bettelkönigs«, wie Luther sagte, schämen, ihm sogar ins Gesicht spucken und noch eine Dornenkrone dazu flechten. Aber willst du dich nicht besser von Herzen mitfreuen, ihm die Hände entgegenstrecken und in die Bitte mit einstimmen: »Komm, o mein Heiland Jesu Christ, mein's Herzens Tür dir offen ist«?
An der B3 zum Ölberg gibt's giftigen Ärger. Jüdische Theologen stehen dort, die sich über diese Demo mächtig aufregen. Was gibt das für eine Lärmbelästigung, wenn Runde und Dürre den Schnabel aufreißen? Was gibt das für ein Baumsterben, wenn Barfüßler und Hochgestöckelte die Palmbäume plündern? Was gibt das für eine Umweltverschmutzung, wenn Langhaarige und Ungewaschene ihre Jeansjacken durch die Luft schmeißen? Wir müssen doch nicht auch noch Krach machen, sondern für Verkehrsberuhigung sorgen! Wir müssen doch nicht auch noch brüllen, sondern den Dezibel-Pegel senken. Wir müssen doch nicht aufregen, sondern beruhigen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Den Pfarrern platzt vor Wut das Beffchen.
Und Jesus sagt: Wenn ihr denen den Mund verbietet, dann gebiete ich's den Pflastersteinen: der adventliche Jubelruf darf nicht verstummen. Dort also läuft die B3, wo Leute den Mund nicht mehr halten können über dem Schrei: Er kommt! Dort also stehst du richtig, wo Leute das Signal weitergeben: Er kommt! Dort ist die wahre Friedensdemo im Gange, wo Leute für Jesus marschieren: Er kommt!
Und wenn weitere Christenverfolgungen in Äthiopien kommen: Er kommt!
Und wenn schlimmere Rassenkrawalle in Südafrika kommen: Er kommt! Und wenn grausamere Nachrüstungen in Europa kommen: Er kommt! Und wenn tiefere Niederschläge in meinem persönlichen Leben kommen: Er kommt!
Er kommt bestimmt! Sein Advent findet statt. -Deshalb stehe nicht am falschen Platz. Jesus nimmt die B1 bis 3. Auch wenn es Schmerz, Enttäuschung und Ärger gibt, komm mit an die richtige Straße!
Ein Wort ging mir durch Mark und Pfennig: Nein! Da bitten zwei: Bitte, lasst mich rein! Und die rufen: Nein! Da betteln zwei: Bitte, lasst mich rein! Und die schreien: Nein!
Warum rufen sie das? Warum schreien sie das? Warum eigentlich?
Ich muss es euch erklären.
Geht mit mir in das Heilige Land. Im südlichen Teil, unten in den judäischen Bergen liegt Bethlehem, ein ganz kleines Kaff. Und dort gleich am Ortseingang, hinter einem großen Feigenbaum steht das kleine Gasthaus. Natürlich ist das kein rausgeputztes Nobelhotel, sondern eine aufgemotzte Landkneipe. Oben hängt das Schild: Zum goldenen Ochsen. Unten hängen ein paar Ringe zum Pferdeanbinden und hinten sind die vereinigten
Hüttenwerke angehängt. Innen gibt es eine verrauchte Wirtsstube, drei verdreckte Gastzimmer und 12 Betten. Die aber sind rammelvoll. Schon am Vorabend kam eine fünfköpfige Familie mit Oma, Hund und Katz.
»Nehmen Sie Zimmer 1«, sagte der Wirt. »Schieben Sie die Betten zusammen, und legen Sie sich quer, dann reicht's schon.« Als Mann vom Fach wusste er wohl, dass bei solchen Volkszählungen und Steuererhebungen eine Katastrophe kaum zu vermeiden ist.
