LEBEN JA - ABER WIE?

Leben ja - aber wie?

Der junge Mann wollte leben. Er wollte ganz leben, wirklich leben, endlich leben. Er wusste:

Ein arbeitsreiches Leben bringt es nicht.

Nur schlafen, arbeiten, schlafen, arbeiten, und dazwischen ein Bissen Brot, das ist der Rhythmus einer Ameise, aber nicht eines Menschen. Von Arbeit wird man nicht satt: Ein arbeitsreiches Leben bringt es nicht. Der junge Mann wusste weiter:

Ein strebsames Leben bringt es auch nicht.

Trotz seiner jungen Jahre stand er ja schon oben auf der Karriereleiter. Mitglied des Hohen Rates war er, also Mitredner in der höchsten kirchlichen und weltlichen Behörde, Oberkirchenrat und Ministerialrat zugleich. Karriere, Ansehen, Machtbefugnisse bringen Befriedigung: aber Erfüllung? Albert Einstein war es, der formulierte: »Die banalen Ziele menschlichen Strebens: Besitz, äußerer Erfolg, Luxus erscheinen mir seit meinen Jugendjahren verächtlich.« Ein strebsames Leben bringt es nicht. Und der junge Mann wusste:

Eine Flucht aus dem Leben bringt es erst recht nicht.

Das Gefühl der Sinnlosigkeit, das gegenwärtig ohne Visum alle Grenzen überschreitet, erzeugt Fluchtgedanken. Nur weg von diesem sinnlosen Einerlei, ins Vergnügen, in die Diskotheken, in die sehr frühen Ehen, in den Alkohol, in die harten Drogen - und ganz am Ende, in den Selbstmord! Aber das kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, es zu zerstören. Andre Malraux war es, der ausrief: »Niemand lebt davon, dass er das Leben verneint.« Die Flucht aus dem Leben bringt es nicht.

Der junge Mann will kein arbeitsreiches Leben und kein strebsames Leben und keine Flucht aus dem I eben: »Meister, was soll ich tun, dass ich das ewige Leben habe?« Er will »ewiges« Leben. Er will nicht Arbeit, Karriere, Flucht. Er sucht Ewigkeit, tiefe, tiefe Ewigkeit. Denn das ist mehr als nur eine Lebensversicherung für das Jenseits. Er will ein dauerhaftes, den Tod überwindendes und die Vergänglichkeit hinter sich lassendes Leben. Er will ein sinnvolles und erfülltes Leben. Er will leben, ganz leben, wirklich leben, ewig leben. Und das wollen wir doch auch: ein Leben, in dem der Tod sein Büttelrecht verwirkt hat; ein Leben, das nicht mehr von den Wogen des Hasses überspült wird; ein Leben, frei von Angst und Verzweiflung; ein Leben, prall gefüllt mit dem Sauerstoff der Hoffnung.

Was sollen wir tun, dass wir das ewige Leben haben? Jesu Antwort ist verblüffend einfach. Er verweist nämlich ganz schlicht und ergreifend auf die Zehn Gebote. Er verlangt

keine Spitzenleistung in Sachen Frömmigkeit. Er will kein Übersoll in punkto Glauben. Jesus sagt:

Halte die Gebote Gottes!

Dem jungen Mann war dieser Jesus als Gesetzesbrecher bekannt. Immer wieder hatte sich sein Kollegium mit dem Fall »Jesus von Nazareth« zu beschäftigen gehabt. Einmal hieß der Tagesordnungspunkt: »Verletzung des Sabbatgebotes durch den Wanderprediger Jesus«. Und das andere Mal: »Übertretung des ersten Gebotes durch den Nazarener«. In seinen Augen hatte dieser Jesus die Gebote Gottes seiner Zeit angeglichen und modernisiert. Jesus aber sagte: »Halte die Gebote!« Ich habe nichts annulliert und nichts modernisiert. »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist; ich aber sage euch«. Ich habe restauriert und sogar radikalisiert. Die Gebote Gottes sind in Geltung. Die Gebote Gottes sind der Mörtel unseres Lebens.

Ja, der Deklaog ist der Mörtel unserer Gesellschaft. Wenn er zerbröckelt, gibt es keinen Halt mehr im Leben. Wenn er aufgelöst wird, ist unsere Gesellschaft am Ende. Mit ein paar Parolen zur Mitmenschlichkeit ist nichts mehr zu flicken. Deshalb haltet die Gebote!

Unser junger Freund hält dem allem stand. Selbst in diesem Licht sieht er keinen Fleck auf seiner weißen Weste: »Das habe ich alles gehalten. Was fehlt mir noch? Jesus sagt das zweite:

Halte die Gebote Gottes ganz!

Wörtlich fährt Jesus so fort: »Gehe hin, verkaufe was du hast, gib's den Armen und folge mir nach!« Jetzt zuckt der junge Mann zusammen. Geht es hier um einen Kurs für Fortgeschrittene? Ist das die Doktorarbeit für ganz Fromme? Fügt Jesus ein 11. Gebot für hervorragende Christen an? Damit wäre allem Bisherigen eine besondere Leistung hinzugefügt, eine erhebliche Leistung, die der junge Beamte nicht übers Herz bringt. Verlangt Jesus dies wirklich: Alles verkaufen, alles hergeben, alles dahinten lassen?

Von manchen hat er es verlangt: Von Matthäus, von Markus und Lukas und von Petrus Waldus und von Franz von Assisi auch. Manche trifft der Ruf, der solchen Verzicht einschließt. Trotzdem ist er kein weiteres Gesetz. Wollte jemand das hier Verlangte wirklich leisten und wäre es ihm nichts weiter als eine religiöse Pflichtübung, dann wäre er keinen Schritt weiter. »Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze«, kommentierte Paulus.

Ein Gesetz, ein 11. Gebot, eine besondere Leistung ist es nicht. Aber was ist es dann? Ganz einfach ein Test. Der junge Mann soll nichts weiter tun, als das 1. Gebot einmal ganz halten, nämlich: »Gott über alle Dinge fürchten, lieben und ihm vertrauen«. Jesus hat ihn einmal beim 1. Gebot getestet, wie es denn bei ihm mit dem steht, was eigentlich selbstverständlich sein müsste. Und eben über diesem Test scheitert der junge Mann. »Eines fehlt« ihm, nein, alles fehlt ihm.

Das ist der Test auch für uns. Nicht darauf kommt es an, ob wir alles hergeben. Nicht jeder ist Franz von Assisi oder Petrus Waldus. Aber wir werden daraufhin geprüft, ob Jesus bei uns nur an der Peripherie unseres Lebens eine Rolle spielt oder im Zentrum. Jesus will nicht nur eine registrierbare Anständigkeit, sondern einen Gehorsam, der ihm ebenso

ungeteilt dient, wie Gott in sich selbst ungeteilt ist. Ihn »über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen«!

Jesus muss bei uns über alles gehen, über Beruf, über Ansehen, über Lohnstreifen, über Besitz. Denken Sie bitte einen Augenblick an das Liebste in Ihrem Leben! Denken Sie vielleicht an Ihre Frau, an Ihre Freunde, an Ihr Kind. Denken Sie an Ihre Gesundheit, an Ihre Kraft, Ihren Beruf! Denken Sie an Ihren Schmuck, an Ihren Garten, an Ihr Haus! Könnten Sie es um Jesu willen lassen? Könnten Sie es? Wenn nicht, dann sind Sie geteilt und haben kein ungeteiltes Herz für ihn. Jesus will nur solche, die ganz sein sind oder es ganz sein lassen. Haltet die Gebote ganz!

Unser Freund geht geschlagen, betrübt davon. Denn er hatte »viele Güter«; denn er liebte seine Spezialfreuden; denn er mochte seine Karriere nicht aufs Spiel setzen; denn er meinte, auf Menschen Rücksicht nehmen zu müssen. Weil ihm dies eine fehlte, fehlte ihm alles. Die Jünger sind betroffen. Sie fragen zurück: »Ja, wer kann denn dann das ewige Leben haben?« Jesus sagt ein Letztes:

Halte dich ganz an Gottes Angebot!

Das ewige Leben zu erlangen ist nämlich grundsätzlich menschenunmöglich. Wir wollen immer wieder selbst in den Himmel steigen. Die Religionen, Ideologien und Weltanschauungen zeigen uns Leitern, die angeblich ganz dorthin hinaufreichen. Ich sah einen Malermeister, wie er an einem fünfstöckigen Haus die Dachrinne streichen musste. Er hatte drei Leitern aufeinander gebunden, um hinauf zugelangen. Wir können aber zehn, hundert, tausend und mehr Leitern aufeinander binden, den Himmel erreichen wir nicht. Bei den Menschen ist das unmöglich. Das ist die Schlussbilanz einer Theologie des Gesetzes. Aber »bei Gott sind alle Dinge möglich«, das ist die Zusammenfassung des Evangeliums.

Hier wird uns eine Leiter gezeigt, die vom Himmel zur Erde hinabreicht. Jesus ist heruntergestiegen und hat seinen Fuß auf diese Erde gesetzt. Er ging zu den Gottsuchern und sagte ihnen: »Ich bin das Leben«. Er ging zu den Glücksuchern und sagte ihnen: »Ich verkündige euch große Freude.« Er ging zu allen und sagte: »Kommet her zu mir!« Denn alle, die an ihn glauben, sollen »nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.«

Das ist kein Anlauf, kein Aufschwung, keine Anstrengung, sondern sein Angebot. Er will uns das schenken, dies dauerhafte, den Tod überwindende, die Vergänglichkeit hinter sich lassende Leben, wenn wir zwei leere Hände haben, um es zu fassen. Der junge Mann hatte nur eine Hand frei, mit der anderen hielt er sich an seinem Besitz fest. Aber Jesus ist Gottes Angebot. »Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine!«

Atemholen

Kürzlich war ich beim Arzt.

Wenn einer älter wird, muss er zum TÜV. Genügt das Profil? Blättert der Lack? Frisst der Rost? Bricht das alte Vehikel zusammen?

Der Mann im weißen Kittel machte es genau und klopfte die ganze Karosserie ab. »Nun noch ein EKG!« meinte er. Natürlich dachte ich an das Evangelische Kirchengesangbuch und wollte schon ein »Lobe den Herrn« anstimmen. Aber er verkabelte mich und schaute auf einen Bildschirm. Dort zeichneten meine Herzströme lustige Kurven wie beim Werbefernsehen.

