Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Streifzüge durch Herzen

 

Psalm 122, 1: „Ich freute mich über die, so mir sagten: Lasset uns ins Haus des Herrn gehen!“

 

Vor einiger Zeit hatte ich an ein paar Abenden Vorträge in Trier zu halten. Da habe ich tagsüber mit einigen Freunden Streifzüge durch das nahe Luxemburg gemacht, nebenher aber noch ganz andere Streifzüge. Ich bewegte nämlich unseren Text in meinem Geiste und machte anhand dieser Verse Streifzüge durch Herzen.

 

1) Wunderliches Menschenherz

 

Unser Text führt uns nach Israel. Dort war es Gebot und Sitte, dass man zu den großen Gottesfesten nach Jerusalem hinaufzog. Da wurde in allen Häusern fröhlich für die Reise gerüstet. Jeder kannte die Termine, und es war nicht üblich, dass zu diesen Festen besonders geworben und eingeladen wurde. Das war nicht nötig.

Aber nun spricht in unserm Text ein Mann, der offenbar eine besondere Einladung und Aufforderung doch nötig hatte. Wir lesen zwischen den Zeilen, dass er die Absicht hatte, nicht mitzugehen zu dem Volksfest.

Ja, warum wollte dieser Mann aus Israel nicht mitgehen, um das Angesicht des Herrn zu suchen und die Versöhnung mit Gott durch das Opfer?

Vielleicht war er ein Geschäftsmann oder ein Handwerker, der schrecklich viel zu tun hatte. „Gott ist Luxus“, dachte er, „die Arbeit geht vor.“

Vielleicht auch hatte er ein ungläubiges Herz. „Wer weiß“, dachte er, „ob es überhaupt einen Gott gibt. Und wenn es einen gibt – dann kann er mir doch nichts vorwerfen. Ich bin doch kein Verbrecher. Ich habe das Versöhnungsopfer nicht nötig.“

Es kann auch sein, dass sein Leben nicht in Ordnung war, dass er an eine ganz schmutzige Sünde gebunden war, von der er nicht lassen wollte. Leute, bei denen es so steht, lassen sich nicht gern an Gott erinnern.

Wie es auch sei – er wollte nicht mitziehen zum Hause des Herrn.

Aber nun gab es da in seinem Ort ein paar Leute, denen es wehtat, dass dieser Mann es verschmähte, seinen Herrn und Heiland zu suchen. So gingen sie zu ihm hin und redeten ernst mit ihm.

Wie hätte die Geschichte nun weitergehen müssen? Wir sollten denken, dass dieser Mann ärgerlich geworden wäre und erklärt hätte: „Lasst mich doch in Ruhe! Das sind meine Privatangelegenheiten.“

Aber seltsamerweise geht die Geschichte nicht so weiter. Es ist zum Erstaunen, was hier steht: „Ich freute mich über die, die zu mir sagten: Lasst uns ins Haus des Herrn gehen.“ Und dann ging er fröhlich mit.

Wunderliches Menschenherz! Wie soll man das verstehen? Seht! Jeder Mensch hat tief in seinem Herzen ein großes Verlangen nach dem lebendigen Gott, und es herrscht da eine tiefe Verzweiflung, weil man im Grunde ganz genau weiß, dass man durch seine Sünde von Gott geschieden ist. Es ist da ein großer Hunger nach Frieden mit Gott, bei jedem Menschen!

Aber nun melden sich die Vernunft und Fleisch und Blut und die Welt und Freunde und alles mögliche andere und sagen: „Du wirst doch nicht fromm werden wollen? Das ist doch alles nur Einbildung und dummes Zeug.“ Und so bleibt man weiter in seiner trostlosen Situation.

Aber wenn dann jemand kommt und führt uns aus unserer Gottlosigkeit und aus unserem Ungehorsam heraus und zieht uns mit zum Herrn Jesus, der für uns das Versöhnungsopfer geworden ist, dann freut sich das Herz im tiefsten Grunde.