Dann ging's auch am anderen Morgen richtig los. Ein Fuhrwerk mit allen Maiers von Jerusalem drauf ratterte in den Hof. »Nehmen Sie Zimmer 2«, sagte der Wirt. »Sieben auf, sieben unter und sieben neben den Betten. Alles o. k.! Platz ist in der kleinsten Hütte.«
Um die Mittagszeit sorgte dann eine ganze Karawane mit allen Müllers aus Kapernaum für eine nicht geringe Aufregung. Aber der Wirt blieb cool: »Nehmen Sie Zimmer 3. Belegen Sie Tische, Schränke, Fenstersims und Türschwellen. Der Rest von elf kommt noch in Zimmer 1.«
Dann war der »Goldene Ochse« dicht. Die Wände kippten beinahe aus dem Winkel. Hoffentlich lupft's nicht das Dach. Unser Wirt knotete das Schild ans Tor: »Kein Zimmer frei! Jeder Zentimeter besetzt!«
Aber kaum lehnte er wieder hinterm Schanktisch, da flöteten noch zwei auf dem Esel: »Bitte, lasst uns rein!« »Nein!« rief der Wirt, »die Bude ist voll!«
»Nein!« schrieen die gepressten Leute: »Die Kneipe platzt aus den Nähten.«
»Nein!« tönte das ganze Haus im Chor: »Andere Herrschaften haben das Haus besetzt.«
So war das nicht nur im dortigen Gasthaus, so ist das auch in unserem Lebenshaus. Andere Herrschaften haben das Haus besetzt. Da ist die Herrschaft der Angst. Vielköpfig zieht sie bei uns ein. Angst vor dem Krieg. Angst vor der Atombombe. Angst vor dem Giftgas. Da ist die Herrschaft der Sorge. Viele Winkel hat sie belegt. Sorge um das kranke Kind. Sorge um die alte Großmutter. Sorge um die eigene Gesundheit. Da ist die Herrschaft des Schmerzes. Schmerz über den Tod des Vaters. Schmerz über die kaputte Familie. Schmerz über den ausgezogenen Sohn. Und dann sind es noch andere Herrschaften, ganz miese Typen, die unter dem Sammelbegriff Sünde sich bei uns einnisten. Nein, unser Lebenshaus ist dicht.
Aber Jesus sagt: Bitte, lasst mich rein! Mit diesen Herrschaften werdet ihr nicht glücklich! Ich will bei euch wohnen!
Was sollen wir tun?
Es gibt nur eine Möglichkeit, Freunde. Ihm die Türe aufmachen. Ihn freundlichst hereinbitten. Ihm deutlich sagen: Herr, mach du dir selber Platz! Genau das will er tun. Wo er zur Tür hereinkommt, da geht die Sünde durchs Fenster. Wo er sich einquartiert, haben alle anderen Herrschaften kein Hausrecht mehr. Wo er ist, wird's fröhlich.