Schließlich gab er mir die Plakette mit einer Auflage: »Kaufen Sie einen Heimtrainer. Damit täglich 15 Minuten raus aus dem Stress! Das ist gut fürs Herz.«

Du hast es einfacher. Du brauchst nicht zum Arzt. Du musst dir nichts kaufen. Nimm deine Bibel. Damit täglich 15 Minuten raus aus dem Stress!

Das ist gut für deine Seele. Nimm dir doch Zeit zur Stille.

Bibellesen

Der Mann hat Karriere gemacht. Sicher hatte er in Mathe eine Eins und kam als Stift aufs Finanzamt. Dort stieg er unaufhaltsam auf: vom Unterpfennigfuchser zum Opferpfennigfuchser, dann zum Hauptpfennigfuchser und Regierungspfennigfuchser bis zum Staatspfennigfuchser im äthiopischen Finanzministerium. Und als dann der Sessel des Finanzministers frei wurde, berief Königin Kandake von Kusch eben diesen Aufsteiger in ihr Kabinett. Vom Boy zum Boss, mit diesem Titel hätte man die Geschichte dieses Senkrechtstarters vermarkten können. Doch, der Mann hat Karriere gemacht, und das hat Spaß gemacht.

Dann ein weiteres: der Mann hat Money gemacht. Einer, der über Tausende von Barren Gold zu wachen hatte, musste vor Bestechlichkeit geschützt werden. Deshalb wurde er nicht nach A 16 plus Ministerialzulage besoldet, sondern nach Auskunft der Kenner mit unbezahlbaren Edelsteinen. Die Tausend-Mark-Scheine gehörten bei ihm zum Kleingeld und die Hunderter zum Trinkgeld. Im Gegensatz zum Wasser fließt das Geld immer nach oben. Pekuniäre Sorgen kannte er nicht. Doch, der Mann hat Money gemacht, und das hat high gemacht.

Und noch eines: Der Mann hat Urlaub gemacht. Für ein paar Wochen verabschiedete er sich von Ihrer Exzellenz, ließ seine Nobelkarosse vorfahren, bestieg diese R 4 (vier Räder!), winkte seinen Vertretern bye - bye und staubte mit 2 PS zum Tor hinaus. 1500 km weit ging es Richtung Norden, über Berge und Täler hinweg, durch Steppen und Urwälder hindurch, an Giraffen und Rhinozerossen vorbei. Auch wenn Schotterstraßen die Bandscheiben massierten, weil Stoßdämpfer noch nicht erfunden waren, so dämpfte das die Reiselust nicht. Doch, der Mann hat Urlaub gemacht, und das hat Lust gemacht.

Aber, und das ist die Frage, hat das alles auch Freude gemacht? Freude ist mehr als Spaß haben, denn wenn die Karriere aus ist, ist auch der Spaß aus. Freude ist mehr als High - Sein, denn wenn das Money aus ist, ist null das High - Sein aus. Freude ist mehr als Lust verspüren, denn wenn der Urlaub aus ist, ist auch die Lust aus. Echte Freude ist unabhängig von Erfolgsleitern, Gehaltskonten und Urlaubstagen. Volle Freude hat Marke »Indanthren«, das heißt lichtecht, farbecht, kochecht. Wirkliche Freude kann einem durch nichts mehr genommen werden. Freude auch im Leide! Genau die aber ist unserem Herrn Minister begegnet. Bei ihm ist sie zu entdecken. »Er zog seine Straße fröhlich.« Was hat ihm also Freude gemacht?

1. Gottes Wort lesen, das hat Freude gemacht.

Im Jerusalemer Tempelkiosk erstand er sich ein Souvenir. Das war kein billiger Kitsch, wie es Heilige - Land - Fahrer mit nach Hause bringen: eine Bundeslade als Streichholzschachtel, ein Allerheiligstes als Aschenbecher. Sein Geldbeutel erlaubte eine teure Buchrolle, wie sie nur Schriftgelehrte auf ihren Lesepulten haben: Jesaja Kapitel 53. Mit dieser Heiligen Schrift unterm Arm bestieg er seine abgasarme und umweltfreundliche Karre, ließ mit der Peitsche Gas geben und ratterte mit 15 Sachen Richtung Heimat. Unterwegs entrollte er seine Neuanschaffung und begann, laut zu lesen: »Er ist wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird.« Der Mann stockte und fragte sich: Wer wird geschlachtet? Dann las er weiter: »Er ist wie ein Lamm, das zur Schur geschleppt wird.« Der Mann hielt inne und fragte sich wieder: Wer wird geschoren? Dann las er noch einmal: »Er ist wie einer, der ungerecht verurteilt wird.« Der Mann schaute auf und fragte sich zum dritten Mal: Wer wird verurteilt?

Beim Bibellesen entstehen Fragen. Verwechseln wir es nicht mit Asterix-Lesen, wo selbst der Analphabet keine Probleme hat. Wer noch nie Fragen über die Bibel hatte, hat sie noch nie richtig gelesen. Nur dürfen sie nicht begraben, sondern müssen besprochen werden. Und Gottes Regie wird dafür sorgen, dass im richtigen Augenblick der richtige Gesprächspartner zur Verfügung steht, wie damals, als plötzlich ein Anhalter an der elenden B 1 nach Gaza auftauchte.

Der stieg in die Kutsche und in den Text ein: Schaf und Lamm, das ist Jesus, mein Herr! Gott kommt nicht wie ein Elefant, der alles zertrampelt. Gott kommt nicht wie eine Löwe, der alles zerreißt. Gott kommt nicht wie ein großes Tier, vor dem man Reissaus nehmen müsste. Gott kommt in Jesus wie ein Wollschaf, das Wärme geben, Liebe schenken, Vertrauen gewinnen will und dann noch bereit ist, stellvertretend in den Tod zu gehen. Kein unfasslicher Gott, sondern ein Gott zum Anfassen. Dies Wort vom Schaf hat dem Minister in seiner Welt der Wölfe Eindruck gemacht. Dies Wort vom Lamm hat diesem Minister in seiner Welt der Löwen Mut gemacht. Dies Wort der Bibel hat ihm einfach Freude gemacht.

Warum bleiben wir mit unseren Fragen so allein? Warum laden wir uns nicht den Philippus auf die Bude oder lassen uns gar als Philippus auf die Bude laden? Warum drücken wir uns oft genug um die wichtigsten Fragen des Lebens herum? Jedem soll doch über der aufgeschlagenen Bibel im Zweier- oder Vierer- oder Zehnergespräch das aufgehen: Gott kommt in Jesus wie ein Wollschaf, damit wir uns nicht in die Wolle kriegen müssen, sondern in Frieden mit ihm und untereinander leben können. Gottes Wort lesen, das macht Freude. Und das andere:

2. Gottes Wort lieben, das hat Freude gemacht.

Gemütlich schaukelt der R 4 durch ein wasserführes Wadi, so nach dem Takt: Hoch auf dem gelben Wagen sitz ich beim Schwager vorn, hurtig die Rosse sie traben . . . Aber plötzlich quietschten die Bremsen. Ein Ruck ging durch die Reisegesellschaft. Der Zweiachser mit den zwei Vierhaxern stand. Dann zeigte der Spitzenpolitiker hinüber zu dem Flusslauf. Wollte er seinem Hitchhiker die Schönheit afrikanischer Landschafte zeigen? Oder wollte er auf einen seltenen Vogel im Schilf aufmerksam machen? Oder wollte er gar ein kühlendes Bad nehmen? Nichts von alledem. Was hindert's, dass ich mich taufen lasse? fragt er.

Was hindert's, dass ich mich hineinbinden lasse? Was hindert's, dass ich mich hineinnehmen lasse? Ihm war ja über der Bibel nicht nur das Auge geöffnet und das Interesse geweckt, sondern auch die Liebe entzündet worden. Und Liebe zielt immer aufs Ganze. Das ist schon zwischen uns Menschen so. Wenn beispielsweise der Alexander die Eulalia liebt, dann genügt es ihm doch nicht, in seinem Ohrensessel über beide Ohren verknallt zu sein. Es genügt ihm auch nicht, errötend ihren Spuren zu folgen und über Kilometer hinweg sie anzuhimmeln. Es genügt ihm erst recht nicht, im Weltschmerz die Dachluke zu öffnen und in Richtung Schwärm hinauszujodeln: Dein ist mein ganzes Herz und soll es ewig bleiben. Nein, der Alexander will's der Eulalia sagen. Er will ihr seine Liebe zeigen. Er will für immer mit ihr zuammensein. Und so soll das nicht nur zwischen uns Menschen, sondern auch zwischen uns und Gott sein.

Wenn einer seinen Herrn liebt, dann kann ihm doch kein frommer Gedanke genügen, den er am Heiligen Abend bei der Christmette verschwendet. Dann kann ihm doch auch kein süßer Blick genügen, mit dem er ab und zu nach oben himmelt. Dann kann ihm erst recht kein warmes Gefühl genügen, das ihm in der Brustgegend zu schaffen macht. Der Glaubende will's Gott sagen. Er will ihm seine Liebe zeigen. Er will für immer mit ihm Zusammensein. Liebe zielt immer aufs Ganze. Deshalb stieg unser Mann in den Fluss hinab. Mit dem kurzen Bekenntnis auf den Lippen: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, hat er ganze Sache gemacht. Und dieser Taufakt unter freiem Himmel hat Freude gemacht. Beruhigen wir uns nicht mit unserer Taufe, die wir vor 15 oder 20 Jahren über uns ergehen ließen. Sie bleibt ein Schlag ins Wasser, wenn wir nicht an einem Kilometerstein unseres Lebensweges anhalten und in Gottes Hand einschlagen: »Bei dir, Jesu, will ich bleiben, stets in deinem Dienste stehn!« Warum schieben wir es immer wieder vor uns her, als ob alles Ding gut Weil hätte?

3. Gottes Wort leben, das hat Freude gemacht.

Als der Urlauber nach wochenlanger Abwesenheit seinen Fuß wieder auf die Straße der königlichen Residenz setzte, da war es das alte Pflaster. Und als er nach tiefen Eindrücken wieder an seinen Schreibtisch kam, da stapelten sich die alten Aktenstöße. Und als er nach unvergesslichen Stunden sich bei Ihrer Exzellenz zurückmeldete, da war es die alte Heidin, die mit dem Christenglauben nichts am Hut hatte. Gott hatte ihn nicht ins Schlaraffenland weggeschickt, sondern ins Mohrenland zurückgeschickt.

