Vierter Teil (Zwischenstück 1)

    Sündenerkenntnis als Voraussetzung der Hoffnung der Frommen.

 

Psalm 5, 12           Laß sich freuen alle, die auf dich hoffen;

                            ewiglich laß sie rühmen, denn du beschirmest sie.

                            Fröhlich laß sein in dir,

                            die deinen Namen lieben.

 

    1. Hoffnung überwindet Traurigkeit und Verzweiflung.

    Wahre Freude kommt allein von der rechten Hoffnung auf Gott.

 

...[1] Vier verschiedene Gemütsbewegungen sehen wir hier nebeneinander genannt: ›sich freuen‹, ›hoffen‹, ›rühmen‹ und ›fröhlich sein‹. Aber auch die Worte: ›Du beschirmest sie‹ weisen gewissermaßen auf den Gemütszustand hin, nämlich auf die Hoffnung. Was ist nun der Unterschied zwischen ihnen? Das ist nicht leicht zu finden, weil gerade diese Regungen des Herzens selten und hoch sind und nur dem bekannt und begreiflich, der sie selber erfahren hat. Das eine ist jedenfalls dem Sinn des ganzen Psalmes nach gewiß, daß der Psalmist von einer Freude und Sicherheit des Herzens redet, die nicht darin begründet ist, daß äußere Trübsal (in der ja eigentlich die Geduld regieren muß) aufhört, sondern darin, daß die Sünde vergeben, das Gewissen rein und voll Glaubens ist (wo also die Hoffnung regiert). Er redet davon, um zu lehren, auf welchem Wege man gerecht und fromm werde, nämlich durch Gottes Barmherzigkeit und durch Furcht vor Gott, nicht durch abgöttische Werke.

Wohl suchen alle Menschen Freude und Fröhlichkeit: aber nicht alle suchen recht, und finden darum auch nicht. ... Offenbar stellt ja der Psalmist hier diese freudigen Regungen mit besonderer Absicht den ›poele aven‹, d. h. den Übeltätern oder (wie man noch häufiger übersetzt) den Leidschaffenden vor Augen. Denn wie schon gesagt, ihre Abgötterei und ihr gleißender Werkdienst ist Mühe von Narren, die sie entmutigt und traurig macht, niemals aber das Herz wahrhaft mit Freude erfüllt. In diesem Sinn sie wie Mal. 3,14: »Was nützt es, daß wir ... in Buße einhergehen vor dem Herrn Zebaoth?« und Jes. 58,3: »Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unsern Leib, und du willst’s nicht wissen?« und so fort in diesem ganzen und dem folgenden Kapitel Jesajas, worin dieses Elend ausführlich geschildert wird.

Willst du also wissen, wo wahre Herzensfreude zu finden ist? Unser Psalm sagt es: ›Laß sich freuen, die auf dich hoffen.‹ Dies steht da als eine gewisse Beschreibung und als ein zuverlässiger Satz. Die Freude des Menschenherzens kommt nicht von Werken noch irgendwelchen anderen Dingen, sondern allein von einer rechten Hoffnung. Wer anders als durch Hoffnung Freude zu erlangen sucht, muß sich’s sauer werden lassen und wird sich doch umsonst plagen. Ja, es wird nur schlimmer mit ihm werden, wie bei dem blutflüssigen Weib im Evangelium,[2] nachdem sie all ihr Gut an die Ärzte gewandt hatte. So geht es all denen, die ein geängstigtes Gewissen haben und nun bald dahin, bald dorthin laufen, bald den, bald jenen um Rat fragen, bald dies, bald das tun und alles mögliche probieren, um Ruhe zu finden für ihr Herz; aber die Hoffnung, die allein Ruhe schenkt und die auch sie bei sich selber haben könnten, die suchen sie nicht. Zu solchen Selbstpeinigungen helfen die lügenhaften Lehrer noch mit, indem sie törichterweise Weise, Genugtuungen,[3] Ablässe[4] und Wallfahrten verweisen, falschen Trost spenden und mit mehr solcherlei Dingen die in der Finsternis Wandelnden verführen, wie es heutigentags davon eine zahllose Menge gibt.

 

Nicht Leid, sondern unerfülltes Glücksstreben schafft Traurigkeit.

 

Da von der Hoffnung im Psalter so oft gelehrt wird, wollen wir an dieser Stelle etwas ausführlicher davon handeln, damit ein für allemal Kraft und Wesen dieser Hoffnung kennen lernen. Denn dies zu wissen ist erschrocknen und kleinmütigen Gewissen bitter nötig.

Es ist nun so: Ungeduld, Traurigkeit und Verstörtheit haben ihren eigentlichen und ersten Ursprung nicht in der Menge oder Größe von allen möglichen Bekümmernissen, Widerwärtigkeiten oder Leiden, sondern vielmehr in der Haltung des Herzens, das sich davor entsetzt und das Gegenteil, nämlich Wohlfahrt, Lust und Ehre unverständig begehrt. In gleicher Weise haben auch Verzweiflung, religiöse Schwermut und die Verstörtheit eines verängstigten Gewissens ihren eigentlichen und ersten Ursprung nicht in der Menge oder Größe von Sünden, sondern vielmehr in der Haltung des Herzens, das sich vor den Sünden entsetzt und dafür [das Gegenteil, nämlich] eine Fülle von guten Werken, von Gerechtigkeit und von Seligkeit unverständig begehrt.

Das erstere [was das Leiden betrifft] ist klar, weil der Psalmist hier sagt: ›Laß sich in dir freuen alle, die auf dich hoffen.‹ Wenn alle, die hoffen, sich in dem Herrn freuen sollen, dann gibt er zu verstehen, daß niemand ausgenommen ist, auch die nicht, die in Nöten sind; im Gegenteil, gerade von ihnen sagt er in erster Linie, daß sie sich in dem Herrn freuen sollen, weil sie bei sich selber oder bei den Menschen nur Leid erfahren. Das sind Christi [rechte] Gläubige, die, wie der Apostel sagt, ›des Leidens Christi viel haben, aber auch reichlich getröstet werden durch Christus‹.[5] Denn sie wissen, wo und in wem man sich freuen und sich rühmen soll, nämlich ›in dem Herrn‹.[6] Und weil sie solches wissen, werden sie weder traurig noch verstört noch ungeduldig; denn sie begehren weder Wohlfahrt noch Lust noch Ehre. Darum gehen sie zwischen Glück und Unglück mitten hindurch, wie geschrieben steht: »Es wird den Gerechten nicht bestürzen, was auch immer ihm geschehen mag«,[7] und Spr. 28,1: »Der Gottlose flieht, auch wenn niemand ihn jagt; der Gerechte aber ist furchtlos wie ein junger Löwe.« Wenn aber Menschen davon nichts wissen, unverständig sind und nicht einsehen wollen, daß man in Gott sich freuen und rühmen soll, dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als traurig, verstört und ungeduldig zu werden; nicht deshalb, weil Widerwärtigkeiten und Trübsale kommen, sondern weil sie, wenn solche kommen, in der törichten Haltung ihres Herzens nicht auf Gott, sondern nur ihrer verlorenen Wohlfahrt und Lust hintennach schauen. So fliehen sie und können doch nicht entfliehen, weil sie sich nicht dahin flüchten, wo man seine Zuflucht suchen soll. Darum ist die allgemeine Wurzel einer jeden Traurigkeit der unverständige Hang nach Freude und Ehre: würde der Mensch sich nicht daran hängen, so könnte er alle Widerwärtigkeiten für nichts achten. Das Sprichwort hat also ganz recht: ›Die Welt wird von Meinungen regiert.‹[8] Und: ›Für jeden sind die Dinge so, wie er sie einschätzt.‹ Kehrt man sich nicht an etwas, dann bringt es einem weder Schaden noch Nutzen; nimmt es aber wichtig, dann kann es beides, nützen oder schaden.

 

Nicht Sünde, sondern Streben nach guten Werken schafft Verzweiflung

 

Das andere [was die Sünde angeht,] ist ebenso gewiß, weil viele und große Sünder selig geworden sind, und weil die, zu denen der Psalmist hier sagt, sie sollen sich freuen in dem Herrn, jedenfalls auch mit Hiob sprechen müssen: »Wir können ihm auf tausend nicht eins antworten.«[9] Demzufolge haben sie viele und große Sünden. An ihnen zeigt Gott in besonderer Weise, wie nicht die Menge der Sünden es ist, die zur Verzweiflung führt, sondern die unverständige Haltung des Herzens, das zur Zeit der Gewissensnot nach guten Werken sucht, um sie den Sünden entgegen zu stellen, die es anfechten. Meint doch der Mensch (in heillosem Wahn), es sei möglich gewesen und noch möglich, daß Sünden durch Werke getilgt werden. Wenn er nun keine solchen findet und auch nicht weiß, daß er auf Gottes Barmherzigkeit emporblicken soll, dann muß er natürlich verzweifeln, genau so wie der ungeduldig werden muß, der anstatt auf Gott zu schauen dem Unglück Glück entgegensetzen möchte und doch keins hat. Es gibt ja keine Werke, die auch nur gegen eine einzige Sünde, und wäre es nur eine läßliche,[10] ausreichen könnten. Denn das unselige Gewissen eines gottlosen Menschen, der im Sterben liegt und bald vor Gottes Richterstuhl treten soll, sagt und disputiert mit sich selber also: ›O ich Unglücklicher, hätte ich jetzt nur viel Gutes getan! Hätte ich nur nichts Schlechtes getan! Wäre ich nur rein [und sündlos] geblieben!‹ Müssen nicht diese Worte, die der allergrößten Torheit und Gottlosigkeit voll sind, bezeugen, wie war der Satz Augustins ist: ›Das ist auch eine Strafe, die den Gottlosen trifft, daß er, der im Leben keinen Gedanken für Gott haben wollte, nun im Sterben keine Gedanken für sich mehr zusammenbringt.[11]‹ Er sucht Gutes und haßt das Böse und merkt nicht, daß er nie so bös gehandelt hat und nie dem Guten so fern gewesen ist als eben in dieser Stunde, in der er diese Worte spricht und vor lauter Klugheit unklug ist. Denn eben damit beweist er ja, daß er nicht auf Gott hofft, sondern auf Werke hofft. Wollte er nämlich hoffen, so wäre ihm Gott in dieser Stunde gegenwärtig, daß er auf ihn hoffen könnte. Aber er schaut allein auf vergangene Werke, um auf sie zu hoffen, die dann aus gutem Grund nicht der Art sind, daß er auf sie hoffen könnte. Hofft er aber nur um seiner Werke willen auf Gott (deutlicher gesagt: bildet er sich ein, dann zuversichtlicher und fröhlicher auf Gott hoffen zu können, wenn er eine Menge Werke vorweisen könnte), dann ist schon erwiesen, daß er mehr auf seine Werke als auf Gott hofft.

 

2. Hoffnung baut allein auf Gottes Güte, nicht auf den eigenen Stand.

 

Die Gerechten aber, ob sie gleich sündigen, verzweifeln doch nicht. Denn wie sie zwischen äußerem Übel (d. h. den Leiden dieses Lebens) und äußerem Wohl mitten hindurchgehen, so gehen sie auch zwischen dem inneren Übel (d. h. den Sünden) und dem inneren Wohl mitten hindurch. Sie werden nicht eingebildet, wenn sie rechtschaffen leben, und verzweifeln auch nicht, wenn sie sündigen; denn sie wissen, daß sie sich über keins von beiden freuen oder betrüben sollen, weil sie nicht vergessen, daß beides entweder Gottes Geschenk oder Verlust eines Gottesgeschenkes ist. Darum hangen sie fest allein an dem Geber selbst. Das ist gemeint, wenn es Spr. 24,16 heißt »Ein Gerechter fällt siebenmal und steht wieder auf, aber die Gottlosen versinken im Unglück«, d. h. sie stehen nicht wieder auf, sondern geraten ins Unglück der Verzweiflung. Denn wenn du hoffst oder wenigstens hoffen wolltest, wenn du Gutes getan hättest, so sollst du noch viel mehr dann hoffen, wenn du Böses getan hast, damit dir nicht das Wort von Psalm 49,19 gelte: »Er preist dich, Herr, solange du ihm Gutes tust«,[12] und dazu jenes andere Wort: »Zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.«[13] Sieh zu, daß du nicht eine Sünde zur andern und die Lästerung zum Ungehorsam fügst!

Darum ist sehr zu befürchten, daß den Gottlosen beide Übel zustoßen: einmal, daß sie sich einbilden, sich in Gott zu freuen und zu rühmen, wenn sie geehrt sind und alles wohl geht, während sie doch in Wirklichkeit nicht auf Gott, sondern nur auf seine Gaben, nämlich auf eben diese Wohlfahrt trauen, wie es sich in der Stunde der Anfechtung erweist. Sodann, daß sie (besonders in unserer so verderblichen, den Scheinwerken so ergebenen Zeit) der festen Überzeugung sind, auf Gott zu hoffen, wenn sie heilig, fromm und auch (wie sie es nennen) ›nach der Observanz‹[14] leben, während sie doch in Wirklichkeit, ohne es zu merken, auf ihre eigene Heiligkeit hoffen, wie es sich in der Todesstunde erweisen wird. Wenn dann das Gericht anhebt und sie um so zuversichtlicher sterben, weil sie ein gutes Leben hinter sich wissen und im Vertrauen darauf nun auf Gott ihre Hoffnung setzen (d. h. aber die rechte Hoffnung mit Füßen treten), dann wird es ihnen gehen wie einem Mann, der seinen Fuß auf ein im Wasser schwimmendes Stück Holz setzt und plötzlich in die Tiefe sinkt. Oder es geht, wie Jesaja (30,13) von ihnen sagt: »So soll auch diese Sünde sein wie ein Riß, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einfällt.«

 

3. Hoffnung erwächst nur dort, wo es Erkenntnis der Sünde gibt.

Gott läßt uns am Gesetz scheitern, um sich unser zu erbarmen.

 

Wie darum eine Geduld, die sich auf gute Tage gründet, keine Geduld ist, so ist auch eine Hoffnung, die sich auf Verdienste stützt, keine Hoffnung. Und so leicht oder so möglich es ist, Geduld zu haben, wenn es einem gut geht, so leicht ist es auch, Vertrauen zu haben, wenn Verdienste da sind. Denn in beidem lauert eine Gefahr: dort, daß man sicher und übermütig werde, und hier, daß man, von seiner Gerechtigkeit aufgebläht, die Gottesfurcht (das ist aber die Schule der Hoffnung) zur Seite schiebe. Geduld gibt es (wenn anders sie da ist) nur dort, wo es Trübsal gibt;[15] und so gibt es auch Hoffnung nur dort, wo es Sünden gibt.

Soll man also Sünden tun, damit wir zu hoffen vermögen? Das sei ferne, denn Sünden haben wir schon genug, solche, die wir begingen, und solche, in denen wir geboren sind,[16] so daß die Hoffnung schon genügend mit ihnen zu kämpfen hat, zumal auch unsere guten Werke vor Gott nur Sünden sind. Ist Gott also grausam, daß er alles an uns verdammt? Nein, sondern um sich uns mitzuteilen und uns das Vertrauen auf uns selber zu nehmen (das seiner Barmherzigkeit allein im Wege steht), hat Gottes unbegreifliche Barmherzigkeit uns das Gesetz gegeben, durch das er alle unter die Sünde beschlossen hat, auf daß er sich aller erbarme, wie es Röm. 11,32 heißt; denn »wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung«.[17] Wo es aber keine Übertretung gibt, da gibt es auch keine Barmherzigkeit; und wo keine Barmherzigkeit ist, da ist auch kein Heil, und wo kein Heil ist, da ist auch kein Gott. So ist die Kraft der Sünde das Gesetz, die Kraft des Gesetzes aber die Barmherzigkeit, die Kraft der Barmherzigkeit die Hoffnung, die Kraft der Hoffnung das Heil, die Kraft des Heiles aber Gott durch unsern Herrn Jesus Christus denn »wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn Herrn, der vom Tode errettet« (Ps.68,21). Wenn also das Gesetz in uns Sünde schafft, so schafft (d. h. erfüllt) die Barmherzigkeit das Gesetz, die Hoffnung die Barmherzigkeit, das Heil die Hoffnung und Gott das Heil, und das alles in Christus. So steigt von Christi göttlicher Natur das Heil hernieder bis zur Sünde, und so steigen wir in Christi menschlicher Natur hinauf von der Sünde bis zum Heil.

 

Es bedarf der Sünde, um uns zur Hoffnung zu verhelfen.

 

Daraus ergibt sich folgendes: in zeitlichen Dingen beschert uns Gott Gutes dazu, daß wir um deswillen ihn desto mehr verehren, auf ihn hoffen und ihn lieben lernen. Aber hier kommt es durch den verkehrten Hang unsres Herzens dazu, daß wir [gerade in solchen guten Tagen] Gott weniger leicht und in geringerem Maße Ehrfurcht, Vertrauen und Liebe entgegenbringen als in der Trübsal, in der dies leichter und mehr geschieht. Genau so ist es auch auf geistlichem Gebiet, wo Gott uns Gnadengaben und Verdienste schenkt, damit wir um ihretwillen desto mehr auf ihn hoffen lernen. Aber siehe, auch hier kommt es durch den verkehrten Hang unsres Herzens, das sich auf diese Gaben verläßt, dazu, daß man um ihretwillen am allerwenigsten hofft, sondern daß es zu diesem Hoffen viel eher durch Sünden kommt.

Darum hielt es Gottes Güte für nötig, das Kreuz aufzurichten und durch seine Verkündigung selig zu machen alle, die daran glauben, nämlich die Toren und Sünder, die Klugen und Heiligen aber zu verwerfen, wie es 1. Kor. 1,23 f heißt: »Wir predigen den gekreuzigten Christus, den Griechen (d. h. den Klugen) eine Torheit und den Juden (d. h. den Heiligen) ein Ärgernis; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen (d. h. den Sündern und Toren) göttliche Kraft und göttliche Weisheit« (dort magst du noch weitere treffliche Worte nachlesen).

Wie es sehr gefährlich ist, wenn ein Mensch immer im Glück belassen ist, weil er da nie oder doch nur höchst selten Gott lieben lernt, so ist es noch viel gefährlicher, wenn ein Mensch immer in vielen Verdiensten und Gnadengaben Gottes lebt bis zu seinem Tode, weil er so kaum einmal auf Gott hoffen lernt. Aus diesem Grund läßt Gottes Barmherzigkeit es geschehen, daß die Menschen nicht nur in Gewissensverwirrung geraten, sondern daß sie auch, wenn sie aus gröberem Stoff sind, einmal in eine öffentliche Sündentat fallen, wie Hurerei oder ein ähnliches Laster. So groß ist die Sorge, zu der Gott zu ihrer Rettung gezwungen wird, daß er gegen seine Barmherzigkeit handelt, um sie zu seiner Barmherzigkeit zu führen und durch Sünde von der Sünde loszumachen.

 

Dennoch bleibt das Gute von uns gefordert und bleibt Sünde verdammt.

 

Was ich hier sage, sind sicher für viele ungewohnte Gedanken. Sie könnten mir vielleicht vorhalten: ›So soll man also bloß noch sündigen und das Gute gänzlich unterlassen?‹ Oder, wie man dem Apostel einwandte, als er dasselbe lehrte: »Lasset uns Übles tun, auf das Gutes daraus komme.«[18] Scheint es doch, als ob unsere Worte den Weg zur Sünde auftun und das Gute verbieten, gleich als sei es schädlich zur Seligkeit.

Darauf antworten wir: Durch unsere Worte werden keineswegs die guten Werke verboten, sondern vielmehr aufs dringendste empfohlen; und die Sünden werden mit der nachdrücklichsten Lehre und von Grund auf verworfen, wenn es heißt, das Gute müsse von innen heraus kommen und die Sünde im Inneren sterben. Denn allein die böse Begierde des Herzens, das ganz heimlich und verschlagen fleischlich gesinnt ist, auf solche Werke vertraut und darum der Hoffnung, die sich nur auf Gottes Barmherzigkeit gründet, aufs heftigste widerstrebt, – diese Begierde (das Haupt der alten Schlange[19]) muß zertreten, ausgerissen und vernichtet werden. Und so ist es zu verstehen: Hat man kein gutes Leben geführt, so braucht man deshalb nicht zu verzweifeln; und man darf nicht deswegen hoffen, weil man ein gutes Leben geführt hat. Ist das erste schon schwer, so ist das zweite noch viel schwerer; denn dort muß man sich nur gegen die Sünden wehren, hier aber gegen die guten Werke und gegen die Sünde zugleich, d. h. aber gegen den bösen Hang, sich mit guten Werken brüsten zu wollen.

 

Nicht Gottes gute Gaben sind Sünde, sondern ihr Mißbrauch.

 

Wenn ich also sage, Geduld könne es nicht geben, solange alles wohl geht, so verdamme ich doch damit noch nicht gleich Dinge wie Obrigkeit, Frieden und Unterhalt, ohne die man nicht leben kann und die des gütigen Gottes gute Gaben sind. Was ich damit verdamme, ist die menschliche Einstellung dazu, in dem Sinn, da diese Dinge selbst über kurz oder lang mit einem ihnen an sich nicht gebührenden bösen Namen genannt werden müssen. So heißen sie »eitel« beim Prediger[20] und »Dornen«[21] bei Christus im Evangelium ohne alle eigene Schuld, sondern nur um einer fremden ›Eitelkeit‹ willen, der die Kreatur, wie der Apostel in Röm. 8,20 ff sagt, ›unterworfen ist mit Seufzen ohne ihren Willen‹. So steht es auch mit den besten Werken der Gottlosen: sie sind [an sich] Gottes Gaben, durch die nicht selten andern geholfen wird; den Gottlosen selbst aber sind sie verderblich. Ohne eigene Schuld, nur weil sie von den Gottlosen geschehen, werden sie also ›Aven‹[22], Unrecht, Abgötterei und Ungehorsam genannt. So spricht Mose, noch mit der Decke über seinem Angesicht[23], von ihnen (5. Mose 28,30): »Mit einem Mädchen wirst du dich verloben; aber ein anderer wird es sich nehmen. Ein Haus wirst du bauen; aber du wirst nicht darin wohnen. Einen Weinberg wirst du pflanzen; aber du wirst seine Früchte nicht genießen«, und noch sehr viel mehr derartiges, wodurch er voraussagt, daß ihnen die Mühe, Fremden aber die Frucht zuteilwerden soll. Was stellt er hier anderes fest als das, daß sie zwar Gutes tun werden, doch so, daß sie selbst davon leiden müssen, während andern damit geholfen wird. Dies beantwortet auch jenen Einwand, der ab und zu gemacht wird, wieso denn ein gutes Werk wie Almosengeben, Unterstützung von Bedürftigen und ähnliches Sünde sein solle, wenn es ohne Gottes Gnade geschieht. Wie wenn Christus in der Tat nicht wüßte, daß Weissagungen und Gutestun in seinem Namen und das Hören seines Wortes gut sind! Und doch wird er sie als Übeltaten verdammen und sprechen: »Weichet alle von mir, ihr Übeltäter!« (Matth. 7,23). Oder wenn eine Dirne sich mit Gold und Edelsteinen schmückt, dann liegt ihre Sünde doch nicht in den guten Sachen, die sie an sich trägt. Die Gottlosen können also wohl andern von Nutzen sein und gute Werke tun, aber ihnen selbst nützt das gar nichts. Vielmehr Gott handelt dabei durch sie, der ›alles in allen wirkt‹,[24] auch in den Bösen.