Bei dir muss es auch fröhlich werden, deshalb rufe nicht: Nein!, sondern sage, bitte, bettle: Ja! »Süßer Immanuel, werde auch in mir nun geboren, komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren.«
Sie kamen eilend. Sie liefen keuchend. Sie hatten's pressant, die Hirten von der Gemarkung Bethlehem. Warum auf einmal diese Eile. Normalerweise schliefen sie auf ihren Fellen. Üblicherweise lehnten sie auf ihren Stöcken. Gewohnterweise schlenderten sie um ihre Pferche. Warum auf einmal diese Hetze? Christabend ist Feierabend. Warum auf einmal dieser Stress? Wenn ich damals Pastor gewesen wäre, zu deutsch Hirte, der nach seinen Schäflein schaut, dann hätte ich diesen Kollegen ins Gewissen geredet: »Habt ihr denn kein Zeitgefühl? Nachts rast man nicht durch die Gegend. Hirten sind keine Roboter. Wer den ganzen Tag auf den Beinen ist, legt sich bei Nacht aufs Ohr. Es geht nicht an, durch ständiges Pressieren seinen Körper zu ruinieren. Keiner will doch einen Herzinfarkt. Denkt an eure Gesundheit!«
Aber die Hirten kamen eilend. Dann hätte ich weiter argumentiert: »Habt ihr denn kein Pfichtgefühl? Nachts haut man nicht einfach ab. Hirten sind keine Unternehmer. Wer zur Nachtschicht eingeteilt ist, kann nicht auf die Schnelle ein paar Freistunden einschieben. Es geht nicht an, durch unerlaubte Entfernung vom Arbeitsplatz seine Präsenzpflicht zu versäumen. Keiner will doch seine Entlassungspapiere. Denkt an eure Pflicht!«
Aber die Hirten kamen eilend. Schließlich hätte ich meine letzte Stichkarte gezogen und gesagt: »Habt ihr denn kein Anstandsgefühl? Nachts macht man keinen
Geburtstagsbesuch. Hirten sind keine Stoffel. Wer nicht am Spätvormittag oder Spätnachmittag aufkreuzen kann, schickt einen Blumenstrauß. Ein Hirtenbub kann wohl einmal Fleurop spielen. Es geht nicht an, durch nächtliche Überfälle eine Wöchnerin zu belästigen. Keiner will doch eine Nachtruhestörung. Denkt an euren Anstand!«
Aber sie kamen eilend. Sie liefen keuchend. Sie hatten es eilig. Was ist der eigentliche Grund dafür? - Die Antwort ist einfach: Angst, pure Angst. Aus Angst konnten sie keinen Schlaf finden. Aus Angst ließen sie die Tiere im Stich. Aus Angst platzten sie mitten in den Stall hinein. Bitte, das war nicht die Angst vor der Nacht. Die Nacht war in dieser Jahreszeit immer finster. Es war nicht die Angst vor dem Licht. Hirten waren Wetterleuchten gewohnt. Es war nicht die Angst vor dem Wolf. Mit Raubtieren machten sie kurzen Prozess.
Hirten hatten Angst vor anderen. Menschen machten ihnen zu schaffen. Die Heilande der Welt jagten ihnen den Schrecken ein. Wohl war auf jeder Münze in ihrer Felltasche eingeprägt: »Augustus, Wohltäter und Erlöser!« Wohl war auf jeder Siegessäule in den Städten eingemeißelt: »Augustus, Preis dem Weltheiland, dem Gott auf Erden!« Wohl war es bis auf die entlegensten Fluren gedrungen: »Augustus, der ewige Friedenskaiser!«
Aber die Wirklichkeit im Dorfleben sah anders aus. Weil der Kaiser Geld für seine Kriege brauchte, deshalb, und so ist es in einer alten Urkunde nachzulesen: »waren Plätze und Straßen von Herden und Familien verstopft, überall hörte man das Schreien derer, die mit Folter und Stockschlägen verhört wurden. Man spielte die Söhne gegen die Väter aus und presste die treuen Sklaven zu Aussagen gegen ihre Herren, die Frauen gegen ihre Männer. Es gab keine Rücksicht auf Alter und Gesundheitszustand, selbst Kranke wurden herbeigeschleppt und abgezählt.«
So sind sie bis heute alle geblieben, diese Großen der Welt, die Heil proklamieren und Unheil produzieren. So sitzen sie alle an den Schalthebeln der Macht, diese Mächtigen der Welt, die Frieden verkündigen und sich mit Kriegen versündigen. So jagen sie uns den
Schrecken ein, diese Heilande von satanischer Hartherzigkeit.