Keinem bleibt die alte Welt erspart. Wir hätten das gerne. Wir wünschten uns das. Wir rechnen damit. Aber Christsein geschieht auf dieser waidwunden Erde. Wenn dem Minister aber das alles keine Bange und Sorge, sondern Freude gemacht hat, dann deshalb, weil er

jetzt mit Gottes Wort lebte: morgens, wenn er seinen Terminkalender überflog: »Meine Zeit steht in deinen Händen«; vormittags, wenn er wichtige Entscheidungen zu treffen hatte: »Nicht mein, sondern dein Wille geschehe; nachmittags, wenn Katastrophenmeldungen auf seinen Tisch flatterten: »In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt. überwunden«; abends, wenn er den Tag überdachte: »Herr, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge alle meine Sünden«.

Rund um die Uhr mit Gottes Wort leben, an der alten Tenne, in der alten Klitsche, auf dem alten Bau, dann bleibt die gute Nachricht brandneu. Gottes Wort leben, das macht Freude. Doch er zog seine Straße fröhlich. Wie ziehst du? (Apostelgeschichte 8,26 - 40)

Proviant für unterwegs

Daniel T. Niles, ein Theologe aus der Dritten Welt, berichtet aus der Studienzeit an der Theologischen Schule in Bangalore. Mit drei Freunden musste er eines Tages die Wasserfälle von Shimoga besichtigen. Sie wollten frühmorgens aufbrechen. Brote für die Reise waren vorbereitet und die Thermosflasche mit Kaffee gefüllt. Unglücklicherweise aber wurde der Marsch im letzten Augenblick abgesagt. So aßen die Studenten die fertigen Brote des Frühstücks zu Hause und tranken den Kaffee dazu: »Ich weiß heute noch, wie fade die Brote schmeckten und wie der Kaffee ohne Aroma war. Bei einer Rast auf dem Marsch hätte beides herrlich geschmeckt, aber am Frühstückstisch war es fade.« D. T. Niles schloss daran an: »Das Wort Gottes ist Proviant für unterwegs. Viele kümmern sich nicht darum, weil sie den Proviant nicht brauchen, sie führen ein sesshaftes Leben. Und an dem, was sie da zu Hause essen, finden sie keinen Geschmack. Ein schönes Tischtuch und Blumen auf dem Frühstückstisch machen es auch nicht. Selbst Musik beim Mahl ändert nichts. Die Brote sind für den Weg. Steh auf und verlasse das Haus!«

Eine Gemeinde, die ausruht, ist keine Gemeinde. Christen, die nur zu Hause sitzen, sind keine Christen. Jesu Leute sind unterwegs in der Welt. »Ihr seid das Licht der Welt«, hat Jesus gesagt, und dieser Verantwortung können wir nicht entfliehen. Unterwegs, mit dem Wort Gottes, durch die Welt zur Ewigkeit, darum geht es.

Geisterfahrer oder Geistfahrer?

»Achtung Autofahrer! Auf der A8 zwischen Heimsheim und dem Stuttgarter Dreieck kommt Ihnen ein Fahrzeug entgegen. Fahren Sie bitte ganz rechts. Wenn die Gefahr vorüber ist, geben wir wieder Nachricht.« So meldet sich der Verkehrsfunk, wenn einer die falsche Auffahrt erwischt hat. So warnt das Radio, wenn einer von allen guten Geistern verlassen ist. So funkt die Polizeistreife, wenn einer mit Kirschgeist oder Himbeergeist im Kopf über die Betonpiste rast. Geisterfahrer haben einen richtigen Führerschein. Geisterfahrer haben ein richtiges Auto. Geisterfahrer haben die richtige Spur. Aber Geisterfahrer haben die falsche Richtung. Deshalb sind sie brandgefährlich. Der Unfall ist programmiert. In einem Schrotthaufen geben sie ihren Geist auf.

Leider gibt es Geisterfahrer nicht nur im Verkehr. Geisterfahrer gibt es im Glauben. Sie haben den richtigen Taufschein. Sie haben das richtige Bekenntnis. Sie haben den richtigen Jugendkreis. Aber sie haben die falsche Richtung. So wie die ersten Geisterfahrer, von denen das Neue Testament berichtet. Auf der israelitischen B1 mit Kriechspur für Eselstreiber sind sie unterwegs. Aber anstatt dass sie auf der Strecke Emmaus - Jerusalem vorwärts fahren, fahren sie auf dieser Strecke zurück. Kleopas und sein unbekannter CoPilot sind vom Zeitgeist benebelt, der ihnen sagt, dass alle Heilsbringer nur Scharlatane sind, auch dieser Jesus. Sie sind vom Irrgeist angekratzt, der ihnen weismacht, dass jede Hoffnung nur eine Seifenblase ist, auch die des Jesus. Sie sind vom Ungeist befallen, der ihnen klarmacht, dass mit dem Tode alles aus sei, auch bei Jesus. Sie sind von allen guten Geistern verlassen. Deshalb sind sie brandgefährlich. Das Unheil ist programmiert. Sie reißen andere mit in den Abgrund.

Wohin fährst du? Zurück in den Zweifel oder vorwärts in die Gewissheit? Woran denkst du? Zurück an den alten Trott oder vorwärts an den neuen Rhythmus? Wer bist du? Geisterfahrer oder Geistfahrer? Man muss doch wissen, wohin es geht.

Die damals hielten rechtzeitig an und nach einer Sprechstunde, nach einer Bibelstunde und nach einer Abendmahlsstunde mit diesem Jesus stimmte die Richtung wieder. Machen wir es auch so. Übrigens: nachzulesen im 24. Kapitel des Lukas-Evangeliums.

Sprechstunde muss sein.

Zuerst sprechen sie nur miteinander. Aber dann war plötzlich ein Anhalter bei ihnen aufgetaucht und hörte ihrem frustrierten Reden zu: »Der schwarze Freitag ist eine einzige Katastrophe! Das Gerede vom leeren Grab ist ein einziges Weibergewäsch! Alles, aber auch gar alles, ist im Eimer!« Und dieser Jesus incognito fängt nicht an zu schimpfen: »Was seid ihr für armselige Typen?« Er fährt ihnen auch nicht in die Parade: »Was sind das für gotteslästerliche Reden?« Jesus schulmeistert sie nicht: »Und das wollen aufgeklärte, gebildete Juden sein?« Nein, Jesus ist kein Diskutant, kein Schulmeister. Er ist und bleibt Seelsorger der teilnehmend zuhört. Jesus lässt die elf Apostel sitzen und kümmert sich um zwei Niedergeschlagen Jesus überlässt den Pilatus einer anderen Gerichtsbarkeit und eilt zu den Bekümmerten. Jesus verlässt die Tempelstadt und hört den Zweiflern zu.

Auch heute taucht er wieder an deinem Weg auf. Er hat immer Sprechstunde für dich. Er ist ganz Ohr. Ihm kannst du das sagen, was du nicht einmal deinem besten Freund oder deiner besten Freundin sagen willst. Ihm kannst du das bringen, was dich seit Wochen blockiert. Ihm kannst du das aufladen, was dir im Kreuz liegt. Seitdem das Holzkreuz stand, gibt es nichts mehr, was ihm das Kreuz brechen könnte. Sprechstunde mit Jesus muss sein.

Bibelstunde muss sein.

Jesus sticht ihnen den Star, indem er die Bibel öffnet. Am Parkstreifen findet das erst Bibelstudium statt. An der Leitplanke ist Bibelkolleg, Bibelstunde im Grünen. Jesus reißt die Decke vom Alten Testament und macht es transparent für die Spur des Sohnes Gottes. »Musste nicht Christus solches leiden?« liest er. Gottes Spur führt immer in die Tiefe und

dann erst in die Höhe. Sie gleicht nicht den Serpentinenwegen, die die Badeorte umgeben, damit die Kurgäste die Stadt von allen Seiten sehen können. Diese Wege sind sanft und gepflastert, mit Ruhebänken und Aussichtsplatten, gut für Herzkranke und Kreislaufgeschädigte. Nur gehen solche Wege im Kreis und führen zum Ausgangspunkt zurück. Gottes Spur ist steil und dornig. Manchmal überhaupt kaum zu finden, weil sie so wenig begangen wird. Aber sie hat ein Ziel.Die ganze Bibel zielt auf den Christus, oder umgekehrt: dieser Christus begegnet uns im Wort und nur im Wort. Deshalb braucht es Bibelstunden. Sie sind kein überflüssiger Zuckerguss am frommen Kuchen. Sie dienen der Spurensicherung für den richtigen Weg.

Auf dem Tisch neben Martin Luthers Totenbett wurde ein Zettel gefunden. Darauf stand gleichsam als Vermächtnis des Reformators: »Du lege nicht Hand an diese göttliche Äneis, sondern verehre gebeugt ihre Fußtapfen. Wir sind Bettler, das ist wahr.« Die Bibel zeigt mir an den Fußtapfen der Väter eine Spur nach Hause. Und am heimatlichen Hoftor erwartet den abgerissenen Irr- und Geisterfahrer kein bellender Zerberus, sondern ein liebender Vater, der mich aufnimmt. Bibelstunde mit Jesus muss sein.

Abendmahlsstunde muss sein.

Bleibe bei uns, denn es will Abend werden. Bleibe bei uns, denn es will Nacht werden. Bleibe bei uns, denn es will uns Angst werden. Jesus nimmt die Einladung so an, dass er das Brot nimmt, bricht und ihnen gibt. Nehmet hin und esset! An unserer Lebensstraße hat er Rastplätze angelegt. Dort will er uns stärken. Abendmahl ist Mahlzeit unterwegs. Keiner ist auf Selbstverpflegung angewiesen. Keiner muss hungrig seines Weges ziehen. Keiner muss durstig hier weggehen. Keiner! Sicher drängt er sich keinem auf, aber er sagt: »Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten.«

Doch, Sprechstunde, Bibelstunde, Abendmahlsstunde mit Jesus muss sein. Mit Jesus bleibst du in der Spur. Mit Jesus stimmt die Richtung. Mit Jesus wirst du kein Geisterfahrer zum Tod, sondern ein begeisterter Fahrer zum Leben!

Beten - wie macht man das?

Ich bin happy, Jesus! Äh - ich weiß, ich sollte ein Dankgebet im Tempel sprechen! Mache ich auch gleich noch! Meine Beine Jesus, meine Beine! Sie funktionieren wieder! Siehst du's? Stehen kann ich, und laufen! Ganz allein, ohne fremde Hilfe! Sogar springen! Pass mal auf, so... Toll, was? Einfach toll, wie du das .gemacht hat!

