Wilhelm Busch

An der Schwelle des Paradieses

 

„Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe

Röcke von Fellen und kleidete sie."                               

1. Mose 3, 21

 

Vor kurzem bekam ich einen Brief aus Berlin. Darin schreibt ein mir unbekannter junger Mann: „Seit Mitte November bin ich zurück aus russischer Gefangenschaft. In unser Lager gelangte ein Exemplar Ihres Schriftchens ,Wie kann Gott das alles zulassen?'. Wir haben diese Schrift eingehend besprochen. Und sie ging so lange von Hand zu Hand, bis sie sich ganz auflöste. Jeder wollte sie lesen. Denn sie warf eine Frage auf, die viele beschäftigte . .."

Was sagt denn die Bibel? Sie berichtet, dass die Welt sehr gut war, als Gott sie schuf. Aber dann wurde alles anders durch den Sünden­fall. Der Mensch wählte seinen eigenen Weg. Deshalb verfluchte Gott den Acker der Welt und trieb den Menschen aus dem Paradies. Nun leben wir in der gefallenen Welt.

Aber als Gott den Menschen austrieb, geschah auf der Schwelle des Paradieses etwas sehr Wichtiges. Das wollen wir betrachten.

 

 

Was auf der Schwelle des Paradieses geschah

 

1. Da zeigt sich unser Unvermögen

Es ist ein ergreifendes Bild: Adam und Eva stehen in erbärmlicher Nacktheit, in Scham und Schande vor den heiligen Augen Gottes. Sie haben sich selber helfen wollen, indem sie sich aus Blättern Schürzen flochten. Aber diese kümmerliche Bekleidung war nur lächerlich und reichte in keiner Weise aus.

Hier wird uns deutlich, was wir brauchen: eine Bedeckung, ein Ge­wand. Wir müssen allerdings verstehen, dass es sich dabei um geist­liche Dinge handelt.

Das ist der erschreckendste Augenblick im Leben eines Menschen, wenn er entdeckt, wie er vor Gottes Augen aussieht. Wir sind unge­horsame Sünder — wie Adam und Eva. Und wir wissen ganz genau, dass wir eine Bedeckung unserer Blöße und Schande brauchen. Da macht es der Mensch wie Adam: Er macht sich selber eine armselige Schürze. Solche kümmerlichen Feigenblätter sind alle Ausdrücke un­serer Selbstgerechtigkeit. O wie kennen wir diese Blätter! „Ich tue recht und scheue niemand!" Oder: „Mir kann doch keiner was nach­sagen!" Oder: „Ich habe immer meine Pflicht getan!" Oder: „So gut wie andere bin ich bestimmt!"

Wollen wir wirklich mit dieser armseligen Bekleidung vor den Flam­menaugen Gottes bestehen? „Der im Himmel sitzt, lacht ihrer", das gilt auch hier.

Wir brauchen notwendig ein Kleid der Gerechtigkeit, das Gott selber uns anlegt und schenkt: Das ist die Gerechtigkeit Jesu Christi.

 

2. Was da geschieht, ist schrecklich und herrlich

Es ist mir in meiner Seelsorge immer wieder eine betrübliche Erfah­rung, wie wenig wir Menschen dafür Verständnis haben und wie wenig wir ein Verlangen verspüren nach diesem Kleid der Gerech­tigkeit, das Gott den Sündern in ihrer Blöße schenken will. Wir wol­len ganz andre Dinge von Gott. Das ging mir am meisten auf bei meinen Besuchen im Krankenhaus. Wenn ich da ins Zimmer trat, empfing mich bestimmt einer der Kranken mit den Worten: „Na, haben Sie auch Zigaretten mitgebracht oder Schnaps?" So sind wir im Grunde alle. Fragt euch doch einmal, was ihr von Gott wollt! Gesundheit oder Gelingen im Alltagsgeschäft oder Geld oder Trost. Aber wenn vom „Kleid der Gerechtigkeit" die Rede ist, dann haben wir gleich das Gefühl: Ach, das sind so dogmatische Sachen, die nur ein Theologe versteht. Diese Prediger sollten mehr praktisch predigen!

Wir sind wie jener Junge, der sich zu Weihnachten ein Fahrrad wünschte. Die sehr armen Eltern aber sahen seine zerrissenen Hosen an und schenkten ihm einen Anzug. Nun war er sehr verdrießlich: „Ich will doch ein Fahrrad!" Die Mutter wendete ein. „Aber du brauchst doch einen Anzug." Hartnäckig blieb er dabei: „Ich will das Fahrrad."

Wollen wir nicht auf Gott hören, der uns sagt: „Du Sünder brauchst nichts nötiger als eine Bedeckung, ein Kleid der Gerechtigkeit"? Wie muss uns das erst wichtig werden, wenn wir sehen, wie kostbar dies Gewand ist! Als Gott den Adam kleidete, da tötete Er fremdes Leben — dem Adam zugute. Wie mag dem Gott, der das Leben und die Quelle alles Lebens ist, das Herz geblutet haben, als Er töten musste! Zum ersten Male floss in der Schöpfung Blut! Gott hat noch viel schrecklicher getötet, als Er uns Sündern ein Ge­wand beschaffen wollte: Er hat Seinen eingeborenen Sohn getötet. So viel hat Gott es sich kosten lassen, um uns ein Kleid der Gerech­tigkeit zu verschaffen. So gewaltig hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an den glauben, im Glauben in Gerechtigkeit gekleidet und Erben des ewigen Lebens seien.

Blut wurde vergossen, kostbares Blut, damit geschrieben werden kann: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde." Das ist das Kleid der Gerechtigkeit.

 

3. Es soll sich in unserem Leben wiederholen

Sehen wir uns doch einmal Adam und Eva an! Da naht sich der heilige Gott, der eben so hart über ihre Sünde gerichtet hat. Und in Seinen erbarmenden Händen bringt Er die neuen Kleider. Wie reagieren die beiden darauf? Es wird nicht viel gesagt. Aber ich glaube, es gingen ihnen die Augen über; genau so wie jedem Sün­der, der sich von Gott verurteilt und gerichtet weiß, die Augen über­gehen beim Anblick des gekreuzigten Sohnes Gottes. Und dann haben Adam und Eva die Gewänder angelegt und haben gewiss dem barmherzigen Vater gedankt. Einen anderen Weg weiß ich auch für uns nicht. Was sollen wir tun?

Wir sollen uns dem verurteilenden Richtspruch Gottes über unser Leben in Sünde und Gottlosigkeit stellen. Dann dürfen wir ohne langes Zieren im Glauben das Gewand der Gerechtigkeit anlegen, das Jesus uns durch Sein Sterben erworben hat. Und dann einfach danken! Annehmen und danken! Das ist es!

Wie wünschte ich es, dass wir nicht länger solche wären, die sich mit dem Christentum herumquälen! dass wir doch Leute würden, die mit Jesaja jubelnd bekennen: „Ich freue mich im Herrn... denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Ge­rechtigkeit gekleidet."