Und die Hirten entdeckten den Heiland von göttlicher Leutseligkeit. Ein Sohn des Gottes, der nicht weinselig wie Zeus nur mit seinen Getreuen auf dem Olymp bechert, ein Sohn des Gottes, der nicht saumselig wie Buddha nur auf seinem Thron vor sich hinstarrt, ein Sohn des Gottes, der nicht armselig wie Allah nur auf die Einhaltung seiner Gesetze bedacht ist. Nein, ein Sohn des Gottes, der leutselig auf die Erde drängt. Engel und Heerscharen sind ihm nicht genug. Weil er unter die Leute will, deshalb vertauscht er seinen noblen Hofstaat mit der primitiven Bettstatt einer Karawanserei. Weil er nicht standesgemäß denkt, deshalb fürchtet er sich auch nicht vor schlechter Gesellschaft. Weil er Philantrop und nicht Misantrop, weil er Menschenfreund und nicht Menschenhasser ist, deshalb zieht es ihn in unsere Nähe.
Jeder soll seine Freundlichkeit sehen, auch der, der so viel Unfreundlichkeit erlebt. Jeder soll seine Leutseligkeit spüren können, auch der, der an der Gottesferne leidet. Jeder soll seine Herzlichkeit erfahren können, auch der, der in unserer Eiszeit der Herzen friert. Also endlich ein Wohltäter, der wohl und nicht wehe tut. Endlich ein Friedensbringer, der Friede und keinen Streit bringt. Endlich ein Heiland, der heilt und keine neuen Wunden schlägt. Bei ihm bin ich keine Nummer und kein Rädchen. Er degradiert mich nicht zum Kanonenfutter oder Konsumenten. Menschenmaterial und Menschenmasse sind Fremdworte im Reiche Gottes. Er kennt nur Geschöpfe, Kinder, unvertauschbare Persönlichkeiten, denen er mitten in ihre Angst hinein persönlich zusagt: Euch ist heute der Heiland geboren. Euch ist heute der Retter geboren. Euch ist heute der Herr geboren, der stärker ist als alle Augustusse, alle!
Hätten die Hirten warten und Feuer machen sollen? Hätten die Hirten abwarten und Tee trinken sollen? Hätten die Hirten aufwarten und mit Lammkeule und Kräuterschnaps feiern sollen?
Wer Jesus entdeckt, wird sich nicht mit allen Köstlichkeiten zudecken. Wer Christus ausmacht, wird sich nicht mit allerlei Plunder abmachen. Wer dieses Licht sieht, bleibt nicht unter dem Lichterbaum sitzen. Christ, der Retter ist da! Deshalb: den Hirten nach, heraus aus der Angst, hinüber zum Stall, hinein zum Kind, eilend!
Eine große Menschenmenge drängt sich neugierig um drei aufgerichtete Kreuze. Drei Verbrecher sollen hingerichtet werden, und jeder in der Stadt weiß, um wen es sich handelt. Einer von ihnen ist Jesus von Nazareth, der »Judenkönig«. In Scharen strömen die Menschen dem Hügel Golgatha zu. Der Bürgermeister, der Stadtdirektor, der ganze Stadtrat gibt sich ein Stelldichein. Auch geladene Gäste sind dabei: der Direktor der Stadtwerke, der Chef der Brauerei, der Pfarrer, der Vorsitzende des CVJM, die Leiterin des Frauendienstes, der erste Vorturner, der Leiter der Deutschen Bank, zwei Staatsminister und wahrscheinlich noch mehr. Aber die kann ich im Augenblick nicht sehen.
Jetzt geht ein Geraune durch die Menge, die eine breite Gasse bildet. Und durch diese Gasse kommt er. Ich sehe ihn, und es versetzt mir einen Stich. Ich müsste jetzt hervortreten, müsste rufen: Das könnt ihr doch nicht machen! Ihr könnt doch nicht einen Mann umbringen, der so viel Gutes getan hat! Das ist doch Jesus, den ihr alle kennt!
Aber nichts geschieht. Ich bleibe ruhig da stehen, wo ich stehe, und sehe ihn immer näher kommen. Die Dornen drücken sich in seine Kopfhaut, Blut läuft ihm übers Gesicht.