Ich muss gleich noch ein richtiges Gebet sprechen, wie sich's gehört. Aber erstmal muss ich dir sagen, Jesus, wie glücklich ich bin. Ich. . ., ich kann's kaum lassen, Jesus, ich . . . Träume ich, oder ist es Wirklichkeit?

Seit ich lebe, bin ich lahm gewesen. Kannst du dir das vorstellen. Ich hab' nie gewusst, wie das ist, wenn man sich mit eigener Kraft dahinbewegen kann, wo man hin will. Hab' nur immer die andern laufen sehen. Seit Jahrzehnten schon schleppen sie mich jeden Morgen hierher vor die schöne Tempeltür, damit die frommen Leute Mitleid haben und mir was

in den Hut schmeißen. Und da kommen nun diese beiden Männer

wie heißen sie noch? Einer hat einen Namen, der an einen Stein erinnert - Petrus, ja, so heißt er. Und sein Freund Johannes. Die geben mir nichts - sie haben wohl auch nichts -, aber sie sagen: Steh auf! Einfach so - steh auf!

Aber was erzähle ich dir das. Du warst ja dabei. Ich hab' dich zwar nicht gesehen, aber Petrus hat gesagt, du hättest das gemacht, dass ich wieder gehen kann. Du, Jesus! Ich kannte dich ja noch nicht. Bist du mir deshalb böse? Nein, sicher nicht. Aber jetzt kenne ich dich. Du bist großartig, Jesus. Was du alles kannst-ich bin vor Staunen platt.

Weißt du, weil du das so kannst - da sein, wo man dich nicht sieht -, deshalb rede ich auch mit dir. Meine Verwandten würden sicher denken: Der spinnt, wenn sie hören könnten, wie ich mit dir rede. Aber irgendwie muss ich einfach sagen, wie glücklich ich bin. Ehe ich gleich zum Gebet gehe. Weißt du, ich bin innerlich so aufgewühlt, da kann ich noch nicht richtig beten. Darum rede ich nur mal eben mit dir.

Du kennst mich doch sicher auch von früher - oder? Völlig aufgeschmissen war ich mit meinen lahmen Beinen. Darum war ich auch nie im Tempel. Nicht aus böser Absicht. Einfach, weil's nicht ging. Damit will ich nicht sagen, dass ich ein Vorbild an Frömmigkeit gewesen wäre - eher das Gegenteil. Naja, halt wie die meisten Leute. Für die meisten ist Religion ja nichts, was einen vom Stuhl reißt.

Aber dann kam das hier. Und das hat mich wirklich vom Stuhl gerissen. Im wahrsten Sinn des Wortes. Da hast du mich gesund gemacht - von einem Augenblick zum andern -obwohl ich dich nicht gesehen habe. Wie, Gott, hast du . . .

Wie, Gott? Du bist Gott, wenn du Wunder tust und überall unsichtbar da bist. Ja, sicher, du bist Gott! Nicht nur der Mensch, den sie ans Kreuz genagelt haben; sondern du bist Gott, zu dem man beten kann und ... Ach ja, ich wollte ja noch beten. Jetzt, wo ich in den Tempel kann.

Sag mal, Jesus, ich kenne mich da noch nicht so aus. Beten - wie macht man das eigentlich?

Beten, wie man das macht? Ganz einfach, mit dem Kopf durch die Wand. Ich meine jene Wand, die die sichtbare von der unsichtbaren Wirklichkeit trennt. Beten ist alles andere als frommes Kopfnicken. Der Beter sagt nicht nur Ja und Amen zu einem ewigen Schicksal, das über seinen Kopf hinweg festgelegt worden ist.

In der Schule machte folgendes Gesetz die Runde: § 1: Der Lehrer hat immer recht. § 2: Der Schüler hat nie recht. § 3: Sollte der Schüler einmal recht haben, dann siehe § 1-der Lehrer hat immer recht.

Ist es nicht so? Der eine bekommt mit 27 Fehlern im Diktat eine glatte 5, der andere mit derselben Fehlerzahl eine 4. Er stürmt nach vorne, knallt das Heft auf das Pult und fragt: »Wie ist das möglich?« »Wegen deiner unglaublichen Klaue«, sagt der Lehrer seelenruhig. Resigniert kehrt der Schüler an seinen Platz zurück, weil er weiß, dass auch der andere keine Druckbuchstaben fabriziert. Es bleibt dabei: Mit dem Lehrer kannst du nicht streiten. Mit ihm kannst du nicht diskutieren. Der Lehrer hat immer recht.

Und so meinen manche in der Runde: Gott hat immer recht. Der eine leidet mit 17 Jahren an Muskelschwund und der andere marschiert kerngesund durch die Landschaft. Man ruft Gott an: Ja, wie ist das möglich? Aber die Superfrommen sagen: Gottes Wille hat kein Warum. Er ist ein strenger Herr. Er ist ein unerbittlicher Herr. Er ist ein mächtiger Herr.

Gott hat immer recht.

Die Bibel sagt aber etwas anderes. Sie stellt an verschiedenen Stellen klar, dass du mit Gott streiten kannst. Gott lässt sich umstimmen. Gott ändert sein Konzept - Gottes Wille hat ein Warum. Wir sind von keinem Himmelscomputer abhängig, der uns nach Programmen steuert, sondern von einem Vater, der uns von Herzen liebt. Er nimmt dich so ernst, dass er dir ein Mitspracherecht einräumt. Du bist ihm so wichtig, dass er keinen Anruf einfach abschmettert. Unerhörte Gebete gibt es bei Gott nicht. Es gilt, was Martin Luther so formuliert hat: »Wenn nicht geschehen wird, was du willst, so wird geschehen, was besser ist.« Mit jedem Gebet bekommen wir etwas, das wir ohne Gott nicht erlangt hätten. Deshalb: Geh mit dem Kopf durch die Wand, natürlich mit keinem sturen Kopf.

Ich meine zuerst einen ruhigen Kopf, der sich Zeit nimmt fürs Gebet. Von den Israeliten las ich, dass sie dreimal am Tag, also um 9, 12 und 15 Uhr die Hände gefaltet haben. Wir aber vespern um 9, essen um 12 zu Mittag und trinken um 15 Uhr eine Tasse Kaffee. Wir haben oft keine Lust zum Beten. Morgens fehlt uns die Zeit und abends die Spannkraft. Viele sind dem Gebet entwöhnt, weil sie sich ans Bequeme gewöhnt haben. Luther hat mehrere Stunden am Tag, für das Gebet verwendet. Und wenn er besonders viel zu arbeiten hatte, sagte er, dass er eine Stunde länger beten müsse. Nicht jeder kann das. Aber 15 Minuten am Morgen sind drin. Stelle deinen Wecker zurück. Zieh die Decke nicht über die Ohren. Halte Morgenwache! Diese stille Zeit ist geschenkte Zeit, ja »die Morgenstunde ist das Ruder des Tages« (Augustin). Geh mit einem ruhigen Kopf durch die Wand, und mit einem klaren Kopf, der zwischen Dank-, Bitt- und Fürbittegebet unterscheiden kann.

In Kana war Hochzeit, so mit Festlichkeit, Hochstimmung, Gästen, richtig high life. Auch Jesus ist mit seiner Mutter dabei. Aber mitten drin im Fest gab es eine Panne. Entweder war zu wenig vorgesorgt, oder die Leute hatten einen zu großen Durst, jedenfalls ging der Wein aus. Die Flaschen waren alle. Peinlich. Jeder hockte vor einem leeren Glas. Maria aber steht auf, geht zu ihrem Sohn und flüstert ihm ins Ohr: Sie haben keinen Wein. Mehr nicht. Sie gibt keinen Kommentar, wie er aus der Patsche helfen könnte. Maria legt nur die Verantwortung auf den Sohn und traut ihm zu, dass er irgendwann und irgendwie hilft. Hier hast du eine Betriebsanleitung fürs Gebet. Jesus sagen, was uns fehlt, das ist Bitte. Und Jesus sagen, was anderen fehlt,

das ist Fürbitte. Und Jesus sagen, was uns Freude macht, das ist Dank und Anbetung. Übrigens sind die Psalmen und unsere Gesangbücher hervorragende Lehrbücher in Sachen Gebet. Mit ihnen gelingt es uns, daß wir dann auch wieder frei formulieren, ein paar Sätze wagen, so reden wie mit einem Freund. Dann ist es nicht mehr weit zu einer Gebetsgemeinschaft, wo einige miteinander diesen Herrn anrufen. Geh mit einem klaren Kopf durch die Wand, und mit einem überlegten Kopf, der jenen Satz aus dem Jesajabuch reflektiert: »Ob ihr schon viel betet, so höre ich euch nicht, denn eure Hände sind voll Blut. « Der Prophet spricht von Blut und Blut meint Schuld. Schuld also blockiert das Gebet. Schuld baut eine undurchdringliche Betonwand auf. Schuld macht beten sinnlos. Ich spreche nicht von denen, die in hartem Kampf mit ihrer Schuld liegen. Nicht die sind angesprochen, die täglich bitten: Herr, vergib mir meine Schuld. Aber die sind gemeint, die in einer klargelegten Schuld leben. Solange du bewusst lügst und andere hinters Licht führst, brauchst du nicht zu beten. Solange du bewusst dein Mädchen betrügst, hilft dir das Beten nichts. Solange du im Schmutz deine Freude und deinen Zeitvertreib findest, kannst du dir das Beten schenken. Gott hört nur solche, die ihn im Ernst anrufen und nicht

im Zwielicht. Wer ihm die Schuld seines Lebens bringt, der löst die Blockierung und erfährt die Wahrheit jenes Wortes: »Da dieser Elende rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten.« Geh mit einem überlegten Kopf durch die Wand!

Vielleicht überzeuge ich dich nicht. Vielleicht habe ich dich sogar enttäuscht. Vielleicht ist dir das Gebet fremd. Aber nimm mir wenigstens eine Erfahrung ab, die ich vor einiger Zeit auf der Straße gemacht habe. Ich fuhr mit meinem Auto am späten Abend von einem

Dienst zurück. Regen fiel vom Himmel, und die Straße spiegelte jedes Licht. Auf einer Brücke erkannte ich plötzlich im Scheinwerferkegel einen schleudernden VW. Von der anderen Straßenseite kam er direkt auf mich zu. Bereits schlug er auf meinen Kühler auf und zerbarst. Motor und Räder flogen nach links, ein Blechknäuel nach rechts.