 

FÜNFTER TEIL (Zwischenstück 2)

 

Verzicht auf eigene Verdienste als Merkmal rechter Hoffnung

 

1.Hoffnung ist ausschließliches Vertrauen auf den unsichtbaren Gott.

 

Dies alles wird durch das Argument als richtig erwiesen, daß die Hoffnung, wie allgemein gelehrt wird, eine ›theologische‹ Tugend1 ist, die ausschließlich Gott allein zum Gegenstand hat (wie man sich auszudrücken pflegt); Gott aber ist die Güte selbst und das Erbarmen mit uns, das uns verheißen ist. Hofft also jemand auf etwas anderes als auf die verheißene Barmherzigkeit (d. h. auf Gott), so ist er vermessen und der Hoffnung verlustig. Dasselbe tut, wer auf Gott und zugleich auf seine Verdienste  hofft. Denn so wenig man (wie S. Augustin sagt) Gott zugleich mit etwas anderem lieben kann, weil man dann Gott nicht über alle Dinge liebt, so wenig kann man auch auf ihn und zugleich noch auf etwas anderes hoffen, weil man dann nicht über alle Dinge auf ihn hofft. Und ebenso wenig kann man ihn und zugleich noch etwas anderes glauben, weil man dann nicht über alle Dinge an ihn glaubt. So sehr sind jene drei [Glaube, Hoffnung, Liebe] »göttliche« Tugenden und haben nichts anderes als Gegenstand und Träger, Wirker und Werk, Kunst und Art, denn Gott allein. Hier zieht der Bräutigam sich mit der Braut in das geheime Brautgemach zurück, er und sie allein, während das, was sonst zu tun, auch von den ›Töchtern Jerusalems‹ und von den Gefährten [des Bräutigams]2 erledigt werden kann. Alle übrigen ›hinken auf beiden Seiten‹, und dienen ihrem Baal zugleich mit Gott3

Ein weiterer Beweis für jene Sätze liegt auch darin, daß Hoffnung sich auf etwas richten muß, was man nicht sieht, wie Glaube und Liebe auch. Röm. 8,24 heißt es: »Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man des hoffen, das man sieht?« Oder was glaubt der, der nur glaubt, was er sieht? Oder was liebt der, der nur liebt, was er sieht? Wahrlich nichts als nur fleischliches Abbild, das viel geringer ist als Gott selbst, eine Nachbildung, nicht das Echte. Wer nun also auf seine Werke hofft, der sieht, hält, hat und begreift, worauf er sich verläßt, hofft aber nicht auf den Unsichtbaren, Unwahrnehmbaren und Unbegreiflichen, der die Verheißung gab und der sich ihm allein durch sein Wort geoffenbart hat. Solches alles ist unserem Fleisch höchst beschwerlich, herb und hart, weil darin sein Todesverhängnis waltet.

Was darum im Hohen Lied gleichsam sinnlich über Bräutigam und Braut und über die fleischliche Liebe der Menschen gesagt wird, überhaupt auch alles, was noch heutzutage im Verhältnis von Mann und Frau eine Rolle [als Gleichnis] spielt, bedeutet [in Wirklichkeit] das gerade Gegenteil all solcher Wollust: es bedeutet nämlich die vollkommensten Werke des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, und die sind Tod und Hölle, wie es dort4 heißt: »Liebe ist stark wie der Tod, und Leidenschaft unwiderstehlich wie die Hölle«, und weiter: »daß auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.« Das kann man unmöglich auf Glut sinnlicher Lust beziehen ...5

 

2. Hoffnung ensteht nicht durch Verdienste, sondern durch Trübsal.

Nach Paulus können Verdienste keine Hoffnung bewirken.

 

Nun hält man uns freilich wieder jenes Wort des Apostels aus Röm. 5,3 ff entgegen: »Trübsal bringt Geduld; Geduld aber bringt Bewährung; Bewährung aber bringt Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.« Hier sieht es allerdings so aus, als ob der Apostel die Hoffnung auf Verdienste gründen wolle. So hat denn auch der Meister der Sentenzen6 mit seinem ganzen Anhang von Theologen von daher folgende Begriffsbestimmung der Hoffnung gutgeheißen: ›Hoffnung ist ein gewisses Erwarten von Lohn, daß auf Verdienste sich gründet.‹ Diese Theologen haben ja in der Tat keine andere Hoffnung als die, die sich auf Verdienste gründet. Was konnte eine solche Meinung aber dann auch anderes zur Folge haben als eine Verderbnis der ganzen Theologie, Unwissenheit über Christus und sein Kreuz und (worüber Jeremia klagt) ein Vergessen Gottes seit endlos langer Zeit.7

Was aber werden sie uns darauf antworten, [wenn wir ihnen vorhalten], da sie doch selber bekennen, Glaube Hoffnung und Liebe seien ›eingegossene‹ Tugenden8 und die Voraussetzung für alles Gute? Auch sie selbst behaupten ja nicht, daß es Verdienste gebe, bevor einer Liebe hat. Und ferner versichern sie unablässig, mit der Liebe würden zugleich auch Hoffnung und Glaube ›eingegossen‹; so muß darum auch ihrer eigenen Meinung nach sicher sein, daß die Hoffnung nicht aus Verdiensten, sondern Verdienste aus der Hoffnung erwachsen. Und doch drehen sie, sobald sie den Begriff der Hoffnung bestimmen, diesen Satz wieder um und widersprechen sich selbst, indem sie die Hoffnung auf Verdienste gründen lassen.

Was wollen sie ferner dazu sagen, daß der Apostel Geduld für eine Frucht der Trübsal erklärt? Wer kann überhaupt Trübsal geduldig ertragen, wenn er nicht schon Hoffnung hat? Denn wer verzweifelt, gelangt niemals weder zur Geduld noch zur Bewährung noch zum Rühmen in der Trübsal, sondern im Gegenteil, er wird durch die Trübsal nur immer schlimmer. Wie Christus nach Matth. 7,27 von dem Haus sagt, das auf Sand gebaut ist, es tue einen großen Fall, wenn die Winde und die Gewässer daherstürzen. Oder auch, wie Christus den Samen deutet, der auf das Steinige fällt, bald aufgeht, aber beim Aufgang der Sonne verdorrt9: damit seien eben die gemeint, die in der Zeit der Anfechtung wieder abfallen. Auch da zeigt es sich also, daß Hoffnung schon beim Beginn der Trübsal vorhanden sein muß.

Aber sieh dir auch jenen Satz an: ›Hoffnung erwächst allein aus den Verdiensten‹! Dann kann also kein Sünder hoffen, sondern nur ein Gerechter? Wer wird dann aber noch sich zur Buße kehren? Und wo wird dann ein Gerechter sein, wenn kein Sünder mehr Buße tut? Aber wie kann einer Buße tun, wenn er nicht auf Gottes Barmherzigkeit hofft? Oder soll man zu einem Sünder in seiner Todesstunde sagen: ›Das sei ferne von dir, zu hoffen; du hast ja keine Verdienste, aus denen eine Hoffnung für dich entstehen könnte‹? Das wäre nicht mehr Gottes-, sondern Teufelsgelehrsamkeit. Ist es doch der Teufel, der einem dann [in jener Stunde] mit Vorliebe ins Ohr flüstert: ‹Hoffe nicht, denn du hast ja keine Verdienste‹, während doch die Todesstunde die erste, höchste und allerbeste Schule der Hoffnung ist und der Tod selbst der geschickteste Meister, Hoffnung zu lehren. Grundfalsch ist darum jene Beschreibung der Hoffnung und eher werde ich zugeben, daß ich das Wort des Apostels nicht verstehe, bevor ich zuließe, daß man jene Beschreibung der Hoffnung daraus ableite.

 

Nach Paulus wird von Gott in Trübsal neue Hoffnung »eingegossen«.

 

Ich werde also [weiterhin] einfältig bei meinem Verhältnis bleiben. Zum ersten ist das gewiß, daß die Gnade, d. h. Glaube, Hoffnung und Liebe nicht eingegossen wird, ohne daß zu gleicher Zeit auch die Sünde hinausgegossen wird. Das heißt, der Sünder wird nicht gerechtfertigt, ohne zugleich verdammt zu werden; er wird nicht zum Leben erweckt, ohne getötet zu werden; er steigt nicht zum Himmel hinauf, ohne in die Hölle hinabgeführt zu werden. So steht es in der ganzen Schrift. Wird darum die Gnade eingegossen, so muß Bitternis, Trübsal und Leiden da sein, unter denen der alte Mensch seufzt, weil es ihm weh tut, daß er sterben soll.10 Bleibt er nun in dieser Trübsal geduldig und harrt er auf des Meisters Hand, die ihm auch die Gnade eingießt, dann ist er bewährt und wird Hoffnung, Glaube und Liebe empfangen, die bei diesem Vorgang eingegossen werden. Dies geschieht, so oft uns etwas widerfährt, das uns und unserem Willen zuwider ist, und zwar desto mehr, je mehr es uns zuwider ist. Dies ist die Weise, sage ich, in der nicht nur die »erste Gnade«11 eingegossen wird, sondern auch jede weitere Vermehrung dieser Gnade. Denn immer mehr und mehr wird der alte Mensch gekreuzigt und die Sünde ausgetrieben, weil auch immer mehr und mehr die Gnade einströmt bis zum Tode, wie es Offb. 22.11 heißt: »Wer fromm ist, der sei fernerhin fromm, 12 und wer heilig ist, der sei fernerhin heilig«, und in Joh. 1,16: »Wir haben genommen Gnade um Gnade.« Und nach Paulus Röm. 1,17 werden wir gerechtfertigt »aus Glauben in Glauben«, und »werden verklärt von einer Klarheit zu der andern«13 Und in Ps. 84,8 heißt es: »Sie gehen von einer Kraft zur andern.« Man kann darum mit Recht von uns sagen, daß wir von einer Hoffnung zu der andern aufbrechen.

 

Nach Paulus erweist sich die Hoffnung erst durch Trübsal.

 

Es ist also klar, daß der Apostel hier14 weniger von der Hoffnung selber spricht, die uns vorgehalten ist, als von der Gewißheit, die das Herz in dieser Hoffnung hat. Ist nämlich die Trübsal samt der [darin verborgenen] Eingießung der Hoffnung vorüber (während der man ohne alle Hoffnung zu sein glaubt), dann empfindet man, daß man hofft, glaubt und liebt. Da schmeckt man einmal, ›wie freundlich der Herr ist‹15, und man beginnt zu hungern und zu dürsten nach noch mehr Leiden, damit die Trübsal einem noch größere Hoffnung bringe. So müssen denn Glaube, Hoffnung und Liebe schon in den Anfängen eines jeden guten Werkes und eines jeden Leidens da sein; sichtbar werden sie aber erst nachher, wenn Werk und Leiden vorüber sind, damit dadurch offenbar werde, wer sich darin bewährte. So wurden Hiob und Abraham versucht, damit sie sich auch selber recht kennen lernten und dessen gewiß würden, daß sie an Gott glaubten, auf ihn hofften und ihn liebten; wie denn zu Abraham gesagt wurde: »Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest«,16 was nach Augustins Auslegung bedeutet: »Nun habe ich es dich wissen lassen.« Denn man soll nicht nur glauben, hoffen und lieben, man soll es auch merken und dessen gewiß sein, daß man glaubt, hofft und liebt. Geschieht das erste verborgen im Sturm der Trübsal, so folgt das andere nach, wenn der Sturm vorüber ist. Darum ermahnt uns auch Petrus, desto mehr Fleiß zu tun, um durch gute Werke unsere Berufung fest zu machen.17 Denn gut sein oder gut werden ist noch nicht dasselbe wie wissen, daß man gut ist, bzw. gut geworden ist. Es ist nicht anders als bei einem ›Blutgierigen und Falschen‹: erst, wenn er gereizt wird, merkt man, daß er ›blutgierig und falsch‹ ist, während er bis dahin sogar sich selbst als brav und bieder erschien. So bewirkt auch das Kreuz in denen, die darin ausharren und sich bewähren, am Ende eine feste Hoffnung (d. h. es läßt die Hoffnung aufkeimen, wachsen und sichtbar werden, und macht sie gewiß und wohl bekannt). In denen aber, die nicht darin ausharren und sich nicht bewähren, bewirkt es vom ersten Augenblick an die ohnmächtigste Verzweiflung. Darum sagt ein Gottesmann wie Tauler18 samt allen, die es schon selber erfahren haben, Gott sei seinen Kindern nie gnädiger, liebevoller, süßer und freundlicher, als wenn sie sich in Trübsal bewährten. Eine solche Hoffnung, so meint es der Apostel hier,19 kommt in der Tat aus der ›Bewährung‹. Wie Kinder ihren leiblichen Vater auch inniger lieben, wenn er sie mit der Rute gezüchtigt hat, so läßt der Bräutigam Christus seine Braut erst, nachdem er sie umarmt hat, Wonnen empfinden, die dem Fleische fremd sind. Die Umarmung selber aber ist der Tod und Hölle.20 Darin steht und waltet jenes große Geheimnis: ›Die zwei werden ein Fleisch sein‹, nämlich Christus und die Gemeinde.21 Wahrlich ein ›großes Geheimnis‹ ist es, denn es tut sehr weh, bringt aber die süßesten Früchte hervor: Kinder, die Gottes ganzes Ebenbild tragen, und Werke, die gar niemand tadeln kann. So wird denn ›die Rebe gereinigt, daß sie mehr Frucht bringe.‹22 Wenn das schon von jeder Art und Stufe der Hoffnung gilt, daß sie aus solcher Bewährung hervorgeht, wie viel mehr muß man dann glauben, daß der Apostel auch von der ›vollendeten‹ Hoffnung23 dies sage und denke, die doch aus vieler und mannigfacher Trübsal hervorgeht.

 

3. Erst die Beseitung aller Verdienste läßt Hoffnung entstehen.

 

Die Berufung auf Verdienste macht vermessen statt hoffnungswillig.

 

Laßt uns nun diese Worte des Apostels näher betrachten, in denen er die Hoffnung eine Frucht der Bewährung, Bewährung eine Frucht der Geduld, und Geduld eine Frucht der Trübsal nennt. Wenn der »Meister [der Sentenzen]«24 dies ›Verdienste‹ heißt, welche Hoffnung erzeugen, so hat er sich im Ausdruck vergriffen, oder aber hat er sicherlich jene ›Verdienste‹ nicht recht verstanden.

Denn wahrlich ein ›tätiges Leben‹25 auf das viele allzu keck sich verlassen und das sie auch als verdienstlich verstanden wissen wollen, das erzeugt und bewirkt keine Hoffnung, sondern Vermessenheit; so wie auch Gelehrsamkeit nur aufbläßt. Da muß erst noch ein ›leidendes Leben‹26 [des Kreuzes] hinzukommen, welches das ganze ›tätige Leben‹ tötet und zerstört, bis nichts mehr an Verdiensten übrig ist, dessen sich ein Hoffärtiger rühmen könnte.

Wo das geschieht und ein Mensch ausharrt, da hebt in ihm die Hoffnung an, d. h. er lernt, daß es nichts gibt, auf das er seine Freude, seine Hoffnung, seinen Ruhm setzen könne, als allein Gott. Denn Trübsal läßt uns, indem sie alles wegnimmt, auf alle Fälle eins: Gott. Denn Gott kann sie uns nicht nehmen, im Gegenteil, sie bringt ihn uns. Ist uns aber alles weggenommen, auch die guten Werke und Verdienste, und harren wir dabei aus, dann finden wir Gott, der jetzt der einzige ist, auf den wir unser Vertrauen setzen können; und so sind wir selig durch Hoffnung.27

Mögen darum die Werkheiligen noch so zuversichtlich behaupten, sie vertrauen auf Gott: sobald jedoch ihr ›tätiges Leben‹ (das ihre ganze Stärke ist) einmal einen Stoß erhält, etwa weil ihr guter Ruf vor den Menschen zunichte wird oder ihr Gewissen vor Gott erschrickt, dann verzagen sie sofort. Daran zeigt sich dann, daß sie mehr auf ihr eigenes Leben eingebildet waren als auf Gottes Barmherzigkeit gehofft hatten. Denn kein ›tätiges Leben‹ ist so gut, daß es vor Gott bestehen, ja auch nur den Menschen allen bis zuletzt gefallen könnte, wie es das Wort zeigt; »Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht; denn vor dir ist kein Lebendiger Gerecht«28

Das ›leidende Leben‹ allein ist ganz rein und kann darum auch Hoffnung und Ehre schaffen. Deshalb müssen wir darin dem Bild und Beispiel Christi, unseres Königs und Führers, ähnlich werden, der wohl mit einem tätigen Leben begann, aber durch ein leidendes Leben vollkommen wurde.29 So viel und herrlich auch seine Werke waren, so wurden sie doch alle so sehr zunichte gemacht, daß er nicht bloß vor den Menschen ›den Übeltätern gleichgerechnet‹,30 sondern auch von Gott selbst verlassen wurde.31 So muß alles auch uns weggenommen werden, daß nicht einmal mehr Gottes beste Gaben, nämlich eben die Verdienste, übrig bleiben, auf die wir unser Vertrauen setzen könnten. Dies muß geschehen, damit unsere Hoffnung ganz rein sei, indem sie sich allein auf den reinen Gott richtet: denn dann erst ist der Mensch wirklich rein und heilig.

 

Der Verlust aller Verdienste schmerzt sehr, ist aber notwendig.

 

Dieses Geschehen vollzieht sich unter mancherlei Trübsal und wahrlich unter vielen Schmerzen; am schlimmsten aber wird es, wenn wir dem Letzten uns zu nähern beginnen, was der Hoffnung gebührt, d. h. wenn uns die guten Werke weggenommen werden samt dem guten Gewissen, das wir hinsichtlich unseres Lebens hatten. Denn vorher, solange uns das andere, Besitz, Gesundheit oder Ehre weggenommen wird, ist es weniger die Hoffnung als die Geduld, die den Kampf wider die Ungeduld und den [natürlichen] Menschen aufzunehmen hat. Darin kann der Mensch so erfahren und geübt werden, daß deren entgültigen Verlust geduldig verschmerzen lernt. Hierin aber, wenn die Anfechtung wider das gute Gewissen stürmt und die Verdienste dahin fallen, dann muß die Hoffnung selbst wider die Verzweiflung und geradezu gegen sich selber, ja gegen Gott streiten. Denn sie meint, Gott zürne ihr, weil sie keine guten Verdienste mehr aufzuweisen habe, die sie nötig brauche und nun doch nicht haben könne. So zerquält sie den Geist, zählt alle Gebeine,32 als hinge er mit Christus zusammen am Kreuz ausgestreckt. Man könnte darum die Hoffnung mit Recht auch ›geistliche Geduld‹ nennen oder eine Geduld, die Sünde und Schuld erträgt. So wie man umgekehrt auch die Geduld ›leibliche Hoffnung‹ nennen könnte oder eine Hoffnung, die Pein und Strafe erträgt.33  Wenn man nämlich im Gewissen und von Verzweiflung angefochten wird, was heißt das anderes als erfahren, daß die Schuld nicht mehr vergeben werden könne, daß Gott nicht mehr gnädig werden wolle, und daß alle guten Werke völlig dahin seien? Und doch, wenn der Mensch hier ausharrt und ›auf Hoffnung hofft, da nichts zu hoffen ist‹,34 dann wird er als bewährt erfunden; und nachdem ihn diese Trübsal seiner Verdienste entkleidet hat, wird er jetzt mit Hoffnung angetan und mit der Ehrenkrone, die nie zuschanden wird, gekrönt für alle Ewigkeit. Denn Gott zürnt ja in Wirklichkeit nicht; er will auch nicht, daß unsere Schuld unvergeben bleibe, sondern er versucht uns nur, ob wir unsere Hoffnung mehr auf seine  Barmherzigkeit als auf unsere Verdienste setzen.

 

4. Das Kleben an Verdiensten führt zum Zusammenbruch der Hoffnung.

 

Wer auf Verdienste baut, verbaut sich den Weg zur Hoffnung.

 

   Unsere Werkheiligen freilich, bis oben hin voll vom ›tätigen Leben‹ mit seinen Verdiensten, erschrecken vor nichts so sehr als vor dem Kreuz, das ihre Verdienste trifft. Denn sie sind betrogen durch das Wort des Meisters der Sentenzen, wenn er lehrt, daß Hoffnung aus Verdiensten hervorgehe, und darunter verstehen sie ›Werke‹, während doch der Apostel ›Trübsal‹ meint, d. h. also gerade Tötung und Kreuzigung der ›Werke‹. Daran kann man sehen, wie weit wir vom richtigen Verständnis der Hoffnung dadurch abgekommen sind, daß dieses eine Wort des Meisters der Sentenzen mißverstanden wurde. Dieser Irrtum hat schon unzählige Gewissensqualen, wenn nicht ewige Verdammnis verschuldet. Die Leute mühten sich durch Werke Hoffnung und Frieden zu erlangen; aber bei diesem Suchen widerfuhr ihrem Gewissen oder ihrem Leib Trübsal, die doch die rechte Schule der Hoffnung ist. Dabei vermochten sie diese nicht als solche zu erkennen, sondern stießen sie zurück; so mußten sie notwendigerweise verzweifeln, da sie eine andere Hoffnung nicht finden konnten. Das braucht niemand wunderzunehmen. Suchten sie doch die Hoffnung auf einem Weg, der zu Vermessenheit führt: und weil sie daran gehindert wurden oder, wie Hosea sagt35 weil dieser ihr Weg ›mit Dornen versperrt‹ war und sie nicht merkten, daß eben in diesem Hindernis der wahre Weg zur Hoffnung lag, so mußten sie verzagen.

