Wilhelm Busch – Was dem Pfingstfest vorausging

 

Pfingsten 1944

»Sie wurden voll des Heiligen Geistes...«

(Apostelgeschichte 2, 4a)

 

Pfingsten ist ein solch liebliches Fest. Goethe beginnt seinen »Reineke Fuchs« mit den Worten: »Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen, es grünten und blühten Feld und Wald ... «

Nicht nur über der Natur liegt dieser Glanz, sondern erst recht über der Pfingstgeschichte selber. Ein Freund von mir schrieb eine Auslegung der Pfingstgeschichte und gab ihr den Titel: »Frühlingstage in der Gemeinde.« Und seht, nun wollte ich euch auch eine recht fröhliche Pfingstpredigt halten. Aber es ging mir bei der Vorbe­reitung seltsam. Je mehr ich nachdachte, desto trauriger wurde ich. Meine Gedanken blieben an dem Satz hängen: »Sie wurden alle voll des Heiligen Geistes.« Je länger ich dies Wort bedachte, desto trauriger wurde ich. Das haben wir nicht! Das fehlt uns! Den Predigern und den Gemeinden. Ich sehe Prediger des Evangeliums, die schöne Predigten halten. Aber ihr Predigen bringt keine Frucht. Ich sehe Christen, deren Christenstand so kraftlos ist und andre, die sich in seelische Erregungen steigern. Aber voll des Heiligen Geistes sind sie alle nicht. Wer die heutige Christenheit beschreiben wollte, müsste sagen: »Sie waren alle leer des Heiligen Geistes.« Darum erspart mir, eine frisch-fröhliche Festpredigt zu halten. Lasst uns vielmehr nachdenken über das, was zu jenem ersten Pfingstfest führte. Ehe Petrus jubelnd singen konnte: »Denn der Geist der Gnaden hat sich eingeladen...«, musste er drei andere Verse singen lernen. Und die wollen wir bedenken.

 

1. Aus tiefer Not schrei ich zu dir

Ich glaube nicht, dass Petrus voll Heiligen Geistes ge­worden wäre, wenn da nicht jene andere Stunde vorausge­gangen wäre, in der es hieß: »Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.«

Welch eine Stunde, wenn ein Mann über sich selbst weint, »wenn die Träne rinnt um der Sünde Last.« In jener Stunde sah sich der Petrus zum erstenmal richtig, so, wie der heilige Gott ihn sah. Da überkam ihn tiefe Scham, als er sah, wie widerlich sein Temperament, wie schrecklich seine Sünde war. Er verlor alles Wohlgefallen an sich selbst, rückte von sich selbst ab. Er gab sich selbst den Tod. Der Heilige Geist ergießt sich nur in ein demütiges, bußfer­tiges Herz. Oh, dass es uns doch erginge wie jenem Bauern im Ravensberger Land. Der wurde schwer krank. Da ließ er den Pfarrer kommen. Das war der gewaltige Erweckungsprediger Volkening. Der sah den Bauern nur fest an und sagte: »Ich bin bange um Euch. So, wie bisher, geht's noch nicht in den Himmel, sondern geradewegs der Hölle zu.« Damit ließ er den Kranken allein. Der wurde unruhig und ließ in seiner Herzensunruhe nach ein paar Tagen den Vol­kening wieder rufen. Aber der sagte nur: »Notbuße — tote Buße. Mit dir muss es ganz anders kommen.« Und ging. Ja, und dann kam es mit dem Mann ganz anders: Sein Ge­wissen erwachte, seine Sünden standen auf und verklagten ihn, er sah sich ewig verloren. Da kam nach ein paar wei­teren Tagen Volkening wieder. Und nun wies er ihn mit den lieblichsten Worten auf den Heiland. — So muss unser Herz sagen lernen: »Aus tiefer Not schrei ich zu dir...« Das ist der erste Schritt auf die Geistesausgießung zu.

