Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

Herrlich - herrlicher - am herrlichsten!

 

Rasselnd und fauchend ist der kleine Vorortzug davon­gefahren.

Ich wandere hinein in den schweigenden Winterwald. Tiefe Stille umgibt mich. Der Atem wird in der Kälte zu dichten Rauchwolken. Leise knirscht der Schnee unter meinen Sohlen!

Wie herrlich doch die Natur auch jetzt in der Todesstarre ist! In tausend, in millionen Kristallen spiegelt sich das Licht des Tages. Jeder kleine Zweig ist ein Wunderwerk in seiner dich­ten Bereifung.

Stunde um Stunde wandere ich durch diese schweigende, herr­liche Winterwelt. Durch meinen Sinn gehen die Worte aus dem Psalm:

 

„Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich. Du bist schön und prächtig geschmückt . . . Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Wunderbar sind deine Werke. Und das erkennt meine Seele wohl."

 

Tiefe Stille ringsum. Nur hier und da ein kleines Geräusch, wenn ein einsamer Vogel durchs Gezweig fliegt und leise der Schnee von den Bäumen rieselt.

„Gott, man lobt dich in der Stille ..."

Ein paar Stunden später sitze ich wieder im Vorortzug, der mich in die lärmende Großstadt zurückbringt. Lachend und schwatzend drängen sich die Menschen in dem überhitzten Ab­teil. Aber meine Seele ist erfüllt von dem großen Schweigen des Winterwaldes.

Ja, herrlich ist die Schöpfung. Herrlich ist Gottes weite Welt!

 

Am Nachmittag führt mich mein Weg in eine dunkle, schmut­zige Straße. Keine Spur ist hier zu sehen von der Herrlichkeit des Winters. Schwarz und zertreten ist der Schnee, aus dem ein paar Jungen vergeblich Schneebälle zu drehen versuchen.

Mitten zwischen den hohen Mietskasernen ein altes, baufäl­liges Häuslein. Ich steige die knarrende, ausgetretene Treppe hinauf. Dumpfe Gerüche erfüllen das enge Treppenhaus.

Oben unter dem Dach wohnt eine alte Frau. Krebskrank! Die Krankheit hat ihr ganzes Gesicht zerfressen. Es hat mir früher gegraust, sooft ich sie ansah. Seitdem es nun aber noch schlim­mer mit ihr geworden ist, trägt sie ein Tuch um ihr Gesicht.

Ich trete in das enge Zimmer ein. Es muß wohl heute schlecht stehen um die Alte, denn sie liegt im Bett. Das trübe Licht, das durch das schräge Dachfenster hereinfällt, erhellt nur schwach das sonst gemütliche, wohlaufgeräumte Stüblein, das vollgestopft ist mit Erinnerungen aus alter Zeit. Sie hat einmal bessere Tage gesehen, die alte Frau, die nun so einsam und arm daliegt.

Ich setze mich neben sie ans Bett. „Na, wie geht's denn heute, Großmutter?"

„Großartig!" sagt sie. „Herrlich, ganz herrlich! Sehen Sie, da hat die freundliche junge Nachbarsfrau mich heute morgen schon so gut betreut, sie hat mich gewaschen und mir mein Zimmer aufgeräumt. Und dann kam die Gemeindeschwester und hat mir Feuer in den Ofen gemacht. Und dabei hatte ich gestern noch solche Sorgen, wo ich wohl ein wenig Kohlen herbekom­men sollte."

„Ja, ist es aber für Sie nun nicht sehr einsam, wenn Sie den ganzen Tag hier so allein liegen müssen? Ich denke, die Schmer­zen machen Ihnen doch auch sehr zu schaffen? Und schlafen können Sie nachts, soviel ich weiß, auch nicht!"

Da richtet sich die Alte auf: „Wie Sie aber reden, Herr Pfar­rer! Ich bin keine Stunde allein. Sehen Sie, da auf dem Stuhl, auf dem Sie sitzen, da sitzt mein Herr Jesus. Mit dem rede ich von allem, was mein Herz bewegt, von der Vergangenheit, von Menschen, die ich liebhabe, und von allen möglichen Sachen. Dann spricht er mir Trost zu und schenkt mir seinen herrlichen Frieden, daß ich ganz glücklich werde ..."

Als ich die Treppe wieder hinuntergehe, taucht noch einmal das Bild des herrlichen Winterwaldes vor mir auf. Doch nun weiß ich: Herrlicher als alle Schönheit der Schöpfung ist ein Menschenherz, dem Jesus seinen Frieden geschenkt hat.

 

Während ich durch den Matsch des schmutzigen, zertretenen Schnees stapfe, gehen die Gedanken weiter: Was wird denn noch herrlicher sein? — Am herrlichsten wird es sein, wenn Gott einmal alle seine Verheißungen wahrgemacht hat:

„Siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt ..."

„Es wird kein Leid und kein Geschrei mehr sein ..."

„Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen ..."