Ich konnte mich aus meinem Gurt lösen und dem völlig zertrümmerten Wagen entsteigen. Scherben, Trümmer, das Blut tropfte mir über Gesicht und Hände. In der Ferne blinkte das Blaulicht der Feuerwehr, des Roten Kreuzes und des Notarztwagens. Denken konnte ich nicht. Es war alles so plötzlich gekommen. Weinen konnte ich auch nicht. Die Augen waren wie verschlossen. Freuen konnte ich mich erst recht nicht. Die 21jährige Fahrerin lag tot vor meinen Füßen. Aber beten konnte ich, nicht frei beten, aber nachbeten: »Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich«.

Der Notarzt setzte mir das Stethoskop auf die Brust. Ich wusste: »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.« Auf der schnellen Fahrt im Sanka ging es mir durch den Kopf: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir, Herr, höre meine Stimme.« Ein ungeheurer Halt in jenem Augenblick, wo einem jede Haltung und Halterung genommen ist.

Mit dem Gebet kannst du leben. Mit dem Gebet kannst du sterben. Mit dem Gebet legst du deinen Kopf in Gottes Hände und sagst: Dein bin ich in Zeit und Ewigkeit. Tu das auch.

Beten wir doch!

Wir haben Krankenhäuser. Wir haben Kliniken. Wir haben Spezialanstalten aus Glas, Beton und Stahl. Bei uns ist für die Kranken gesorgt.

Aber die damals brachten ihre Kranken zu »ihm«. Sag bitte nicht, die hätten keine andere Möglichkeit gehabt.

Sicher, von Mayo-Klinik und Strahlenklinik hatten sie keine Ahnung.

Aber ihr Gebiet wimmelte von seriösen Medizinmännern und dunklen Kurpfuschern. Trotzdem brachten sie ihre Fälle zu Jesus.

Warum? Sie wussten um einen Heiland.

Etwas Heilendes ging von ihm aus.

Der Mann konnte heilen.

Das Land hatte einen Heiland.

Und wir? Wir haben noch Heilanstalten, aber keinen Heiland mehr. Damit ist kein Wort gegen unsere Krankenhäuser gesagt.

Aber wir bringen unsere Kranken, Kaputten und Ausgeflippten nicht nur dorthin. Beten

wir doch:

»Herr, hier ist mein Sohn, der an der Spritze hängt! Hier ist meine Mutter, die vom Krebs geplagt wird! Hier ist mein Freund, den die Ärzte aufgegeben haben!«

Noch gilt Gottes Wort: Ich bin der Herr, dein Arzt.

Glaube und Zeugnis

Heute wird alles getestet. Nach eingehender Prüfung ist diese Kaffeemaschine sehr empfehlenswert. Von einer Zigarre ist ganz abzuraten, weil sie mehr Pappe als Tabak enthält. Der Test prüft die Qualität. Der Test deckt den Bluff auf. Der Test unterscheidet zwischen Schein und Sein.

Haben Sie gewusst, dass auch der Glaube testbar ist? Ist Ihnen klar, dass es eine Möglichkeit gibt, auch beim Christsein die Qualität zu prüfen, den Bluff aufzudecken, und Sein vom Schein zu unterscheiden?

Dr. Visser't Hooft sagte: »Es gibt keinen entscheidungsvolleren Test für den Glauben als den, der die Umsetzung des Glaubens in das missionarische Zeugnis betrifft. Die zentrale Frage in dem Test lautet: Bist du willig und bereit, es unter allen Umständen in deiner Umgebung auszusprechen, dass Christus der Herr ist?« Zeugnis ist Test des Glaubens. Beim Abschied sagte der Herr: »Ihr werdet meine Zeugen sein!«

Wenn es mich völlig kalt lässt, dass nur 2 Prozent Inder, nur 1 Prozent Chinesen, gar nur 1/2 Prozent Japaner Christen sind, wenn es mich nicht berührt, dass junge Leute in meiner Umgebung vom Kreuz zum Halbmond konvertieren oder mit fernöstlichen Heilslehren kokettieren, wenn es mir egal ist, dass Millionen Zeitgenossen Horoskope lesen und die Sterne fürchten, wenn dies alles an mir abläuft wie der Regen an der Ölhaut, dann ist mein Glaube alles andere als empfehlenswert.

Glaube und Zeugnis sind nicht zwei Paar Stiefel. Glaube kann man nicht für sich behalten und das Zeugnis dem Amt für Missionarische Dienste zuweisen. Zwischen Glaube und Zeugnis steht kein Komma und kein Bindestrich. Glaube und Zeugnis sind eins. Nur der glaubt, der den Mund nicht mehr halten kann über der Tatsache, dass Jesus lebt.

Füße, Augen und Hände wie David . . .

Viele sind von ihren Eltern geliebt. Wenn sie eine Fünf nach Hause bringen, dann lässt der Vater fünfe grad sein, und die Mutter backt eine Erdbeertorte. Manche sind von der Patentante geliebt. Das ist prima. Zum Geburtstag bekommen sie ein Sportrad, zur Konfirmation ein Moped und zur Hochzeit ihr Biedermeier-Sofa mitsamt allen Mottenkugeln.

Einige sind vom Freund geliebt. Das ist irre. Das Telefon klingelt, die Parties reißen nicht ab, und bei McDonald bekommen sie ihren Bigmac bezahlt. Geliebt sein lohnt sich - auch bei Gott? Immer wieder höre ich, dass Gott nur ein einnehmendes Wesen habe.

Er kassiere nur, aber gebe keinen aus. Stimmt das? Wird Gottes Liebe nie handgreiflich? Prüfen wir es nach.

Füße

hatten sie zwar alle, die israelitischen Landser, aber Hasenfüße waren es, und das kam so. Wieder einmal waren die Philister über die Grenze gerückt und bedrohten das Existenzrecht Israels. Aber im Gegensatz zu den vorhergehenden Scharmützeln war es diesmal ein Kampf um Sein oder Nichtsein. Der Erzfeind hatte nämlich den Goliath mitgebracht. Und das war ja auch ein Ding, dieser drei Meter große Muskelberg, diese moderne Superwaffe, dieser laufende Tornado aus Eisen und Leder. Zweimal am Tag ging diese lebende Haubitze in Stellung und feuerte breitseits ihre Hass- und Hohnsalven gegen die israelitischen Infanteristen ab. Und denen fuhr der Schreck so in die Knochen, dass sie wie die Hasen liefen, sich im nächsten Mauseloch versteckten und wie Espenlaub zitterten. Allen entfiel das Herz, so erzählt die Bibel. Hasenfüße haben ihr Herz nicht mehr am richtigen Fleck.

Das war eben bei David anders. Der trifft eines Tages in der vordersten Front ein. Weil seine Brüder Eliab, Abinadab und Schamma zu den Soldaten gehören, spielt er die Feldpost und bringt ein Päckchen von daheim. Die Mutter packte 10 Brote für die Buben und 10 Käse für den Hauptmann ein, also kein echtes Schmiergeld für den Spieß, aber doch ein echter Schmierkäse für den Vorgesetzen.

So steht der Dreikäsehoch, besser Zehnkäsehoch vor den Zelten und hört das allabendliche Trommelfeuer des Goliath. Ihm geht der Hut hoch über solcher Verhohnepipelung von Gottes Volk, und er meldet sich freiwillig zum Kampf. Die Landser lachen sich einen Ast ab. Die Brüder schimpfen wie Rohrspatzen. Saul aber setzt ihm einen Helm auf den Kopf, dass nur noch das Kinn darunter hervorschaut.

David aber verzichtet großzügig auf solche Bedachung. Wer unter dem Herrn steht, braucht sich nicht unter einem Stahlhelm zu verstecken. Dieser Herr ist Kopfschutz und Feuerschutz genug. Deshalb macht er sich auf die Füße.

Wir alle werden ins Feuer geschickt. Leben ist kein Spaziergang, wo es von einem Ruhebänkchen zum andern geht. Leben ist kein Karussellfahren, wo auf jeden Dezember wieder ein Mai folgt. Leben ist Kampf, und vielleicht hat er bei dir schon begonnen. Goliath hat ja viele Namen und viele Gesichter. Knie werden weich, und Davonlaufen ist das billigste Rezept. Füße, die stehen und gehen, die schenkt Gott seinen Leuten.

Augen

die was taugen. Er trägt nur das auf dem Leib, was ein rechter Hirtenbub immer auf dem Leib trägt, nämlich ein ordentliches Fell, aber darunter ein festes Herz. Gott nietet das Herz fest, dass es nicht mehr in die Hose rutschen kann. Es ist eine tolle Sache, dass das Herz fest werde und kein Wackelpeter.

Dann steht der David vor dem Goliath, der Liliput vor dem Riesen, der Bergfloh vor der Dampfwalze. War das ein Gleichgewicht der Schrecken? Jeder konnte es mit seinen Augen sehen: hier ein Stecken, dort eine Lanze; hier ein Fell, dort ein Panzer; hier eine Schleuder, dort eine geballte Ladung. Kleiner Mann, was nun? Bei der ersten Feindberührung wird er

dich zum Spießbraten machen!

Aber David sieht es anders. Seine Augen sehen in diesem Augenblick nicht rückwärts auf die geschockten Kameraden, die bestimmt keine Rückendeckung eben. Seine Augen sehen nicht abwärts auf die notdürftige Bewaffnung, mit der kein Blumentopf zu gewinnen ist. Seine Augen sehen auch nicht vorwärts auf den gewaltigen Koloss, der nach Kanonenfutter hungert. Davids Augen sehen hinauf zu dem Herrn, der seine Leute umgibt wie eine Wolke. Deshalb kann er sagen: Ich komme zu dir im Namen des Herrn. Und wer im Namen des Herrn kommt, kommt nie allein, auch wenn es für unsere Augen so aussieht. Bei ihm und mit ihm ist eine Gottesmacht, die stärker ist als jede Atommacht.

