Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Der tiefe Friede der Seele

 

Psalm 131, 2: „Ich habe meine Seele gesetzt und gestillt; so ist meine Seele in mir wie ein entwöhntes Kind bei seiner Mutter.“

 

Das ist eine höchst dramatische Geschichte, die uns hier erzählt wird. Und dabei treten nicht Massen auf, es sind nicht einmal zwei Leute beteiligt. Das ganze Drama spielt sich ab im Herzen eines einzigen Mannes. Es ist eine Kurzgeschichte des Herzens.

Darum werden flache, herzlose Leute, deren geistige Kost ein Schlager ist und die mit den üblichen Massenvergnügungen zu sättigen sind, kein Wort verstehen von dieser seltsamen Geschichte.

Um was handelt es sich?

Hier erzählt David. Ihr kennt doch hoffentlich den David, diesen wundervollen Freund Gottes. Seine Jugend verlebte er als Hirtenknabe auf den Feldern Bethlehems. Dann riss ihn Gott heraus. Nach dem Sieg über Goliath wurde er ein flüchtiger, verfolgter Mann, der jahrelang in den Höhlen und Klüften sich bergen musste, bis er König über Israel wurde.

Er deutet uns die Geschichte nur an: Da ist ein heißes Herz mit großen Sehnsüchten, mit starkem Verlangen. In dem Vers vorher spricht er davon, wie er mit stolzem Herzen und hoffärtigen Augen nach großen Dingen getrachtet habe. Wir spüren den Sturm eines großen Herzens, aus dem es wie ein Vulkan herausbricht. Und auf einmal ist das alles zu Ende. Stattdessen ist ein ganz großer, tiefer Seelenfriede da. Der große Friede, nach dem ein Gewaltiger im Reich des Geistes, Goethe, vergeblich verlangt hat: „Süßer Friede, komm, ach komm in meine Brust!“

 

1) Es ist weder Resignation noch Altersschwäche

 

„Ich habe meine Seele gesetzt und gestillt“, sagt David. Ich habe einmal gehört, dass es sehr schwer ist, echte Perlen von geschickten Imitationen zu unterscheiden. Der tiefe Seelenfriede ist solch eine Perle. Auch von dem gibt's Imitationen. Ich möchte euch zwei davon zeigen, um euch vor Verwechslungen zu schützen.

Da ist die Resignation. Ja, wie soll ich dies Fremdwort übersetzen? Der enttäuschte Verzicht auf große Wünsche! In der Nähe meines Elternhauses in Frankfurt stand über der Tür einer entzückenden Villa ein Spruch, der mich als Jungen entsetzt und erschüttert hat. Er hieß: „Ich hab mir vorgenommen / grad durch die Welt zu kommen. / Es wollte mir nicht glücken / ich musst mich oftmals bücken.“ Ich fühle noch, wie es mich kalt angeweht hat aus diesem Satz, dies „Ich habe mich abgefunden, dass meine Wünsche zu Bruch gingen.“

O diese schreckliche Resignation! Da denke ich an einen Pfarrer, der mir sagte: „Ich wollte eine Welt erobern. Aber die Menschen sind ja so dumm und stumpf. Jetzt tue ich halt meine Amtsgeschäfte und lebe im Übrigen meinen Liebhabereien.“ „Ich habe mich abgefunden!“ Ich denke an einen ehrgeizigen jungen Mann, der es weit bringen wollte. Nun hat er sich abgefunden mit einer kleinen Beamtenlaufbahn. O, die Welt ist voll mit solchen Enttäuschten und Resignierten.

„Ich habe mich abgefunden!“ Das klingt so ähnlich wie „Ich habe meine Seele gestillt.“ Und doch ist es davon so verschieden wie eine Imitation von einer echten Perle.

Eine andere Imitation des Seelenfriedens ist die Arterienverkalkung des Alters. Alte Leute haben keine heißen Herzen und großen Wünsche mehr. Das sieht dann aus wie so eine Art Seelenfrieden, hat aber nichts damit zu tun: „Ich habe meine Seele gesetzt und gestillt.“ Ich bin überzeugt, dass der David das als ganz junger Mann gesagt hat, als er wie ein gehetztes Wild in der Wüste sich bergen musste.

Also: Der tiefe Seelenfriede ist weder Resignation noch Altersschwäche.

