Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

„... gib mir einen neuen, gewissen Geist“

 

„Herein!"

Der Pfarrer drehte sich nach der Tür um. Etwas aufgeregt kam eine stattliche Frau herein. Gleich polterte sie los:

„lch höre, Sie wollen meine Nichte nicht konfirmieren?"

Der Pfarrer begütigte: „Setzen Sie sich erst mal. So! Nun will ich Ihnen in aller Ruhe die Sache erklären. Sehen Sie, Ihre Nichte — sie wohnt ja wohl seit dem Tode der Eltern ganz bei Ihnen — ist geistig ungeheuer beschränkt. Sie ist ja auch in der Hilfsschule für Minderbegabte. Ich habe versucht, das Kind zu unterrichten. Aber es hat nicht ein Lied behalten können, vom Katechismus ganz zu schweigen. Und da müssen Sie ver­stehen, daß ich dies blöde, schwach begabte Kind unmöglich zur Konfirmation zulassen kann . . ."

Die Frau unterbrach ihn: „Das ist ja alles schön und gut; aber jetzt will ich Ihnen sagen: Gott hat dies arme, schwache Kind als Werkzeug benutzt, um unser ganzes Haus umzuwandeln."

Erstaunt schaute der Pfarrer auf: „Wie ging denn das zu?"

„Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Wir führen eine Wirtschaft. Ich muß offen bekennen: es herrschte bei uns ein übler, leicht­sinniger Geist. Als nun meine Schwester starb, vor einem Jahr, nahm ich ihr Töchterchen in mein Haus auf. Das arme Wurm tat mir leid. Viel Platz hatte ich ja auch nicht. Aber ich stellte noch ein Bett in die große Kammer, in der die beiden Mädel schlafen, die in der Wirtschaft beschäftigt sind.

Und nun geschah etwas Seltsames. Als das Kind am ersten Abend spät mit den Mädeln zu Bett ging, da faltete es seine Hände und betete den einzigen Spruch, den es behalten hatte: ,Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist. '

Na, sie können sich denken, die beiden Mädel fingen an zu kichern und zu spotten. Aber die Kleine kümmerte sich nicht darum. Sie schlief ein. Und am nächsten Morgen betete sie ihr Sprüchlein aufs neue.

Wieder großes Hallo der beiden. Als aber die Kleine am Abend wieder betete und eines von den beiden Mädchen anfing zu lachen, sagte das andere ernst: ,Du, dies Kind hat recht; das ist es, was uns fehlt: ein reines Herz. O Gott, ja, das fehlt mir. Ich bete mit!'

Und wahrhaftig, das Mädel betete auch: ,Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist!' Nach drei Tagen betete auch die andere um einen neuen Geist. Und nun wissen Sie das besser als ich, Herr Pastor, wenn man um den Heiligen Geist bittet, dann kommt er.

Ich will's kurz machen. Meine Mädel wurden ganz anders. Ich fragte: ,Wie kommt das, daß ihr so anders geworden seid?' Da erzählten sie alles. Und sie sagten: ‚Wenn der Geist hier im Haus nicht anders wird, dann gehen wir.' Nun, ich erschrak, Sie hatten recht. Da fing auch ich heimlich an zu beten. Und heute sieht es bei uns anders aus, völlig anders. Mein Mann hält mit uns des Morgens Andacht. Wo früher der Teufel re­gierte, da regiert heute Gottes neuer Geist, und das alles kam durch dieses Kind."

Aufmerksam hatte der Pfarrer zugehört. „Liebe Frau", sagte er tief bewegt, „das Kind wird konfir­miert!"