   Darum sind heutzutage so viele Menschen schwach, kleinmütig, selbstquälerisch und unsicher auf allen ihren Wegen. Denn nicht dazu wirst du mit Verzweiflung oder Gewissensqualen heimgesucht, daß du schleunigst dein Vertrauen auf deine Werke setzen sollst, sondern im Gegenteil, daß du dich von den Werken abbringen läßt. Dieser Kampf, der ganz geistlich und unsichtbar und doch so hart ist, muß unter vier Augen zwischen Gott und dir allein ausgetragen werden. Da ist es allein die Hoffnung, die ausharrt und warten hilft, die die ganze Sache Gott anheim stellt und Gott gegen Gott überwindet, wie von Jakob in 1. Mose 32,25 ff geschrieben steht, er habe allein mit Gott gerungen und sei obgelegen, weshalb er daselbst von dem gesegnet wurde, dessen Namen er nicht wissen durfte; er hieß darum die Stätte Pniel36 indem er sprach: »Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.«.

   Wäre es einem Menschen gestattet, auf dem Weg der Vermessenheit glückselig zu wandeln und ohne solche Anfechtung Werk auf Werk zu häufen, wohin sollte es  mit ihm kommen? Vielleicht fiele nicht er in Verzweiflung, aber dafür fiele die Verzweiflung auf ihn, denn dann kennt er Gott nicht in diesen seinen Gedanken und Taten als wunderbar erfahren.

 

Erst wenn ein Mensch nichts mehr ist und hat, lernt er hoffen.

 

Nun kann man schon sehen, was jenes Wort Ciceros37 wert ist, das man so gerne anführt: »Das Bewußtsein eines gut geführten Lebens ist die lieblichste Erinnerung.« Das ist freilich wahr; aber dadurch, daß sie die lieblichste ist, ist sie zugleich die verderblichste. Der Christ soll lieber nicht so denken; ihm soll lieber das Bewußtsein eines gut durchlittenen (d. h. zu nichte gewordenen) Lebens38 das Lieblichste sein. Denn »wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn«.39 Auch Hiob denkt so [wie Cicero]: Zwar hat er gesagt: »Mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens halben«,40 aber doch wagt er nicht, sich zu rühmen, sondern fürchtet seinen Richter und bittet um Vergebung. Auch Paulus denkt nicht so, wenn er in 1. Kor. 4,4 spricht: »Ich bin mir nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt«, noch tut es Jeremia, der (9,22 f) sagt: »Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums! Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich kenne, daß ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.« Wir sollen also nicht auf irgendwelche Gaben Gottes vertrauen und hoffen und uns daran hängen (daß wir nicht Hurerei mit ihnen treiben, wie es in den Propheten heißt41), sondern auf den Geber selbst, auf Gott. Das meinen auch die Worte von Ps. 116,11: »Ich sprach in meinem Zagen: ›Alle Menschen sind Lügner.‹« Denn dieses ›Zagen‹ war die Trübsal, durch die ein Mensch unterrichtet wird, wie jedermann eitel und lügnerisch ist, der nicht allein auf Gott hofft. Denn der Mensch bleibt Mensch, bis er Gott wird, der allein wahr ist; der Mensch wird nur dadurch selbst auch wahr, daß er Anteil an ihn bekommt, indem er mit wahrem Glauben und Hoffen sich an ihn hängt, nachdem er durch dieses Zagen ganz zunichte geworden ist.

 

Nur der Zunichtegewordene findet zu Gott zurück.

 

Denn wo kann ein Mensch, der auf Gott hofft, anders hinkommen, als dahin, daß er selber zunichte wird? Wo aber soll einer, der zunichte wird, anders hingehen als dahin, woher er kam? Von Gott aber kam er, der ihn aus dem Nichts rief, und darum kehrt der, der ins Nichts zurückkehrt, auch wieder zu Gott zurück. Denn aus Gottes Hand kann ja selbst der nicht fallen, der aus sich selbst und aus aller Kreatur zu fallen meint; denn auch sie umspannt überall Gottes Hand. Er faßt die Welt mit der Spanne, sagt Jesaja.42 So durchlaufe die ganze Welt, wohin wirst du laufen? Überall in Gottes Hand und Schoß! Also sind ›der gerechten Seelen‹, die ja außerhalb der [sichtbaren] Welt sind,43 ›in Gottes Hand‹, auch wenn sie ›vor den Unverständigen angesehen werden, als stürben sie‹;44 es ist wie bei einem Stein, wenn er durch die Luft oder ins Wasser fällt, so wird er doch nicht durchs Erdreich fallen. Wie steht es aber mit den eifrigen und gleißenden Werkheiligen, die, von ihrem falschen Wahn betrogen, mit all ihren gerechten Werken nur das erstreben, daß sie wachsen und feist und groß werden? Wo werden sie hinkommen, die in keiner Weise zunichte, sondern nur etwas Großes werden möchten? Wahrlich, auch sie werden in ihr Nichts zurück müssen, aber dadurch nicht zu Gott kommen, sondern ewig verloren sein.

 

Vom eigenen Zustand blickt die Hoffnung weg auf Gottes Gnade.

 

Nun weiß ich wohl, wie viele Stellen aus der Heiligen Schrift, aus den Väterworten und Heiligen-legenden man dem entgegenhalten könnte. Aber ich weiß auch, wie übel alle diese Stellen mißverstanden werden, wenn man sie nicht nach der obigen Regel auslegt; denn sie sprechen alle für dieses Verständnis. Greifen wir als Beispiel nur eines heraus: Wir lesen bei Hieronymus,45 wie der heilige Hilarion46 zu seiner Seele sprach: »Fahr hin meine Seele, was fürchtest du dich? Hast du doch 93 Jahre lang Christus gedient und solltest dich vor dem Sterben fürchten?«47 Nimmt man an, er habe das im Vertrauen auf die Werke seines Lebens gesprochen, so muß man auch annehmen, er sei eher zur Hölle denn in den Himmel gefahren. Warum stellt man nicht gleich jene Geschichte von S. Agatho48 daneben, die so ganz gegenteilig lautet? Als dieser drei Tage lang voll Angst die Augen gen Himmel richtete, wurde er von seinen Jüngern gefragt, warum er sich denn fürchte, anstatt auf das Leben zu vertrauen, das er recht geführt habe. Da antwortete er: »Ich habe allen Grund, mich zu fürchten; denn ob ich schon weiß, daß ich Gottes Gebote nach Kräften erfüllt habe, so ist doch Gottes Urteil anders als der Menschen Urteil.« Eben dies kommt aber auch in Hilarions Furcht deutlich zum Ausdruck. Denn hätten ihm seine Werke genügt, so hätte er sich nicht fürchten brauchen. So aber mußte er einen anderen Anker suchen, auf den er sich verlassen konnte: aus den Gaben, die Gott ihm seither gegeben hatte, mußte er Gottes Barmherzigkeit sich vorhalten [und bei ihr sich bergen]. Die Erinnerung an frühere oder gegenwärtige Wohltaten Gottes, die einem zuteil geworden sind, ist doch wahrlich kein schwacher Antrieb zur Hoffnung; ja sie ist ein Strahl vom Angesicht Gottes und ein gutes Zeichen für uns, das Glauben und Hoffnung in uns entzündet. Darum wurden den Kindern Israel geboten, der Werke des Herrn und des Auszugs aus Ägypten zu gedenken49 damit dies ihren Mund zügle und sie, wie Jesaja sagt, ›um des Ruhmes Gottes willen nicht ausgerottet würden.‹50

 

SECHSTER TEIL (Zwischenstück 3)

 

Werk und Leiden als Bewährung der Hoffnung des Frommen.

 

1.Rechte Hoffnung vollbringt gute Werke allein aus und für Gott.

 

Wo Hoffnung ist, geschehen gute Werke ohne Streben nach Lohn

 

Gibt es also überhaupt keine Verdienste? Warum halten uns dann Christus und die Apostel mit so vielen Geboten dazu an, ›Gutes zu tun‹ , zu ›säen‹ und ›Gold , Silber, edle Steine‹ usf.. [auf den gelegten Grund] zu ›bauen‹? 51 Meine Antwort ist: das hat den Grund, daß die meisten, wie schon gesagt,52 den Fehler begehen, daß sie unter ›guten Werken‹ etwas ganz Falsches verstehen. Denn selbstverständlich muß man gute Werke tun und natürlich soll der Baum des Geistes seine Früchte bringen, von denen Gal. 5,22 geschrieben wird. Allein, man versteht das Wort Christi in Joh. 12,24 nicht: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt’s allein; wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht.«

Und in Joh. 15,2: »Eine jegliche Rebe an mir, die Frucht bringt, wird er reinigen, daß sie mehr Frucht bringe.« Dieses ›Ersterben‹ und ›Gereinigtwerden‹ (das durch die Eingießung von Glaube, Hoffnung und Liebe erfolgt) schafft, daß ein Mensch, seiner eigenen Werke entblößt, es lernt, auf Gott allein zu vertauen und gute Werke zu tun, aber nun nicht mehr für sich selbst, um damit Verdienste zu erwerben, für die er Belohnung verlangen dürfte, sondern sie umsonst zu tun, aus freiem, ungeheißenem Triebe des Herzens, Gott zu gefallen. Da setzt er kein Vertrauen mehr in sie, sondern dient mit ihnen nur noch der Ehre Gottes, wie es Matth. 5,16 heißt: »So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.«

 

Im Hoffenden ist Gott selbst am Werk, das Gute zu tun.

 

Wer auf diese Weise gute Werke tut, tut sie nicht für sich, sondern für Gott, gleichsam als Gottes Werkzeug. Nichts schreibt er dabei sich selber zu, sondern er läßt sich an Gott allein genügen, auf den er hofft. Wer nicht in diesem Sinne gute Werke tut, ahmt die heiligen Männer nur äußerlich nach Affenart nach: So muß unweigerlich das Leben aller Heiligen zum Aberglauben verführen, wenn man nicht lernt, über solchen guten Werken ›den Vater im Himmel zu preisen‹. Mit Recht heißt es darum: »Die Wege des Herrn sind lauter Güte und Treue«;53 das bedeutet, daß gute Werke nur dort geschehen, wo Gott selbst sie allein und ganz in uns wirkt, so daß auch kein Teil des Werkes mehr uns zuzuschreiben ist. Darum sei dies deine Richtschnur: Wo die Schrift gebietet, daß ein gutes Werk geschehe, mußt du es so verstehen, daß damit verbietet, daß du das gute Werk tuest, weil du das gar nicht kannst; sondern du sollst, um den Feiertag für Gott zu heiligen, [für deine Person] tot und begraben sein und Gott in dir wirken lassen. Dazu wirst du aber nimmermehr kommen außer durch Glauben, Hoffnung und Liebe, d. h. durch die Abtötung deiner selbst und aller deiner Werke. Es gibt also ›Verdienste‹ in uns, und doch auch wieder keine: Es gibt sie, denn sie sind Gaben Gottes und allein seine Werke. Eben deswegen aber gibt es sie auch wieder nicht, denn wir können uns um ihretwillen so wenig einbilden als irgend der verworfenste Sünder, in dem Gott noch nichts wirkt. So sind und waren und bleiben wir auch alle vor Gott immer gleich, damit die Überheblichkeit des einen wider den andern ein Ende habe nach dem Spruch des Paulus (1. Kor. 4,7): »Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmest du dich denn, als hättest du es nicht empfangen?« Dies Wort ist zu beherzigen: Wer überheblich ist und sich der Gaben Gottes rühmt, der tut damit dasselbe, als würde er sagen, er habe nichts empfangen. Wo bleibt dann noch eine Ungleichheit? Nirgends. Paulus sagt darum an derselben Stelle54 auch: »Wer gibt dir einen Vorzug?«, d. h. wer hat dich für besser erklärt als andere?, das ist als sagte er: Niemand.

 

Verdienste, die Gott wirkt, geben uns keinen Vorzug vor andern.

 

Aus dem allem erwäge, wie in Gottes Urteil jeder ganz gleich ist und wie bei ihm alle Masken und Stände der Personen in Werk und Leben gar nichts gelten, weil in seinen Augen kein Unterschied ist zwischen Gerechten und Ungerechten, was ihre Werke angeht. Denn allen Menschen beider Art, wie sie ihr Leben führen, hat er das Gesetz gegeben, durch das wir erkennen, wie die Gerechten so gar keinen Grund haben sich zu rühmen, und wie ebenso auch die Sünder so gar keinen Grund haben, zu verzweifeln. Beiden gilt vielmehr ein und dasselbe Gebot: auf Gott zu hoffen! An diesem Gebot entsteht der einzige Unterschied, nämlich der zwischen solchen, die [an ihren Werken] verzweifeln [und darum zur Gnade Gottes fliehen], und solchen, die [durch sie] vermessen werden. Weshalb denn auch Ps. 119,75 mit Recht gesagt ist: »Herr, ich weiß, daß deine Urteile gerecht sind; in deiner Treue hast du mich gedemütigt.« Sieh doch, wie hier der Psalmist durch die Treue Gottes zunichte wird und nach Gottes rechtem und gerechtem Gericht zum Allerletzten gemacht ist. Das eben will auch jenes Gebot haben, das uns glauben und hoffen heißt: es will uns alle zu den ›vornehmsten‹ und letzten Sündern machen. Das heißt aber, es will uns ihnen gleich machen und doch Werke durch uns bewirken, [den ihrigen] völlig ungleich und ganz entgegengesetzt sind. Wahrlich, Gott wirkt wunderbar in seinen Heiligen!

 

Im Hoffenden erweist Gott sich als der alles in allen Wirkende.

 

So nötigt Gottes Gebot uns alle, auf ihn zu hoffen, und hält eben dadurch uns von beidem ab, von Verzweiflung und von Vermessenheit. So ist denn Gott in der Tat ›alles in allen‹,56 ist ganz gleich und immer derselbe, und doch zugleich ganz ungleich und ganz entgegengesetzt.57 Er ist ja in der Mannigfaltigkeit einfach und in der Einfachheit mannigfaltig, in der Ungleichheit gleich und in der Gleichheit ungleich; er ist in der Erhabenheit der Geringste, in der Höhe der Tiefste, im Innersten der Äußerste, und umgekehrt. Genauso ist er auch ›in den Schwachen mächtig‹58 und in den Mächtigen schwach, in den Törichten weise und in den Weisen töricht. Kurz, er ist alles in allen. Doch möchte ich das nicht den frommen Ohren derer gepredigt haben, die sich an der Wahrheit ärgern, die sie doch in ihren eigenen unseligen Lehrbüchern niemals59 gelernt haben.

 

2. Rechte Hoffnung behauptet sich gegen die Verzweiflung.

 

Verzweiflung ist die allerschwerste Anfechtung der Hoffnung.

 

Nun könnte ein kleinmütiges und schwaches Gewissen freilich immer noch sagen: ›Wie, wenn ich nun einfach nicht hoffen könnte und so fühlen müßte, daß meine Verzweiflung unüberwindlich ist?‹ Auch ihm werden wir erwidern: ›Du sollst selbst dann nicht verzweifeln, wenn du die Verzweiflung in dir fühlst.‹ Es gibt keine Verzweiflung, die nicht noch etwas wünscht und darüber betrübt ist, daß sie so verzweifelt ist. Das ist vielmehr die Anfechtung der Hoffnung und ohne allen Zweifel die schwerste aller Anfechtungen; denn sie reißt alsbald und gleichzeitig hin zu größtem und beständigen Haß gegen Gott, zu Lästerungen, Flüchen und allen höllischen Bosheiten (die man hier gar nicht nennen darf), gegen die erhabene, hochgelobte und ruhmwürdige Majestät Gottes.

 

Man muß die Verzweiflung als heilsame Strafe ansehen.

 

Was soll man also in solcher Lage tun? Das erste ist, daß du anerkennst, du habest es so verdient und dies sei der gerechte Lohn für deine Sünden. Du mußt hier klug genug sein und diese Schwachheit und Anfechtung mit Lob und Dank tragen, als eine rechte heilsame Strafe für deine Sünden nach jenem Wort des Predigers (10,4): »Wenn des Herrschers Zorn wider dich ergeht, so verlaß deine Stätte nicht, denn Gelassenheit wendet großes Unheil ab.« Sei allein darauf bedacht, dem Haß, den Lästerungen und der Verzweiflung, so weit du irgend vermagst, keinen Raum zu geben, Sondern murre dagegen, wenn auch nur mit einem einzigen letzten Seufzer, und wisse mit Jesaja, daß Gott ›den glimmenden Docht nicht auslöschen und das geknickte Rohr nicht zerbrechen wird‹.60 Denn das eine will ich ohne weiteres und frei heraus sagen: Niemand ist Gott in diesem Leben näher als eben die Leute, die Gott so hassen und lästern, und keine angenehmeren und lieberen Kinder hat Gott als eben sie. Wird doch hier in einem Augenblick mehr Sünde abgebüßt, als wenn man viele Jahre Buße täte bei Wasser und Brot. In diesem Sinne ist es auch wahr, daß ein Christ in der Todesstunde (wo diese Anfechtung am stärksten ist) in einem kurzen Augenblick alle Sünden los werden und sich aufschwingen kann, wenn er sich in solcher Not weise verhält. Denn hier herrscht [des Geistes] ›unaussprechliches Seufzen‹ (Röm. 8,26).

 

Man darf in der Verzweiflung nicht ablassen, um Hoffnung zu bitten.

 

Das zweite aber ist, daß du dein ganzes Leben lang um Hoffnung bittest, doch so, daß du dich nicht weigerst, nach Gottes Willen auch diese deine Schwachheit zu ertragen bis an den Tod und mit deinem Fürsten und Herrn zu sprechen: »Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.«61 Und doch sollst du bei deinem Gebet nicht zweifeln, Gott werde dir die Hoffnung noch geben. Denn der dich bitten hieß, ja der dich diese Bitte ohne dein eigenes Zutun lehren wollte, tat es deshalb, weil er sich vorgenommen hat, dich zu erhören. Wenn darum die Hoffnung sich nicht gleich einstellt, so trage es geduldig, zweifle aber ja nie daran, daß sie dir noch gegeben wird; denn zur rechten Zeit wird sie ›gewiß kommen und nicht verziehen‹;62 bis dahin aber mußt du hoffen ›auf Hoffnung, da nichts zu hoffen ist‹.63

 

Man muß in der Verzweiflung das erste Gebot ganz ernst nehmen.

 

Dazu aber wirst du gewiß den Stecken und Stab Gottes haben, der dich stützt und tröstet,64 nämlich das erste Gebot Gottes, das das größte unter allen ist: »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.« 65 Denn in diesem Gebot werden wir zu Glauben, Hoffnung und Liebe zu Gott nicht bloß ermahnt, aufgefordert oder eingeladen, sondern dazu unter Androhung allerhöchster Strafe und Schuld verpflichtet (denn das heißt einen Gott haben). Diese Verpflichtung aber wirst du durch keinerlei Sünde los,66 ja sie hat ein größeres Gewicht als alle Sünden, zumal ja gerade zu dieser Zeit die Gelegenheit da ist, dies Gebot zu halten und zu erfüllen. Magst du dich darum gegen alle andern Gebote auf noch so vielerlei Weise versündigt haben, so ist das noch keine so große Sünde, als wenn du in einem solchen Augenblick auch noch dieses erste Gebot übertrittst, indem du verzweifelst. Denn das hieße jetzt geradewegs Gott leugnen, was schon zu denken schrecklich ist. Wer wollte auch seinem Gott ins Angesicht hinein sagen: ›Du bist nicht Gott!‹ Ja, wer könnte das auch nur mitanhören? Und doch sagt das in heißester, unstillbarer Gemütsbewegung, wer verzweifelt. Ein solcher Mensch fühlt sich sogar versucht, das richtig mit Worten auszusprechen, ja, er spricht wohl auch dergleichen aus oder, um es richtiger zu sagen, er läßt es zu, daß es in ihm vom Teufel ausgesprochen wird.

 

3. Rechte Hoffnung überwindet die Sorge um das Erwähltsein.

 

Jede Besorgnis um die eigene Erwählung ist eine Anfechtung.

 

Wie steht es aber, magst du jetzt sagen, wenn mich der Teufel mit der Erwählung67 quält und mich damit anficht, daß mir alle Hoffnung doch nichts nütze, wenn ich nicht erwählt sei? Davon soll, so Christus will, bei der Besprechung von Ps. 2268 ausführlicher die Rede sein. Einstweilen möge folgendes genügen: Dies ist die allergefährlichste Anfechtung; sobald du aber weißt, warum der Teufel oder die fleischliche Weisheit sie dir bereiten, dann weißt du damit auch schon, mit welchen Mitteln du ihr begegnen kannst.

Sei also zunächst dessen sicher und ganz gewiß, daß solch ein Gedanke nicht von Gott stammt und darum mit allen Kräften ausgetrieben werden muß als ein Gedanke, der deinem Gott in vielfacher Weise mißfällt. Daß er aber nicht von Gott stammt, erkennst du an diesem Zeichen: Alles, was von Gott kommt, treibt uns zu seinen Geboten und zur Erfüllung seines Willens. Denn Gott tut, denkt und will nichts anderes, als daß sein Wille geschehe. Jene vorwitzige Besorgnis aber, ob du erwählt seist [oder nicht], will Gott so wenig von dir haben, daß er sie  sogar in Ps. 55,23 ausdrücklich verbietet: »Wirf dein Anliegen auf den Herrn!«, und in Matth. 6,31 und 33: »Darum sollt ihr sagen... Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes.«

Der Teufel ficht dich mit dieser unnützen und schädlichen Besorgnis nur zu dem Zweck an, daß du darüber das Gebot deines Gottes vergessen sollst, das dich hoffen und glauben heißt; zugleich will er dich damit vor aller Arglist in Selbstsucht und Eigenliebe hineinziehen, so daß du nach dem zu trachten beginnst, das dein ist. Denn das ist seine letzte und höchste List, um uns durch Eigenliebe zum Sorgen zu verführen und uns damit zu Übertretern des göttlichen Gebotes zu machen. Was aber soll es nützen, wenn du bis zum Ende der Welt dich mit diesem Gedanken beschäftigen wolltest? Das würde zu gar nichts führen; es könnte dir weder Gewißheit verschaffen, noch würde es etwas an Gottes Ratschluß über dich ändern.

 

Die Sorge um die Erwählung widerspricht das Wort Gottes.

 

Gottes Wort bietet die besten Waffen gegen diese Anfechtung.