Jesus hat es bewiesen. Dieser von Gott Geliebte zog auch alleine los. Hinter sich die verängstigten Jünger, bei sich nicht einmal einen Stecken, vor sich den stärksten aller Goliaths, nämlich den Tod. Aber keine Sekunde ist er aus den Händen seines Vaters entlassen. Wer diesen Weg mitgeht - und wir alle sind dazu herzlich und dringlich eingeladen - wird keinen Volkslauf erleben. Die Masse bleibt zurück und verkrümelt sich. Aber in dieser Situation kommt alles darauf an, nicht zurückzuschauen in die ängstlichen und spottenden Gesichter, nicht hinabzuschauen auf die erbärmliche Ausrüstung, nicht vorwärtszuschauen auf den übermächtigen Feind. Es kommt alles darauf an, hinaufzuschauen zu dem Herrn, der gesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt. Geliebte Gottes haben die richtigen Augen und wissen deshalb: Wir gehören entgegen allem Augenschein auf die Seite der stärksten Bataillone.

Hände

Eigentlich hätte David einen Molotow Cocktail gebraucht, um diesem Mann Zunder zu geben. besser wäre noch ein Sprengsatz mit Dynamit gewesen, um diese Festung in die Luft zu jagen. Am aussichtsreichsten schien der Einsatz einer Panzerfaust, um dieses Scheusal zu durchlöchern. David aber besaß nur zwei Hände und 5 Kieselsteine, mehr nicht. Mit Steinen kann man Fenster einwerfen, aber keinen Panzerturm umwerfen. Trotzdem nimmt er den Kampf auf, greift in die Tasche, spannt die Sehne, zielt haargenau auf den Kopf und schießt ab. Dann stürzen drei Meter Mensch und 81 Kilo Eisen ins Gras. Alle Welt erkennt, dass Israel einen Gott hat.

Auch unsere Welt muss dies wieder erkennen, diese herrenlose und führerlose Welt. Deshalb sagt Jesus gleichsam als Testament am Schluss seines Lebens: Darum geht hin! Macht euch auf die Füße! Kämpft für den Namen des Herrn! Sagt nicht, dass euch dazu die richtige Ausrüstung fehle. Fünf Worte hat jeder parat: Jesus Christus König und Herr. Sie dürfen nicht in der Tasche bleiben. Sie müssen in die Welt geschleudert werden. Sie hauen den stärksten Mann um, denn »der Fürst dieser Welt, wie säur er sich stellt, tut er uns doch nichts, das macht, er ist gericht, ein Wörtlein kann ihn fällen«.

Zuschauer, die von den Rängen brüllen, braucht Gott nicht. Fans, die nur ihren Verein hochjubeln, sind im Reiche Gottes nicht gefragt. Aktive aber, die die Hände aus der Tasche nehmen und sich ans Werk machen, die sind gemeint - Füße, Augen, Hände kann jeder bekommen. Wer Jesus liebt, ist von Gott geliebt.

Wie Friede gestiftet wird

Vor vierzig Jahren lebte ich in einer kinderreichen Familie. Weil aber Sprösslinge nicht als schlechte Kopien der Eltern, sondern als gute Originale Gottes geboren werden, hatte jeder seinen eigenen Charakter und jeder seinen eigenen Dickkopf. So kam es zuweilen vor, dass aus dem fröhlichen Beieinander ein    heftiges Gegeneinander    und    böses

Hintereinander wurde. Bauklötze flogen nur so um den Wandspruch herum, der im Zimmer hing: »Siehe, wie    fein und lieblich ist es,    wenn Brüder einträchtig    beieinander

wohnen.« Bevor aber die    Blumentöpfe und -hocker als Marschflugkörper in    den    Kampf

einbezogen wurden, erschien der Vater auf der Bildfläche: »Ihr elenden Lausbuben!« Ein Machtwort stellte den Familienfrieden wieder her, aber nur so lange, bis wir uns wieder in die Haare kriegten.

Wie Friede gestiftet wird? 1945 hörte ich den Kanonendonner der heranrückenden Invasionstruppen. Oben am Berg tauchten Soldaten auf und schossen auf das Garagendach in unserer    Nachbarschaft. Genau    am 20. April nahmen    sie    meine

Heimatstadt ein. Auf dem Marktplatz wurde die Trikolore gehisst, die Verdunklung musste nicht herabgelassen werden, keine Sirene schreckte uns mehr aus dem Schlaf. Eine Kapitulation gab den Landfrieden zurück, aber eine ausgehungerte Bevölkerung hatte jetzt unter der Besatzungsmacht nichts mehr zu lachen. Mein Bruder schaute in Dreckkübeln nach einem Stück Brot.

Wie Friede gestiftet wird? Vor 20 Jahren stand ich im UNO-Gebäude in New York. Dieser Friedenspalast, der sich wie eine verglaste Zigarrenschachtel an den Ufern des Hudsons erhebt, machte einen mächtigen Eindruck auf mich:    die

Zimmerfluchten, Bespre-chungszimmer, Konferenzräume und dann der Plenarsaal mit der Friedenstaube an der Stirnseite. Ich dachte: Wenn sich dort einer zu Wort meldet, an das Mikrofon tritt, den Delegationsmitgliedern ins Gewissen redet und dann die Vollversammlung einen Friedensappell loslässt, dann kann doch nicht alles beim alten bleiben. Ein Friedensaufruf muss den Frieden verwirklichen, aber die Verwirklichung des Friedens ist in weite Ferne gerückt. Wir wissen, trotz Friedensappell schwelen die Krisen weiter.

Weil kein Einklang mit Gott besteht, deshalb gibt es keine Harmonie zwischen den Menschen. Weil kein Vertrauen auf Gott besteht, deshalb gibt es Misstrauen zwischen den Leuten. Weil keine Liebe zu Gott besteht, deshalb regiert der Hass.

Wie Friede gestiftet wird? Nur, wenn der Schöpfer selber diesen Achsenbruch der Schöpfung repariert und wider Erwarten das Verhältnis zu den Menschen neu bestimmt. Genau das aber ist geschehen. Gott kam in Jesus und verkündigte: »Schalom alechem«,

Friede sei mit Euch! Das ist nicht nur eine hebräische Formel aus der alttestamentlichen Begrüßungszeremonie. Das ist nicht nur der jüdische Gruß aus der gängigen Alltagssprache, so wie bei uns »Guten Tag!« oder »Grüß Gott!« Schalom ist Gottes Geschenk an uns. Jesus schenkt Frieden. Er bringt keine Bücher über Friedensforschung und Friedenspolitik, auch keine Thesen zur Friedenssicherung in der Welt. Jesus bringt Frieden. Er macht keine Friedenspreisverleihung und keinen Friedensappell. Jesus macht Frieden. Jesus Christus ist der Friedensstifter schlechthin.

Friede ist bei ihm keine Sache, sondern eine Person. Friede hat bei ihm Blut und Leben. Friede besitzt durch ihn Profil und Charakter. Paulus hatte recht: Er ist unser Friede.

Wer in diesem Frieden lebt, wer diesen Frieden weitersagt durch Wort und Tat, der gehört zu denen, von denen es heißt: Selig sind, die Frieden stiften.

Umgang mit der Angst

Weißt du, wie das ist, wenn man Angst hat? Sie sitzt versteckt in den Ecken, hinter den lächelnden Gesichtern der Leute. Sie türmt sich vor mir auf, nimmt Besitz von mir. Eiskalt und mächtig frisst sie sich in mich hinein, kriecht bis in meine Fingerspitzen. Plötzlich, qualvoller als körperlicher Schmerz, überfällt sie mich, plagt mich bis in die Träume hinein. Durchdringt mich, zwingt mich, bestimmt mich zum ständigen Kreisen um sich selbst. Ich bin wie eine kleine Maus, die der Blick der Schlange magisch gefangen hält. Ohnmächtig und verzweifelt erkenne ich meine Angst als etwas, das aus meinem Innern kommt, aus meiner eigenen Existenz. Und schlimmer noch: dass sie unabhängig von mir ist und unbeeinflußbar meinem Zugriff entzogen. Man kann ihr nur Hoffnung entgegensetzen. Aber Hoffnung habe ich nicht. Und so bleibe ich Gefangener meiner Angst. Gibt es ein Entrinnen?

Ein Zeitungsleser: Jeden Morgen beim Zeitungslesen habe ich das gleiche Gefühl: Angst! Die schreiben da locker über Krieg, Katastrophen, Umweltkrisen und Mord. Manchmal liest sich das wie ein Horrorroman, ist aber Wirklichkeit.

Dann der Gesundheitsteil: Rauche ich, sterbe ich an Lungenkrebs. Esse ich, bekomme ich Herzinfarkt. Trinke ich, beende ich mein Leben mit einer Leberzirrhose. Bin ich nicht geimpft, kriege ich Kinderlähmung. Gehe ich über die Straße, werde ich überfahren.

Und abends das Ganze noch einmal in Farbe: Krieg, Bomben, Verhaftungen, Hunger, Entlassungen. Richtig krank machen kann das einen!

Ein Zeitgenosse: Also ich habe meinen Fernseher verkauft. Und die Zeitung, die lese ich schon lange nicht mehr. Höchstens noch den Sportteil. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Soll doch Magenkrebs bekommen, wer will. Ich jedenfalls nicht. Einfach nicht dran denken. Das ist meine Devise!

Ein Unternehmer: Ich bin Unternehmer. Kleiner Betrieb nur, aber gehört mir. Fragt sich nur, wie lange noch. Steigende Inflationierung, wachsende Steuern, kaum noch Aufträge -und die Lehrlinge sind auch nicht das, was sie mal waren...

Überhaupt die Jugend! Faul, verwöhnt und anspruchsvoll! Alles wissen sie besser. Und dann die Radikalinskis, diese roten Grünlinge: Häuser besetzen und Steine schmeißen -

das können sie. Während wir uns Sorgen machen um unsere Rente. Also, wenn man mich fragt: Ich sehe schwarz für unsere Zukunft. Tiefschwarz! Und das meine ich nicht politisch.

Ein Jugendlicher: Ich bin Jürgen. Jugendlicher meines Zeichens. Auf uns schimpft ja hier jeder: Die Jugend rebelliert, die Jugend ist wild geworden. Alles regt sich auf über Jugendkriminalität, Suff und so weiter. Aber echt was tun? Nee!

Bewirb dich doch heute mal als Hauptschüler! Hast du ein schlechtes Zeugnis, ist der Traum aus. Vielleicht wirst du zu einem Test geschickt. Und was siehst du da? Lauter Realschüler und Gymnasiasten. Die Post geht ohne dich ab. Es heißt ja immer: Wir werden das ändern mit der Jugend, Arbeitslosigkeit und so. Aber das ist doch alles Gewäsch! Ämter gibt's, die einem helfen sollen. Aber geh mal irgendwo hin. Der Papierkrieg wird immer schlimmer. Erst da hin, dann dort hin. Du wirst wie ein Ochse rumgeschickt. Da blickt doch keiner mehr durch. Und wenn du nicht mehr durchblickst, bekommst du Angst.

