Wie Spaziergänger zu Ehebrechern werden

von Theo Lehmann

 

„Ich hatte einen Bund gemacht mit meinen Augen, dass ich nicht lüstern blickte auf eine Jungfrau."
Hiob 31, 3

 

An einem schönen Sommerabend erging sich Seine Majestät König David auf dem Dachgarten seines Palastes. Während er den obersten Knopf seiner Uniform öffnete, schloss er genießerisch die Augen und lauschte dem Ruf eines Uhus, denn der Uhu war damals noch nicht in der Tube. Er atmet die würzige Abendluft ein und lässt sie mit einem anerkennenden Pfeifton wieder entweichen. Denn er hat beim Öffnen seiner Augen im Nachbargrundstück eine Frau gesehen. Bei der Wäsche. Und zwar wäscht die sich selber.

Der König David und der eine Moment

 

Dass er das sieht, dafür kann er nichts. Aber dass er nicht weg-, sondern hinsieht, dafür kann er was. Dass uns dauernd gutaussehende Menschen des anderen Geschlechts über den Weg laufen, dafür können wir nichts. Aber dass wir denen nachgaffen, dafür können wir was. David gafft, und er vergafft sich. Es war, wie Manfred Krug einmal gesungen hat: „Es war nur ein Moment", im wahrsten Sinne des Wortes nur ein einziger Augenblick, ein Blick zu lange, und der wird David zum Verhängnis. Jesus sagt: „Wer eine (verheiratete) Frau auch nur ansieht und sie haben will, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ Der Ehebruch findet also nicht erst dann statt, wenn man den anderen im Bett hat, sondern wenn man seinen Gedanken erlaubt hat, spazieren zu gehen. Und so wird mancher unbescholtene Spaziergänger auf der Promenade, dem zum praktischen Fremdgehen der Mut oder die Gelegenheit fehlt, zum Ehebrecher. Wie kann man sich schützen, zumal heute im Zeitalter der Bauchnabelfreiheit? Vorschlag: Hiob 31,1: „Ich hatte einen Bund gemacht mit meinen Augen, dass ich nicht lüstern blickte auf eine Jungfrau."

 

Theo Lehmann


Erschienen am: 07.07.2009 (idea spektrum)