 

Darum wirf Blitze aus der Schrift wider solch Narrenwerk und dem Teufel ins Angesicht, der dir solche Gedanken eingibt. Da ist zuerst das Wort von Ps. 1,2: »Er sinnt über das Gesetz des Herrn (also nicht von der eigenen Erwählung!) Tag und Nacht.«69 Dann aus Sir. 6,37: »Betrachte immerdar Gottes Gebote und gedenke stets an sein Wort.« Ferner 2. Mose 13,9: »Darum soll es dir wie ein Zeichen sein auf deiner Hand und wie ein Merkzeichen zwischen deinen Augen, damit des Herrn Gesetz in deinem Munde sei.« Und auch Matth. 7,21: »Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel«; und noch viele solche Worte. Gott fordert nämlich nichts anderes, als daß sein Wille uns in einer beständigen Sorgfalt am Herzen liege. Ist das der Fall, dann wird die Sache mit der Erwählung ganz von selbst ohne unser Sorgen ins reine kommen. Der Verführer dagegen will, daß du dich zuerst um dich selber sorgst und erst an letzter Stelle um Gottes Gebote, daß du dich also deinem Gott vorziehst und ihn nicht über alle Dinge liebst, ja daß du überhaupt keinen Gott hast. Denn wenn die kaum bestehen, die mit größtem Eifer an Gottes Geboten hängen, wo wollen dann die erscheinen, die sich nicht an sie kehren, sondern sich in abwegige und unnütze Gedanken hineinziehen lassen? Darum sollst du zum Teufel oder zu deinem Herzen so sprechen: ›Gott hat das nicht geboten, sondern er hat mich geheißen, zu hoffen. Darum soll dies mein einziges Anliegen sein; ich könnte das andere,70 selbst wenn ich wollte, doch nicht fertigbringen.‹

 

Die Sorge um die Erwählung ist eine Selbstüberhebung.

 

Daß [die Sorge um die Erwählung] nicht von Gott stammt, kannst du zum zweiten leicht auch an dem Anzeichen ersehen, daß dich der Teufel mit diesen Listen in zwei sehr schlimme Übel stürzen will: Das erste ist, daß du Gott versuchen sollst, was er ja auch bei Christus auf der Zinne des Tempels erreichen wollte.71 Er möchte dir nämlich mit der Sorge so zu schaffen machen, daß du über deine Erwählung Gewißheit zu erlangen oder ein Zeichen vom Himmel zu sehen begehrst. Denn der Erwählung wegen ängstlich sein bedeutet doch nichts anderes, als darüber ungeduldig sein, daß man über Gottes Ratschluß keine Gewißheit hat. Wozu aber führt diese Ungeduld anders als dazu, daß man Gott versucht, indem man wünscht, über seinen Ratschluß Gewißheit zu bekommen? Kurz, man haßt es, daß Gott Gott ist, weil man nicht will, daß Gott etwas mehr weiß als man selber. Dieser schrecklichen Versündigung mußt du darum mit Gottes Wort entgegentreten, wie Christus es tat, als er sprach: »Es steht geschrieben: ›Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.‹«72 Du sollst seine Geheimnisse, die du nach seinem Willen nicht wissen sollst, auch nicht wissen wollen; und du sollst dich freuen über diesen seinen Willen, dem du nach seinem Gebot in allen Dingen gehorchen sollst. Liebst du aber diesen Willen seines verborgenen Ratschlusses, so bist du schon erwählt. So folgt aus dem Gehorsam gegen Gottes Gebote immer ganz von selbst ohne all unser Dazutun das, was wir mit verkehrtem Eifer den Geboten voranstellen und so ängstlich und erfolglos suchen, ohne es doch jemals zu finden. Denn Gottes Gebot ist der Weg zu Gott. Verlassen wir diesen Weg und suchen einen andern, weil uns der Teufel mit der Besorgnis um unser Heil und unsere Erwählung anficht, so müssen wir uns notwendig verirren und verlieren damit beides, den Weg Gottes wie auch unsern eigenen Weg, und damit aber auch unsere Erwählung und unser Heil.

Das zweite, überaus schlimme Übel ist, daß der Teufel sich bemüht, dich in den selben Abgrund zu stürzen, in den er selber gefallen ist und in den er Adam geworfen hat. Denn was hat jene Sorge um deine Erwählung für einen andern Zweck, als daß du (wie eben gesagt) den Ratschluß Gottes zu wissen begehrst? Den Ratschluß Gottes wissen wollen, heißt aber, Gott gleich sein wollen. Das wollte auch der Teufel selber, als er sprach: »Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten«,73 und so sprach er auch zu Adam: »Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.«74 Das heißt aber wiederum, nicht wollen, daß Gott dein Gott sei, was die größte aller Sünden ist. So siehst du also, wie listig er dich mit solchem Spuk und Blendwerk gegen die ausdrücklichen Gebote deines Gottes aufreizt, damit du den gleichen Fall tun sollst, den er selber getan hat. Darum mußt du auch hier Blitze schleudern aus dem Worte Gottes, welcher spricht (Spr. 25,27): »Wer zu viel Honig ißt, dem ist das nicht gut; so wird auch, wer die Majestät [Gottes] erforschen will, von ihrem Glanz erdrückt.«75 Und Sir. 3,22 ff heißt es: »Trachte nicht nach höherem Stande und denke nicht über dein Vermögen; sondern was Gott dir befohlen hat, dem denke stetig nach und sei nicht neugierig im Blick auf das, was er weiter tut. Denn es ist nicht nötig, daß du mit deinen Augen siehst, was verborgen ist. In überflüssigen Dingen forsche nicht viel nach und in Gottes weiteren Werken sei nicht vorwitzig. Denn schon das meiste, was dir gezeigt ist, geht über Menschenbegreifen. Schon viele hat ja ihr Dünkel betrogen und ihre Meinung in leerem Schein festgehalten.«76

 

Die Sorge um die Erwählung kommt aus dem Unglauben.

 

So wird uns also durch diese Gebote Gottes die vorwitzige Sorge um Gottes Werke verboten; sie übersteigen ja, wie uns [in diesen Worten der Schrift] gezeigt wird, unsere Fassungskraft und Verständnis und seine Gerichte sind unbegreiflich.77 Darum sollen wir uns statt dessen in aller Furcht mit Gottes Geboten beschäftigen, daß wir vertrauensvoll auf ihn hoffen. Jenes unmögliche Bemühen aber sollen wir dem Kopf des Teufels überlassen und dafür zu Gottes Werk gerüstet, zuversichtlich mit Joab nach 2. Sam. 10,12 sprechen »Sei getrost und laß uns kämpfen... der Herr aber tue, was ihm gefällt!« Was für ein schönes Vorbild ist das! Hätte Joab hier zuvor erwogen, ob der Sieg bei Gott vorausbestimmt sei, so hätte er, anstatt zu kämpfen, über einer solchen Erwägung das Nötige versäumt, hätte unnütze Dinge getrieben und wäre schimpflich besiegt worden.

Hier kannst du sehen, wie gottlos unsere Gottlosigkeit, wie töricht unsere Torheit und wie verkehrt unsere Verkehrtheit in höchstem Maße ist. Wir nehmen Frauen, bauen Häuser, pflanzen Weinberge, kaufen Güter, und niemand erwägt hier zuvor, ob es vorherbestimmt sei oder nicht, daß die Frau rein bleibe oder die Ehe breche, das Haus abbrenne oder stehen bleibe, die Güter ihm verloren gehen oder erhalten bleiben. Kurz, alle unsere Werke, insbesondere unsere Sünden, beginnen und vollenden wir voll Zuversicht und sorgen uns darum nicht, was Gott über sie vorausbestimmt hat. Hier ist sein allerhöchster Rat sicher genug vor unserem Fürwitz. Hier ist eines jeden Überlegung, Sorge und Eifer weit eher darauf gerichtet, wie er das hinausführe, was er sich vorgenommen hat, als daß er sich den Kopf zerbreche und erwöge, was vorherbestimmt sein könnte.

Warum das? Weil es hier nicht um das geht, was Gott geboten hat: unsere eigenen, selbsterwählten Anliegen sind das ja. Sobald es sich aber um Werke Gottes und um seine Gebote handelt, dann fangen wir sofort zu fragen an, dann wird nach Gottes Ratschluß geforscht und erst zuletzt wird dann noch erwogen, ob wir auch Gottes Geboten gehorchen sollen, bevor wir seine Geheimnisse kennen. Heißt das nicht etwa Gottes Majestät mit unausstehlicher Verkehrtheit erzürnen, wenn wir in unserem Tun uns so gedulden und nicht darnach fragen, was sein Ratschluß darüber ist, in seinen Sachen aber so ungeduldig und vorwitzig sind? Fällt doch so wenig ein Blatt vom Baum auf die Erde ohne seine Willen, als deine Seele selig wird ohne seinen Ratschluß. Und es wächst dir auch kein einziges Haar, noch verzehrst du ein Stück Brot oder trinkst einen Schluck ohne seinen Ratschluß. Da erwägst du nicht, zögerst nicht, befürchtest nichts, kümmerst dich nicht um seinen Rat, sondern machst dich gleich ans Werk. Dort aber kennst du nichts als Fragen und Zögern.

Jetzt solltest du also verstehen, daß seine Gedanken dir nicht von Gott, sondern vom Teufel eingegeben sind, der gerade dann am gereiztesten und arglistigsten ist, um dich durch Dinge, die dich nichts angehen, abzuziehen von dem Gebot und dem so freundlichen Willen deines gütigen Gottes. Wahr und trefflich sagt Pred. 11,4 gegen solche [verführten] Leute: »Wer auf den Wind achtet, der sät nicht; und wer auf die Wolken sieht, der erntet nicht. Gleichwie du nicht weißt, welchen Weg der Wind nimmt und wie die Gebeine im Mutterleib bereitet werden, so kannst du auch Gottes Tun nicht wissen, der alles wirkt.«

 

Das Geheimnis der Erwählung lähmt nicht, sondern spornt an.

 

Was nun? Sollen wir überhaupt nichts mehr tun, weil Gott doch alles wirkt, und wir es ja nicht wissen? Das sei ferne von uns! Denn an jener Stelle heißt es weiter: »Am Morgen säe deinen Samen und laß deine Hand bis zum Abend nicht ruhen; denn du weißt nicht, was geraten wird, ob dies oder das (d. h. die Morgen- oder Abendsaat) oder ob beides miteinander gut gerät.«78 Wie du siehst, lehren uns diese Worte, daß wir gar nichts wissen und doch gebieten sie uns, deswegen nicht die Hände in den Schoß zu legen; wir sollen vielmehr desto fleißiger arbeiten, je weniger wir wissen, was daraus werden soll. Nur wer verkehrten Sinnes ist, mag nichts tun, wenn er nicht weiß, was daraus werden soll. Das eben möchte nämlich der Teufel gerne haben, daß diese verkehrten Menschen im Leben nichts tun und dann auch im Sterben nicht in Frieden und Hoffnung entschlafen. Im Leben wie im Sterben sollen sie Gott widerspenstig und ungehorsam sein, [und das nur darum,] weil er Gott ist. Denn nicht bei sich sollen sie die Schuld suchen, sondern bei Gott selber, weil er seine Ratschlüsse nicht zuvor geoffenbart und ausgeschüttet hat und die erhabene Majestät seiner Gottheit nicht durch eine solche Preisgabe seiner Ratschlüsse zunichte machen wollte, bevor er ihnen die Last seines Gebotes auflegte. Wenn also die überheiligen Menschen dann alles tun würden, was sie geheißen werden, sobald sie nur zuerst wüßten, was Gott über sie beschlossen hat, so heißt das, [sie würden gerne alles tun,] sobald sie nur keinen Gott und Gebieter mehr hätten. Denn Gott kann nur so Gott sein, daß er etwas anderes ist, denkt uns weiß als wir.

Bedenke aber auch dies: Würde uns Gott seine Ratschlüsse offenbaren, so würden wir zuerst davor erschrecken und dann uns nicht mehr darum kümmern oder aber darüber verzweifeln. So wie es heute Leute gibt, die es schon für schädlich halten, von Gottes Gnade und Erwählung zu predigen, weil das vielen anstößig sei. So wenig Erfurcht hat der Mensch, der doch Staub ist,79 vor allem, was Gott will und tut; denn ihm ist immer bloß das eine wichtig, wie er ohne Furcht vor Gott, d. h. aber ohne Gott leben könne. Gott könnte also nicht gefürchtet werden, wenn nicht seine Gedanken über uns verborgen blieben, und auch Glaube, Hoffnung und Liebe wären dann nicht möglich!

 

SIEBTER TEIL (Zwischenstück 4)

 

Wurzel und Früchte der Hoffnung des Frommen.

 

1. Die Hoffnung wurzelt in Gottes gewisser Verheißung.

 

   Wir wollen jetzt aber wieder von der Hoffnung sprechen, um die lange Rede einmal zu Ende zu bringen. Bei der Hoffnung ist auf ein Doppeltes zu achten: auf unsere Verdienste und auf Gottes Verheißung. Zwischen diesen beiden mußt du die Hoffnung so hineinstellen, daß du weißt, daß auf der Verheißung die Hoffnung beruht und aus der Hoffnung die Verdienste hervorgehen. Die Verdienste erwachsen also aus der Hoffnung, die Hoffnung aber erwächst aus dem Wort, bzw. aus der Verheißung. Um hoffen zu können, bedarfst du also keiner Verdienste, sondern du mußt vielmehr ganz schlicht und einfach auf das Wort der Verheißung schauen, die dir ohne alles Verdienst zuteil wird. Setzest du darauf deine Hoffnung, dann kannst du auch Verdienste hervorbringen. Gerade so meint es ja auch der Apostel Paulus, der im Galaterbrief fast nichts anderes tut, als nachzuweisen, daß unsere Gerechtigkeit nicht aus Gesetz noch Werken, sondern aus der Verheißung Gottes geflossen sei, der seinen Segen verspricht.80 Diese Barmherzigkeit Gottes, die uns ohne alles Verdienst die Verheißung schenkt, und seine Wahrhaftigkeit, die die Verheißung erfüllt, sind der Grund der Hoffnung. Sie rufen unser Herz dazu auf, zu hoffen, Gott anzurufen und recht zu leben; wären sie nicht und wären sie uns nicht geoffenbart, so hätten weder Glaube noch Hoffnung Raum in uns. Darum sollen Glaube und Hoffnung sich allein auf Gott gründen, der uns ohne alles Verdienst die Verheißung schenkt, oder auf das Wort der Verheißung, das er spricht, und auf nichts anderes. Achtet man darauf nicht immer und überall, so bricht damit unweigerlich auch die Hoffnung zusammen, nicht anders als ein Haus, das auf den Sand gebaut ist, einstürzen muß, sobald Wasser und Winde daran stoßen.81 Denn Gottes Verheißung und die Untrüglichkeit seines Wortes sind der Fels, auf den die Gemeinde Christi gebaut ist, wie es Spr. 18,10 heißt: »Der Name des Herrn ist eine feste Burg; der Gerechte läuft dorthin und wird beschirmt«, und ebenso Ps. 61,4: »Du bist meine Zuversicht, ein starker Turm vor meinen Feinden.« Hier steht nichts von Verdiensten, sondern nur von Gott selbst und von seinem Namen, auf welche er die Hoffnung stellt.

 

2. Aus der Hoffnung erwachsen die Früchte als tätigen Tugenden.

 

Daraus folgt also, daß die Hoffnung nicht aus Verdiensten kommt, sondern umgekehrt: Verdienste aus der Hoffnung. Oder [anders ausgedrückt]: Hoffnung entsteht aus Hoffnung auf Hoffnung, und darum ist sie vorhanden schon vor den Verdiensten wie auch mit den Verdiensten und nach den Verdiensten. Es steht mit ihr wie mit der Gerechtigkeit, die wir in diesem Leben auch nicht einfangen, sondern nach der wir uns immer nur ausstrecken können; wir suchen immer, wir bitten immer, daß wir gerechtfertigt würden, immer, daß uns die Sünden vergeben werden, immer, daß der Wille unseres himmlischen Vaters geschehe, immer, daß sein Name geheiligt werde. Und gerade dadurch werden wir von Gott für gerecht erachtet nach dem Wort: »Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit«82 So wird man recht verstehen, daß auch die Hoffnung immer aus sich selbst heraus größer und stärker wird, wenn Trübsale an ihr arbeiten, – falls wir  nur diese so ertragen, daß wir als bewährt erfunden werden.

Daraus ergibt sich aber doch wohl dies: Mögen die andern Tugenden83 vielleicht im tätigen Handeln zur Vollendung kommen, so geschieht dies bei Glaube, Hoffnung und Liebe doch nur im leidenden Geschehenlassen, d. h. dadurch, daß man Gottes Handeln in sich leidet.84 Sind doch die Werke der anderen Tugenden nur Früchte von Glaube, Hoffnung und Liebe, so daß man also in ihnen gewissermaßen fleischgewordenen Glauben, fleischgewordene Hoffnung, fleischgewordene Liebe sieht. Sie werden ja überhaupt nur in groben Werken geübt, und so muß sich die Braut Christi dabei die Füße wieder beschmutzen, die sie sich zu waschen zu haben rühmt, und muß den Rock wieder anziehen, den sie sich ausgezogen zu haben stolz ist,85 weil nichts ohne Verderbnis geschehen kann, was durch das verderbte Fleisch geschieht.

 

3. Die Hoffnung selbst ist ein inneres Erleiden, kein äußeres Tun.

 

Aber der Glaube, Hoffnung und Liebe scheint Werk und Sein dasselbe zu sein. Denn was sind Glaube, Hoffnung und Liebe anders als eben jene Regungen im Herzen, die man ›Glauben‹ ›Hoffen‹ und ›Lieben‹ heißt? Ich kann es bloß für menschliche Phantasterei halten, wenn man einen Unterschied macht zwischen ›habitus‹ und ›actus‹86 [zwischen Fähigkeit und Ausübung], besonders bei diesen göttlichen Tugenden, die nur in einem leidenden Geschehenlassen, Hingerissen- und Bewegtwerden bestehen, wodurch die Seele vom Worte Gottes bewegt, zugerichtet, gereinigt und durchdrungen wird. Da liegt doch das Wesen dieser Tugenden in gar nichts anderem, als was Christus eine ›Reinigung der Rebe‹ nennt, daß sie als gereinigte mehr Frucht bringt.87

Und schließlich, während die andern Tugenden sich mit groben, leiblichen Werken äußerlich beschäftigen, haben diese drei es inwendig mit dem reinen Wort Gottes zu tun, das die Seele ergreift und nicht etwa umgekehrt von ihr ergriffen wird; d. h. der Seele werden Rock und Schuhe, all ihr wirklicher und all ihr vermeintlicher Besitz, weggenommen und dafür wird sie durch das Wort (dem sie anhängt, oder vielmehr, von dem sie ergriffen und wunderbar geleitet wird) in die ›Wüste‹ (wie es Hosea 2,14 heißt), ins Unsichtbare, in ihre ›Kammer‹, in den ›Weinkeller‹88 geführt.

 

4. Die Hoffnung rüstet uns durchs Kreuz zum Dienst Gottes zu.

 

Dieses Geführt-, Hingerissen- und Ausgeplündertwerden tut jedoch der Seele schrecklich weh. Denn es ist hart und ein enger Weg, alles Sichtbare dahinten zu lassen, alle Sinne aufzugeben und herausgeführt zu werden aus dem, was man gewohnt war. Das ist letztlich ein Sterben und In-die-Hölle-fahren. Scheint es doch der Seele, als müsse sie ganz und gar verderben; denn alles wird ihr weggezogen, worauf sie stand, womit sie umging und woran sie hing, und nun schwebt sie zwischen Himmel und Erde und fühlt weder von sich noch von Gott mehr etwas, sondern kann nur noch sagen: »Sagt meinem Freund, daß ich vor Liebe Krank bin«,89 was so viel heißt als: ›Ich bin zunichte geworden und weiß nicht wie. Ich bin in Dunkelheit und Finsternis geraten und kann nichts mehr sehen. Allein von Glaube, Hoffnung und Liebe lebe ich noch. Ich bin schwach (d. h. ich leide)‹; »denn, wenn ich schwach bin, so bin ich stark«.90 Eine solche Führung heißen die Mystiker unter den Theologen91 ›ins Dunkel schreiten‹, ›über Sein und Nichtsein hinausgehen‹. Aber ich weiß wahrhaftig nicht, ob sie sich dabei selbst verstehen; denn sie schreiben dies Erleben einer besonderen Tätigkeit des Willens zu, anstatt zu glauben, daß es ein passives Erleben des Kreuzes, des Todes und der Hölle bedeutet. Unsere Theologie aber ist allein das Kreuz.

Daraus meine ich, sollte man verstehen, inwiefern nach des Apostels Wort92 die Hoffnung eine Frucht der Geduld ist, die durch Trübsal bewährt ist. Wird doch ein Mensch durch all dies gewissermaßen zugerüstet, veredelt und geschmiedet wie ein Gefäß in der Hand des Künstlers, damit er hoch über alles Sichtbare und Begreifbare hinausrage, weil er gelernt hat, nicht auf Verdienste, sondern allein auf Gott sein Vertrauen zu setzen. Er gleicht einem goldenen Gefäß, das mit Feuer und Hammerschlägen zugerichtet wird, damit sein Herr es in Ehren gebrauchen könne, nicht aber um ihm erst seine Farbe oder eine sonstige Eigenschaft seiner Natur (die ja Gold ist) zu geben. Dient es doch jetzt nicht als Gold, sondern als Gefäß; und hat man es doch nicht dazu bearbeitet, daß es Gold werde, sondern dafür hat man es zubereitet, daß es als Gefäß brauchbar sei. So rüstet auch die Hoffnung einen Menschen dafür zu, daß er für Gott allein brauchbar sei; nicht aber sind es die Werke, welche die Hoffnung schaffen; denn das hieße das Erste aus dem Zweiten machen...93

 

5. Die Hoffnung führt uns in ein Erleiden ohne unser Mitwirken.

 

Es ist darum ein Irrtum, der freie Wille habe tätigen Anteil an einem guten Werk, wo wir doch von einem inwendigen Werke reden. Denn jenes Wollen, als das wir vorhin Glaube, Hoffnung und Liebe verzeichnet haben, ist ein Getrieben-, Hingerissen- und Geführtwerden durch das Wort Gottes und gleichsam eine fortwährende Reinigung und Erneuerung von Herz und Sinn, von Tag zu Tag, in die Erkenntnis Gottes hinein. Mag jenes Erleiden auch nicht immer gleich stark empfunden werden, so bleibt es doch immer ein Erleiden. »Siehe (heißt es in Jer. 18,6) wie der Ton ist in des Töpfers Hand, also seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand.« Ich beschwöre dich: was für eine Tätigkeit übt denn der Ton aus, wenn der Töpfer ihn gestaltet? Sieht man dort nicht bloß ein reines Erleiden? Und doch verwandelt sich dadurch der Ton aus einer rohen Masse zu einer Gestalt, die dem Gedanken des Künstlers entspricht. So werden auch wir durch die Hoffnung, die durch die Wirkung der Trübsal entsteht, dem göttlichen Bilde ähnlich (wie Paulus sagt1) ›nach dem Ebenbilde dessen erneuert, der uns geschaffen hat.‹ Erst von dem Willen, der Fleisch geworden ist, d. h. der in einem sichtbaren Werk zum Ausdruck kommt, darf man mit Recht sagen, daß er mithelfe und tätigen Anteil habe. Da gleicht er dem Schwert, das beim Zuschlagen selbst gar nichts tut, sondern nur leidend sich verhält, aber dann beim Schlagen der Wunde hat es doch durch seinen Schwung dem mitgeholfen, der mit ihm zugeschlagen hat. Wie das Schwert zu seinem Schwung selbst nichts beiträgt, so trägt auch der Wille nichts bei zu seinem Wollen; denn dies ist ein Getriebenwerden durch das göttliche Wort und ein bloßes Erleiden für den Willen. Erst dann kann dieser dazu mithelfen, daß die Hände ihr Werk tun mit Beten, Sichrühren, Arbeiten und so weiter.2

 

ACHTER TEIL

 

Das Gebet des Frommen und die wahre Freude.