 

2. Mir ist Erbarmung widerfahren

Das war das zweite Lied, welches das Herz des Petrus singen lernte, ehe er Pfingsten erlebte.

Seht, der Petrus wusste: Man kann nicht wirklich leben, ohne ein Glied des Reiches Gottes zu sein. Das Reich Gottes war ihm nahe gewesen, als er mit Jesus gewandert war. Aber nun hatte er alles verscherzt. Er hatte seinen Heiland verleugnet. Sein Herz schrie: »Ich bin es nicht wert!«

Es liegt eine unendliche Traurigkeit über jener Geschichte aus Johannes 21, wo er den anderen Jüngern sagt: »Ich will fischen gehen. Ich gehe in mein altes Leben zurück, weil ich des Reiches Gottes nicht wert bin.« Doch Jesus sucht ihn, findet ihn, weist ihn auf sein für ihn vergossenes Blut hin. Und da geht dem Petrus auf einmal die Sonne auf:

»Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich

nicht wert...«

Oh, ihr stolzen Herzen! Ohne diese Erfahrung gibt es kein Pfingsten. Dass doch unter uns wieder die Gnade erfahren würde!

Lasst mich ein Gleichnis gebrauchen. Im ersten Weltkrieg musste ich als junger Soldat einen Meldegang machen. Es ging durch völlig ungedecktes Gelände. Und auf einmal rauschten ein paar schwere Granaten heran. Ich hörte sie rauschen, warf mich hin, sie kamen gerade auf mich zu, mein Herz tobte: »Es ist aus — fertig — Schluss!« Da schlugen sie hinter mir ein — und — es blieb alles still. Blindgänger! Wie war mir zu Mute! Eben noch dem Tode gegeben — und nun lebe ich. Ich habe geschrien und ge­sungen vor Freude.

So ist die Erfahrung der Gnade Gottes in Jesus. Das Gesetz Gottes verklagt uns, das Gewissen muss ihm recht geben, man sieht sich in Ewigkeit von Gott verstoßen. Doch dann steht auf einmal das Kreuz da. Man sieht auf, erkennt seine Versöhnung und singt: »Mir ist Erbarmung widerfahren.« Und das ist der zweite Schritt auf Pfingsten hin.

 

3. O Heiliger Geist, kehr bei uns ein ...

Das war der dritte Vers, den Petrus vor Pfingsten lernte. Er kannte die Bibel und er wusste: Dort ist der Heilige Geist verheißen.

Da stehen solche Worte: »Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre.« Oh, wie sehnte sich nun das Herz des Petrus nach solch lebendigen Strömen aus der ewigen Welt.

Petrus kannte das Wort aus Hesekiel 36, 27: »Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.« Oh, wie sehnte sich sein Herz nach solch einer gründlichen Neuschöpfung seines ganzen Wesens. Ja, der Herr Jesus hat zu seinen Jüngern gesagt: »Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes emp­fangen.« (Apostelgeschichte 1, 8)

Und seht, da blieb er nicht bei dem Sehnen stehen. Er ist in die Stille gegangen und hat seine Knie gebeugt vor dem himmlischen Vater und hat ihn angerufen: »Mache nun deine Verheißungen an mir wahr!« Hungert und dürstet nicht auch ihr? Dann lasst doch auch solch ein Warten und Beten daraus werden! Als Petrus und die anderen Jünger diese drei Lieder gelernt hatten, da kam Pfingsten, da kam der Heilige Geist, da hieß es: »Sie wurden alle voll des Heiligen Geistes.« Warum sollte es bei uns nicht so werden? Der Heilige Geist ist ja da. Er ist auch uns verheißen. Er steht vor der Tür. Wir hören schon sein Brausen. Aber die Herzen sind nicht bereit.

Und darum müsst ihr es mir zugute halten, dass ich jetzt eine Pfingstpredigt hielt, die eigentlich keine ist. Aber sie kann vielleicht dazu führen, dass es bei uns Pfingsten wird. Und das wäre dann die Hauptsache.