Er ist fertig. Da nimmt ihm einer das Kreuz ab. Aha, der Simon aus der Bahnhofstraße. Na, der kann das ja auch, denn er ist kräftig. Doch ich fange an, mich zu schämen und an Simons Stelle zu wünschen. Hätte ich nicht...?
Sie gehen an dem Platz vorüber, an dem ich stehe. Er schaut zu mir herüber. Er hat mich gesehen. Jetzt weiß er, dass ich nichts für ihn getan habe; dass ich nur gekommen bin, um mir das Schauspiel anzusehen; dass ich nicht einmal einen Krug Wasser mitgebracht, dass ich ihn nicht gegrüßt habe.
Vorbei. Zu spät. Er ist vorübergegangen, und alles nimmt seinen Lauf. Vorbei, denke ich. Er weiß nicht einmal, dass ich nicht mitgerufen habe: »Kreuzige ihn!«; dass ich immer für ihn war, aber zu einer kleinen Minderheit gehörte; dass ich ihn gern besucht hätte -aber meine Angst, bei ihm gesehen zu werden, war größer.
»Und das Volk stand und sah zu« (Lukas 23,35). Wenn Jesus von Nazareth heute in unserer Stadt gekreuzigt würde, es würde genauso sein. Würde das Volk nicht auch dort stehen und zusehen?
Es wird schon so sein: Die Christen heute sind keinen Deut besser als die Leute damals. Es ist beschämend. Aber es ist auch tröstlich. Denn gerade für solche Leute, für Leute wie Sie und mich, ist er gestorben.
»Herr, du hast vollbracht, was noch kein Mensch vor dir vollbracht hat. Deine Wunden sind unser Heil. Wir wollen dir danken, indem wir uns nicht schämen, zu dir zu gehören. Amen.«
Was ist vollbracht? Jesus ist umgebracht. Der Unschuldige ist tot, die Schuldigen sind frei und ledig. Aber Hand auf's Herz, geht uns das noch an die Nieren? Ist dieser Anblick nicht nur ein Ausschnitt aus unserer Welt?
Das Kreuzigungsbild ist modern. Die einen sagen: Das ist der Judenkönig? Das ist das Zeichen des Sieges? Dass wir nicht lachen!
Wir haben eine Sichel auf der Fahne! Wir haben einen Halbmond auf der Fahne! Wir haben Sterne auf der Fahne. Und ihr? Wirklich ein Kreuz, ein Schandpfahl, ein Exekutionsinstrument?
Die anderen würfeln. Sie spielen um das große Los. Ob es der lederne Würfelbecher in der Hand römischer Soldaten ist, oder ob es der Tippschein in der Brieftasche unserer Zeitgenossen ist: immer geht es um den großen Schnitt, der dies Leben mit einem Schlag verändern könnte.
Die dritte Gruppe hat Mitleid. Sie gibt ihm einen Essigschwamm, ein kleines Opfer, eine Ehrenbezeugung, ein paar Krokodilstränen, mehr nicht.
Trotzdem: Auch wenn es um einen Ausschnitt aus unserer Welt geht, so geht es doch um einen Abschnitt in der göttlichen Welt.
Auch wenn es für uns den Anschein der Alltäglichkeit gewinnt, so ist es doch für Gott eine Tat der Einmaligkeit.
Hier stirbt nicht irgendeiner, sondern ein gewisser. Hier verblutet nicht eines Menschen Sohn, sondern Gottes Sohn, Jesus Christus, der Welt Heiland.
Wohl ist er umgebracht, aber nicht erledigt.
Das Kreuz wurde zum Höhepunkt, aber nicht zum Schlußpunkt. An ihm scheiden sich die Geister.
An ihm muss sich jeder Geist entscheiden. Auch du!
In diesen zwei Wörtlein liegt Ostern versteckt; nicht im Osternest, nicht im Osterei, nicht im Osterhasen, sondern im Wort.
