Einführung in den 2.Timotheusbrief

Der 2. Timotheusbrief trägt einen besonders feierlichen Charakter. Er ist das letzte Schreiben von Paulus im NT. Verfasst wurde dieser Brief in seiner Todeszelle in Rom. Paulus sah, wie sein Lebenswerk begann, unter schlechten Einflüssen zu degenerieren, ohne dass er noch persönlich hätte dagegen intervenieren können (1,15). Dies nimmt er zum Anlass, um die „letzten Tage“, die Endzeit der Christenheit, zu beschreiben (3,1ff.). Was sich in der Zeit des Paulus im Ansatz entwickelte, sollte in grossem Masse die Christenheit in der Zeit vor der Wiederkunft Christi kennzeichnen. Dieser Brief gibt viele ganz konkrete und persönliche Verhaltensanweisungen in einer Zeit des allgemeinen Abweichens von den Belehrungen der Bibel. Ein hochaktueller Brief in einer Epoche der Verführung und des unaufhaltsamen Niedergangs!

Adressat

·          Timotheus (in Ephesus; vgl. Zusatzbemerkung der Abschreiber in den meisten Handschriften; Nestle-Aland [NA] Fussnotenapparat)

Zeit und Abfassungsort

·          66/67 n. Chr, zur Zeit der zweiten Gefangenschaft; im Gefängnis zu Rom (vgl. Zusatz­bemerkung in den meisten Handschriften, NA), kurz vor Märtyrertod (2Tim 1,16-17; 4,6-8)

·          Rückblende:

          62 n. Chr; erste Gefangenschaft in Rom (Apg 28,16-31; Kol 4,3.10.18b); Lukas und Aristarchus, die Begleiter auf der Romreise (Apg 27,1-2) sind bei ihm (Kol 4,10.14; vgl. Phlm 24). Briefe der ersten Gefangenschaft: an die Epheser (Eph 3,1; 4,1; 6,20), Philipper (Phil 1,7.12-13.17), Kolosser (Kol 1,24; 4,10.18), an Philemon (Phlm 1,9.10.22) und an die Hebräer (Heb 13,24)

          Nach der Freilassung:[1] Reise nach Spanien (vgl. Röm 15,24), nach Kreta (Tit 1,5), Nikopolis (Tit 3,12); Mazedonien (1Tim 1,3); Verhaftung in Troas (2Tim 4,13);

          zweite Gefangenschaft: 66/67 n. Chr

Grobstruktur

          I.          Treue inmitten des Niedergangs (1)

       II.          Arbeit inmitten des Niedergangs (2)

     III.          Festhalten am Wort inmitten des Niedergangs (3)

    IV.          Ausharren bis ans Ende inmitten des Niedergangs (4)

Charakteristische Ausdrücke und Besonderheiten

1.        Mehr als 30 persönliche Befehle è konkrete Verhaltensanweisungen für Gläubige in der Endzeit

2.        1,6: „durch (griech. dia) das Auflegen meiner Hände; dia è Mittel oder Kennzeichen? (Heb 9,11‑12): „gekommen … durch die grössere und vollkommenere Hütte … nicht durch Blut von Böcken und Stieren … sondern durch sein eigenes Blut“; vgl. 1Tim 4,14: „gegeben durch (dia) Weissagung“ è Die Gnadengabe (charisma) des Timotheus wurde durch Weissagung offenbar gemacht und durch die apostolische Handauflegung bestätigt. Jeder Gläubige hat eine Gnadengabe: 1Pet 4,10 (ohne Handauflegung)

3.        1,7: „Geist der Kraft (vgl. 1Kor 12), der Liebe (vgl. 1Kor 13) und der Besonnenheit / Selbst­beherrschung“ (vgl. 1Kor 14).