Und wenn du meinst, diese flatternden Typen gäbe es erst heute, dann schlage bitte mit mir einmal das 50. Kapitel des ersten Mosebuches auf. Dort heißt es: »Die Brüder Josefs fürchteten sich sehr.« Die 11 Jakobsöhne hatten riesen Bammel. Die 11 Bauernburschen hatten weiche Knie. Diese 11 zitterten wie Espenlaub. Sie stehen vor dem Grab ihres Vaters in Ägypten, das nach einem Staatsbegräbnis 1. Klasse mit viel Fahnentuch und viel Taschentuch endgültig vermauert wird.

Thomas Mann hat diese Szene meisterhaft beschrieben: »Verschlossen das Haus, beseitigt der Vater, 11 blicken starr auf den Ziegel der letzten Lücke. Was ist ihnen denn? Sie blicken so fahl, diese 11, und kauen die Lippen. Ganz offenkundig: sie fürchten sich. Verlassen fühlen sie sich, beklemmend verlassen. Der Vater ist fort. Bis jetzt war er zugegen gewesen, nun ist er vermauert, und plötzlich entsinkt ihnen der Mut, und plötzlich ist ihnen, als sei er ihr Schirm und Schutz gewesen, nur er.«Ist das die Angst vor der Krise, wenn kein israelitischer Gastarbeiter mehr gebraucht wird und die Ausländerfeindlichkeit in Ägypten wächst? Ist das die Angst vor der Katastrophe, wenn keine Pässe mehr verlängert werden und unliebsame Asys über die Grenze abgeschoben werden? Ist das die Angst vor dem Tod, wenn man brotlos und obdachlos und heimatlos irgendwo krepiert?

Sicher, die Angst vor morgen war auch da, aber eine noch viel größere Angst steckte ihnen in den Knochen, nämlich die Angst vor gestern. »Joseph könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.« Ursprünglich waren sie gar nicht 11, sondern 12 Brüder. Aber mit dem Joseph bekamen sie Krach. Dieser Penner durfte jeden Morgen in der Falle bleiben und musste nicht mit aufs Feld, während sie das Rindvieh hüten mussten. Dieser Petzer verriet jeden Streich dem Vater und bekam noch einen roten Maßanzug dazu, während sie mit abgewetzten Hirtenjeans herumspazieren durften. Dieser Pinsel träumte irre Dinge und gab noch damit an, während sie schufteten wie die Tiere. Deshalb packten sie ihn eines Tages am Frack, seilten ihn in ein Schmutzloch ab und verschacherten ihn wenig später an ismaelitische Sklavenhändler. Endlich hatten sie ihren Bruder los - aber auch ihre Ruhe. Schuld bekommt man nicht los. Schuld marschiert immer mit. Schuld verjährt nie.

Vielleicht hast du noch niemand am Frack gepackt, aber dich an seiner Ehre vergriffen. Vielleicht hast du noch niemand in ein Schmutzloch abgeseilt, aber einen im Dreck sitzenlassen. Vielleicht hast du noch niemand verschachert, aber einen verraten und verkauft. Oder kannst du an alles denken, ohne rot zu werden? Kannst du an alle denken,

ohne irgendwelche Gewissensbisse? Ich frage nur: War bei dir alles recht und richtig? Das ist doch unsere unbewältigte Lebensgeschichte, auch wenn sie erst 16 Jahre alt ist. Das ist doch unsere unvergebene Schuld. Das ist doch unsere Angst vor gestern. Krisenangst, Katastrophenangst, Todesangst, ja, aber die Vergangenheitsangst ist die Angst aller Ängste. Was können wir dagegen tun? Liebe Freunde, dreierlei: Mund und Ohren und Augen aufmachen.

Mund auf! So wie die Brüder Josephs. Gleich nach der Beerdigung tigerten sie los, um mit ihrem Bruder unter 24 Augen zu reden. Der hatte ja eine tolle Karriere hinter sich. Wohl hatten ihn die geschäftstüchtigen Kameltreiber auf einem ägyptischen Floh- und Sklavenmarkt an den Sicherheitschef namens Potiphar verhökert. Wohl hatte dessen Schlange und Lebedame dafür gesorgt, dass Joseph hinter schwedische Gardinen kam.

Aber trotzdem war sein Aufstieg nicht zu bremsen. Zuerst wurde er Hilfssheriff im Loch, dann staatlich anerkannter Traumdeuter und schließlich Landwirtschaftsminister plus Vizekanzler. Seine Memoiren, die er leider nicht geschrieben hat, hätte man in der Bildzeitung unter dem Titel verramscht: »Vom Blechnapf zum Silberteller. Ein Knastologe packt aus.«

So standen die 11 vor Joseph, die ganz klein gewordenen Brüder vor dem groß gewordenen Bruder, die Mickrigen vor dem Mächtigen. Und dann fingen sie nicht an zu flennen: »Josef, wir haben damals durchgedreht. Weißt du, die Hitze und so. Uns ist einfach die Hauptsicherung raus. Nachher tat uns das furchtbar leid, aber der Zug war ja ab. Pardon!« So flennten sie nicht. Sie fingen auch nicht an zu plärren. »Joseph, wir haben damals bloß Kidnapping gespielt. Es war nur so zum Zeitvertreib. Einer ist dabei immer der Blöde. Dass es ausgerechnet dich getroffen hat, ist ein Jammer. Verzeih!« So plärrten sie nicht.

Und sie fingen erst recht nicht an zu stottern: »Joseph, wir haben damals Mist gebaut. Rüben hat es uns gleich gesagt. Wir ersetzen dir wieder deinen Anzug, und den Kies, den wir für dich erlösten, kannst du auch noch haben. Es war ja alles halb so wild. Entschuldigung!« Nein, die 11 Brüder sagten: »Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde.« Sie baten also nicht um Entschuldigung, sondern um Vergebung. Nur Vergebung kann unsere Lebensgeschichte bewältigen. Nur Vergebung kann Schuld auslöschen. Nur Vergebung nimmt uns die Angst vor gestern.

Warum fällt uns der Gang zum andern so schwer? Warum steckt das Wort wie Knödel im Hals, das nun einmal gesprochen werden muss? Warum kommen wir gleich mit tausend Entschuldigungsgründen, als zu unserer Schuld zu stehen? Zugegeben, es gibt leichtere Dinge auf der Welt - zum Beispiel Schuld verteilen. Dem Vater eine unter die Weste jubeln: Deine autoritäre Erziehung ist schuld an meinen Komplexen. Dem Lehrer eine auf den Latz knallen: Ihre nostalgische Pädagogik ist schuld an meiner Dummheit! Dem Pfarrer eine aufs Haupt geben: Ihr todsicheres Schlafmittel von Predigt ist schuld an meiner Gottlosigkeit. Andere Schuld brandmarken, bringt nichts. Eigene Schuld bekennen, darum geht's. Deshalb drück es nicht in dich hinein. Beiss dir die Zunge nicht ab. Mach endlich den Mund auf!

Ohren auf!

So wie die Brüder Josephs. Sie bekamen nämlich etwas ganz anderes zu hören, als sie erwartet hatten. Der große Bruder nutzte nicht die Gunst der Stunde, um jetzt, nach 30 Jahren, endlich abzurechnen. Er rieb sich also nicht die Hände und sagte: »So, freche

Bürschchen, jetzt gibt's aber Revanche. Wie du mir, so ich dir!« Er krempelte nicht die Ärmel hoch und sagte: »So liebe Freundchen, jetzt ist Zahltag. Auf Heller und Pfennig wird ausgezahlt!« Er zog nicht vom Leder und sagte: »So, dreckige Baggage, jetzt geht's euch an den Kragen. Alles rächt sich auf Erden.« Erstaunlicherweise zeigt Joseph mit seiner Hand nach oben und sagt: Stehe ich an Gottes Stelle? Bin ich vielleicht sein Stellvertreter? Habe ich irgendwelche Prokura? Entschuldigungen nehme ich entgegen. Verzeihen ist mir möglich. Aber für Vergebung ist nur Gott zuständig.

Wer eine dicke Backe hat, muss zum Zahnarzt gehen. Es hat keinen Wert, wenn er den Schlosser um einen Eingriff bittet. Wer nicht mehr an die Tafel sieht, der muss zum Optiker gehen. Es hat keinen Wert, wenn er sich im Sporthaus eine Taucherbrille besorgt. Wer am Blinddarm leidet, der muss zum Chirurgen gehen. Es hat keinen Wert, wenn der Schreiner mit dem Fuchsschwanz drangeht.

Und wer seine Angst von gestern loswerden will, der muss eben zu Gott gehen. Gott ist in Sachen Angst ansprechbar. Gott allein kann die Vergangenheit bewältigen. Nur Gott kann vergeben. Joseph sagt es so: »Ihr wolltet es böse machen, aber Gott will es gut machen.« Das ist der Hauptsatz des großen Bruders: Gott will es gut machen. Das ist die Hauptsumme aller Theologie: Gott will es gut machen.

Denk jetzt an Jesus, dem sie auch übel mitgespielt haben. Sie haben ihn nicht nur verlocht und verramscht, wie Joseph, sondern verraten und geschlagen wie einen Verbrecher. Am Kreuz festgenietet hauchte er sein Leben aus. Bitterböse haben sie es ihm gemacht, aber Gott hat es gut gemacht. Die Schuld wurde am Kreuz bezahlt, und dem Tod wurde heimgezahlt. Aus den Bündeln von Gemeinheiten ist ein Segensbund für das ganze Land geworden. Vom größten Scherbenhaufen dieser Erde, von der Schädelstätte Golgatha ist zu hören: Die Sund ist uns vergeben, ganz neu geschenkt das Leben.

Die Brüder Josephs spitzten die Ohren: Keine Angst mehr! Keine Schuld mehr! Keine Sünde mehr! Gott macht es gut. Zu oft hauen wir uns aufs Ohr. Zu viele liegen uns im Ohr. Zu laut rieselt's uns ins Ohr. Mit dem Walkman ist man tatsächlich gebügelt. Weil die Gefahr besteht, dass die Stimme gar nicht mehr durchkommt, auf die alles ankommt, deshalb: Mach endlich die Ohren auf!

Augen auf!