 

1. Auf Hoffnung gegründete Freude ist besser als äußeres Glück.

Das Glück der Gottlosen ist dem Frommen ein stetes Ärgernis.

 

Nachdem wir dieses Zwischenstück lange genug ausgedehnt haben, wollen wir endlich wieder zum Psalm zurückkehren. [Wir stehen noch bei dem Vers]: »Laß sich freuen alle, die auf dich hoffen.« Was hat den Propheten veranlaßt, so ausführlich diese Gemütsbewegung zu preisen? Das ist natürlich der Wandel der Gottlosen, die er (wie Hiob sagt)3 ›bei guten Tagen alt werden‹ und so leben sah, als hätten sie allein das Recht, sich zu freuen, zu frohlocken und sich zu rühmen. Das ist ein Fallstrick und ein solch starkes Ärgernis, daß viele Propheten klagen, sie seien dadurch angefochten und von einer Art finstern Vergeltungsdrangs bewegt worden. Wie [bei den Gottlosen] das Gleißen ihrer Werke und zeitlichen4 Verdienste Anstoß gibt, so auch der Glanz ihrer zeitlichen Belohnungen. Ps. 73,1 ff heißt es darum auch um ihretwillen: »Gott ist dennoch Israels Trost für alle, die reines Herzens sind. Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen; mein Tritt wäre beinahe geglitten. Denn ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, als ich sah, daß es den Gottlosen so gut ging. Denn für sie gibt es keine Qualen, gesund und feist ist ihr Leib. Sie sind nicht in Mühsal wie andere Leute und werden nicht wie andere Menschen geplagt. Darum prangen sie in Hoffart usw.« Und in Jer. 12,1: »Warum geht’s doch den Gottlosen so wohl; und die Abtrünnigen haben alles in Fülle?« ...5 Und noch ausführlicher lesen wir davon bei Hiob 21,7 ff: »Warum bleiben die Gottlosen am Leben, werden alt und nehmen zu an Kraft? usw.«

 

Der Glaubende aber durchschaut das Glück der Gottlosen als Trug.

 

Wider dieses gleißnerische Schauspiel und Ärgernis wendet sich der Prophet und ruft die Frommen davon weg, daß sie der Gottlosen Freuden verachten und zur wahren Freude sich kehren, die in Gott ist. Es wird also, und darauf ist zu achten, in diesem Vers durchweg ein Doppeltes einander gegenübergestellt, und zwar folgendermaßen: Sie meinen, wir wären traurig, weil das, worauf sie sich verlassen und was sie fröhlich macht, uns genommen ist und wir dafür Leid haben. Da dies beides [ihre Freude und unser Leid] klar vor aller Augen liegt, ist es in der Tat ein mächtiges Ärgernis, an dem sehr viele straucheln. Inwendig aber freuen wir uns und werden uns freuen, wo wir in der Hoffnung leben, während da bei ihnen alles tot ist; eine solche Freude wird ihnen nie und nimmer zuteil. Diese unsere Freude aber ist so echt und beständig, daß nur sie das Recht gibt zu sagen: ›sie freuen sich‹; denn die Freudigkeit der andern ist ja mehr Traurigkeit, sobald man aufs Inwendige sieht. So verwirft der Psalmist völlig die Freuden der Gottlosen und preist dafür die Freude der Frommen. Weil diese jedoch nicht nach außen in Erscheinung tritt, während jene in gleißnerischem Scheine prangt, so bedarf es des Glaubens. Denn Worte des Geistes redet der Psalmist als einer, der in den Geist [Gottes] versetzt wurde; und nur so kann man sie auch verstehen und strauchelt nicht an dem Ärgernis, das die Gottlosen bieten. »Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes«,6 d. h. aber davon, daß Freude da ist, wenn einem alle Güter, selbst die geistlichen, weggenommen sind; denn er kennt keine andere Freude als die, daß etwas da ist, das er greifen und besitzen kann. Wir aber sollen uns ›allein rühmen von dem Kreuz unsres Herrn‹.7

... Auch dieser Vers muß so verstanden werden, daß er in einem Eifer heiliger Entrüstung8 gesprochen ist, und etwa das sagen will: »Was soll der Wahnwitz jener Gottlosen? Was täuschen sie die Seelen der Menschen mit ihrem bösen Schein? Ich beschwöre dich, Herr, verdamme sie und ihre Freude, verstoße sie, entlarve ihre Heuchelei! Abkommen sollen sie von ihren Trugbildern, auf daß die allein sich freuen, die auf dich hoffen, und allen kund und zu wissen sei, daß es Freude nur in deiner großen Barmherzigkeit gibt. Herr, es verzehrt mich, daß ich sie davon nicht überzeugen kann, weil sie nicht darauf hören. Darum richte du sie und bring ihren Trug und unsere Wahrheit an den Tag!«

 

Das Glück wahrer Freude führt zu beständigem Lobpreis.

 

So wissen wir nun, wo und was Freude ist, nämlich ein ruhiges Gewissen im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit. Das sagen ja auch alle, die es erfahren haben, daß es keine größere Freude gebe als ein reines Gewissen, und keine größere Traurigkeit als ein geängstetes Gewissen, wie es auch in den Sprüchen heißt: »Ein guter Mut ist ein tägliches Fest«,9 und Ps. 26,3: »Denn deine Güte ist mir vor den Augen, und ich wandle in deiner Wahrheit.« Ein fröhliches und reines Gewissen kommt ja von nichts anderem her als vom Blick auf Gottes Güte, wie auch Ps. 4,7 f sagt: »Herr, laß leuchten über uns das Licht deines Antlitzes! Du erfreust mein Herz.« Was erfreut aber die Gottlosen? Viel Korn, Wein und Öl!10 Es ist die Freude der Schweine an einem vollen Bauch.

»Ewiglich11 laß sich rühmen.« Hieronymus12 übersetzt hier nicht mit ›loben‹. Denn die Frommen möchten ihrer Freude in Worten Ausdruck geben, sei es mit Singen oder Reden; so wie wir, wenn wir uns freuen, gerne frohgemut reden oder auch singen und schwatzen und den loben und rühmen, in dem wir uns freuen, wie es in Ps. 51,16 heißt: »Daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme« (d. h. mit Freuden verkündige). Gleichviel also, ob das Wort ›ewiglich‹ zu ›sich freuen‹ oder zu ›rühmen‹ gehört, – der Prophet verharrt in Eifer und Leidenschaft, als wollte er sagen: ›Mögen sie von ihren Sachen schwatzen, sich und das ihre rühmen und von sich selber singen, so ist ihr Rühmen und Freuen doch nicht echt und noch weniger ewig.‹ »Die Freude des Ruchlosen (heißt es im Hiobbuch13) währet einen Augenblick.« Und Hiob 21,13 sagt er: »Sie werden alt bei guten Tagen, aber im Augenblick fahren sie in die Hölle.«14 So unsicher und unbeständig ist ihr Rühmen, aber es hält auch nicht an, weil es durch viele traurige Zwischenfälle gestört wird. Aber selbst wenn ihnen alles wohlgerät, kommt doch zuletzt ›nach der Freude das Leid‹15 und ihre Torheit wird offenbar, wie bei Jannes und Jambres.16 Wozu betrügen sich also die armen Menschen und richten sich zugrunde? Die aber auf dich trauen, die freuen und rühmen sich ewiglich und »in ihre Freude kann sich kein Fremder mengen«(wie es in den Sprüchen17 heißt).

 

2. Freude, die in Trübsal Gott preist, beweist Gottes Geist in uns.

 

Freude auch im Leid ist Frucht der Gnade Gottes.

 

Hier sehen wir die Früchte, an denen wir erkennen, ob wir (wie man zu sagen pflegt) ›in der Gnade sind‹.18 Denn ›eine Frucht des Geistes ist Freude‹, sagt Paulus (Gal. 5,22). Man darf also nicht sagen, man könne das nicht wissen, [ob man in der Gnade sei]. Denn wenn [in einem Menschen] die Freude und das Lob Gottes beständig und ewig sind und auch in der Trübsal sich behaupten, dann kann dies Zeichen nicht trügen. »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«.19 Das Kreuz bewährt alles. Wenn du also mit Ps. 18,4 sprechen kannst: »ich rufe an den Herrn, den Hochgelobten, so werde ich... errettet«, so wirst du auch wirklich errettet werden. Die Freude der Gottlosen hält ja solchem Kreuz nicht stand; darum können sie sich auch nicht beständig und ewiglich freuen.

 

Freudiges Bekenntnis vor allem Volk bringt Feindschaft der Welt.

 

Eine andere Frucht des Geistes, die daraus folgt, ist, daß wir vom Worte Christi uns unterhalten, gerne davon sprechen und sagen, es fröhlich verkündigen und hören, seine Gerechtigkeit rühmen und von seiner Güte singen; und daß wir hingegen Abscheu haben vor gottlosen Fabeln, Lästerungen, schändlichen Worten und ähnlichem Unrat der Welt. Sollten wir das etwa nicht wahrnehmen können? Besonders, wenn man uns darum anficht, es uns verbietet oder uns um dessentwillen Neid, Schmach, Schrecken oder sonstiges Böse erdulden läßt? Denn dies wird dir dann ein untrügliches Zeichen dafür sein, daß Christus in dir lebt, wenn du wider allen Übermut der Menschen Gottes Gnade beständig zu loben, zu rühmen und zu preisen vermagst.

Nicht umsonst hat also der Psalmist das Wort ›ewiglich‹ mit dem Wort ›rühmen‹ zusammengeordnet. Denn wenn die Freude des Geistes sich lebhaft und sichtbar ausdrückt, bringt sie die Feinde der Wahrheit gegen sich auf, wie wir es schon bei den Aposteln in Apostelgesch. 2.3.4.5 usf. geschehen sehen. Und es gibt ja auch Leute, die zwar Christus und Gottes Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit und Gnade loben, aber nicht ewiglich, weil sie nicht genug hoffen und nicht genug sich in ihm freuen. Denn »zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab«20 und halten nicht stand angesichts der Ungerechtigkeit; sie getrauen sich nicht, Gott (d. h. Gottes Gnade) überall, vor allem Volk und zu aller Zeit zu rühmen. Solche Leute gibt es auch heute noch viele, die die Wahrheit nur dem einfachen Volk sagen, das alles willig erträgt, aber denen nicht, von denen sie Verfolgung befürchten müssen, während sie diesen doch vor allen andern gesagt werden sollte. Sagst du es ihnen aber, so sind sie die Fürsten der Völker, werden dich aus der Gemeinde ausstoßen und dich in Acht und Bann tun.21 Höre , was nun folgt.

 

Gott beschirmt seine Bekenner mitten in der Bedrohung.

 

›Du beschirmst sie,‹22 statt ›du wirst in ihnen wohnen‹ übersetzt. Wenn Gott selbst der Schirmherr ist, wer vermag da noch etwas auszurichten? Einer solchen ermutigenden Zusicherung würde es für uns nicht bedürfen, wenn es nicht eine so große Sache wäre, wider die Übeltäter und Lügenmäuler Gottes Güte zu preisen. Gott weiß wohl, daß ›die Pforten der Hölle‹23 sich gegen unsere Freude auflehnen werden; aber seid getrost, »der Gott Jakobs ist unser Schutz«,24 sie werden uns nicht überwältigen. Er wird selbst in uns wohnen. Und der in uns ist, sagt Johannes, »ist größer, als der in der Welt ist«.25 »Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?«26

...27 ›Laß sie rühmen‹ oder preisen heißt so viel wie: Sie werden und sollen den Mund auftun und frohe Botschaft verkündigen. ...Frohe Botschaft aber ist nichts anderes als die von der Vergebung der Sünden, von Gottes großer Güte und dem Trost eines geängstigten Gewissens. Was aber denen widerfährt, die Gottes Gnade verkündigen und rühmen, sehen wir an den Aposteln und Märtyrern und allen Heiligen. Wiederum wissen wir auch, wie Christus in ihnen wohnte, sie regierte und bewahrte. Wer wohnt aber in den Gottlosen? Wer beschirmt sie? Wer regiert sie? Sie brauchen natürlich niemand, sie sind ja stark genug, sind Helden auf Erden, sind mächtige Pforten der Hölle, Wohnsitz des Teufels; denn der Teufel ist ›der Fürst der Welt‹,28 und der wohnt in ihnen.

 

3. Auch in Zeiten äußeren Glücks soll die Freude wahr bleiben.

 

In guten Tagen hat wahre Freude nur, wer sie auch im Leid hat.

 

Es folgt nun der zweite Teil des Verses: »Fröhlich laß sein in dir, die deinen Namen lieben.« ...29 Sprach der Psalmist im ersten Teil des Verses von der Freude im Leid, so redet er nun in diesem zweiten von der Freude in guten Tagen oder der Freude in der Freude, die nur dann eine wahre und reine ist, wenn ein Mensch sich ›im Herrn‹ freut, nach dem Wort Jesajas: »Ich freue mich im Herrn«.30 Dies alles können wir (wie bereits gesagt)31 erst dann richtig verstehen, wenn wir uns mit dem Propheten den gegenteiligen Menschenschlag vor Augen halten, bei dem man diesen ganzen Vers von Grund aus umkehren müßte. Sie sind nämlich in der Trübsal nicht fröhlich, sondern traurig, verzweifeln an Gott, rühmen ihn nicht ewiglich, indem sie Gutes von ihm reden, sondern murren ohne Unterlaß wider ihn und reden übel von ihm. Sie ›beschirmt‹ darum Gott auch nicht, noch wohnt er in ihnen. Im Gegenteil: Geht es ihnen gut, so werden sie ausgelassen und rühmen sich in ihrer Torheit nicht im Herrn, sondern in sich selbst und ihren eigenen Werken, gefallen sich selbst wohl und bewundern ihr eigenes Tun. Denn sie lieben ihren eigenen Namen und suchen ihre eigene Ehre, so daß man diesen ganzen Vers, um ihn auf sie anzuwenden, gut in der Weise umdrehen könnte: ›Laß sich bekümmern alle, die nicht auf dich hoffen, ewiglich laß sie murren, denn du wendest dich von ihnen ab; fröhlich laß sein in sich selber, die ihren Namen lieben.‹

So unterscheidet und zeichnet denn der Geist des Propheten in diesem Vers aufs charakteristischste kurz und treffend die beiden Arten der Zeitumstände, der menschlichen Einstellungen, der Gemütsbewegungen und Haltungen in einer ganz entsprechenden Gegenüberstellung. Es ist ja unmöglich, daß ein Mensch, der nicht auf den Herrn traut, sich nicht bekümmert, wenn irgendeine Trübsal über ihn hereinbricht. Ein Bekümmerter aber muß ja immerfort murren, weil Gottes Lob nur aus einem fröhlichen Herzen aufsteigen kann. Wenn einer aber so bekümmert und ungeduldig murrt, dann kann er unmöglich Gott gefallen und muß sich immer mehr verlassen sehen. Denn Gott wohnt nicht in Babylon, sondern wie Ps. 76,3 sagt: »in Salem« d. h. im Frieden »ist sein Gezelt«. Und Jesaja 66,2 heißt es: »Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist.«

Ganz anders steht es bei dem, der auf den Herrn traut. Er kann ja nicht anders als sich freuen, denn »ob berstend auch einstürzt der Himmel, trifft unverzagt ihn die Last der Trümmer«32 Wer aber so sich freut, kann wiederum nicht anders  als gut von Gott denken, ihn fröhlich loben und sich selbst ermuntern. Wenn aber einer Gott so fröhlich und geduldig rühmt, dann ist er es wert, daß Gott ihn beschirmt und in ihm wohnt. Gott wird ihn nicht umsonst sich freuen, hoffen und rühmen lassen; der Beschirmer wird ihn beschirmen. Hier ist der Scheideweg, auf den die ›Blutgierigen und Falschen‹33 sich scheiden von den Männern die mit [der Güte Gottes], den Menschen, die mit dem Wohlwollen [Gottes] rechnen, nämlich soweit es die Zeit der Wolken und die Stunde der Anfechtung betrifft. Darum ... hat der König Saul in uns kein besseres Heilmittel gegen den bösen Geist, der vom Herrn über ihn kommt, als wenn der David in uns ›die Harfe nimmt und mit seiner Hand spielt‹34 das heißt: Wenn deine Seele sich bekümmert, dann greife nach irgendeinem fröhlichen Lied oder einer frohen Erinnerung an deinen Gott, so wirst du bald eine Erleichterung fühlen und erfahren, daß Sirachs Rat richtig ist: »Wenn dirs übel geht, so gedenke der guten Tage«,35 und ebenso das andre Wort: »Traurigkeit tötet viele Leute und dient doch zu nichts«36 Mag darum das Sprichwort auch anders sagen,37 so ist doch hier in der Traurigkeit der Gesang das Beste, was man sich sagen kann, wie es der Psalmist tut (42,12): »was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.«

 

Im Glück bläht sich der Gottlose auf, der Fromme aber preist Gott.

 

Ebenso muß aber auch einer, der nicht Gottes, sondern seinen eigenen Namen und Ruhm liebt und sucht, jedesmal sich selbst befriedigt betrachten, sich aufblasen, über sich selbst fröhlich sein und sich freuen, so oft ihm irgend ein Glück zuteil wird. Wer sich aber in seinem Glücke selber gefällt, der kann ja nicht anders als nach dem Sprichwort handeln: »Ein Maulesel krault den andern.« Er wird also die preisen, die ihn preisen, weil er sie preist, und ihn loben, weil er sie lobt, nach Ps. 10,3: »Den Sünder rühmt man in seinem Mutwillen, und den Gottlosen preist man«.38 So sagt ja auch das Sprichwort: »Gute Nachbarn über den Zaun hinüber und herüber«.39 Das ist aber auch alles, was sie vermögen, nämlich sich selbst ohne Grund zu rühmen, zu brüsten und zu verherrlichen; aber sie enden doch in Verstörtheit. Umgekehrt kann der, der nicht seinen, sondern Gottes Namen liebt, auch in den Tagen, da ihm noch so viel Freude und Glückseligkeit lächeln, nicht mit sich selbst zufrieden sein, sich über sich selbst freuen oder in sich selbst fröhlich sein. Wer aber aus solcher Ursache sich nicht selber gefällt, sondern sich gering achtet, der kann ja nicht anders, als Gottes Namen, Lob und Ehre suchen und lieben und sagen: »Dein Name werde geheiligt«, aber mein und aller Name bleibe ungeheiligt. »Es loben den Herrn alle seine Werke«;40 ›den Gerechten aber lobe niemand als du, der Herr allein.‹ Das Lob der Gottlosen aber soll man für Fluch halten.41

 

Eignes Unglück bei fremden Glück ist schwer zu ertragen.

 

Stelle dir nun vor, oder vielmehr, betrachte genau (wenn du diesen Vers recht verstehen willst), in welcher Lage der Prophet sich befindet: er wird beim Blick auf das Leben der Gottlosen von einem doppelten Ärgernis angefochten. Das erste ist dies, daß auf ihn alles Unglück fällt; und daß man dazu noch alles, was er sagt und tut, für Torheit und gottloses Wesen hält. Darüber möchte er traurig, ungeduldig und verzweifelt werden. Das andere Ärgernis ist dies, daß die Gottlosen alles Glück in Fülle haben; und daß man dazu noch alles, was sie sagen und tun, hochhält und feiert, ja schon überhaupt als unsterblich preist. Das ist von allem da gräßlichste und das herausforderndste Ärgernis. Zürnend, aber nicht sündigend redet er dann mit seinem Herzen auf seinem Lager,42 schweigt aber sonst stille und spricht nur in Erwartung des Endes diesen Vers. Denn so jemand fragt, was man nun nach Ps. 4,5 auf seinem Lager reden solle, so lautet die rechte Antwort: ›Nichts anderes, als was in diesem Vers steht, nämlich daß man sich selbst in dem Herrn tröstet, wenn die Gottlosen sich in der törichten Weise ihrer selbst rühmen.‹

 

Die allerschwerste Prüfung aber sind Tage eignen Glücks.