Ich erinnere mich an eine kleine Szene: Da machte sich einmal meine alte Mutter auf, um einen gottlosen Bauern zu besuchen, der der ärgste Lästerer und Säufer im ganzen Dorf war. „Ach, Mutter“, sagte ich, „es hat doch keinen Wert, solch einen Kerl mit einem seelsorgerlichen Besuch zu belästigen.“ Darauf erwiderte sie nur: ,,O Kind, die Welt hungert nach Gott, und dieser Mann am allermeisten.“

 

2) Brennendes Christenherz

 

Da rüsteten sich also alle, um nach Jerusalem zum Tempel zu ziehen. Dieser eine Mann aber sagte: „Ohne mich!“ Jetzt werden die meisten Leute gedacht haben: „Na, da lasst ihn doch. Was geht das uns an!“ Es gilt ja als höchste Weisheit in der Welt, dass man sich um den Seelenzustand des anderen möglichst nicht kümmert. Als ich in Essen Pfarrer wurde, habe ich mit Schrecken entdeckt, wie viel Streit zwischen Menschen ist, in den Häusern und Familien. Ab und zu aber traf ich Leute die keinen Krach hatten. Sie erklärten mir: „Wissen Sie, wir kümmern uns um niemand.“ Das also gilt als die höchste Weisheit in der Welt. Und das ist schlimm.

So hat schon am Anfang der Menschheitsgeschichte der Kain erklärt: „Sollt ich meines Bruders Hüter sein?“ Das schauerliche Gegenstück dazu steht im Neuen Testament: Da kommt der Judas, der für 30 Silberlinge seinen Heiland verraten hat, in schrecklicher Gewissensnot zu den Priestern. Aber sie zucken nur die Achseln und sagen: „Was geht das uns an?“

In unserer Textgeschichte ist es anders. Da waren fromme Männer in Israel, die gingen zu ihrem Nachbarn und redeten ihm zu: „Komm, lass uns ins Haus des Herrn gehen!“ Wie war dieser verirrte Mann glücklich, dass sich seine Nachbarn um ihn annahmen.

Auch diese schöne Geschichte hat ein Gegenstück im Neuen Testament: Da hat ein Mann namens Andreas den Herrn Jesus als seinen Heiland und Erlöser gefunden. Nun drängt es ihn als erstes, seinen Bruder Petrus aufzusuchen und ihm ganz einfach zu bezeugen: „Ich habe den Messias gefunden.“ Und dann steht in dem Bericht so eindrücklich: „Und er führte ihn zu Jesus.“

Das sind die rechten Christenherzen, die über der Erkenntnis Jesu so brennend geworden sind, dass sie am liebsten die ganze Welt für den Mann von Golgatha gewinnen möchten.

Nun müssen wir darauf achten, dass der Eifer der brennenden Christenherzen nicht das Geringste gemein hat mit Propaganda. Jede Propaganda will Menschen gewinnen für irgendeinen Zweck: für ein politisches Programm, für ein Geschäft oder sonst etwas. Die brennenden Christenherzen aber wollen – retten. Ihnen ist die unheimliche Wahrheit klar geworden, dass Gott ein heiliger Gott ist, dass alle Menschen einmal vor ihm stehen müssen und dass wir Menschen dem Gericht Gottes und dem ewigen Verderben entgegengehen. Und sie haben die gewaltig große Tatsache begriffen, dass der Sohn Gottes am Kreuz eine Versöhnung mit Gott geschaffen hat. Wer bei Jesus ist, ist ewig errettet. Darum liegt ihnen so viel daran, Menschen zu Jesus zu führen.

 

3) Liebevolles Heilandsherz

 

Wir hörten in unserem Text von dem Mann, der von seinen Nachbarn aufgefordert wurde, nach Jerusalem zum Hause des Herrn zu gehen.

Noch einmal wird in der Bibel von genau derselben Aufforderung erzählt. In Johannes 7 heißt es: „Es war nahe der Juden Fest. Da sprachen seine Brüder zu Jesus: Mache dich auf und gehe nach Judäa.“ Der Herr Jesus ist dieser Aufforderung gefolgt. Er ging auf das Fest, und dort hat er eines der gewaltigsten und herrlichsten Worte gerufen: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke.“ Ja, der Herr Jesus hat, als er starb eine Lebensquelle aufgerissen, von der wir singen: „Es ist ein Born, / draus heilges Blut / für arme Sünder quillt; / ein Born, der lauter Wunder tut / und jeden Kummer stillt. / Es quillt für mich, dies teure Blut, / das glaub und fasse ich. / Es macht auch meinen Schaden gut; / denn Jesus starb für mich.“

So ist es also: Die Kinder Gottes rufen: „Kommt, lasst uns ins Haus des Herrn gehen und sein Angesicht suchen.“ Und der Herr selber ruft: „Komme her zu mir, wen dürstet!“ Doppelt also werden wir gerufen und gezogen.

Dass doch unser Herz dem Rufen der Gemeinde Jesu und dem Rufen des Herrn selbst sich ergäbe und das treueste Herz fände, das einst am Kreuz für uns brach, um unsere Schuld zu tilgen und uns zu erkaufen zu Kindern Gottes!