4.        1,13: „Bild gesunder Worte“; Bild = hypotypôsis = Umriss, Form, Muster

5.        7 Bezeichnungen der Christen in 2Tim 2: Kind (1); Soldat Jesu Christi (3-4); Athlet (5); Ackerbauer (6); Arbeiter (15); goldene und silberne Gefässe (20); Knecht/Sklave (24-26)

6.        2,2-3: 4 Generationen der Weitergabe gesunder Lehre

7.        2,21: „wegreinigen“ = ekkathairô = reinigen, indem man sich absondert; nur noch in 1Kor 5,7 im Zusammenhang mit Gemeindeausschluss

8.        2,23: „Du aber…“; vgl. 3,10.14; 4,5 è persönliche Entscheidung, entgegen der Masse

9.        3,1: „die letzten Tage“ = Endzeit; „schwere Zeiten“: chalepos = schwer, schwer zu ertragen, wild, wütend, rauh, gefährlich; noch 1x: Mat 8,28 („wütend“; zur Bezeichnung der beiden wütenden, von Dämonen besessenen und nackten Gadarener)

10.    3,1-5: 18 (3x6; Off 13,18) Kennzeichen der Menschen in der Endzeit; es beginnt mit dem heutigen Megatrend: Selbstliebe; „ohne natürliche Liebe“ = astorgê (besonders für die Beziehung Eltern-Kinder / Kinder-Eltern)

11.    3,8: Jannes und Jambres = ägyptische Zauberer; bekannt aus einer ganzen Reihe rabbinischer Schriften; aramäischer Targum zu Jonathan 2Mo 7,11 z.B. nennt Jenis und Jimbres; 4 göttliche Wunder versuchten sie zu imitieren: Stab zu Schlange (2Mo 7,11-12); Wasser zu Blut (2Mo 7,22); Froschplage (2Mo 8,3)[2]; Staub zu Stechmücken (2Mo 8,14-15), doch: Sie können kein Leben aus toter Materie erzeugen. Ihr Unverstand wurde allen offen­bar (3,9; 2Mo 9,11). è Endzeit: Zeit, in der göttliche Wunder satanisch imitiert werden

12.    3,13: goês = Wundertäter ; Entwicklung: sie werden im Bösen fortschreiten; Verführer können auch Verführte sein

13.    3,15: brephos = Säugling (è Zeitraum 0-4 Jahre); Bibelunterricht durch Grossmutter Lois und Mutter Eunike (1,5) seit dem Säuglingsalter

14.    3,15: „die Heiligen Schriften“ = hiera grammata = heilige Buchstaben; hiera  = der Heiligkeit des Tempels entsprechend è die Bibel im Tempel; Hag 2,5; profane Bücher waren im Tempel verboten; nur kanonische Bücher u. Geschlechtsregister erlaubt

15.    3,14: NT-Offenbarungen; 3,15: AT-Offenbarung; 3,16: alle Schrift = AT und NT zusammen

16.    3,16 = klassische Inspirationsstelle; „von Gott gehaucht“ = theopneustos è Der Bibeltext ist Gottes direkte Rede an uns.

17.    4,3-4: Endzeit: Vorliebe für Mythen und in den Ohren kitzelnde Lehren

18.    4,5: „Du aber sei nüchtern in allem...“ Das mit „nüchtern sein“ übersetzte Verb nêphô bedeutet gemäss dem neutestamentlichen Standardwörterbuch von Walter Bauer: „... frei sein von jeder geistigen und seelischen Trunkenheit, von Überschwang, Leidenschaft, Überstürzung, Verwirrung, Exaltiertheit“.[3] Vgl. 1Kor 15,34; 1Thes 5,6.8; 1Tim 3,2.11; 2Tim 2,26; 4,5; Tit 2,2; 1Pet 1,13; 4,7; 5,8.

19.    4,10: Untreue des Demas (vgl. Kol 4,14; Phlm 1,24)

20.    4,13 u. 4,21: der Mantel in Troas (4,13) und die nahende kalte Winterszeit (4,21)

21.    4,13: Die Bücher und Pergamente è Wichtigkeit des Bibelstudiums auch kurz vor dem Martyrium

22.    4,18: Anspielung auf das „Vater Unser“ (Mat 6,13) gemäss dem Mehrheitstext (MT).



[1] MAUERHOFER, E. Einleitung in die Schriften des NT, Neuhausen / Stuttgart 1995, Bd. II, S. 180ff.

[2] In der nicht revidierten Elberfelder Bibel: Froschplage: 2Mo 8,7; Stechmücken: 2Mo 8,18-19.

[3] BAUER, W.: Wörterbuch zum Neuen Testament, 6. Aufl., Berlin / New York 1988, S. 1090.