 

2) Es ist der völlige Friede mit Gott

 

David gebraucht ein seltsames Gleichnis: „Meine Seele ist wie ein entwöhntes Kind bei seiner Mutter.“ Was meint er damit? Da ist eine Mutter, die ihr Kind selber nährt an ihrer Brust. So ist es natürlich und gut. Solange sie nun ihr Kind allein stillen kann, wird das Baby immer nach der Brust der Mutter gieren, so oft sie es auf den Arm nimmt. Ganz anders aber ist es, wenn das Kind entwöhnt ist. Dann verlangt es nichts mehr von der Mutter. Es ist zufrieden und still, wenn es nur auf dem Schoß der Mutter sitzen darf. So ein entwöhntes Kind in den Armen der Mutter – dies ist David ein wundervolles Bild für tiefen Frieden. So – sagte er – darf ich jetzt ganz still ruhen am Herzen des herrlichen Gottes. Unsre großen Liederdichter haben das Bild aufgenommen. Paul Gerhardt singt: „Denn wie von treuen Müttern / in schweren Ungewittern / die Kindlein hier auf Erden / mit Fleiß bewahret werden – / also auch und nicht minder / lässt Gott ihm seine Kinder, / wenn Not und Trübsal blitzen, / in seinem Schoße sitzen.“

Solch ein Ruhen an Gottes Herzen – solch ein Sitzen in seinem Schoße – solch ein völliger Friede mit Gott – ja, das ist allerdings etwas anderes als der übliche Glaube an den „Herrgott“. Ich kann sogar alle Wahrheiten des Christentums kennen und glauben und bin doch weit entfernt von solch tiefem Frieden. Denn – und das ist wichtig – dieses Ruhen in Gott hat eine Voraussetzung: Es darf nicht mehr das Geringste zwischen ihm und mir stehen. Gott ist heilig, und er nimmt es genau. Und darum ist es noch nicht einmal genug, dass wir unser Herz und Leben ihm ganz ergeben. Wir brauchen – ja, nun muss ich ein Wort sagen, mit dem der Mensch von heute angeblich nichts anfangen kann, aber ohne das es nicht die Spur von Seelenfrieden gibt – wir brauchen: Vergebung der Sünden durch Jesu Blut.

Ich habe einen Menschen gekannt, genau gekannt, im Alter gekannt, an dem ich diesen tiefen, herrlichen Frieden gesehen habe. Das war meine eigene Mutter.

Von ihr muss ich eine Geschichte erzählen. Es gab eine Stunde, in der sie uns ihr Herz aufgedeckt hat. Das war an ihrem 80. Geburtstag. Wir hatten ihn herrlich gefeiert, viele Kinder und Enkel. Wir hatten sie gerühmt und gepriesen, weil sie eine wundervolle Mutter war. Nun war das Fest zu Ende. „Wir wollen noch ein Lied singen, das Mutter sich wünscht!“ sagte mein Bruder. Es wurde still. Wir warteten. Was würde sie sich wünschen? Sicher: „Nun danket alle Gott …“ oder so etwas.

Da sagte sie leise: „Singt mir: Es ist ein Born, / draus heilges Blut / für arme Sünder quillt …“ Da sangen wir dies Lied von Jesu Kreuz und Blut, das die Vergebung der Sünden rühmt. Und nun wussten wir, woher der tiefe Friede der Mutter kam. Friede mit Gott durch Vergebung der Sünden! Das ist der Friede, um den Goethe bittet und nach dem die ganze Welt sich sehnt.

 

3) Es ist das Ja-Sagen zu Gottes Führung

 

„Im habe meine Seele gesetzt und gestillt“, sagt David, der junge, verfolgte David. Und im Vers vorher erklärt er: „Ich wandle nicht in großen Dingen, die mir zu hoch sind.“

Das heißt ja: Es ist bei ihm das geschehen, was wir in einem Lied hören: „All mein Wunsch und all mein Wille / gehn in Gottes Willen ein.“

Die meisten Menschen sind unglücklich. Sie reiben sich an den Verhältnissen. Wir haben unsre Wünsche und Pläne. Gott führt uns anders. Nun reiben wir uns an unsrer Führung, verbiegen sie, und alles wird schief und verkehrt.

Erlaubt mir, hier einmal ganz persönlich zu sprechen. Es ist mir so ungeheuer wichtig geworden, dass mein Leben nur etwas werden kann, wenn ich unter Gottes Führung stehe. Er hat sicher mit jedem Leben einen Plan. Da war einmal eine Zeit, in der hielt ich einen Wechsel in meinem Leben für angebracht. Ich meinte, zum Jugendpfarrer sei im doch nun zu alt. Und ich dachte, eigentlich könnte im mich doch ausstrecken nach einem größeren und bedeutenderen Amt in der Kirche. Ich war unzufrieden und unglücklich.

Innerlich zerrissen ging ich in den Stadtwald. Es war ein trüber Novembertag und kein Mensch weit und breit zu sehen. Da habe ich mit Gott geredet und er mit mir. Das kann man nicht näher schildern. Aber da sagte er mir deutlich: „Ich will von dir gar nichts anderes, als dass du den jungen und alten Menschen in Essen das Evangelium predigst.“ Als ich das wusste und von Herzen „Ja“ dazu sagte, kam ein ganz unbeschreiblicher Friede in mein Herz.

„So nimm denn meine Hände und führe mich …“ Das ist nicht ein sentimentales Lied für die goldene Hochzeit, sondern die Bitte von Menschen, die sich nach Frieden sehnen.