 

So ist es auch eine treffliche Reihenfolge, die hier eingehalten ist. Die Prüfung zur linken Seite kommt nämlich zuerst als die weniger gefährliche, weil ja auf dieser Seite nur ›tausend fallen‹, aber ›zehntausend zu deiner Rechten‹,43 die zweite Prüfung ist noch viel schwerer und gefährlicher, und nur die haben sie zu bestehen, die in der ersten schon länger geübt sind. Beide Prüfungen aber sind ein Feuerofen, in dem man sich bewähren soll: die erste nach dem Wort Sir. 27,6: »Gleichwie der Ofen bewährt die Gefäße des Töpfers, also bewährt die Erprobung durch Trübsal die Gerechten,«44 und die zweite nach Spr. 27,21: »Ein Mann wird durch den Mund des, der ihn lobt, bewährt wie das Silber im Tiegel und das Gold im Ofen.« Inwiefern? In jener Prüfung [durch Unglück] wird es sich finden, ob einer trauert und murrt, in dieser [durch Glück], ob einer sich rühmt, den eigenen Namen liebt und sich selbst preist. Und zwar erliegt der ersten Prüfung hauptsächlich das gewöhnliche Volk und die, die wir verächtlich Sünder nennen; in der zweiten Prüfung aber kommt es zu schlimmerer Verderbnis bei den Vornehmen und Auserwählten von Israel und bei denen, die wir als weise und gerecht verehren, d. h.  aber [in Wirklichkeit] den Gottlosen. So heißt es in Ps. 78,31: »Er brachte ihre Vornehmsten um und schlug die Besten in Israel nieder.« Und in Jes. 5,14: »daß hinunterfahren (nämlich in die Hölle)... alle Übermütigen und Fröhlichen.« So hat Gott allezeit die Großen und Mächtigen gestürzt, um uns zu schrecken und uns zur Demut zu führen. Die am gesichertsten ist. Darum sind auch recht eigentlich die Großen gemeint, wenn das Psalmwort sagt: »der den Fürsten den Mut nimmt und furchtbar ist unter den Königen auf Erden«.45 Und doch nützt das alles nichts bei den Tyrannen. Denn wo findet man in der heiligen Schrift auch nur einen, der vorne dran stand und nicht durch einen schweren Fall berühmt geworden ist, wenn du sie von Adam bis herunter zu Petrus aufzählst? So sehr war Gott offenbar darauf bedacht, die Hohen, denen um des Wohls ihrer Untertanen willen sogar das Glück von Ehre und Ansehen zuteilwerden mußte, zu demütigen, damit sie nicht gottlos ihrem eigenen Ruhm lebten und ihren eigenen Namen liebten. Auf der andern Seite liest man nur ab und zu von dem einen oder andern aus der Masse des Volkes, daß er sich durch ein Vergehen einen üblen Namen gemacht hat, wie etwa Achan46 oder jener Mann in 4. Mose 15,32 ff, der am Sabbattage Holz las.

 

NEUNTER TEIL.

 

Die Liebe des Frommen zum Namen des Herrn.

 

1.Der ›Name Gottes‹ bezeugt Gottes ihm allein eignendes Wesen.

 

Wir können Gottes Namen nicht begreifen, wohl aber predigen.

 

...47 Was ist hier mit dem ›Namen Gottes‹ gemeint, den wir, wie der Prophet an dieser Stelle sagt, ›lieben‹ sollen? Wird doch Gott mit mehr als einem Namen genannt. Paulus nennt ihn ›weise‹, wenn er in 1. Tim. 1,17 sagt: ›Gott, dem allein Weisen‹; ebendort heißt er ihn auch ›den ewigen König, den Unvergänglichen und Unsichtbaren‹. In 1. Tim. 6,15 f heißt es: ›Gott schämt sich nicht, zu heißen der Gott Abrahams. Isaaks und Jakobs.‹ Und wie würde es erst, wenn wir hier alles aufzählen wollten, was Dionysius48 in seiner Schrift »Über die Namen Gottes« darüber schreibt? Oder wenn wir an seine Schrift »Über die mystische Theologie« denken, so würden wir zuletzt überhaupt keinen Namen mehr für Gott übrig behalten. Denn wenn er so unbegreiflich für unser Denken ist, – mit welchem Namen könnte man von ihm sprechen? Doch darüber sich den Kopf zu zerbrechen wollen wir denen überlassen, die mehr Zeit dafür haben. Wir wollen hier um der Einfalt unseres Verstandes willen unter dem Namen des Herrn nicht das verstehen, womit er genannt, sondern das, was über ihn gepredigt wird.49 Das versteht ja auch Spr. 22,1 darunter, wenn es dort heißt: »Ein guter Ruf ist köstlicher als großer Reichtum«, und ebenso Spr. 10,7: »Der Name der Gottlosen wird verwesen«, sowie Ps. 22,23: »Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern.«

 

Gottes Name allein ist gut, unser eigener Name ist böse.

 

›Name Gottes‹ bedeutet also hier soviel wie guter Ruf und Lobpreis, Ehrung, Kundmachung und Verherrlichung Gottes, wie es aus Ps. 102,22 deutlich wird: »Daß sie in Zion verkündigen den Namen des Herrn und sein Lob in Jerusalem.« Hier meint also der Psalmist mit ›Namen des Herrn‹ und ›Lob des Herrn‹ ein und dasselbe und will das auch in derselben Verkündigung gepredigt haben. So sagt es ja auch Ps. 148,13: »Sie sollen loben den Namen des Herrn; denn sein Name allein ist hoch, seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.« Weil aber Gott allein alles in allem wirkt, so folgt daraus gewiß, daß auch Gott allein der Name gebührt für alle seine Werke. Also ist er allein gut, weise gerecht, wahrhaftig, barmherzig, freundlich, heilig und stark, er allein Herr, Vater, Richter, kurz was es nur immer an Namen gibt oder man Gutes über jemand sagen kann.

Aus diesem Satz ergibt sich: So wenig uns etwas an Kraft oder Werken zukommt, so wenig können wir uns auch etwas von einem Namen anmaßen, und wie wir als Menschen nichts anderes zuwege bringen als Sünde, Trug und leeren Schein, so haben wie auch einen schändlichen und garstigen Namen, nämlich den, daß »alle Menschen Lügner«50 und »alle Menschen so gar nichts sind«.51 So ist also unser Name [nichts anderes als] Sünde, Lüge, Nichtigkeit, Ungerechtigkeit, Bosheit, Verkehrtheit und was man nur immer Schlechtes über einen sagen kann. Erkennen und bekennen wir das, so tun wir recht daran. Denn dann hassen wir uns und unsere Werke und unseren Namen, werfen sie von uns und wollen nichts mehr davon wissen; und dafür lieben wir Gott, Gottes Werke und Gottes Namen, verlangen nach ihnen und suchen sie, indem wir mit Ps. 54,3 sprechen: »Hilf mir Gott, durch deinen Namen.« Das ist, als wollte er sagen: ›In meinem Namen werde ich verloren gehen, ja ich bin schon verloren, aber in deinem Namen finde ich Heil.‹

 

2. Liebe zu Gottes Namen schließt die Selbstverherrlichung aus.

 

Ob jemand Gottes oder seinen Namen liebt, offenbart die Trübsal.

 

Daß aber der Prophet dies alles gegen die gottlose und nichtige Selbstverherrlichung der gottlosen Heuchler sagt, liegt auf der Hand. Haben doch diese nicht allein die Stirn, sich selbst zu rechtfertigen wie die Pharisäer [im Tempel] und Simon der Aussätzige, von denen uns im Evangelium erzählt wird,52 Sondern sie sind dazu noch toll genug, sich selbst zu rühmen und ihren eigenen Namen zu lieben und öffentlich zu preisen. Dafür setzen sie alle andern herunter und beschuldigen, richten und schelten die ›Zöllner und Sünder‹ mit dem schlimmsten Namen. Bei denen aber, die fromm sind und an Gott glauben, gilt: wenn sie sich rühmen, so rühmen sie sich des Herrn53 und begehren, daß der Name des Herrn geheiligt, gepriesen und verherrlicht werde. Sich selbst aber klagen sie an, richten und verdammen sich und halten sich für geringer denn alle andern, setzen sich ganz unten an54 und wollen so von ihrem Namen ganz und gar nichts wissen. Doch ist freilich auch hier erst das Kreuz allein Richter und Zeuge der Wahrheit, weil es immer Leute gibt, die sich zwar rühmen, den Namen Gottes zu lieben, und die auch mit stolzer Zuversicht auf ihre Schriftstücke Worte malen wie: »Im Namen des Herrn« und »Gott allein die Ehre!«55 oder auch »Zu Gottes Lob«, »In Jesu Namen« und dergleichen. Oder wer nimmt nicht schließlich jeden Tag die herrlichen und höchst christlichen Worte in den Mund: »Gott sei Dank!«? Was könnte es Glücklicheres geben als unsere heutige Kirche, wenn keiner, der sich mit solchen Worten brüstet, damit löge und den Namen seines Herrn nicht vergeblich führte? Aber wer das tut, ist ein weißer Rabe. Denn wenn die Leute wirklich den Namen des Herrn lieben und nicht vielmehr ihren eigenen, warum werden sie dann so aufgebracht und können es durchaus nicht leiden, wenn man sie bei ihrem rechten Namen nennt, d. h. wenn man sie töricht oder böse heißt oder mit sonst einem schlechten Namen belastet? Warum lassen sie diesen ihren rechten Namen nicht für sich gelten? Warum sagen sie hier nicht auch: »Gott sei Dank!« und »Gott allein die Ehre!«? Warum wollen sie um keinen Preis die Wahrheit über sich aus eines andern Mund hören, wenn sie doch (ihrem eigenen Geschwätz nach) eben diese Wahrheit aus so richtigem Herzen von sich selbst bekennen? Gerade das Kreuz entlarvt sie darum alle als Lügner, damit das Wort recht behalte: »Ich sprach in meinem Zagen: Alle Menschen sind Lügner.«56 Da sieht man also, wie plötzlich der Haß gegen den eigenen Namen umschlägt in inbrünstige Liebe zum eigenen Namen. Und zugleich verrät sich damit auch, wie falsch die Liebe zum Namen des Herrn war, wenn ein Mensch darüber ganz aufgebracht wird., daß ihm von einem andern der Name nicht zuerkannt wird, der dem Herrn gehört, d. h. aber eben der Name, den er selbst lügnerischerweise beharrlich von sich wies und sich selbst nicht zuerkennen wollte, wenn er sprach: »Gott die Ehre!« und »Gott sei Dank!«, ›Ich aber bin ein Sünder.‹ Wem könnten auch diese tiefsten Regungen der Seele richtig zum Bewußtsein kommen, wenn nicht Christus dafür sorgte, daß wir durch Kreuz und Schmach geprüft werden? Das kommt auch in dem prächtigen Wort Gregors57 zum Ausdruck: »Was jeder im Verborgenen bei sich selbst ist, das beweist er, wenn ihm Schmach zugefügt wird.« Denn da verwandelt sich das ›Gott sei Dank!‹ gar bald in eine Lästerung gegen Gott.

 

Die Verteidigung des eignen Namens darf nicht Götzendienst werden.

 

Aber so ein Vogel Strauß findet freilich schon einen Zweig, mit dem er sich decken und seine Sünden entschuldigen kann. Zunächst beruft er sich etwa auf das Wort Augustins: »Wer auf seine Ruf nichts gibt, ist gefühllos«; dann auf einen andern Spruch Augustins: »Dein gutes Gewissen ist dir, dein guter Ruf deinem Nächsten vonnöten«; und ferner auf das Wort 1. Petr. 4,15 f: »Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen.« Aber auch Hieronymus58 lehrt ganz offen, niemand dürfe den Vorwurf der Ketzerei geduldig auf sich sitzen lassen. Dem gegenüber reden wir hier im Geist und vor Gott wie der Prophet: Wir müssen »darauf sehen, daß es redlich zugehe, nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen«, heißt es 2. Kor. 8,21. Und 2. Kor. 4,2: »Wir weisen uns aus vor aller Menschen Gewissen im Angesicht Gottes.« Und 1. Thess. 5,22: »Meidet allen bösen Schein.« Auch Christus preist nach Matth. 5,10 die selig, die Verfolgung zu leiden haben, jedoch nur ›um Gerechtigkeit willen‹.

Das ist also vollständig richtig: wir sollen vor Menschen nicht lügen, noch eine falsche Anschuldigung auf uns nehmen, sondern sollen lieber sterben, wie jene Frau, von der Hieronymus erzählt, daß sie sich lieber siebenmal durchbohren ließ. Aber wie wir um der Gerechtigkeit willen unschuldig den Tod und alles Übel leiden sollen, so sollen wir auch ein Unrecht, das unserem Namen zugefügt wird, gerne leiden und nicht ungestüm unsern guten Ruf zurückfordern oder das Unrecht vergelten. So unschuldig wir nämlich dabei auch vor Menschen sein mögen, vor Gott müssen wir doch bekennen, daß wir noch viel schlimmeren Schaden verdient hätten an den Gütern des Lebens wie auch an unserem Namen. Denn das müssen wir zugeben: wie unser Besitz und unser Leben, so ist auch unser guter Name überhaupt nichts anderes als Gottes gutes Schöpfungswerk und trefflichste Gabe. Wir sollen also nicht so tun, als ob wir sie verdient hätten, und glauben, daß uns ein Unrecht geschehe, wenn man sie uns nimmt. Im Gegenteil, wir müssen eingestehen, daß wir dies alles nicht verdient haben, und deshalb auch geduldig darauf verzichten, wenn Gott es so haben will.

Es wird also nicht verlangt, daß du dich selbst als einen Ehebrecher oder Totschläger bekennst, wenn du es nicht bist, oder ein ähnliches Vergehen auf dich nimmst, das dir drohend vorgehalten wird. Im Gegenteil, du sollst so etwas weder bekennen noch anerkennen; denn sonst wärest du ja der gleiche Lügner wie der, der dich mit seinen Lügen in Schande bringen will. Du sollst aber dennoch gefaßt sein und stille halten, wenn er deiner Beteuerung, daß du unschuldig seiest, keinen Glauben schenkt, sondern trotzdem bei seinen Anschuldigungen verharrt. Du sollst ja auch nicht sagen, dein Leben sei nichts oder dein Fleisch sei nur ein Schatten oder dein Gold nur Kupfer, um nach Demut zu riechen. Sondern du sollst davon das sagen, was es in Wirklichkeit ist, und sollst doch, wenn man es dir nimmt, nicht widerstehen noch es zurückfordern noch dich rächen.

 

Falsche Anklage erdulde man, weise sie aber zurück.

 

In gleicher Weise sollst du auch denen nicht widerstehen, die deinen Ruf schwärzen oder schmälern. Doch hast du die Pflicht, deine Unschuld zu beteuern, und nicht durch ein unwahres Stillschweigen ihre Lüge bekräftigen. So stellten einst die Christen von Lugdunum in Gallien59 standhaft bis zu ihrem Ende in Abrede, wessen man sie beschuldigte: daß sie im geheimen kleine Kinder verzehrten. Und Jer. 37,13 f steht, daß Jeremia auf die Beschuldigung des Jeria, er wollte zu den Chaldäern überlaufen, erwiderte: »Das ist nicht wahr; ich will nicht zu den Chaldäern überlaufen«; nichtsdestoweniger ließ er sich jedoch, als man ihm keinen Glauben schenkte, ruhig geschehen, daß er unschuldig geschlagen und ins Gefängnis geworfen wurde. Aber auch Christus selbst verteidigte standhaft seine Lehre vor Hannas, der sie mit seiner Frage insgeheim verdammte, nahm aber denn doch den Backenstreich des Dieners hin und litt, daß er um dieser Anschuldigung willen unschuldig von den Ungläubigen der Beschimpfung preisgegeben wurde.60 An diese Regel müssen wir auch heute uns halten, wenn die gottlosen Leute, um den großen zu schmeicheln, toben und wüten und in heimtückischster Weise schuldlosen Frommen Namen anhängen wie die, sie seien Ketzer, geben Ärgernis, seien im Irrtum und Aufrührer, sie beleidigen das Ohr, untergraben die Ehrfurcht vor dem Papst und derartiges mehr, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt. Solche ungeheuerlichen Beschuldigungen, sage ich, soll man ertragen, aber nicht anerkennen. Wenn sie die Oberhand behalten, und lassen sie auch unsere Verteidigung nicht gelten, sondern fahren fort zu wüten, dann soll man vor Gott bekennen, daß unser Leiden verdient sei und der gute Name, der ja gar nicht uns, sondern Gott gehört, uns mit Gewalt, nein vielmehr sogar mit Recht genommen wird, da wir dieses Namens unwürdig sind. Trotzdem aber sollen wir aufs standhafteste bei diesem Namen beharren, mit gläubigem Gewissen vor uns selbst und mit offenem Bekenntnis vor den Menschen. Denn nicht uns nehmen sie ja den guten Namen weg, weil er uns gar nicht gehört, sondern Gott, dessen Gabe  in uns er war. Ja, sich selbst nehmen sie unsern Namen weg, weil er uns ja dazu gegeben war, um sie dadurch zu Gott zu führen: durch das Licht unserer guten Werke unterwiesen, sollten sie unsern Vater im Himmel preisen.61 So kann denn uns an unserem guten Namen keinerlei Abbruch geschehen, weil sie ihn weder aus unserem Gewissen, noch unserem Bekenntnis tilgen können; sie können ihn nur in ihrem eigenen Denken auslöschen, und das ist ihr eigener Schaden, so daß mehr Unglück zu bemitleiden als unser Schicksal zu bedauern ist. Wenn wir also in solchen Dingen unsere Unschuld beteuern, uns verteidigen und keinen schlechten Namen auf uns kommen lassen, so leisten wir damit nicht uns, sondern diesen Verleumdern selbst, wenn auch wider ihren Willen, einen Dienst.

Dies ist freilich weder die innere Einstellung noch die äußere Regel, nach der die vorhin erwähnten Straußen über ihrem Ruf wachen. Ihnen ist es nur darum zu tun, keine Schmach leiden zu müssen. Darum ruhen sie auch nicht, bis sie ihre Gegner, falls irgend möglich, zum Schweigen gebracht und ihren guten Namen wieder zurückbekommen haben, d. h. also, bis sie nach der Juristen Regel, oder besser nach der Juristen Irrtum, Gewalt mit Gewalt vertrieben haben. Um ihrer Ansicht nach nicht dadurch »gefühllos« zu sein, daß sie ›auf ihren Ruf nichts geben‹, werden sie gottlos und gefühllos zugleich dadurch, daß sie auf ihren guten Namen Anspruch machen, als gehöre er ihnen selbst und nicht Gott. So treiben sie also den schlimmsten Mißbrauch mit dem herrlichen Spruch Augustins: »Wer auf seinen Ruf nichts gibt, ist gefühllos«, und ebenso auch mit dem andern: »Dein guter Ruf ist deinem Nächsten vonnöten.« Denn die Tatsache, daß deinem Nächsten dein Mantel vonnöten ist, gibt dir kein Recht, zu toben und dem Evangelium zuwider62 den Mantel zurückfordern. Du hast kein Recht, irgend etwas, und wäre es selbst das Leben, nur aus dem Grund zu verteidigen, weil dein Nächster es nötig habe. So darfst du auch deinen guten Ruf nicht mit Gewalt darum zurückverlangen, weil er deinem Nächsten vonnöten ist. Bei alledem genügt es, die Schuld nicht anzuerkennen. Dann aber muß man Gott zuliebe willens sein, noch Größeres zu leiden, um so auch den andern Backen darzubieten und doch damit nicht den Schlag auf den einen Backen als verdient anzuerkennen.63

 

3. Liebe zu Gottes Namen schließt Lästerung des Nächsten aus.

 

Bei jenen Streitbaren und hartnäckigen Hütern ihres Rufes ist aber nichts als Heuchelei im Spiel; und es ist eine abgefeimte Lüge, wenn sie sagen, sie plagen sich nur aus Liebe zum Namen des Herrn, und nur um seinen, nicht um ihren eigenen Namen seien sie bemüht. Das läßt sich aus folgendem klar beweisen: Zum ersten damit, daß sie es mit allen sonstigen Dingen, die Gott angehen, sehr leicht nehmen; denn wenn es gilt, Gottes Willen zu tun und nach seinem Reich zu trachten, dann lassen sie kein so heißes Bemühen erkennen, was sie doch vor allem tun müßten, wenn sie aufrichtig Gottes Namen liebten. Zum zweiten zeigt es sich daran, daß sie es völlig geschehen lassen, wenn derselbe Name des Herrn und derselbe gute Ruf bei ihrem Nächsten geschändet wird, ja sie sind selber die allerersten, die, um den Namen des Herrn bei sich selbst zu verherrlichen, ihn bei ihren Nächsten schänden. So kommt es, daß es heutzutage Menschen gibt, die meinen, sie könnten keine rechten Christen und Katholiken sein, wenn sie nicht nach solchen suchten, die sie Ketzer schelten und verdammen könnten, wie um damit zu beweisen, daß der Name des Herrn und der Gott, den sie in sich tragen, ein anderer sei als der, den sie in ihren Nächsten verfolgen. Glaube darum nie, daß die den Namen des Herrn lieben, die gleich dabei sind, andern einen schlechten Namen anzuhängen und nur sich allein mit einem guten Namen zieren wollen. Es gibt nur einen Namen in allen, und den kannst du in dir selbst nicht etwa mehr lieben als deinen Nächsten. Du bist im Irrtum, wenn es dich schmerzt und dir bitter weh tut, wenn man dich einen Ketzer heißt, aber lachst und fröhlich darüber bist, wenn man deinen Nächsten für einen Ketzer hält. Noch schlimmer aber ist dein Irrtum, wenn du selbst, um schön dazustehen, einen andern häßlich machst, während deine Schönheit doch gerade dazu dienen sollte, die Häßlichkeit des andern zuzudecken, so wie die ehrbaren Glieder die unehrbaren bedecken sollen (1. Kor. 12,23). Doch zurück zu den Worten des Psalms!

 

4. Liebe zu Gottes Namen heißt in allem sein Werk ehren.

 

Der Name des dreieinigen Gottes will in uns selbst bekannt werden.

 

»Die deinen Namen lieben.« Der Name des Herrn, sagten wir,64 bedeute den Ruf, das Bekanntsein und den Lobpreis des Herrn; die müssen also doch in andern [nicht in Gott selbst] zu finden sein; d. h. sie müssen in uns sein durch Glauben und Bekenntnis, auf daß nicht unsere, sondern Gottes Gerechtigkeit, Kraft und Weisheit in uns offenbart werde, zunehme und regiere. Denn dazu sind wir auf den Namen des Herrn getauft, daß hinfort nicht wir, sondern Gott in uns lebe,65 der Gottlosen Name aber untergehe, auf daß Gottes Name allein in uns bleibe. Wie also alle unsere Werke [nicht unsere, sondern]  Gottes Werke sind, so soll auch unser Name Gottes Name sein, auf daß Name wie Sache  nicht uns, sondern Gott zugeschrieben werde.

Man kann darum ganz gut auch so sagen: Unter ›Name des Herrn‹ sei zu verstehen Jesus Christus oder Vater, Sohn und Heiliger Geist; denn das sind alles auch Namen unseres Gottes, der allein alle guten Namen hat. Wer also den Namen Jesu liebt, liebt damit zugleich auch Gottes Heil, Gottes Wahrheit, Gottes Barmherzigkeit, Gottes Kraft, Gottes Weisheit und alles Gute. Denn all das ist in einem jeden Namen des Herrn inbegriffen. Wer also den Namen Jesu liebt, haßt damit zugleich unweigerlich seinen eigenen Namen und kann sich auch keiner menschlichen Weisheit, Hilfe und Stärke mehr rühmen, darum daß diese nichtig sind. Das macht ihn dann würdig, den Namen des Herrn in sich zu tragen. Und dies wiederum dient zu seinem Heil und zu Gottes Ehre.

