Wilhelm Busch

Ein Leben ohne Alltag

 

 

Kein Tag in meinem Leben ist langweilig gewesen. Und dabei hat mein Leben doch schon recht lange gedauert. Ich stamme noch aus dem vorigen Jahr­hundert. Geboren 1897. Mein Vater war Pfarrer in Wuppertal-Elberfeld. In der Schule lernte ich Elberfelder Platt sprechen. Mit der Mutter, die aus Württemberg stammte, sprachen wir schwäbisch. Und mit dem Vater hoch­deutsch. Und als wir dann nach Frankfurt (Main) zogen, kam der Frankfur­ter Dialekt dazu. Acht Geschwister waren wir.

Ich besuchte das humanistische Lessing-Gymnasium. Heute hält man nicht viel von der humanistischen Bildung: Man lerne dort so viel, was man später nicht brauche. Gewiss, ich lernte Latein, Griechisch und Hebräisch. Das bisschen Französisch fällt nicht ins Gewicht. Und doch bin ich dankbar, dass mir eine Bildung vermittelt wurde, die nicht nur fragt, wozu das später „nützen" soll.

1915! Der Weltkrieg tobte! Ich wurde Soldat und an der Front Leutnant. Schreckliche Ereignisse vor Verdun und Somme. Und in mir sah es noch schrecklicher aus. Fern von Gott lebten meine Kameraden und ich unter der düsteren Herrschaft der drei Götzen Bacchus, Venus und Tod. Das Christen­tum des Elternhauses war weggeschwemmt von der gottlosen Umgebung.

Dann aber kam der lebendige Gott! An der Leiche eines Freundes redete Er schrecklich mit mir. Nun wusste ich: Es gibt eine Hölle — und ich bin auf dem Wege dorthin. Bis ich eine Bibel in die Hand bekam. Und da las ich: „Jesus Christus ist gekommen in die Welt, die Sünder zu erretten." „Da will ich dabei sein!" dachte ich. Und nun bin ich „dabei".

Darum wurde ich Theologe. Ich studierte in Tübingen. Herrlich die roman­tische Stube in dem alten Schloss über der Stadt! In den Vorlesungen zog mich der geistvolle Professor Schlatter in seinen Bann. Und dann kam Karl Heim nach Tübingen. Bei ihm vergaßen wir, dass wir hungrig waren und dass kein Abendessen auf uns wartete. Die Inflation begann — — —

Zweieinhalb Jahre im gesegneten Ravensberger Land, in Bielefeld. Ich hei­ratete ein Mädchen, das ich heute noch liebe. Wir wünschten uns acht Jungen, die alle Posaune blasen sollten. Das dachten wir uns sehr hübsch. Gott schenkte uns zwei Söhne. Beide sind tot. Aber drei der vier Töchter brachten Schwiegersöhne, die mir lieb sind wie Söhne. Und als Jugendpfarrer von Essen hatte ich viele, viele Söhne.

Ja, ins Ruhrgebiet führte mein Weg. Ehe ich Jugendpfarrer wurde, war ich sieben Jahre in einem Bergarbeiterbezirk in Essen. Schreckliche soziale Ver­hältnisse! Um mich glühender Hass — besonders gegen die Kirche. Das rechte Arbeitsfeld für einen jungen Mann. 27 Jahre war ich, als ich begann. Ihr lie­ben Kumpels! Es wurde eine herrliche Zeit!

Seit 1931 war ich Jugendpfarrer. 31 Jahre lang in der Stadt Essen. Jahrzehnte herrlichster Erfahrungen mit der Jugend. 1962 legte ich die Jugendarbeit in jüngere Hände.

Zu vielen Vortragsveranstaltungen bin ich unterwegs. Im In- und Ausland hört man mich an. Warum? Weil ich eine ernst zu nehmende Botschaft habe. Jawohl, die habe ich. Sie heißt: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Davon lebe ich. Und das verkün­dige ich. Im Kampf der „Bekennenden Kirche" brachte es mich manchmal ins Gefängnis, dass ich diese Botschaft gerade auch jungen Menschen sagte. Auch sonst gab es manche Not und viel Kampf.

Nein! Langweilig war es nie. Und alles zusammen ist es ein „Leben ohne Alltag".