Nun aber: In diesen zwei Wörtlein blüht Ostern auf; nicht im Tulpenbeet, nicht im Magnolienbaum, nicht im Forsythienstrauch, sondern im Wort.
Nun aber: In diesen zwei Wörtlein wird Ostern unverwechselbar, nicht im Frühlingsanfang, nicht im Naturerwachen, nicht im Vogelgezwitscher, sondern im Wort.
»Nun aber« ist positiv geladen, prall gefüllt, überschäumend vor Freude und Hoffnung. »Nun aber« macht Ostern zu Ostern. Achten wir einmal auf diese zwei Vokabeln in unserem Sprachgebrauch. Ein Abiturient sagt etwa: Bei mir lief's alles andere als optimal. In Deutsch hatte ich auf Franz Kafka getippt, dann aber musste ich über Faust II schreiben.
In Mathematik rechnete ich mit Stoff aus Analysis, dann aber ging's um lineare Algebra. Die Lage war aussichtslos. Nun aber ist's geschafft. Nun aber bin ich aus dem Schneider. Nun aber schimpfe ich mich hochschulreif. Was für ein Glück!
Oder ein Patient sagt: Bei mir stand's auf des Messers Schneide. Nach der Operation lag ich wie gelähmt im Bett. Die Ärzte machten todernste Gesichter. Sicher wurcherte das Geschwür weiter. Die Lage war hoffnungslos. Nun aber ist's raus. Nun aber ist das Untersuchungsergebnis negativ. Nun aber bin ich auf dem Weg der Besserung. Was für ein Jubel!
Oder ein Student sagt: Bei mir sah es mehr als düster aus. 80 Leute bewarben sich um die eine Stelle. Nur Topleute konnten sich eine Chance ausrechnen. Für Durchschnittsexamen gab es keinen Vertrag. Die Lage war trostlos. Nun aber ist's gelungen. Nun aber habe ich einen Job. Nun aber bin ich ein gemachter Mann. Was für eine Freude.
So ähnlich sagt es der Apostel: Bei uns war es rabenschwarz. Der Hauptmann hatte das Hinrichtungskommando gegeben. Die Jünger saßen in panischer Angst hinter verrammelten Türen. Der Juden König verendete am Schandpfahl wie ein Tier. Fast wohltuend legte eine Sonnenfinsternis ihr Dunkel wie ein Leichentuch über das grausame Geschehen. Die Lage war aussichtslos, hoffnungslos, trostlos. Nun aber ist Christus auferstanden. Nun aber ist der Siegellack ab. Nun aber haben die Objektschützer das Weite gesucht. Nun aber ist das Grab leer. Was für ein Fest!
Diese zwei unscheinbaren Wörtlein trennen Räume: vorher Dunkelheit, nachher Helligkeit. Diese kleinen Wörtlein trennen Zeiten: vorher Sterblichkeit, nachher Ewigkeit. Diese zwei unbedeutenden Wörtlein trennen Welten: vorher Vergänglichkeit, nachher Herrlichkeit. Kein Wunder, dass sie in der alten Kirche das Ostergelächter angestimmt haben. Kein Wunder, dass sie in der orthodoxen Kirche einander zurufen: Christos woskresse! Woistinu woskresse! (Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden).
Jeder von uns hat schon einmal Feuer gemacht. Nicht wie jene Schwarzwälder, von denen erzählt wird, dass sie gerne ihre Häuser von der Feuerversicherung bezahlen lassen. Deshalb steigen sie beim Aufzug eines Donnerwetters aufs Dach ihrer alten Häuser. Der Sohn schaut durch die Luke, der Vater hantiert mit dem Feuerzeug. Und wenn ein Blitz über den Himmel fährt, dann ruft der Filius: »Papa, zünd an, s'hot blitzt!«
Wir haben doch schon Feuer zum Würstebraten gemacht. Man hat es angesteckt, und zuerst brannte es auch lichterloh. Dann aber wurde die Flamme kleiner und kleiner. Rauch vernebelte die ganze Gegend. Nur noch etwas Glut war in der Asche. Wie konnte es wieder entfacht werden?