Darum ist auf den Nachdruck zu achten, der auf jedem der beiden Worte liegt: ›lieben‹ und ›Namen‹. Der Psalmist sagt nicht: ›die deinen Namen schreiben, aussprechen, singen, verkünden, bedenken, scharfsinnig untersuchen und erkennen‹, Sondern: ›die deinen Namen lieben‹. Denn wer sollte nicht sehen wie viele Gott und seinen Namen zwar beständig im Munde führen, aber doch nicht ›in ihm fröhlich sind‹? [Das kommt von daher:] ihr Herz ist nichtig und ihre Liebe im innersten Kern verkehrt. Wo die aber verkehrt ist, kann nichts Rechtes geschehen; wo sie aber recht ist, kann nichts Verkehrtes geschehen.  »Gegen die Heiligen ist Gott heilig,... und gegen die Verkehrten ist er verkehrt«.66

 

Der Name Gottes will überall verbreitet und gerühmt werden.

 

Was es aber heißt, den Namen des Herrn lieben, erkennt man am besten an der Kraft und Natur der Liebe selbst, die nicht das ihre sucht67 sondern was des ist, den er liebt. Darum wird erst der wahre Liebe zum Namen des Herrn beweisen, der auf seinen und jedes andern Namen ganz und gar nichts gibt, sondern nur von Herzen wünscht, daß allein der Name des Herrn erhöht, ausgebreitet, verherrlicht und aller Welt bekannt gemacht werde. Um dessentwillen muß er aber dann auch alles, was nach seiner Ansicht zur Erkenntnis und Verherrlichung des Namens des Herrn dienen kann, ausdenken, sagen, tun und leiden, ohne jede Rücksicht auf seinen eigenen Besitz und Namen. Das bringt ihn dahin, daß er nicht mehr eitler Ehre geizig sein kann;68 vielmehr findet man ihn als einen, der sich selbst preisgibt und verachtet, in gar nichts mehr Stolz und Ruhm sucht als allein in dem Herrn, dessen Namen allein er liebt und sucht. Wer also in guten Tagen nur im Blick auf das Seine sich selbst gefällt und seinen eigenen Namen gerne hört, der wird in jenem ›Ofen‹ (wie in Spr. 27,21 der Mund des Lobredners genannt wird69) als einer erfunden werden, der nicht den Namen des Herrn, sondern seinen eigenen Namen liebt. So gehe es, meint der Prophet hier verächtlich, mit jenen Gottlosen, die im Vertrauen auf ihre eigene Gerechtigkeit sich brüsten. Von ihnen heißt es auch in 1. Sam. 2,3.9: »Laßt euer großes Rühmen und Trotzen; freches Reden gehe nicht aus eurem Munde... denn viel Macht hilft doch niemand.« Auch Paulus rühmt sich, er vermöge alles, aber nur ›durch den, der ihn mächtig macht‹,70 sonst aber rühmt er sich nur seiner Schwachheit (2. Kor. 11,30). Schön und kurz faßt dies die Jungfrau Maria in dem Vers zusammen: »Er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig ist«71 als wollte sie sagen: ›Ich habe gar nichts getan, er aber hat große Dinge an mir getan, er, der allein alles wirkt, der allein in allen mächtig ist und dem daher auch allein der Name und dem allein die Ehre gebührt, weil er alles allein tut.‹ Heilig ist sein Name, weil den keiner antasten noch sich beilegen darf. Denn wenn jemand weiß, daß ein Werk nicht von ihm ist, wie dürfte er so vermessen sein, sich den Namen für dieses Werk anzumaßen? Darum heiligt der den Namen des Herrn wahrhaftig, der sich solcher Anmaßung enthält. Das tut, wer anerkennt, daß nicht das geringste gute Werk ihm zugehöre, sondern allein Gott, auf daß sich das Wort des Psalms erfülle: »Der Herr ist heilig in allen seinen Werken.«72 Siehe, das ist es, was das zweite Gebot verlangt: »Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht mißbrauchen.«73 Darum beten wir auch, wenn wir sprechen: »Dein Name werde geheiligt«,74 und das kommt in den Worten von Ps. 111,9 zum Ausdruck: »Heilig und hehr ist der Name des Herrn.«

Wer in eignen Werken sich selbst ehrt, entehrt Gottes Namen.

 

Diese gottlosen Werkheiligen aber drängen sich vermessen herzu und besudeln den Namen des Herrn ohne Unterlaß, indem sie sich selbst Gerechtigkeit, Kraft und Weisheit zuschreiben und ihren Namen gerne dabei hören.. Daraus ergibt sich: je mehr Gaben ein Mensch von Gott empfangen hat, desto gefährdeter ist sein Leben. Kein Mensch hat die Furcht vor Gott so nötig als er, daß er ja nicht den Namen des Herrn beflecke und sich selbst etwas zuschreibe von dem, was Gottes ist, oder es ohne Widerspruch dulde, wenn andere es ihm zuschreiben. Denn das ist ja jene Anfechtung ›zur Rechten‹, wo ›zehntausend fallen‹, der ›Pfeil, der des Tages fliegt‹, und der ›Dämon des Mittags‹.75 Dies allein ist der Grund, warum S. Gregor76 an vielen Stellen zu sagen wagt, bei Heiligen seien die guten Werke unrein; können sie doch vom Namen des Herrn nicht genug Abstand halten noch ihn für so ›heilig und hehr‹ achten, wie sie ihn achten sollten. Denn das könnte nur geschehen, wenn der Trieb der Natur gänzlich ertötet wäre, was in diesem Leben nie völlig erreicht wird. Denn wie wenige erschrecken und entsetzen sich doch, wenn ihnen Name und Lob zuteil wird, als vor etwas, das Gott gehört und ihm ganz geweiht ist, so daß jede Berührung schon schrecklich ist! Wir lächeln vielmehr süß dazu, und halten fein stille wie die Schweine, wenn man uns mit einem Lob streichelt.

Wo werden aber die bleiben, die wie Riesen einen Berg auf den andern setzen und einen Turm von Babel bauen, die wider den Herrn und seinen Namen streiten und wie tollbesessen sind von einer maßlosen Gier nach Lob und Ruhm, so daß sie dem Herrn sein Werk wie seinen Namen völlig wegstehlen und allein sich selbst zuschreiben! Dabei plappern sie nichts anderes als »Dein Name werde geheiligt!«, »Gott allein die Ehre!«, »Gott sei Dank!«, »Im Namen des Herrn, Amen!«, um mit derlei Schminke und Augenschwärze ihre Isebelaugen zu schminken, zu färben zurechtzurichten.77 In solchem Maße ist nämlich die Welt erfüllt vom Bestreben, die Gleichheit mit Gott sich zu rauben,78 den Namen Gottes zu entheiligen und den Ruhm Gottes zu beflecken, und keiner nimmt es wahr; so daß sie sogar – wie entsetzlich! – im Namen Gottes wider den Namen Gottes streiten und in unversöhnlichem Widerspruch mit ihm sind.

Was für ein Frevel ist es doch, wenn ein Laie Kelche, Altartücher, Kirchen- und Altardecken antastet! Und warum? Weil sie im Namen des Herrn geweiht sind. Den Namen des Herrn selbst aber, durch den alles geweiht ist, befleckt und besudelt niemand häßlicher als diese Verfluchten selbst, die die Weihe vollziehen, diese verworfenen Werkheiligen, die sich voll Einbildung mit ihren eigenen Werken und Worten brüsten: sie tasten Gottes Namen an durch die häßlichste Begierde nach Ruhm.

 

Die Furcht des Herrn führt zur rechten Liebe seines Namens.

 

Darum liebt der allein den Namen des Herrn mit rechter Verehrung, der in frommer Ehrerbietung sich vor ihm scheut, und vor Lob und gutem Namen zurückschreckt, als wären sie jenes Öl, von dem in 2. Mose 30,25-33 heißt, es solle eine heilige Salbe sein, und seinesgleichen dürfe nicht gemacht noch auf Menschenleib gegossen werden, sondern es solle allein für die Stiftshütte und ihre Geräte dienen usw. Wer so den Namen des Herrn ehrt und heiligt, der wird von ihm wieder geheiligt werden nach dem Wort Ps. 18,26: »Gegen die Heiligen bist du heilig.« Er hält aber den Namen des Herrn nicht allein dadurch in Ehren, daß er ihn nicht antastet, ihn sich nicht anmaßt noch sich mit ihm salbt, sondern er wünscht auch, dieser Name möge allen Menschen in solcher Weise und hehr werden. Und damit es dazu komme, unterläßt er nichts, sei es im Tun, sei es im Leiden. So lesen wir vom heiligen Thomas von Aquin,79 er habe, so oft er sich loben hörte, unter seinem Kleid das Kreuzeszeichen gemacht; eine ehrerbietige Gewohnheit. Die sicher sehr gut und fromm war. Alles Gesagte läßt sich kurz für jedermann so zusammenfassen: Es soll sich keiner überheben, wenn es ihm gut geht! Das ist gut und leicht zu sagen, aber ganz dunkel und schwer zu verstehen. Niemand begreift es, er habe es denn versucht. Darum heißt es in Psalm 111,9 f: »Heilig und hehr ist sein Name. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Klug ist jeder, der darnach tut. Sein Lob bleibet ewiglich.«

Wer freilich unter ›Furcht des Herrn‹ nichts anderes versteht als die Furcht, die einen aus der Angst vor Strafe von groben Sünden und Ausschweifungen abschreckt, der versteht überhaupt nichts davon und wird auch nie lernen, im Herrn ›fröhlich zu sein‹. Denn ›Furcht des Herrn‹ ist, daß wir uns fürchten, uns etwas anzumaßen, was des Herrn ist, (nämlich seine Kraft und seinen Namen) und es nicht durch unsere Anmaßung zu beflecken. Es ist genau dasselbe, wie wenn wir uns scheuen, geweihte Gegenstände anzurühren, um sie nicht zu beflecken. In dieser Furcht muß man es so weit bringen, daß wir auch geistliche Güter uns so wenig zuschreiben wie zeitliche; vielmehr müssen wir wissen, daß auch von diesen keines unser eigen ist, sondern sie uns nur durch die Güte Gottes des Herrn überlassen sind zum nötigen Gebrauch für uns und unsre Nächsten. Wir haben sie daher in frommer Ehrerbietung zu besitzen und in treuer Dankbarkeit auf ihn zurückzuführen. Wer es so hält, ›dessen Lob bleibt ewiglich‹. Dessen Lob? Ja, aber nicht so, daß er sich seines eigenen oder irgendeines  andern Menschen Lobes rühmen dürfte, sondern so, daß er allein Gottes Lob begehrt, wie Paulus in 1. Kor. 4,5 schreibt: »Alsdann«, sagt er, »wird einem jeglichen von Gott sein Lob widerfahren.« Und ebenso heißt es in Psalm 34,3: »Meine Seele soll sich rühmen des Herrn.« Und dann wieder 2. Kor. 10,18: »Denn nicht darum ist einer tüchtig, daß er sich selbst lobt, sondern daß ihn der Herr lobt.« Gott aber lobt und ehrt nur die, die alles Lob von sich weg auf ihn übertrugen und ihre guten Werke nur dazu vor den Leuten sehen ließen, ›daß ihr Vater im Himmel gepriesen werde‹,80 dessen Namen sie liebten. Darum lobt und rühmt Gott auch sie wieder nach seinem Wort (1. Sam. 2,30): »Wer mich ehrt, den will ich auch ehren; wer aber mich verachtet, der soll wieder verachtet werden.«

Es kommt einen freilich sehr schwer an, und trotzdem muß es sein: Lob und Namen allein von Gott erwarten, dabei auf alle schönen Titel von jedermann verzichten, und, wenn einem solche doch irgendwie zuteilwerden, sie Gott zurechnen, als wären sie einem nicht zuteilgeworden, und wie sie nur zu Nutz und Frommen anderer voll Furcht mehr auf sich nehmen als eigentlich besitzen. Das allerdings heißt ›dem Herrn dienen mit Furcht‹ und ›sich seiner freuen mit Zittern‹;81 das heißt aber auch in Wahrheit: nicht verzweifeln in der Anfechtung noch sich überheben in linden Tagen, wie wir nun schon oft gesagt haben.

 

 

Nachbemerkung

 

 

Martin Luther hat mit seiner zweiten Psalmvorlesung in der bewegtesten Zeit seines Lebens begonnen. Das ist kein Zufall. Er konnte den gewaltigen Kampf, in den er schrittweise hineingeführt wurde, nur bestehen, wenn er die Schrift hinter sich wußte; und in ihr waren es insbesondere die Psalmen, mit denen er täglich betend umging und aus denen er sich die Weisung und die Kraft zu seinem Kampf holte. Daß dabei gerade der 5. Psalm für ihn ein besonderes Gewicht hatte, wird nicht bloß daran deutlich, daß er ihm die ausführlichste Erklärung unter allen übrigen in der Vorlesung behandelten widmete, obwohl der alttestamentliche Text durchaus nicht außergewöhnlich lang ist. Es wird auch darin sichtbar, daß Luther nach dem Abschluß seiner Vorlesung über die ersten fünf Psalmen diese als erstes Stück seiner Vorlesung als ein in sich geschlossenes Ganzes drucken ließ, eine Ausgabe, in der dieser 5. Psalm genau zwei Fünftel des Raumes einnimmt. Dieser selbe Psalm war es dann auch, der als erster ins Deutsche übersetzt wurde: der Syndikus Stephan Roth von Wittenberg gab diese Übersetzung »mit Luthers Gunst und Verwilligung« im Jahr 1525 heraus, nachdem ein Bruchstück daraus – nämlich der Abschnitt über die christliche Hoffnung (zu V. 12) – schon zweimal in deutscher Übersetzung erschienen war. Auch das dürfte ein Beweis für den Wert sein, den Luther gerade diesem Werk beimaß.

Es war im Winter 1518/19, daß Luther seine Studenten in Wittenberg, deren Zahl damals anschwoll (»wie überflutendes Wasser«), den 5. Psalm auslegte. Das waren Monate höchster Spannung. Rom bot alle Mittel der Macht und Diplomatie auf, um Luthers Lehre zu unterdrücken. Er mußte damals jeden Augenblick auf das Schlimmste gefaßt sein; seine Freunde rieten  ihm immer wieder, nach Frankreich zu fliehen. Die Altenburger Verhandlungen mit Miltitz und der Tod des Kaisers Maximilian fallen in diese Zeit. Luther wollte der Kirche nicht den Gehorsam kündigen, aber er konnte auch in keinem Stück nachgeben. Immer tiefer erkannte er den Gegensatz zwischen der Lehre der Schrift und der Lehre der Kirche. Da konnte er die Worte des 5. Psalms aus innerster Erfahrung verstehen und in ganzer Leidenschaft nachbeten; sie gaben ihm Trost und Mut und lehrten ihn, was es heißt, auf Gott allein zu hoffen und sich mitten in der Trübsal zu freuen. Vergeblich hatte er an den Papst und dann an ein Konzil appelliert; die Gewißheit, daß der Appell an Gott, wenn er in ganzer Selbstverneinung und Bußfertigkeit geschieht, nicht vergeblich ist, machte ihn entschlossen zum Bekennen und zum Leiden. Spalatin, dem Sekretär seines Kurfürsten, durch den ihn dieser zur Mäßigung mahnte, schrieb er damals: »Je mehr jene wüten und auf Gewalttat sinnen, desto weniger erschrecke ich; nur umso freier noch werde ich gegen die römischen Schlangen werden. Ich habe mich zu allem bereit gemacht und harre auf Gottes Rat.« Das war die rechte Übersetzung und Aneignung dieses Psalms.

Luthers Auslegung des 5. Psalms stellt sich zur Aufgabe den Unterschied zwischen WAHRER UND FALSCHER FRÖMMIGKEIT nach allen Seiten hin deutlich zu machen. Dies war ihm ein wichtiges Anliegen. Alle seine neuen Erkenntnisse über das Verhältnis von Gott und Mensch und über die Rechtfertigung des Menschen vor Gott ließen ihn zu der Überzeugung gelangen, daß wahre Frömmigkeit etwas ganz anderes sei und sein müsse als das, was die römische Kirche seither unter Frömmigkeit verstand.

Als falsch erkennt der Reformator, dem alttestamentlichen Beter folgend, jede Frömmigkeit, die den Menschen mit seinem natürlichen Verlangen nach Glück und Ehre in den Mittelpunkt stellt und sich bemüht, ihm Wege zu weisen, auf denen er sich die Befriedigung dieser Wünsche für das diesseitige wie für das jenseitige Leben sichern kann. Wahr aber ist für Luther die Frömmigkeit, die keinen andern Mittelpunkt hat als Gott. Gottes Wort muß Grund und Maßstab ihres Wollens, Empfindens und Handelns sein und Gottes Ehre ihr einziges Ziel. Wo ein Mensch so vor Gott steht und sich bemüht, Gott so zu sehen wie er ist, und nicht wie ihn menschliche Wünsche und Gedanken gerne haben wollen, da ist das naive Selbstvertrauen der falschen Frömmigkeit dahin. Er scheitert an Gottes Gebot; es geht ihm nicht nur eine Ahnung von dem unermeßlichen Abstand zwischen Gott und Mensch auf, sondern es überkommt ihn auch die Gewißheit von der völligen Verlorenheit seines eigenen Wesens und Tuns. Er findet nichts an sich und in sich, das so wäre, wie Gott es haben möchte; alles ist vergiftet von der Selbstsucht des Menschenherzens, die offen oder verborgen den Menschen beherrscht und ihn ungehorsam macht gegen Gottes Gebot.

In einer bestürzenden Konsequenz entfaltet Luthers Auslegung des 5. Psalms den radikalen Ernst der Lage. Angesichts des göttlichen Gerichts kann gerade der wahre Fromme von sich selbst nur sagen, daß er ein verlorener Sünder sei. So kann sein weiteres Schicksal nicht von ihm selbst, sondern allein von Gott abhängen. Alle menschliche Leistungen, Werke und Verdienste, die der falschen Frömmigkeit so wichtig sind, werden demgegenüber hinfällig. Er vermag nichts vorzuweisen, womit er sich vor Gott behaupten könnte. Er ist auf Gnade und Ungnade dem Urteil Gottes ausgeliefert. Er empfängt, was seine Taten wert sind. Und das kann, vom Menschen aus gesehen, nur heißen: Gott richtet ihn; denn Gott ist wahrhaftig und gerecht. Er spricht den Sünder schuldig, und es ist nichts am Menschen, das diesem Urteil entgehen könnte.

Diese vernichtende Erkenntnis ist für Luther die Grundvoraussetzung alles redlichen Glaubens, der Ausgangspunkt, der doch immer in Gültigkeit bleibt, das WORT VOM KREUZ, das seinen Widerspruch gegen uns zu erheben nie aufhört. Es ist das erste Wort, das wir zu hören haben. Wer sich aber im Bewußtsein seiner Schuld demütig diesem Urteilsspruch beugt, dem verheißt Gottes barmherzige Vaterliebe Gnade und Vergebung der Sünden. Und wer dieses zweite Wort so ernst nimmt wie das erste und Gott es zutraut, daß er seine Verheißung wahrmachen wird, der hat damit den Glauben, der ihm die Gerechtigkeit schenkt, die vor Gott gilt.

Eine Frömmigkeit, die auf solchem Grunde ruht, widersteht der Selbstgerechtigkeit, sie kann nicht mehr wichtigtun mit eigenen Leistungen. Luther sieht sie zu gleicher Zeit bestimmt durch FURCHT UND HOFFNUNG. Sie fürchte Gott, denn sie hat ihn als König und Richter kennengelernt und weiß, daß vor ihm nichts bestehen kann von dem, was Menschen sind und haben. Um so mehr hofft sie zu Gott, denn sie hat ihn auch als barmherzigen Vater erfahren, der den Sünder nicht verwirft, sondern ihm gnädig ist, wenn er seine Gnade begehrt. Nicht umsonst schiebt Luther, den Text der Auslegung unterbrechend, ein großes Zwischenstück über die Hoffnung ein. Sie muß sich in der Anfechtung bewähren, gleichviel ob diese von bösen oder von guten Tagen kommt. Diese Hoffnung schenkt dem Frommen das, was dem Gottlosen versagt bleibt: ein fröhliches Herz, das weder durch Trübsal noch durch gute Zeiten beirren läßt.

In paradoxen Wendungen beschreibt Luther, wie sich die TRÜBSAL in den Weg des wahrhaft Frommen einordnet. Mag sie ihm alles wegnehmen, worüber er sich gefreut und worauf er sich verlassen hatte, er hält an der Hoffnung fest. Kreuz und Trübsal erscheinen ihm nur als eine besondere Güte Gottes. Sie will ihn auf diese Weise daran erinnern, daß er auf nichts anderes sich verlassen und an nichts anderem sich freuen soll als allein an Gott. Von Anfang bis Ende ist es Gott, auf den der Fromme seine Hoffnung setzt. Er erwehrt sich der Verzweiflung über das eigene Leid, und wenn die falschen Frommen ihn verachten und verfolgen, indem sie sich stolz und selbstbewußt ihrer guten Werke und Verdienste rühmen, so bekümmert er sich nicht, denn er weiß, daß er nichts Besseres als Schmach und Schande verdient hat. Auch in der noch schwereren Anfechtung muß die Hoffnung des Frommen bestehen, wenn ihm sein Gewissen Not bereitet, indem es ihm alte und neue Schuld vorhält. Auch dann verzweifelt er nicht, weil er weiß, daß Gottes Gnade größer ist als seine Schuld, so daß seine Sündhaftigkeit ihm sein Heil so wenig rauben kann, als vermeintliche Tugendhaftigkeit es ihm verschaffen könnte. Mit der gefährlichsten Frage aber muß sich die Hoffnung auseinandersetzen, wenn den Frommen der Zweifel plagt, ob er denn auch zu den Erwählten gehöre. Luther, der dies alles durchlitten hat, weiß, was für ein schweres Erleiden das bedeutet. Aber er weiß ja auch, daß sich das Ja Gottes, der Segen des Herrn so wenig nach dem Urteil der Welt richtet, wie nach seinem eigenen Urteil. Er durchschaut die Selbstsicherheit der falschen Lehrer als Trug; er begehrt es ihnen nicht gleichzutun. Er weiß, daß es allein auf die von Gott geschenkte, ihm in Christus zugerechnete Gerechtigkeit ankommt.