So wie die Brüder Josephs. Ihnen wird schließlich auch noch der Blick geweitet. Sie stehen ja vor dem Leichnam des Vaters, und Joseph sagt: Gott wird Leben erhalten. Er sagt dies im Alter von 110 Jahren. Er sagt dies im Angesicht seines eigenen Todes. Er sagt dies in der Vorahnung dessen, dass seine Nachkommen schlimme und schlimmste Jahre der Unterdrückung und Verfolgung vor sich haben. Trotzdem bleibt er dabei, weil er beim Glauben bleibt: Gott wird Leben erhalten. Dabei müssen wir auch bleiben.

Friedrich Dürrenmatt lässt in seinen Physikern jenen internierten Wissenschaftler sagen, dass die Erde zuletzt in eine blau schimmernde Wüste verwandelt werde. Das Buch »Todeskandidat Erde« beschreibt unseren Planeten, wie er am Ende als toter Stern durchs Weltall schlittert. Und der Gymnasiast im Film »Die Frühreifen« gröhlt in vorgerückter Nachtstunde: Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir radioaktiv. Was kommt denn noch alles auf uns zu? Darauf sagt der Glaube Josephs, der der Glaube unzähliger Menschen geworden ist und der auch dein Glaube werden will: Alle Krisen und Kriege und Katastrophen laufen nicht auf die Weltvernichtung, sondern auf die Wiederkunft Jesu zu. Gott, der alles machen kann, macht alles gut. Gott, der den Anfang geschaffen hat, schafft

auch das Ende. Gott, der die Angst vor gestern nehmen will, will auch die Angst vor morgen wegnehmen. Mach nur Mund und Ohren und Augen auf!

Zum Aufruf kommt der Fall. . .

Ein Prozess findet statt. »Zum Aufruf kommt der Fall« sagen wir: »Frau Vita.« Der pharisäische Ankläger wirft sich in Positur und trägt den Sachverhalt vor: »Diese Frau ist in flagranti ertappt worden. Dass es Ehebruch war, steht außer Zweifel. Nach geltendem Moserecht hat sie eine Todsünde begangen. Frau Vita ist eines Kapitalverbrechens schuldig.«

Die Anklage tut sich leicht, weil jetzt kein wendiger Advokat kompetente Sachverständige zur Verteidigung auffahren lässt. Ein Theologe etwa, der Kritik an der Mose-Gesetzgebung übt: »Hohes Gericht! Die Zehn Gebote sind veraltet. Wir leben in einer liberalen und fortschrittlichen Gesellschaft. Unsere Maßstäbe müssen neu formuliert werden.« Oder ein Psychologe, der das Liebesdefizit dieser Frau ins Spiel bringt: »Hohes Gericht! Schon im Elternhaus mangelte es ihr an Liebe. Auch die Ehe hat das nicht gebracht, was sie sich erhoffte. Ihre Tat war nur ein verzeihlicher Seitensprung.« Oder ein Soziologe, der die ganze Institution Ehe hinterfragt: »Hohes Gericht! Heute gibt es alternative Lebensformen. Wechselnde Partner können Verkrustungen lösen. Für neue Impulse darf niemand bestraft werden.«

Aber solche Sachverständige treten nicht auf. Der Ankläger kann direkt seinen Strafantrag stellen: »Nach Mose 3, § 20, Absatz 10 ist Frau Vita des Todes schuldig. Ich beantrage deshalb die Todesstrafe durch Steinigung.«

Ein Raunen geht durch die Zuhörerbänke, wo die ewigen Kriminalstudenten sitzen, die ständig Appetit auf Histörchen und Skandälchen haben. Gleich wird sich der Richter Jesus erheben und das Urteil verkündigen: »Im Namen Gottes verurteile ich Frau Vita zum Tode.« Aber zu diesem Spruch kommt es nicht. Eine dramatische Wende tritt ein. Die Prozessordnung wird auf den Kopf gestellt. Nicht zu fassen, aber der Ankläger wird zum Angeklagten.

Jesus bückt sich nämlich und schreibt mit dem Finger dessen Sünden auf die Erde. Dem Ankläger wird der Prozess gemacht. Ihm wird der Lehmboden zum Spiegel seiner Vergangenheit. Im Dreck sieht er sein eigenes Sündenregister. In aller Öffentlichkeit ist er als Übertreter entlarvt.

Jeder, liebe Freunde, jeder ist als Gesetzesbrecher bloßgestellt. Denn Jesus schreibt nie in den Wind, sondern immer auf die Erde, oder auf Papier, oder ins Gedächtnis, oder ins Gewissen. Und es gibt keinen Radiergummi, keinen Tintenkiller, kein Tipp-ex, das diese Anklageschrift auslöschen könnte. Jeder kennt doch jene Augenblicke, wo man an den dunklen Fleck, an die böse Geschichte, an die schmutzige Begebenheit erinnert wird. Auch wenn wir sofort unsere eigenen Rechtsanwälte spielen und ein Plädoyer halten: Das war doch vor 3 Jahren und ist längst verjährt! Das war doch ein Kavaliersdelikt und ist längst ausgebügelt! Das war doch ein Ausrutscher und ist längst den Bach hinunter! Auch wenn

wir so plädieren, die Anklage bleibt. Die Zeit ist kein Bach. Die Vergangenheit ist kein Bügeleisen. Die Ewigkeit ist keine Verjährungsfrist.

Deshalb richtet sich Jesus auf und sagt: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!« Und wenige Augenblicke später ist der Ort wie leergefegt. Die Pharisäer haben sich verdünnisiert. Die Schriftgelehrten haben sich aus dem Staub gemacht. Die Kriminalstudenten haben eine Altstadtkneipe vorgezogen. Hätten wir unseren Platz behalten? Hätten wir das ausgesessen? Hätten wir Sitzfleisch bewiesen? Jesus fragt uns: Ist jemand da, der den ersten Stein werfen kann? Ist jemand da, der ein blitzsauberes Gewissen hat? Ist jemand da, der keinen Dreck am Stecken hat? Ist jemand da, der an alles denken kann, ohne rot zu werden? Ist jemand da? Das ist doch die Auferstehung der Schuld, unsere unbewältigte Vergangenheit. Jesus fragt dich nicht nach deiner Meinung über andere. Er behaftet dich bei dir selber.

Aber damit ist der Prozess nicht vorzeitig beendet. Die Verhandlung wird ohne Staatsanwalt und Zuhörerschaft fortgesetzt.

Jetzt sieht Jesus die Frau an. Für ihn ist das kein Fall Vita. Jesus kennt überhaupt keine Fälle. Er sieht ihren Hunger nach Leben. Er sieht ihren Durst nach Liebe. Er sieht ihre unvorstellbare Gier. Jesus sieht dich so, wie du bist. Aber in diesem Sehen übersieht er die Sünde nicht. Mach dir nichts vor: Jesus ist nicht tolerant. Er konzidiert keinen Seitensprung und verzeiht kein Fremdgehen. Der Spruch »Alles verstehen heißt alles verzeihen« stammt aus der Mottenkiste. Kavaliersdelikte sind Sünden vor Gott.

Jesus ist nicht tolerant und nicht liberal. Er bereitet nicht die Strafrechtsreform von 1969 vor, wo der Ehebruchsparagraph 172 ersatzlos gestrichen wurde. Auch wenn du heute so viel anderes hörst, höre: Ehe ist für Jesus keine Nomadenexistenz, wo man ein Zelt aufschlägt und dann unverantwortlich weiterzigeunert. Ehe ist für Jesus keine Bienenexistenz, wo man von Blüte zu Blüte fliegt und das Süße saugt. Ehe ist erst recht kein Taubenschlag. Ehe ist nicht vorher auszuprobieren. Sie wird eingegangen, lebenslänglich. Die Gebote Gottes sind in Geltung, von A bis Z. Ja, »wer eine Frau ansieht, ihrer zu begehren, der hat mit ihr die Ehe gebrochen.« Jesus ist weder tolerant noch liberal - aber er ist barmherzig. Obwohl er die Sünde der Frau sieht, fällt er das Urteil: Ich verdamme dich nicht! Ein todsicheres Urteil wird zur Begnadigung.

Lieber Freund, das ist Evangelium. Wenn du es bisher als Trostpflaster für dein Wehwehchen verstanden hast, musst du jetzt aufwachen. Evangelium ist Freispruch trotz Schuld, Begnadigung trotz Sünde. Jesus selbst nimmt den Platz vor der Schranke ein: Zum Aufruf kommt der Fall Jesus von Nazareth. Schweigend lässt er den Prozess über sich ergehen. Sein Todesurteil wird nicht aufgehoben. Am Kreuz stirbt er den Verbrechertod: »Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.« Friede für Frau Vita, Friede auch für dich. Und wenn sie mit den Fingern auf dich zeigen, und wenn sie dich in Grund und Boden hinein verdammen, und wenn sie dich anspucken: Jesus spricht dich frei.

Diesem Urteil folgt keine Begründung, weil unser Herr grundlos barmherzig ist, eine Mahnung ist angefügt: »Geh, aber sündige hinfort nicht mehr!« Das ist also ein Freispruch mit Bewährung. Die Sache ist mit dem Prozessende nicht vom Tisch. Frau Vita kann nicht beschwingt den Tempelberg hinuntertänzeln, sich den nächsten Freund anlachen und das dolce vita von neuem beginnen. Jesus befreit zu einem Leben mit ihm. Diese Geschichte hat also eine Fortsetzung. Und diese Fortsetzung wird vom Leben dieser Frau geschrieben, das nicht in Beliebigkeit, sondern in die Verbindlichkeit hineingestellt ist. Sie soll die Knie beugen und täglich ihrem Herrn danken. Sie soll sich auf die Füße machen und Anschluss

an eine Gemeinde suchen. Sie soll die Augen öffnen und die entsetzliche Not der Welt in den Blick bekommen. Sie soll die Hände auf tun und zupacken, wo Hilfe not tut. Und dabei wird sie merken, dass ihr dies alles ein nova vita, ein neues Leben bringen wird.

Geh, sündige hinfort nicht mehr! Diese Mahnung klingt nach. Heute erreicht sie dein Ohr. Geh, auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst. Geh, auch wenn du Angst vor dem Rückfall hast. Geh, auch wenn deine alten Kumpels dich warnen. Geh, auch wenn Hände und Füße völlig ungeübt sind. Geh in ein Leben mit Jesus. Ich kenne niemand, der dieses Gehen bisher bereut hat.