Der eine warf prügelweise Holz drauf, mit dem Erfolg, dass auch die Glut immer weniger wurde.
Der andere stocherte drin herum, mit dem Ergebnis, dass man vor lauter Rauch nichts mehr sehen konnte. Der dritte sprach dem Feuer gut zu: »Nun, liebes Flämmchen, nun
züngle mal schön. Lodere, flackere, zeige, was du kannst!« Aber das Ding dachte nicht daran und erlosch vollständig.
Erst als einer hintrat und ganz sachte hineinblies, da schlugen die Flammen heraus, die größer und größer wurden und ein mächtiges Feuer machten.
Jesus hat bei einigen von uns Feuer gemacht. Es hat damals auf der Freizeit oder beim Jugendgottesdienst oder in einem Gespräch gefunkt. Man "war Feuer und Flamme für Jesus. Und dann wurde die Flamme kleiner und kleiner. Zum Beten keine Zeit mehr, zum Bibellesen keine Lust mehr, zum Gottesdienst keinen Bock mehr. Wenn uns einer darauf anspricht, geben wir nebelhafte Auskünfte. Nur noch etwas Glut ist unter der Asche. Kann dies neu entfacht werden? Die einen legen dir prügelweise auf, was du jetzt tun sollst. Fahr zum Kirchentag! Geh nach Taize! Heul dich aus!
Die andern stochern in deinem Innenleben herum und wollen alles analysieren.
Die dritten reden dir gut zu. Nun liebes Freundchen, reiß dich mal am Riemen! Pack dich am Schlips! Zeige, dass du ein Mann bist! Aber es klappt nicht. Bei wievielen unter uns ist der Glaube am erlöschen?
Deshalb kommt Jesus in unsere Mitte. Als der Herr ist er dort, wo man seinen Namen ausspricht. Er kommt zu jedem, der nicht mehr glauben kann oder noch gar nie glauben konnte. Dann bläst er »Nimm hin den Heiligen Geist!« Nimm hin meine Kraft! Nimm hin meine Energie! Nur das funkt. Nur das zündet. Nur das schafft lodernden Glauben, wenn er es schafft.
Jesus bläst nichts aus. Er bläst das Feuer an.
Der Zeitgeist narkotisiert. Du wirst müde. Du schlaffst ab. Du gehst voll weg. Du lebst noch, aber dein Denken ist ausgeschaltet. Ob es einen Gott gibt oder man Gebete braucht, spielt für dich keine Rolle, weil dein Denken ausgeschaltet ist. Du lebst noch, aber dein Handeln ist abgeschaltet. Ob sie dich auf die Popwelle setzen oder auf die Haschreise schicken, ist dir völlig gleichgültig, weil dein Handeln abgeschaltet ist. Du lebst noch, aber dein Fühlen ist gleich Null. Ob sie dir die Ehre und den Glauben abschneiden, macht nichts, weil dein Fühlen auf Null ist.
Du lebst noch, aber du wirst gelebt. Doch, der Zeitgeist narkotisiert.
Aber der Heilige Geist inspiriert. Du wachst auf. Du wirst munter. Du bist voll da. Du lebst, und dein Denken ist eingeschaltet - wie beim Psalmisten, der sagte: »Ich denke über dein Gesetz Tag und Nacht nach.« Du lebst und dein Handeln ist angeschaltet -wie beim Apostel, der meinte: »Lasset uns Gutes tun und nicht müde werden.« Dein Fühlen ist stark. Du lebst und wirst nicht gelebt. Doch, der Heilige Geist inspiriert. Deshalb bete mit: Komm, Heiliger Geist!