Wahre Freude aber hat der Hoffende auch im GLÜCK. Ist er seines Heils gewiß und fröhlich darüber, so verleitet ihn dies doch nicht zur Vermessenheit, weil er genau weiß, das dieses Heil nicht von ihm selbst erworben, sondern ihm unverdient von Gott geschenkt worden ist. Und mögen die guten Tage ihn noch so sehr zu Übermut und Selbstzufriedenheit verlocken, so bleibt sein Herz doch demütig, weil er hinter all dem Schönen und Guten, das ihm zuteil wird, Gott als Geber sieht. Seine unverdiente Güte reißt ihn nicht zu selbstgefälligem Jubel, wohl aber zu dankbarer Freude hin.

So vermeidet der Hoffende die Überheblichkeit und die Verzweiflung, die beiden Gefahren, denen der falsche Fromme über kurz oder lang erliegen muß. Er kennt nur dies: den Blick auf Gott in Furcht und Hoffnung, und den Dank für Gottes unverdiente Güte. Und eben dieser Dank ist es nun auch, der des Frommen Hände willig macht zu allem guten Werk. Von der Selbstliebe befreit kann er dem Nächsten nicht mehr lieblos begegnen; weil ihm die Selbstgerechtigkeit genommen ist, mag er sich nicht mehr über den andern erheben. Fähig zum guten Werk ist er ja, seit seine Erfahrungen ihn zum Werkzeug Gottes zugerichtet haben. Und so tut er denn im Dienste Gottes, von dessen Gnade er trotz aller eigenen Sündhaftigkeit jeden Tag leben darf, gute Taten, aber nun freilich nicht mehr wie der falsche Fromme zum Erwerb von Verdiensten, sondern nur noch zum Lobpreis der göttlichen Gnade. Das ist Luthers summarische Beschreibung evangelischer Frömmigkeit.



[1] Die Auslassung verweist auf die Übersetzung des Hieronymus und auf den hebräischen Urtext.

[2] Markus 5,25 f.

[3] Gute Werke können nach katholischer Lehre getan werden, um »Verdienste« zu erwerben, oder um »Genugtuungen« zu leisten, d. h. die zeitlichen Sündenstrafen schon hier auf Erden, nicht erst im Fegfeuer abzubüßen.

[4] Der katholische »Ablaß« beruht auf dem Gedanken: Christus, dazu Maria und alle Märtyrer, Jungfrauen und Gerechte haben einen solchen Schatz von überschüssigen guten Werken erworben, daß sie anderen bedürftigen Seelen davon abgeben können zur Abtragung der »zeitlichen« Sündenstrafen auf Erden oder im Fegfeuer; die Kirche, d. h. der Papst, verwalte diesen Schatz in unbeschränkter Vollmacht und könne ihn jedermann unter bestimmten Bedingunen zuwenden.

[5] 2. Korinther 1,5.

[6] Philipper 4,4.

[7] Sprüche 12,21 nach der Vulgata.

[8] Als Sprichwort nur im Lateinischen bekannt.

[9] Hiob 9,3.

[10] Die katholischen Theologen unterschieden die »läßlichen« (d. h. eigentlich  »erlaßbaren«) oder »täglichen« Sünden, d. h. Sünden, welche nur eine zeitliche Strafe (auf Erden oder im Fegfeuer) nach sich ziehen, von den sog. »Todsünden« , welche den ewigen Tod, die höllische Verdammnis zur Folge haben. Wir könnten statt »eine läßliche Sünde« etwa sagen »eine Schwachheitssünde«.

[11] Wörtlich: der im Leben Gott vergessen hat, muß nun im Sterben sich selber vergessen.

[12] Nach der Vulgata.

[13] Lukas 8,13.

[14] »Observanz« bezeichnet im Mönchtum eine besonders strenge Beobachtung der Ordensregel.

[15] Vgl. Römer 5,3.

[16] Psalm 51,7.

[17] Römer 4,15.

[18] Römer 3,8.

[19] 1. Mose 3,1 ff.

[20] Prediger 1,2.

[21] Matthäus 13,22.

[22] »Aven« = Abgötterei , bekannt aus Amos 5,5: »Beth-El (Haus Gottes) wird Beth-Aven (Haus der Agötterei) werden.«

[23] D. h. in verhüllter und beispielhafter Redeweise. In Anlehnung an 2. Mose 34,35 und 2. Korinther 3,13 ff ist für Luther die Offenbarung Gottes im Alten Testament gleichsam noch unter einer Decke verborgen. Sie wird erst durch Christus, d. h. durch die Offenbarung Gottes im Neuen Testament, weggenommen, so daß also das Alte Testament erst durchs Neue recht verstanden werden kann.

[24] 1. Korinther 12,6.

1 »Theologische« oder »göttliche« Tugenden heißen nach katholischer Lehre Glaube, Hoffnung und Liebe in ihrer Vollendung, weil sie in dieser, von bloß natürlicher Liebe usw. verschiedenen Gestalt sich direkt auf Gott richten und darum auch nicht vom Menschen selbst erzeugt, sondern von Gott »eingegossen« sind.

2 Luther benützt hier die Sprache  des Hohenliedes, wie es die sog. »Brautmystik« (wo Christus als der Bräutigam der Seele erscheint) gerne tat.

3 1. Könige 18,21.

4 Hohelied 8,6 f.

5 In dem ausgelassenen Stück warnt Luther mit großer Schärfe vor unnützen allegorischen Auslegungskünsten und besonders vor den einflußreichen Schriften eines morgenländischen Mystikers und Philosophen, der um 500 unter dem Namen Dionysius Ariopagita ein christliches Weltsystem erdichtete. Der ausgelassene Abschnitt endet mit dem bezeichnenden Satz: »Nicht durch Verstehen, Lesen oder Sinnieren wird einer ein rechter Theologe, sondern durch lebendige Erfahrung, ja durch Sterben und Verdammnis.«

6 Magister Sententiarium (Meister der Sentenzen) war der Ehrenname von Petrus Lombardus (gest. 1160). Er wurde ihm zuerkannt für seine systematische Gesamtdarstellung der Theologie, die nach frühscholastischem Brauch »Sentenzen« genannt wurde. Da dieses Werk das offizielle dogmatische Lehrbuch des Mittelalters war, hatte auch Luther es zu Beginn seiner Lehrtätigkeit zu behandeln, wobei er nicht vor scharfer Kritik zurückscheute.

7 Jeremia 3,32.

8 Vgl. Seite 5, Anmerkung 1.

9 Matthäus 13,5 f und 20 f.

10 Vgl. Römer 6,6.

11 »Erste Gnade« hießen die Theologen damals, die mit der Rechtfertigung des Menschen den Anfang machende Gnade Gottes im Unterschied von den späteren Gnadenausgießungen, wie sie vor allem von den Sakramenten gelehrt wurden.

12 Nach der lateinischen Fassung Luthers heißt es: »Wer gerechtfertigt ist, der werde fernerhin gerechtfertigt ... «

13 2. Korinther 3,18.

14 D. h. in der auf Seite 3 angeführten Stelle Römer 5,3 ff.

15 Psalm 34,9.

16 1. Mose 22,12.

17 2. Petrus 1,10.

18 Johann Tauler von Straßburg, um 1300 bis 1361, einer der bekanntesten deutschen Mystiker des 14. Jahrhunderts, mahnte zur Verinnerlichung und Versenkung in den eigenen Seelengrund in geistlicher Armut.

19 Römer 5,4.

20 Vgl. Seite 6; gemeint ist: Tod und Hölle für das Fleisch.

21 Epheser 5,31 f.

22 Johannes 15,2.

23 Vgl. Seite 5, Anmerkung 1.

24 Vgl. Seite 6 Anmerkung 6.

25 »Vita Activa« (tätiges Leben) wurde, im Unterschied zu der »vita contemplativa« (dem beschaulichen Leben der weltabgewandten Mönche und Mystiker), das tätige, auf Erwerb von Verdiensten gerichtete Leben des gewöhnlichen Kirchenchristen genannt.

26 Der »vita activa« stellt Luther seinerseits die Forderung einer »vita passiva« (eines leidenden Lebens) entgegen, um durch die Unfähigkeit des Menschen zum Guten und die Notwendigkeit des Wirkens Gottes in ihm zu betonen.

27 Römer 8,24.

28 Psalm 143,2.

29 Luther nimmt hier Bezug auf die kirchliche Lehre, die in Christi Werk zwischen tätigem Gehorsam unterschied. Jenem wurde mehr »verdienstlicher«, diesem mehr »genugtuender« Wert zugeschrieben.

30 Jesaja 53,12.

31 Matthäus 27,46.

32 Psalm 22,18.

33 Der Sinn ist: Hoffnung ist Geduld in geistlicher Not, d. h. im völligen Schuldbewußtsein; Geduld ist Hoffnung in leiblicher Not, die als verdiente Strafe aufgefaßt wird. Im Hintergrund dieses Satzes stehen die scharfsinnigen Unterscheidungen der scholastischen Theologie zwischen der Verfallenheit an der Schuld (reatus culpae) und der Verfallenheit an die Strafe (reatus poenae).

34 Römer 4,18.

35 Hosea 2,8.

36 Zu deutsch: ›Angesicht Gottes‹.

37 Der berühmte römische Schriftsteller, Politiker und Redner Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) hinterließ eine Reihe bedeutsamer, an griechischen Vorbildern geschulter philosophischer Schriften. Er appelliert an das allgemeine sittliche Bewußtsein.

38 Das lateinische Wortspiel zwischen der hier genannten »vita bene acta« und »vita bene passa« einerseits und der vorhin Seite 8 f ) »vita activa« und »vita passiva« andererseits läßt sich im Deutschen nicht wiederholen.

39 1. Korinther 1,31 und 2. Korinther 10,17.

40 Hiob 27,6.

41 Z. B. Jeremia 3,2 ff; Hesekiel 16 u. 23; Hosea 4,10 ff; 5,3; 9,1.

42 Nach Jesaja 40,12.

43 D. h. die verstorbenen Gerechten sind nicht bei sich, sondern bei dem, auf den sie sich ganz verlassen.

44 Weisheit 3,1 f.

45 Der Kirchenvater Hieronymus hinterließ u. a. auch Lebensbeschreibungen von Heiligen, von denen das hier erwähnte »Leben des heiligen Hilarion«  auf sorgfältigem Studium schriftlicher und mündlicher Quellen beruht.

46 Hilarion (288-371) war der erste Einsiedler in Palästina; er soll sich durch besondere asketische Strenge und große Wundertaten ausgezeichnet haben.

47 Hier unterlief Luther ein Gedächtnisfehler; Hilarion starb im 83. Lebensjahr.

48 Agatho war ein bei der lateinischen und griechischen Christenheit des 7. Jahrhunderts gleich hochgeschätzer Papst.

49 5. Mose 4,9; 6,12; 8,14.

50 Jesaja 48,9; nach der Vulgata heißt es dort: »um meines Ruhmes willen will ich sie zügeln, daß du nicht untergehst«.

51 Galater 6,9; Römer 2,10; 1. Korinther 3,12.

52 Vgl. Seite 10.

53 Psalm 25,10.

54 1. Korinther 4,7.

56 1. Korinther 15,28.

57 Gemeint ist: Gott ist für alle Menschen der gleiche und doch denen, die auf ihn hoffen, ganz und gar ein anderer als denen, die das eigene Leben bauen.

58 2. Korinther 12,9.

59 Luther denkt hier vorallem an die sog. »Quaestiones«, d. h. Schriften, in denen bestimmte ›Fragen‹ der Dogmatik auf ihr Für und Wider untersucht wurden. Gerade die berühmtesten Lehrbücher der Scholastik waren nach Quaestionen eingeteilt.

60 Jesaja 42,3.

61 Matthäus 26,38.

62 Habakuk 2,3.

63 Römer 4,18.

64 Psalm 23,4.

65 2. Mose 20,3.

66 D. h. man darf nicht sagen: ich habe gesündigt, darum kann ich nicht auf Gott vertrauen und hoffen.

67 Die Lehre von der Erwählung (Prädestination) behauptet die göttliche Vorherbestimmung des Menschen zur Seligkeit oder Verdammnis. Luther hat diese Lehre besonders gegen Erasmus in der Schrift vom unfreien Willen (1525) verfochten, aber auch davor gewarnt.

68 Siehe die Auslegung des 22. Psalms im Anschluß.

69 Vgl. Dazu die Auslegung von Psalm 1; unsere Ausgabe Band 7, Siebenstern-Taschenbuch 98 Seite 172 ff.

70 Das andere Anliegen wäre, der Erwählung gewiß sein.

71 Matthäus 4,5 ff.

72 Matthäus 4,7.

73 Jesaja 14,14.

74 1. Mose 3,5.

75 So nach der Vulgata.

76 Nach der Vulgata.

77 Römer 11,33.

78 Prediger 11,6.

79 Psalm 103,14; Prediger 3,20.

80 Vgl. Besonders Galater 2,16 und 3,8-11.

81 Matthäus 7,26 f.

82 Matthäus 5,6.

83 Gemeint sind hier im Unterschied von den drei »göttlichen« oder »eingegossenen« Tugenden (vgl. Seite 5 Anm. 1) die sog. »sittlichen« oder »erworbenen« Tugenden, die der Mensch schon von sich aus üben kann. Diese gipfeln nach der Lehre der Scholastker in den vier Grund- oder Kardinalstugenden der griechischen Philosophie: in Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Tapferkeit.

84 Die Ausdrücke »tätig« und »leidend« verweisen auf die früheren Ausführungen von Seite 8 ff.

85 Hohelied 5,3. Die allegorische Deutung dieser Stelle will besagen, daß bei allen anderen Tugenden (außer bei Glaube, Liebe und Hoffnung) möglicherweise zwischen Gesinnung und Tat zu unterscheiden ist und die Tat nur recht mangelhaft der Gesinnung Ausdruck gibt. Man kann z. B. bei Tapferkeit unterscheiden zwischen dem subjektiv tapferen Herzen und der objektiv tapferen Tat; das ist bei Glaube, Liebe und Hoffnung unmöglich.

86 Die katholischen Lehrer des Mittelalters, die sog. Scholastiker, unterschieden zwischen ›habitus‹ (dem Befähigtsein zur Ausführung einer Tugend) und ›actus‹ (der Ausübung der Tugend selbst). Der »eingegossene« habitus der Liebe z. B. kann am Jüngsten Tag nur insofern gewertet werden, als er in diesem Leben Liebesakte erweckt hat. Entsprechend ist auch eine böse Neigung noch keine Sünde, solange sie nicht zur bösen Tat führt.

87 Johannes 15,2.

88 Hohelied 1,4 und 2,4.

89 Hohelied 5,8.

90 2. Korinther 12,10.

91 Seit dem 12. Jahrhundert hatte die Mystik der neuplatonischen Philosophie auch in der Theologie der abend-ländischen Kirche Eingang gefunden, wo sie in Meister Eckehart 1260-1327 und seinem Schüler Johann Tauler (vgl. Seite 8 Anm. 18) eine selbstständige Weiterbildung erfuhr.

92 Römer 5,3 ff; vgl. Seite 8 und 9 ff.

93 In den ausgelassenen Sätzen beweist Luther durch Schriftzitate, inwiefern es ganz richtig sei, zu sagen »Erfahrung (oder Bewährung) bringt Hoffnung«, obwohl die Hoffnung zuerst da sein muß. Bewährung sei ja Leiden, also bekomme der Mensch dadurch nichts, sondern verliere nur alles, bis der hoffende Mensch als brauchbares Wekzeug übrigbleibe (vgl. Sprüche 25,4).

1 Kolosser 3,19.

2 Nach Beendigung des Zwischenstücks über die rechte Hoffnung kehrt nun Luther zu der auf  Seite 1 unterbrochenen Auslegung des Psalms zurück.

3 Hiob 21, 13.

4 »Zeitlich« ist, was nur in der Zeit und für die Zeit, nicht für die Ewigkeit Bedeutung hat.

5 Ausgelassen ist eine Psalmstelle, die Luther später ganz anders verstanden und übersetzt hat.

6 1. Korinther 2,14.

7 Galater 6,14.

8 Vgl. Den Eingang Seite 14 (noch nicht geschrieben).

9 Sprüche 15,15.

10 Vgl. Psalm 4,8.

11 In dem oben Seite 21 ausgelassenen Abschnitt wurde u. a. die Wortbedeutung »ewiglich« dargelegt. Es beziehe sich nicht auf die Ewigkeit, sondern heiße eben soviel wie »immerdar«.

12 Hieronymus, um 330-420, Mönchsgelehrter und Asket, der lange Zeit in Bethlehem lebte, erwarb sich große Verdienste um die Feststellung des biblischen Urtextes. Sein Hauptwerk war die Übersetzung der ganzen Bibel in die lateinischen Sprache; sie ist als ›Vulgata‹ heute noch in der katholischen Kirche der anerkannte amtliche Text.

13 Hiob 20,5; die angeführte Stelle ist aus einer Rede Zophars.

14 So nach der Vulgata; Luthers spätere Übersetzung deutet den Text anders, doch sind nach dem Hebräischen beide Auffassungen möglich.

15 Sprüche 14,13.

16 2. Timotheus 3,8 f.

17 Sprüche 14,10.

18 Nach katholischer Lehre erhält der Mensch in der Rechtfertigung die sog. Habituelle Gnade (gratia habitualis), vgl. Seite 18, Anm. 86 mitgeteilt, die ihn in einen übernatürlichen Gnadenstand versetzt. Da der Mensch aber diesen heilsnotwendigen Gnadenstand, bei dem er ›in der Gnade‹ lebt, durch jede Todsünde (vgl. Seite 2, Anm. 10) wieder verliert und nie mit Gewißheit sagen kann, ob er nicht eine Todsünde begangen hat, so kann er nie des ›Gnadenstandes‹ und damit seines Heils gewiß sein.

19 Matthäus 7,16.

20 Lukas 8,13.

21 Vgl. Matthäus 10,17 ff.

22 Vgl. Seite 20, Anmerkung 12.

23 Matthäus 16,18.

24 Psalm 46,12.

25 1. Johannes 4,4.

26 Römer 8,31.

27 Der ausgelassene Abschnitt beschäftigt sich mit dem hebräischen Text und zeigt, daß die Übersetzung »du beschirmst sie« eigentlich noch zu wenig enthalte; der Ausdruck wolle besagen: »du regierst sie, du bestimmst über sie, du sorgst für sie.«

28 Johannes 16,11.

29 Der ausgelassene Abschnitt enthält den ausführlichen Versuch, zwischen dem »Laß sich freuen« und dem »fröhlich laß sein in dir« sprachlich und inhaltlich einen genauen Unterschied aufzuzeigen. Im letzteren sieht Luther den Widerhall und Dank des ersteren; dem »Freude empfangen« und im Herzen haben folgt das »Freude äußern« und fröhlich sein.

30 Jesaja 61,10.

31 Siehe oben Seite 20.

32 Das bekannte Zitat aus der 3. Ode des römischen Dichters Horaz (65 bis 8 v. Chr.): »Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae.«

33 V. 7 unseres Psalms; vgl. Seite 34 ff. (Ist noch nicht geschrieben).

34 1. Samuel 16,23.

35 Sirach 11,26 nach der Vulgata.

36 Sirach 30,25.

37 Luther denkt wohl an das mittelalterliche Sprichwort: »Es steht kein fröhlicher Kopf auf einem traurigen Herzen.«

38 Nach der Vulgata.

39 In Luthers Sprichwörtersammlung findet sich das Wort: Kuchen über den Zaun und Kuchen wieder herüber, das erhält gute Gevatterschaft (Nachbarschaft).

40 Gesang der drei Männer im Feuerofen, V. 34.

41 Vgl. Lukas 6,26.

42 Psalm 4,5.

43 Psalm 91,7.

44 Nach der Vulgata.

45 Psalm 76,13.

46 Josua 7.

47 In den ausgelassenen größeren Abschnitt spricht Luther vorallem von dem sog. ›Tetragramm‹, d. h. den vier Buchstaben I h w h des von ihm mit »Jehova« übersetzten altjüdischen Gottesnamens; er beschreibt dabei den Aberglauben, der sich im alten Israel wie in der christlichen Kirche daran angeschlossen hat, und versucht nachzuweisen, daß in ihm der Name der Dreieinigkeit auf geheimnisvolle Weise schon enthalten gewesen sei.

48 Unter dem Namen des von Paulus bekehrten Dionysius Areopagita (vgl. Apostelgeschichte 17,34) tauchten im 6. Jahrhundert verschiedene Schriften auf, die eine Verschmelzung von christlichen und heidnisch-mystischen Gedanken versuchten und um ihres vermeintlichen Verfassers willen in der östlichen und westlichen Kirche einen großen Einfluß ausübten (vgl. S. 6, Anmerkung 5).

49 D. h. Name bedeutet hier nicht Eigenname, sondern eine Aussage über Wesen und Eigenschaften.

50 Psalm 116,11; Römer 3,4.

51 Psalm 39,6 und 12.

52 Lukas 18,11 und Lukas 7,39.

53 1.Korinther 1,31.

54 Lukas 14,10.

55 das lateinische »Soli Deo gloria!«

56 Psalm 116,11.

57 Gemeint ist Papst Gregor I. der Große, Papst von 590 bis 604, der teils durch Neuregelung kirchlicher Institutionen, teils durch seine Schriften große Bedeutung gewann.

58 Vgl. Seite 20, Anmerkung 12.

59 Lugdunum, das heutige Lyon, war im Jahr 177 während der Regierung Marc Aurels der Schauplatz einer grausamen Christenverfolgung.

60 Johannes 18,19 ff.

61 Matthäus 5,16.

62 Matthäus 5,40; Lukas 3,11.

63 Matthäus 5,39.

64 Vgl. oben Seite 24 ff.

65 Vgl. Galater 2,20.

66 Psalm 18,26 f.

67 1. Korinther 13,5.

68 Vgl. Galater 5,26.

69 Vgl. oben Seite 23.

70 Philipper 4,13.

71 Lukas 1,49.

72 Nach Psalm 145,17.

73 2. Mose 20,7.

74 Matthäus 6,9.

75 Psalm 91,5-7.

76 Seite 25, Anmerkung 57.

77 Vgl. 2. Könige 9,30.

78 Vgl. 2. Könige 9,30.

79 Thomas von Aquino (1225- 1274) war der bedeutendste Kirchenlehrer des hohen Mittelalters, dessen Lehren in der katholischen Kirche bis heute weihin maßgebend sind.

80 Matthäus 5,16.

81 Psalm 2,11 nach der Vulgata.